TE OGH 2017/12/15 1Ob203/17k

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Veröffentlicht am 15.12.2017
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Der Oberste Gerichtshof hat durch den Hofrat Univ.-Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. E. Solé, Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger und Mag. Korn als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj H***** P*****, geboren ***** 2008, wegen Kontaktrecht, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Vaters Mag. A***** C*****, vertreten durch Mag. Susanne Hautzinger-Darginidis, Rechtsanwältin in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 20. September 2017, GZ 43 R 379/17d-336, mit dem der am 26. Juni 2017 verkündete und am 30. Juni 2017 schriftlich ausgefertigte Beschluss des Bezirksgerichts Josefstadt, GZ 25 Ps 29/13g-326, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und dem Rekursgericht die neuerliche Entscheidung über den Rekurs des Vaters aufgetragen.

Text

Begründung:

Die Obsorge für die neunjährige H***** steht dem Vater und der Mutter gemeinsam zu, wobei die hauptsächliche Betreuung im Haushalt der Mutter festgelegt wurde.

Das Kontaktrecht zwischen H***** und ihrem Vater, wie es in der Tagsatzung vom 22. 8. 2016 vereinbart wurde, nämlich ein Nachmittag unter der Woche von Schulschluss bis 19:00 Uhr und ein mit dem genannten Wochentag alternierendes Wochenendkontaktrecht von Samstag 14:00 Uhr bis Sonntag 18:00 Uhr und ab November 2016 Samstag 14:00 Uhr bis Montag Schulbeginn, wird von beiden Elternteilen eingehalten und hat sich im Alltag etabliert. Die Tochter ist mit ihrem Tagesablauf bei der Mutter und auch während der Besuchskontakte beim Vater zufrieden und fühlt sich bei ihren Eltern wohl. Sie kann mit beiden Elternteilen ihren Neigungen nachgehen.

Aus ihrer persönlichen Sichtweise heraus hat H***** jedoch derzeit das Gefühl, beim Vater mehr Zeit zu verbringen als bei der Mutter, weil ihr die Zeit dort „anfangs so lange vorkomme“. Sie artikuliert den dezidierten Wunsch, dass sie (wie vom Vater gewünscht) nicht mehr Tagebuch schreiben müsse und „nicht so oft zum Vater müsse“. Das Ausmaß des Kontaktrechts wird von der Tochter als bereits sehr umfangreich empfunden; sie wünscht ausdrücklich keine Ausdehnung der Kontakte.

Der Vater stellte am 10. 1. 2017 (ON 276) den Antrag auf Festsetzung umfangreicher Ferienkontaktzeiten in den Semester-, Oster-, Pfingst-, Sommer-, Herbst- und Weihnachtsferien sowie für verlängerte Wochenenden. Über das Osterkontaktrecht wurde vom Erstgericht bereits mit rechtskräftiger Entscheidung vom 24. 3. 2017 (ON 294) abgesprochen. Das begehrte Sommerkontaktrecht konkretisierte der Vater in der Tagsatzung vom 26. 6. 2017 nur für das Jahr 2017 dahin (ON 325, AS 361), dass er ein Kontaktrecht vom 1. 7. bis 9. 7. 2017 sowie vom 12. 8. bis 3. 9. 2017 anstrebt.

Weiters begehrte er mit Antrag vom 10. 5. 2017 (ON 311) die Ausdehnung des Kontaktrechts dahin, dass dieses von Freitag jeder geraden Kalenderwoche zu Schulschluss bis Montag zu Schulbeginn sowie von Mittwoch jeder ungeraden Kalenderwoche von Schulschluss bis Donnerstag zu Schulbeginn dauere. Die Ausdehnung des Kontaktrechts begründete er damit, dass man sich auf diese Weise die derzeit konfliktbeladenen begleiteten Übergaben ersparen könne und die Zeit seiner Tochter bei ihm ansonsten sehr zerrissen sei.

Die Mutter nahm zu den Kontaktrechtsanträgen differenziert Stellung.

Das Erstgericht regelte das Kontaktrecht des Vaters zu seiner Tochter ergänzend zur Vereinbarung vom 22. 8. 2016 in den Sommerferien für die Zeiträume 1. 7. bis 9. 7. 2017 und vom 27. 8. bis 3. 9. 2017, in den „gesamten schulischen Herbstferien 2017“ und in den Weihnachtsferien vom 24. 12. 2017, 14:00 Uhr, bis 31. 12. 2017, 14:00 Uhr, (Punkt I). Den Antrag des Vaters auf Ausdehnung des Kontaktrechts „von Freitag nach Schulschluss (statt Samstag 14:00 Uhr) bis Montag Schulbeginn bzw Mittwoch nach Schulschluss bis Donnerstag Schulbeginn (statt ein Nachmittag unter der Woche von Schulschluss bis 19:00 Uhr)“ (Punkt II) wies es ebenso ab wie „die über diese getroffene Regelung hinausgehenden Anträge des Vaters auf Festsetzung weiterer Kontaktzeiten (ON 276)“ (Punkt III). Soweit für das Revisionsrekursverfahren von Relevanz führte das Erstgericht aus, dass die vom Vater beantragte Ausdehnung seines zweiwöchigen Wochenendkontaktrechts derzeit zu einer Überforderung seiner Tochter führen würde. Zur Abweisung der über das Jahr 2017 hinausgehenden Ferienkontakte enthält der erstinstanzliche Beschluss keine Darlegungen.

Dem gegen die Punkte II und III des erstgerichtlichen Beschlusses gerichteten Rekurs des Vaters gab das Rekursgericht nicht Folge. Rechtlich schloss es sich der Begründung im erstinstanzlichen Beschluss an und führte ergänzend zur Abweisung des Antrags des Vaters auf Festsetzung weiterer (Ferien-)Kontaktzeiten aus, dass die „Regelung der Semester- ... und Pfingstferien ... in früheren erstgerichtlichen Beschlüssen“ erfolgt und daher nicht entscheidungsgegenständlich sei. Die Regelung des Sommerkontaktrechts, des Kontaktrechts in den Herbstferien 2017 und in den Weihnachtsferien 2017 (Punkt I) sei vom Vater nicht bekämpft worden. Hinsichtlich des begehrten Kontaktrechts während der verlängerten Wochenenden sei nicht ersichtlich, um welche konkreten (durch Feiertage oder schulautonome Tage) verlängerten Wochenenden es sich dabei handeln sollte. Zudem handle es sich diesbezüglich um keinen Antrag nur zu Gunsten des Vaters, sondern auch zu Gunsten jenes Elternteils, bei dem das Kind gerade „das reguläre Wochenende verbringt“. Dieser Antrag sei derart vage und unkonkret, dass er selbst bei Stattgebung gerichtlich nicht durchgesetzt werden könnte. Das Erstgericht habe „den – in Wahrheit einzig noch
offenen – Punkt im Antrag ON 276 (nämlich jenen hinsichtlich der 'verlängerten Wochenenden')“ zu Recht abgewiesen.

Zur Abweisung des Antrags des Vaters auf Ausdehnung des Kontaktrechts (ON 311) legte das Rekursgericht dar, dass der Vater aufgrund der am 22. 8. 2016 geschlossenen Vereinbarung ein durchaus übliches und altersadäquates Wochen- und Wochenendkontaktrecht habe und – da die neunjährige Tochter erklärt habe, jedenfalls derzeit nicht noch mehr Zeit bei ihm verbringen zu wollen – das Ausmaß des derzeit bestehenden und auch von allen Beteiligten „gelebten“ Kontaktrechts nicht zu beanstanden sei.

Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zugelassen werde, weil die Beurteilung des konkreten und sehr speziellen Sachverhalts im Vordergrund gestanden sei.

Dagegen richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs des Vaters mit dem Antrag, „den verfahrensgegenständlichen Anträgen zur Gänze“ Folge zu geben; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Mutter beantragt in der ihr freigestellten Revisionsrekursbeantwortung die Zurückweisung des Rechtsmittels des Vaters, hilfsweise diesem nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist im Hinblick auf einen aufzugreifenden Verfahrensmangel zulässig und im Sinn des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags auch berechtigt.

1. Zutreffend zeigt der Vater auf, dass das Rekursgericht zwar seine Mängelrüge im Rekurs erwähnt hat, dazu aber im angefochtenen Beschluss keine Aussage traf. Der Vater rügte die unterlassene Einholung eines Sachverständigengutachtens zu den Ursachen der bei seiner Tochter immer wieder auftretenden Bauchschmerzen. Es entspricht ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, dass Verfahrensverstöße auch im Verfahren außer Streitsachen nur dann eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens bilden können, wenn sie abstrakt geeignet sind, eine unrichtige Entscheidung herbeizuführen, und diese Erheblichkeit des Mangels auch im Außerstreitverfahren vom Rechtsmittelwerber darzulegen ist (vgl RIS-Justiz RS0043027 [T8, T13]). Dies legt der Vater im Revisionsrekurs ausreichend dar, verweist er doch darauf, dass ein solches Sachverständigengutachten zur Klärung der Frage nach den zukünftigen Kontakten zum anderen Elternteil und zur Notwendigkeit einer zukünftigen langfristigen Ferienregelung unumgänglich sei. Da sich das Rekursgericht mit der Mängelrüge im Rekurs des Vaters nicht auseinandersetzte, liegt die gerügte Mangelhaftigkeit des Rekursverfahrens (§ 66 Abs 1 Z 2 AußStrG) vor. Das Rekursgericht wird im fortzusetzenden Verfahren zur bemängelten unterlassenen Einholung eines Sachverständigengutachtens Stellung zu nehmen haben.

2. Für das weitere Verfahren wird zu berücksichtigen sein, dass die Vorinstanzen nicht begründeten, warum sie die Abweisung des vom Vater über das Jahr 2017 hinaus angestrebten Ferienkontaktrechts für erforderlich erachten. Die Begründung des Rekursgerichts, dass die Regelung des Kontaktrechts für die Semester- und Pfingstferien bereits in „früheren erstgerichtlichen Beschlüssen“ erfolgt sei, trifft nach der Aktenlage nicht zu. Das Rekursgericht vermag solche Beschlüsse auch nicht zu nennen. Lediglich über das Osterkontaktrecht wurde bereits abschließend entschieden. Auch die Ansicht des Rekursgerichts, dass „in Wahrheit einzig noch“ der Punkt hinsichtlich der „verlängerten Wochenenden“ offen sei, trifft nicht zu. Noch nicht erledigt sind auch die vom Vater beantragten, über das Jahr 2017 hinausgehenden Regelungen des Kontaktrechts für die Semester-, Pfingst-, Sommer-, Herbst- und Weihnachtsferien.

3. Die Rechtsansicht des Rekursgerichts zum Kontaktrecht während der verlängerten Wochenenden, dass der Antrag insoweit vage und unkonkret formuliert sei, ist nicht zu beanstanden. Welche Wochenenden davon erfasst wären, vermag der Vater auch im Revisionsrekurs nicht zu nennen, wenn er darauf verweist, dass die Wochenenden „für jedes einzelne Kalenderjahr im Voraus ohne jeden Zweifel konkretisierbar“ wären. Sein Argument, dass auch „schulautonom freie Tage“ spätestens zu Beginn eines jeden Schuljahres feststünden, belegt, dass erst zu diesem Zeitpunkt diese Termine – jährlich neu – bestimmbar sind.

4. Die Regelung des Kontaktrechts hat vom Gericht unter Bedachtnahme auf die Bedürfnisse und Wünsche des Kindes in einer dessen Wohl gemäßen Weise zu erfolgen (vgl § 187 Abs 1 ABGB).

Wenn der Vater im Revisionsrekurs das Fachwissen der beigezogenen Mitarbeiter der Familiengerichtshilfe bemängelt, ist er darauf zu verweisen, dass der Oberste Gerichtshof auch im Verfahren außer Streitsachen nicht Tatsacheninstanz ist (RIS-Justiz RS0007236 [T2]), weshalb die im Rechtsmittel erörterten Fragen der Beweiswürdigung nicht behandelt werden können (RIS-Justiz RS0007236 [T4]).

Zur Bedeutung der Wünsche auch von Kindern, die das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, besteht eine umfangreiche Judikatur, von deren Grundsätzen die Vorinstanzen hinsichtlich der vom Vater beantragten Ausdehnung des Kontaktrechts (ON 311) nicht abgewichen sind. Diese haben vielmehr zutreffend die Wünsche der Minderjährigen als ein im Kontaktrechtsverfahren beachtliches Kriterium behandelt, von denen aber im Sinn des Kindeswohls auch abgewichen werden könnte (9 Ob 90/16z = RIS-Justiz RS0047937 [T11]). Wenn die Vorinstanzen davon ausgingen, dass die Ausdehnung des zweiwöchigen Wochenendkontaktrechts derzeit zu einer Überforderung der Tochter führen würde und dies nicht dem Kindeswohl entspräche, ist diese Beurteilung nicht korrekturbedürftig.

5. Abhängig von der Erledigung der Verfahrensrüge des Vaters und von den weiteren Verfahrensergebnissen wird vom Rekursgericht im fortgesetzten Verfahren auch die Entscheidung über das vom Vater angestrebte Ferienkontaktrecht über das Jahr 2017 hinaus zu treffen und zu begründen sein.

Dem Revisionsrekurs des Vaters ist daher im Sinn des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags Folge zu geben und dem Rekursgericht die neuerliche Entscheidung über seinen Rekurs aufzutragen.

Textnummer

E120402

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2017:0010OB00203.17K.1215.000

Im RIS seit

19.01.2018

Zuletzt aktualisiert am

29.11.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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