TE Lvwg Beschluss 2017/6/29 VGW-152/065/7437/2017, VGW-152/065/7438/2017

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Veröffentlicht am 29.06.2017
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Entscheidungsdatum

29.06.2017

Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

B-VG Art. 130 Abs1 Z3
VwGVG §8 Abs1
VwGVG §31 Abs1
AVG §13 Abs8

Text

Das Verwaltungsgericht Wien hat durch seine Richterin Mag. Eidlitz über die gemeinsame Säumnisbeschwerde 1. der Frau L. K. und 2. des Herrn Ku. J., vertreten durch Rechtsanwälte, vom 3.5.2017, betreffend Verletzung der Entscheidungspflicht bei der Erledigung der Anträge im Verfahren MA 35/IV – K 123/13 durch die Wiener Landesregierung, Magistratsabteilung 35, folgenden

BESCHLUSS

gefasst:

I. Die Säumnisbeschwerde wird gemäß § 8 Abs. 1 in Verbindung mit § 31 VwGVG als unzulässig zurückgewiesen.

II. Gegen diesen Beschluss ist gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Begründung

Gang des Verfahrens und festgestellter Sachverhalt:

Am 11.4.2013 stellte der Zweitbeschwerdeführer bei der belangten Behörde einen Antrag auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft, die Erstbeschwerdeführerin beantrage die Erstreckung der Verleihung der Staatsbürgerschaft. Im Zuge dieses Verfahrens wurde eine Vielzahl an Unterlagen vorgelegt bzw. durch die belangte Behörde herbeigeschafft.

Mit Schreiben vom 20.2.2017 teilten die Beschwerdeführer durch ihre anwaltliche Vertretung mit, die im Jahr 2013 gestellten Anträge auf Verleihung der Staatsbürgerschaft seien so zu verstehen, dass die Erstbeschwerdeführerin die Erstantragstellerin sei und der Zweitbeschwerdeführer einen Erstreckungsantrag stelle.

Mit Schriftsatz vom 3.5.2017 erhoben die Beschwerdeführer die gegenständliche Säumnisbeschwerde mit der Begründung, im Jahr 2013 einen Antrag auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft gestellt zu haben, weshalb die Entscheidungsfrist von sechs Monaten abgelaufen sei. Die Umstellung der Anträge ändere nichts am Ablauf der Entscheidungsfrist, da eine Modifizierung des Antrags nach § 13 Abs. 8 AVG zulässig sei. Weder ändere die Antragsänderung die Sache ihrem Wesen nach noch berühre sie die sachliche und örtliche Zuständigkeit.

Das Verwaltungsgericht Wien hat erwogen:

Rechtslage:

Gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 3 B-VG erkennen die Verwaltungsgerichte über Beschwerden wegen Verletzung der Entscheidungspflicht durch eine Verwaltungsbehörde.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Nach § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist.

Gemäß § 8 Abs. 1 VwGVG kann eine Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 3 B-VG (Säumnisbeschwerde) erst erhoben werden, wenn die Behörde die Sache nicht innerhalb von sechs Monaten, wenn gesetzlich eine kürzere oder längere Entscheidungsfrist vorgesehen ist, innerhalb dieser entschieden hat. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Antrag auf Sachentscheidung bei der Stelle eingelangt ist, bei der er einzubringen war.

Gemäß § 13 Abs. 8 AVG kann der verfahrenseinleitende Antrag in jeder Lage des Verfahrens geändert werden. Durch die Antragsänderung darf die Sache ihrem Wesen nach nicht geändert und die sachliche und örtliche Zuständigkeit nicht berührt werden.

Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 8 Abs. 1 VwGVG beginnt die Entscheidungsfrist der Behörde von sechs Monaten in dem Zeitpunkt zu laufen, in dem der Antrag auf Sachentscheidung bei der Stelle eingelangt ist, bei der er einzubringen war.

In ständiger Rechtsprechung wertet der Verwaltungsgerichtshof Änderungen des Antrages, die über das zulässige Ausmaß im Sinne des § 13 Abs. 8 AVG hinausgehen, als konkludente Zurückziehung des ursprünglichen und Stellung eines neuen Antrags, wodurch die sechsmonatige Entscheidungsfrist mit dem Zeitpunkt der Änderung neu zu laufen beginnt (VwGH 24.3.2015, 2014/05/0023; 27.2.2014, 2013/12/0159).

Gemäß § 13 Abs. 8 AVG kann der Antrag zwar in jeder Lage des Verfahrens, dadurch jedoch nicht die Sache ihrem Wesen nach geändert werden. Ob eine derartige Wesensänderung vorliegt, ist eine Einzelfallentscheidung, welche jedenfalls dann zu bejahen ist, wenn es sich nicht um eine Änderung, sondern um ein neues, anderes Vorhaben handelt, etwa wenn das Vorhaben im Lichte der anzuwendenden Materiengesetze eine andere Qualität erhält (Hengstschläger/Leeb, AVG (2014) § 13 Rz 45).

Mit Schreiben vom 20.2.2017 tauschten die Beschwerdeführer die Person des Staatsbürgschafts- und Erstreckungswerber aus, das heißt die Erstbeschwerdeführerin – zuvor Erstreckungswerberin - beantragt nunmehr die Staatsbürgerschaft, der Zweitbeschwerdeführer – zuvor Staatsbürgerschaftswerber – ist nun Erstreckungswerber. Dadurch gelten jedoch sowohl für die Erstbeschwerdeführerin als Staatsbürgerschaftswerberin als auch für den Zweitbeschwerdeführer als Erstreckungswerber andere Erteilungsvoraussetzungen im Vergleich zum Erstantrag.

Dies betrifft insbesondere die Voraussetzungen zum rechtmäßigen und ununterbrochenen Aufenthalt bzw. Niederlassung, welche von der Staatsbürgerschaftswerberin gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 zehn Jahre rechtmäßigen und ununterbrochenen Aufenthalt im Bundesgebiet verlangt, für den Erstreckungswerber jedoch gemäß § 16 Abs. 1 Z 1 nur sechs Jahre. Zudem besteht ein Rechtsanspruch auf die Erstreckung der Verleihung, wenn die allgemeinen Verteilungsvoraussetzungen gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 bis 8, Abs. 2 und Abs. 3 erfüllt sind und sie schriftlich beantragt wurde. Ein derartiger Rechtsanspruch auf Verleihung besteht hinsichtlich des Staatsbürgerschaftswerbers nicht, da für ihn § 11 StGB zur Anwendung gelangt, welche der Behörde aufträgt, das Gesamtverhalten des Fremdens im Hinblick auf das allgemeine Wohl, die öffentlichen Interessen und das Ausmaß seiner Integration zu berücksichtigten.

Durch diesen Wechsel erhält der ursprüngliche Antrag auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft vom 11.4.2013 eine neue, andere Qualität. Die belangte Behörde muss nun in Bezug auf Erst- und Zweitbeschwerdeführer im Vergleich zum Erstantrag andere Verleihungstatbestände zur Anwendung bringen und in weiterer Folge andere Verleihungsvoraussetzungen prüfen. Dadurch handelt es sich jedenfalls um ein neues, anderes Vorhaben, welches das Ausmaß der zulässigen Antragsänderung im Sinne des § 13 Abs. 8 AVG übersteigt.

Es ist daher durch den mit Schreiben vom 20.2.2017 vorgenommenen Wechsel der Person des Staatsbürgerschafts- und Erstreckungswerber von einer neuen Antragsstellung unter gleichzeitiger konkludenter Zurückziehung des Erstantrags auszugehen. Die sechsmonatige Entscheidungsfrist der belangten Behörde von sechs Monaten begann durch diese Änderung am 20.2.017 neu zu laufen.

Die Einbringung der Säumnisbeschwerde erfolgte am 3.5.2017. Zu diesem Zeitpunkt ist die sechsmonatige Entscheidungsfrist allerdings noch nicht abgelaufen, da am 3.5.2017 seit der Einbringung des neuen Antrags auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft bei der zuständigen Behörde erst knapp zweieinhalb Monate vergangen sind.

Die gegenständliche Säumnisbeschwerde war daher mangels Zulässigkeit spruchgemäß zurückzuweisen.

Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:

Die ordentliche Revision ist unzulässig. Sämtliche im vorliegenden Beschwerdefall aufgeworfenen (prozessualen) Rechtsfragen über den Beginn der Entscheidungsfrist im Falle einer das Wesen der Sache berührenden Antragsänderung sind durch die im Beschluss zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs beantwortet. Es war keine (weitere) Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen, der über den Einzelfall hinausgehende grundsätzliche Bedeutung zukommt.

Schlagworte

Säumnisbeschwerde, Verletzung der Entscheidungspflicht, Entscheidungsfrist, Antragsänderung, Wesensänderung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGWI:2017:VGW.152.065.7437.2017

Zuletzt aktualisiert am

17.01.2018
Quelle: Landesverwaltungsgericht Wien LVwg Wien, http://www.verwaltungsgericht.wien.gv.at
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