TE Vwgh Erkenntnis 2000/6/2 98/19/0128

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Veröffentlicht am 02.06.2000
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §69 Abs1 Z2;
AVG §69 Abs3;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Holeschofsky, Dr. Zens, Dr. Bayones und Dr. Schick als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hanslik, über die Beschwerde des 1959 geborenen A F F in Wien, vertreten durch Dr. G, Rechtsanwalt in Klagenfurt, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 15. April 1998, Zl. 122.362/12-III/11/98, betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens und Abweisung einer Berufung in einer Angelegenheit des Aufenthaltsgesetzes, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer beantragte am 8. Jänner 1997 bei der Bundespolizeidirektion Wien die Erteilung einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis "gem. Art. 52 EG-Vertrag, Richtlinie 73/148 des Rates und unter Berufung auf den ANSPRUCH der mir vom Gerichtshof der Europ. Gemeinschaften, Urteil 7.7.1992, C-370/90 (Sammlung I-4265, SINGH), in Bescheidform, zumindest aber in der Dauer von fünf Jahren".

Mit Schreiben vom 17. März 1997 leitete die Bundespolizeidirektion Wien diesen Antrag "zuständigkeitshalber gem. § 1 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz" an den Magistrat der Stadt Wien weiter. Unter einem wurde mitgeteilt, dass der Beschwerdeführer am 3. Dezember 1991 in Wien eine österreichische Staatsbürgerin geheiratet habe und gegen ihn am 23. Oktober 1978 ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen worden sei.

Der Landeshauptmann von Wien wies den Antrag als solchen auf Erteilung einer Bewilligung gemäß § 1 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufG) im Hinblick auf das von der Bundespolizeidirektion Wien mit Bescheid vom 23. Oktober 1978 rechtskräftig verhängte Aufenthaltsverbot gemäß § 5 Abs. 1 AufG in Verbindung mit § 10 Abs. 1 Z. 1 des Fremdengesetzes 1992 (FrG 1992) ab.

In seiner dagegen erhobenen Berufung brachte der Beschwerdeführer vor, der bekämpfte Bescheid sei angesichts des Rechts der Europäischen Union von der unzuständigen Behörde erlassen worden.

In Stattgebung dieser Berufung behob der Bundesminister für Inneres mit Bescheid vom 13. August 1997 den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 29. April 1997 gemäß § 1 Abs. 3 Z. 1 AufG ersatzlos. Begründend wurde ausgeführt, gemäß § 1 Abs. 3 Z. 1 AufG brauchten Fremde keine Bewilligung nach dem AufG, wenn sie auf Grund allgemein anerkannter Regeln des Völkerrechts, eines Staatsvertrages oder anderer bundesgesetzlicher Vorschriften in Österreich Niederlassungsfreiheit genießen. Auf Grund des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes vom 17. Juni 1997, B 592/96-6 (VfSlg. Nr. 14.863), sei § 29 FrG jedenfalls dahin auszulegen, dass die Aufenthaltsberechtigung von Drittstaatsangehörigen sämtlicher EWR-Bürger, also auch die Aufenthaltsberechtigung von Drittstaatsangehörigen österreichischer Staatsbürger, einheitlichen (begünstigenden) Regelungen unterworfen sei. Gemäß § 29 FrG unterlägen begünstigte Drittstaatsangehörige von EWR-Bürgern, die zwar Fremde aber nicht EWR-Bürger seien, der Sichtvermerkspflicht gemäß § 5 FrG. Dazu zählten u. a. Ehegatten. Auf Grund der Aktenlage sei ersichtlich, dass der Beschwerdeführer begünstigter Drittstaatsangehöriger eines österreichischen Staatsbürgers im Sinne des § 29 Abs. 3 FrG sei. Somit falle er unter jene Ausnahmegruppe, welche keine Bewilligung nach dem AufG benötige. Vielmehr unterliege er der Sichtvermerkspflicht gemäß § 5 FrG und finde § 29 FrG auf ihn Anwendung. Über seinen Antrag sei daher von einer unzuständigen Behörde entschieden worden, weshalb der gegenständliche Bescheid gemäß § 66 Abs. 4 AVG ersatzlos zu beheben gewesen sei. Der Antrag samt dem Verwaltungsakt wäre gemäß § 6 AVG an die Behörde gemäß § 65 FrG weiterzuleiten gewesen. Der Antrag werde von der Berufungsbehörde direkt an die zuständige Behörde gemäß § 65 FrG zur weiteren Bearbeitung weitergeleitet. Die Zustellung dieses Bescheides erfolgte durch Telefax am 18. August 1997.

Mit Schreiben vom 1. September 1997, eingelangt im Bundesministerium für Inneres am 4. September 1997, übermittelte der Magistrat der Stadt Wien "ergänzende Unterlagen", darunter ein an den Magistrat der Stadt Wien gerichtetes Schreiben der Staatsanwaltschaft Wien vom 29. Juli 1997, in dem "um Übersendung von Kopien aller für eine Ehenichtigkeit gem. § 23 Ehegesetz wesentlicher Unterlagen" betreffend den Beschwerdeführer ersucht wird.

Mit Bescheid vom 15. April 1998 nahm der Bundesminister für Inneres auf Grund neu hervorgekommener Tatsachen und Beweismittel das Verfahren betreffend den Bescheid vom 13. August 1997 von Amts wegen gemäß § 69 Abs. 1 und 3 iVm § 70 Abs. 1 AVG wieder auf und versetzte es in den Stand vor Erlassung des bezeichneten Bescheides (Spruchpunkt I). Darüber hinaus wurde die Berufung gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien "vom 08.01.1997" (gemeint offenkundig: vom 29. April 1997) gemäß § 10 Abs. 1 Z. 1 des Fremdengesetzes 1997 (FrG 1997) abgewiesen (Spruchpunkt II). In der Begründung führte der Bundesminister für Inneres zur Wiederaufnahme aus, das gegen den Beschwerdeführer am 23. Oktober 1978 erlassene unbefristete Aufenthaltsverbot sei dem Bundesminister für Inneres bei Erlassung des Bescheides vom 13. August 1997 bekannt gewesen. In der Annahme, dass der Beschwerdeführer mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratet sei und sich daher die Zuständigkeit der Behörden geändert habe, sei dieser Bescheid erlassen worden. Nunmehr sei jedoch nachträglich festgestellt worden, dass ein Ehenichtigkeitsverfahren gemäß § 23 des Ehegesetzes bei der Staatsanwaltschaft Wien laufe und sei die Behörde "auf Grund mehrerer Recherchen" vom Eingehen einer Scheinehe durch den Beschwerdeführer überzeugt. Dies wiederum habe zur Folge, dass bei "jetzigem Wissensstand" der damalige Bescheid vom 13. August 1997 niemals ergangen wäre. Dieser Bescheid sei somit "auf Grund Vorgabe falscher Tatsachen erlassen" worden. Somit werde die Wiederaufnahme des Verfahrens von Amts wegen veranlasst "und das Verfahren in den Stand vor Erlangen des Bescheides zweiter Instanz zurückversetzt". Zur Abweisung der Berufung führte der Bundesminister für Inneres aus, es stehe fest, dass gegen den Beschwerdeführer ein rechtskräftiges unbefristetes Aufenthaltsverbot bestehe. Auf Grund dieses Sachverhaltes liege ein "absoluter Sichtvermerksversagungsgrund" gemäß § 10 Abs. 1 Z. 1 FrG 1997 vor, weshalb von der Erteilung eines Aufenthaltstitels Abstand genommen werden müsse. Ein Eingehen auf die persönlichen Umstände des Beschwerdeführers sei wegen des rechtskräftigen Aufenthaltsverbotes nicht geboten.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Gemäß § 69 Abs. 1 Z. 2 und Abs. 3 AVG in der im Zeitpunkt der Bescheiderlassung maßgeblichen Fassung BGBl. Nr. 51/1991 lautete:

"§ 69. (1) Dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens ist stattzugeben, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und:

....

2. neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich einen im Hauptinhalt des Spruches anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätten, oder

....

(3) Unter den Voraussetzungen des Abs. 1 kann die Wiederaufnahme des Verfahrens auch von Amts wegen verfügt werden. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Bescheides kann die Wiederaufnahme auch von Amts wegen nur mehr aus den Gründen des Abs. 1 Z. 1 stattfinden."

§ 1 Abs. 3 Z. 1 AufG lautete:

"§ 1.

...

(3) Keine Bewilligung brauchen Fremde, wenn sie

1. auf Grund allgemein anerkannter Regeln des Völkerrechts, eines Staatsvertrages, unmittelbar anwendbarer Rechtsakte der Europäischen Union oder anderer bundesgesetzlicher Vorschriften in Österreich Niederlassungsfreiheit genießen; ..."

§ 7 Abs. 7, § 29 und § 65 FrG 1992 lauteten (auszugsweise):

"§ 7.

...

(7) Ergibt sich aus den Umständen des Falles, dass der Antragsteller für den Aufenthalt eine Bewilligung gemäß den §§ 1 und 6 des Bundesgesetzes, mit dem der Aufenthalt von Fremden in Österreich geregelt wird (Aufenthaltsgesetz), BGBl. Nr. 466/1992, benötigt, so darf dem Fremden kein Sichtvermerk nach diesem Bundesgesetz erteilt werden. Das Anbringen ist als Antrag gemäß § 6 des Aufenthaltsgesetzes unverzüglich an die zuständige Behörde weiterzuleiten, ...

§ 29. (1) Angehörige von EWR-Bürgern, die zwar Fremde aber nicht EWR-Bürger sind (Drittstaatsangehörige), unterliegen der Sichtvermerkspflicht gemäß § 5.

...

(3) Begünstigte Drittstaatsangehörige sind

1. Kinder bis zur Vollendung des 20. Lebensjahres und Ehegatten;

...

§ 65. (1) Behörde im Sinne dieses Bundesgesetzes ist, sofern nicht anderes bestimmt ist, die Bezirksverwaltungsbehörde, im örtlichen Wirkungsbereich einer Bundespolizeibehörde diese."

Es mag vorerst zutreffen, dass die erfolgte Einleitung eines Ehenichtigkeitsverfahrens gemäß § 23 des Ehegesetzes eine der belangten Behörde ohne ihr Verschulden unbekannt gebliebene neu hervorgekommene Tatsache im Sinne des § 69 Abs. 1 Z. 2 AVG darstellen könnte (vgl. zur nachträglichen Kenntnis der Behörde von einem Ehenichtigkeitsurteil das hg. Erkenntnis vom 27. September 1995, Zlen. 95/21/0577, 0578, zur nachträglichen Kenntnis von einem Scheidungsbeschluss das hg. Erkenntnis vom 21. Dezember 1999, Zl. 98/19/0142).

Voraussetzung für die Wiederaufnahme gemäß § 69 Abs. 1 Z. 2 AVG wäre aber darüber hinaus jedenfalls, dass die neu hervorgekommene Tatsache "allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich einen im Hauptinhalt des Spruches anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte".

Die belangte Behörde ging in ihrem Bescheid vom 13. August 1997 in Übereinstimmung mit dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes Slg. Nr. 14.863 davon aus, dass Drittstaatsangehörige von Österreichern Drittstaatsangehörigen von EWR-Bürgern im Sinne des § 29 FrG 1992 gleichzuhalten wären. Aus dieser Annahme leitete die belangte Behörde sodann ab, dass Ehegatten von Österreichern gemäß § 1 Abs. 3 Z. 1 AufG keine Aufenthaltsbewilligung benötigten. Daraus zog sie die weitere Konsequenz, dass der Antrag des Beschwerdeführers auf Erteilung einer "Aufenthaltserlaubnis" nicht - gemäß § 7 Abs. 7 FrG 1992 - als Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung an die Aufenthaltsbehörde hätte weitergeleitet werden dürfen, sondern dass vielmehr die Zuständigkeit der Fremdenpolizeibehörden gemäß § 65 FrG 1992 zur Entscheidung über diesen Antrag gegeben sei. Die Richtigkeit dieser Auffassung kann im vorliegenden Fall dahin gestellt bleiben, weil die belangte Behörde auf der Basis der dem Bescheid vom 13. August 1997 zu Grunde gelegten Rechtsansicht - diese ist für die Beurteilung der Zulässigkeit einer Wiederaufnahme nach § 69 Abs. 1 Z. 2 maßgeblich (vgl. das bereits erwähnte hg. Erkenntnis vom 21. Dezember 1999) - auch bei Kenntnis des Umstandes, dass ein Ehenichtigkeitsverfahren hinsichtlich der Ehe des Beschwerdeführers mit einer österreichischen Staatsbürgerin anhängig war, zu keinem anderen Ergebnis hätte kommen können.

Die belangte Behörde geht im angefochtenen Bescheid selbst davon aus, dass die Ehe des Beschwerdeführers zu einer österreichischen Staatsbürgerin im Zeitpunkt der Bescheiderlassung weder geschieden noch gemäß § 23 des Ehegesetzes für nichtig erklärt worden war. Auch in Kenntnis des Umstandes von der Anhängigkeit eines Ehenichtigkeitsverfahrens hätte die belangte Behörde daher - vor dem Hintergrund des § 27 des Ehegesetzes - den Beschwerdeführer als Drittstaatsangehörigen einer österreichischen Staatsbürgerin betrachten und auf der Basis ihrer dem Bescheid vom 13. August 1997 zu Grunde gelegten Rechtsansicht davon auszugehen gehabt, dass sein Antrag auf Erteilung einer "Aufenthaltserlaubnis" als solcher auf Erteilung eines Sichtvermerkes nach § 5 FrG zu werten gewesen wäre, worüber nicht die Aufenthaltsbehörde, sondern die Fremdenpolizeibehörde zu entscheiden gehabt hätte. Sie hätte daher auch diesfalls zur ersatzlosen Behebung des Bescheides des Landeshauptmannes von Wien vom 29. April 1997 kommen müssen.

Da die belangte Behörde somit zu keinem im Spruch anders lautenden Bescheid hätte gelangen können, war sowohl die Wiederaufnahme des mit dem Bescheid vom 13. August 1997 abgeschlossenen Berufungsverfahrens als auch - mangels Vorliegens der Voraussetzungen für eine neue Entscheidung in der Sache - die Abweisung der Berufung mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit behaftet.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Wien, am 2. Juni 2000

Schlagworte

Neu hervorgekommene entstandene Beweise und Tatsachen nova reperta nova producta

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2000:1998190128.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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