Index
41/02 Melderecht;Norm
AufG 1992 §1 idF 1995/351;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldner und die Hofräte Dr. Bachler, Dr. Rigler, Dr. Schick und Dr. Pelant als Richter, im Beisein des Schriftführers DDDr. Jahn, über die Beschwerde der F N in K an der Pielach, vertreten durch Dr. Richard Soyer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Kärntner Ring 6, gegen den Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom 11. Dezember 1997, Zl. IVW 2-S-14641-97, betreffend Verleihung und Erstreckung der österreichischen Staatsbürgerschaft, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Niederösterreich hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Beschwerdeführerin beantragte am 8. März 1996 die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft sowie die Erstreckung der Verleihung auf ihr minderjähriges Kind. Begründend führte sie aus, seit 9. Dezember 1991 ihren ordentlichen Wohnsitz (dieser Begriff wird auf dem von der Beschwerdeführerin ausgefüllten Formular gebraucht) ununterbrochen in Österreich zu haben und seit 25. Februar 1994 mit einem österreichischen Staatsbürger verheiratet zu sein.
Die Niederösterreichische Landesregierung wies den Antrag auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft und auf Erstreckung der Verleihung auf das minderjährige Kind der Beschwerdeführerin mit Bescheid vom 11. Dezember 1997 ab. Als Rechtsgrundlagen führte sie § 11a des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 (StbG) und § 1 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufG) an. In der Begründung führte die Niederösterreichische Landesregierung aus, die am 19. Februar 1959 in Nigeria geborene Beschwerdeführerin sei nigerianische Staatsangehörige. Seit dem 25. Februar 1994 sei sie mit einem österreichischen Staatsbürger verheiratet. Sie sei seit dem 8. April 1994 ohne Unterbrechung im Gebiet der Republik gemeldet. Der Bundesminister für Inneres habe einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung mit Bescheid vom 28. Februar 1997 abgewiesen. In einer Stellungnahme vom 25. September 1997 habe die Beschwerdeführerin darauf hingewiesen, seit 10. Oktober 1994 ihren Hauptwohnsitz in Kirchberg an der Pielach zu haben. Gemäß § 11a StbG könne einem Fremden die Staatsbürgerschaft ua. dann verliehen werden, wenn sein Ehegatte Staatsbürger ist und die Ehe seit mindestens einem Jahr aufrecht ist und er seinen Hauptwohnsitz seit mindestens vier Jahren ununterbrochen im Gebiet der Republik hat oder bei einer Ehedauer von mindestens zwei Jahren ein solcher Wohnsitz seit mindestens drei Jahren besteht. Gemäß § 1 Abs. 1 AufG brauchten Fremde im Sinne des § 1 Abs. 1 des Fremdengesetzes 1992 (FrG) zur Begründung eines Hauptwohnsitzes in Österreich eine besondere Bewilligung. Da der Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung vom 10. April 1995 im Instanzenzug vom Bundesminister für Inneres mit Bescheid vom 26. Februar 1997 abgewiesen worden sei, habe die Beschwerdeführerin "innerhalb dieser Zeit jedenfalls keinen ordentlichen Wohnsitz begründen" können. Wenn die Beschwerdeführerin in ihrer schriftlichen Eingabe vermeine, dass sie durch ihre Anmeldung in Kirchberg einen Hauptwohnsitz in Österreich begründet hätte, so sei dem unter Hinweis auf § 1 Abs. 1 AufG entgegen zu halten, dass zur Begründung eines Hauptwohnsitzes in Österreich eine Aufenthaltsbewilligung erforderlich sei, die der Beschwerdeführerin zumindest seit 17. Juni 1994 verwehrt worden sei. Ihr Verweis auf ihre aufrechte Ehe mit einem österreichischen Staatsbürger und dem in diesem Zusammenhang grundsätzlich anzuwendenden § 11a StbG gehe ins Leere, weil sie die im genannten Tatbestand vorgesehenen Wohnsitzfristen mangels der fehlenden Aufenthaltsbewilligung nicht erfülle. Da sie somit ohne Bewilligung nach § 1 AufG und somit "ohne aufrechten Hauptwohnsitz" im Bundesgebiet aufhältig sei, sei spruchgemäß zu entscheiden gewesen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde begehrt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde erwogen:
Im Hinblick auf das Datum der Bescheiderlassung (23. Dezember 1997) ist für die Überprüfung des Bescheides auf seine Rechtmäßigkeit die Rechtslage vor Inkrafttreten der StbG-Novelle BGBl. I Nr. 30/1998 bzw. vor Inkrafttreten des Fremdengesetzes 1997 maßgeblich.
Die §§ 10, 11a, 15, 17 und 18 StbG lauteten (auszugsweise):
"§ 10. (1) Die Staatsbürgerschaft kann einem Fremden verliehen werden, wenn
...
5. gegen ihn kein Aufenthaltsverbot besteht;
...
§ 11a. Einem Fremden ist unter den Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Z. 2 bis 8 und Abs. 2 die Staatsbürgerschaft zu verleihen, wenn
1.
sein Ehegatte Staatsbürger ist,
2.
die Ehe weder von Tisch und Bett noch sonst ohne Auflösung des Ehebandes gerichtlich geschieden ist,
...
4. a) die Ehe seit mindestens einem Jahr aufrecht ist und er
seinen Hauptwohnsitz seit mindestens vier Jahren ununterbrochen im
Gebiet der Republik hat oder bei einer Ehedauer von mindestens zwei
Jahren ein solcher Wohnsitz seit mindestens drei Jahren besteht
oder ... .
...
§ 15. (1) Der Lauf der Wohnsitzfristen nach ... § 11a Z 4
lit. a ... wird unterbrochen durch
a) ein rechtskräftiges Aufenthaltsverbot;
...
(2) Eine Unterbrechung des Fristenlaufes gemäß Abs. 1 lit. a ist nicht zu beachten, wenn das Aufenthaltsverbot deshalb aufgehoben wurde, weil sich seine Erlassung in der Folge als unbegründet erwiesen hat.
...
§ 17. (1) Die Verleihung der Staatsbürgerschaft ist unter den Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Z. 2 bis 8 und Abs. 2 zu erstrecken auf
1.
die ehelichen Kinder des Fremden,
2.
die unehelichen Kinder der Frau,
...
sofern die Kinder minderjährig, ledig und nicht infolge der Entziehung der Staatsbürgerschaft nach § 33 Fremde sind.
...
§ 18. Die Erstreckung der Verleihung darf nur gleichzeitig mit der Verleihung der Staatsbürgerschaft und nur mit demselben Erwerbszeitpunkt verfügt werden."
§ 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufG) lautete in der hier maßgeblichen Fassung der Novelle BGBl. Nr. 351/1995 (auszugsweise):
"§ 1. (1) Fremde (§ 1 Abs. 1 des Fremdengesetzes-FrG, BGBl. Nr. 838/1992) brauchen zur Begründung eines Hauptwohnsitzes in Österreich eine besondere Bewilligung (im Folgenden 'Bewilligung' genannt). Die auf Grund anderer Rechtsvorschriften für Fremde vorgesehenen besonderen Regelungen bleiben unberührt.
(2) Von Fremden, die sich
1. innerhalb eines Kalenderjahres länger als sechs Monate tatsächlich oder
2. zur Ausübung einer selbstständigen oder unselbstständigen Erwerbstätigkeit in Österreich aufhalten, wird für Zwecke dieses Bundesgesetzes jedenfalls angenommen, dass sie in Österreich einen Hauptwohnsitz begründen.
..."
§ 1 Abs. 7 des Meldegesetzes 1991 lautete (in der maßgeblichen Fassung des Hauptwohnsitzgesetzes BGBl. Nr. 505/1994):
"§ 1.
...
(7) Der Hauptwohnsitz eines Menschen ist an jener Unterkunft begründet, an der er sich in der erweislichen oder aus den Umständen hervorgehenden Absicht nieder gelassen hat, diese zum Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen zu machen; trifft diese sachliche Voraussetzung bei einer Gesamtbetrachtung der beruflichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebensbeziehungen eines Menschen auf mehrere Wohnsitze zu, so hat er jenen als Hauptwohnsitz zu bezeichnen, zu dem er das überwiegende Naheverhältnis hat."
Unbestritten ist im vorliegenden Fall, dass die Beschwerdeführerin seit dem 25. Februar 1994 mit einem österreichischen Staatsbürger verheiratet ist. Die belangte Behörde stellt im angefochtenen Bescheid auch fest, dass die Beschwerdeführerin seit dem 8. April 1994 ohne Unterbrechung im Bundesgebiet gemeldet sei. Sie vertritt jedoch die Auffassung, dass die Beschwerdeführerin das in § 11a Z. 4 lit. a enthaltene Erfordernis eines ununterbrochenen Hauptwohnsitzes seit mindestens drei Jahren, das angesichts ihrer bereits mehr als zweijährigen Ehe ausreichend wäre, nicht erfüllt.
Wie die Begründung des angefochtenen Bescheides erkennen lässt, verneint die belangte Behörde die Möglichkeit der Begründung eines Hauptwohnsitzes in Österreich durch die Beschwerdeführerin mangels Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung nach § 1 Abs. 1 AufG. Diese dem Bescheid zu Grunde gelegte Rechtsauffassung ist aus folgenden Gründen verfehlt:
§ 11a Z. 4 lit. a StbG setzt im Falle einer Ehedauer von mindestens zwei Jahren voraus, dass der Fremde seinen Hauptwohnsitz (bis zum Inkrafttreten des Hauptwohnsitzgesetzes: seinen ordentlichen Wohnsitz) seit mindestens drei Jahren (ununterbrochen) im Gebiet der Republik hat. Vor dem Hintergrund des § 1 Abs. 7 MeldeG wäre ein Hauptwohnsitz der Beschwerdeführerin in Österreich begründet, wenn sie sich in Österreich an einer Unterkunft in der erweislichen oder aus den Umständen hervorgehenden Absicht niedergelassen hätte, diese zum Mittelpunkt ihrer Lebensbeziehungen zu machen. Ob ein Hauptwohnsitz im Sinne des § 11a Z. 4 lit. a StbG im Zusammenhang mit § 1 Abs. 7 MeldeG vorliegt, hängt nur von der Erfüllung dieser zuletzt umschriebenen Voraussetzungen ab, nicht hingegen davon, ob der Aufenthalt des Fremden rechtmäßig ist. Dafür bietet nicht nur der Wortlaut des § 11a Z. 4 lit. a StbG keinen Hinweis, auch andere Bestimmungen des StbG sprechen gegen die Erforderlichkeit eines rechtmäßigen Aufenthaltes, um die Voraussetzung eines Hauptwohnsitzes von bestimmter Dauer zu erfüllen. Wie § 15 Abs. 1 lit. a StbG anordnet, wird der Lauf der Wohnsitzfrist nach § 11a Z. 4 lit. a StbG nämlich unterbrochen ua. durch ein rechtskräftiges Aufenthaltsverbot. Eine derartige Unterbrechung der Frist anzuordnen wäre nicht erforderlich, wenn die Begründung eines Hauptwohnsitzes bzw. seine Beibehaltung nur bei rechtmäßigem Aufenthalt in Österreich möglich wäre. Auch die Normierung eines eigenständigen Verleihungshindernisses für den Fall des Bestehens eines Aufenthaltsverbotes (§ 10 Abs. 1 Z. 5 StbG) verlöre jegliche Bedeutung.
Entgegen der Annahme der belangten Behörde ergibt sich auch bei einer Einbeziehung des § 1 AufG kein anderes Ergebnis. § 1 AufG ist nicht als lex specialis zu § 1 Abs. 7 MeldeG derart zu verstehen, dass in Abweichung von den dort umschriebenen Voraussetzungen die Begründung bzw. Beibehaltung eines Hauptwohnsitzes nur dann möglich wäre, wenn der Aufenthalt im Bundesgebiet durch eine Aufenthaltsbewilligung gedeckt ist.
Zwar ist einzuräumen, dass die Wendung "brauchen zur Begründung eines Hauptwohnsitzes in Österreich eine besondere Bewilligung" allenfalls so verstanden werden könnte, dass es nicht wie nach § 1 Abs. 7 MeldeG allein auf eine (faktische) Niederlassung im Bundesgebiet ankommt, die in der erweislichen oder aus den Umständen hervorgehenden Absicht erfolgt ist, die betreffende Unterkunft zum Mittelpunkt der Lebensbeziehungen zu machen. § 1 Abs. 2 AufG zeigt aber ganz klar, dass ein solches Verständnis nicht zutreffend sein kann. Diese Bestimmung enthält für Fremde, die sich innerhalb eines Kalenderjahres länger als sechs Monate tatsächlich oder zur Ausübung einer selbstständigen oder unselbstständigen Erwerbstätigkeit in Österreich aufhalten, die Vermutung, dass sie in Österreich einen Hauptwohnsitz begründen. Daraus ergibt sich aber zweifelsfrei, dass § 1 Abs. 1 (und Abs. 2) AufG nur bestimmt, dass Fremde, die in Österreich einen Hauptwohnsitz begründen oder bei denen auf Grund eines längeren Aufenthaltes in Österreich die Begründung eines Hauptwohnsitzes vermutet wird, zur Rechtmäßigkeit dieser Wohnsitzbegründung einer besonderen Bewilligung bedürfen. Würde man der von der belangten Behörde vertretenen Rechtsauffassung folgen, wäre die Formulierung des § 1 Abs. 2 AufG unverständlich.
Ausgehend von der dargelegten unrichtigen Rechtsauffassung hat es die belangte Behörde unterlassen, die für das Vorliegen der in § 11a StbG enthaltenen Verleihungsvoraussetzungen erforderlichen Ermittlungen (insbesondere über den Mittelpunkt der Lebensinteressen der Beschwerdeführerin) zu treffen. Sie hat daher ihren Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet.
Der angefochtene Bescheid war demnach gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG - im Hinblick auf § 18 StbG zur Gänze - als rechtswidrig aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Von der Durchführung einer Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen werden. Art. 6 Abs. 1 MRK steht dem nicht entgegen.
Wien, am 7. Juni 2000
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2000:1998010081.X00Im RIS seit
02.05.2001