Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AVG §13 Abs3;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Puck und die Hofräte Dr. Sauberer und Dr. Handstanger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Böheimer, über die Beschwerde des Dr. W H in B, Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch Dr. Hanns Forcher-Mayr, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Colingasse 8, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates in Tirol vom 7. September 1999, Zl. uvs-1998/14/225-1, betreffend Übertretungen der Straßenverkehrsordnung 1960, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird in seinen Absprüchen hinsichtlich der Punkte 1. und 2. des erstinstanzlichen Straferkenntnisses einschließlich der Kostenaussprüche wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufgehoben.
Das Land Tirol hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck vom 19. Oktober 1998 wurde der Beschwerdeführer wegen der Verwaltungsübertretungen nach 1. § 4 Abs. 5 StVO 1960,
2. § 4 Abs. 1 lit. a leg. cit. und 3. § 4 Abs. 1 lit. c leg. cit. mit Geldstrafen von je S 3.000,-- bestraft. Dieses - einen Hinweis auf das Erfordernis eines begründeten Berufungsantrages enthaltende - Straferkenntnis wurde dem Beschwerdeführer zu Handen seiner damaligen Vertreter am 30. Oktober 1998 zugestellt. Am 3. November 1998 wurde von den Vertretern des Beschwerdeführers ein an die Bezirkshauptmannschaft Innsbruck gerichteter Schriftsatz folgenden Inhalts zur Post gegeben:
"VST-75761/98, S020859, k-21418
Dr. W H
Sehr geehrter Herr Bezirkshauptmann,
in obiger Verkehrssache legen wir namens des Herrn Dr. H gegen
das Straferkenntnis vom 19.10.1998, uns zugestellt am 30.10.1998,
BERUFUNG
ein.
Wir beabsichtigen, einen in Innsbruck zugelassenen
Rechtsanwalt mit der Sache zu betrauen.
Mit freundlichen Grüßen
..."
Am 16. November 1998 langte bei der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck per Telefax eine - weitere - Berufung des Beschwerdeführers mit einem dem Erfordernis eines begründeten Berufungsantrages entsprechendem Vorbringen ein.
Mit dem angefochtenen Bescheid wurde "die Berufung" hinsichtlich der Punkte 1. und 2. des erstinstanzlichen Straferkenntnisses als unbegründet abgewiesen. Hinsichtlich des Punktes 3. des erstinstanzlichen Straferkenntnisses wurde "der Berufung" Folge gegeben, das angefochtene Straferkenntnis behoben und das Verwaltungsverfahren eingestellt.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde. Der Beschwerdeführer erachtet sich
"in den gemäß § 4 Abs. 5 und Abs. 1 lit. a StVO gewährleisteten Rechten, als Person, deren Verhalten am Unfallsort mit einem Verkehrsunfall in keinem ursächlichen Zusammenhang steht, die nächste Polizei- oder Gendarmeriedienststelle vom Verkehrsunfall ohne unnötigen Aufschub nicht zu verständigen und nicht sofort anzuhalten zu haben, verletzt."
Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Vorlage der Akten des Verwaltungsstrafverfahrens und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:
Vorweg sei bemerkt, dass sich die verwaltungsgerichtliche Prüfung des angefochtenen Bescheides darauf zu beschränken hat, ob die im Rahmen der Bezeichnung des Beschwerdepunktes geltend gemachten Rechte verletzt wurden (vgl. den hg. Beschluss vom 5. August 1999, Zl. 99/03/0040); das sind im Beschwerdefall - bei verständiger Deutung des oben wiedergegebenen Beschwerdevorbringens - die Rechte des Beschwerdeführers, nicht wegen der Verwaltungsübertretungen nach § 4 Abs. 5 und § 4 Abs. 1 lit. a StVO 1960 (Spruchpunkte 1. und 2. des erstinstanzlichen Straferkenntnisses) bestraft zu werden.
Mit Beschluss vom 22. März 2000 teilte der Verwaltungsgerichtshof gemäß § 41 Abs. 1 VwGG den Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens mit, dass für die Entscheidung über die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides folgende, einer Partei bisher nicht bekannt gegebenen Gründe maßgebend sein könnten:
"In der Begründung des angefochtenen Bescheides wurde - in Übereinstimmung mit dem Inhalt der Verwaltungsstrafakten - festgestellt, dass das - einen Hinweis auf der Erfordernis eines begründeten Berufungsantrages enthaltende - erstinstanzliche Straferkenntnis dem Beschwerdeführer zu Handen seiner (damaligen) Vertreter am 30. Oktober 1998 zugestellt worden sei. "Innerhalb offener Frist" sei dagegen vom Beschwerdeführer eine Berufung erhoben worden, die keinen begründeten Berufungsantrag enthalten habe. Am 16. November 1998 sei durch den "nunmehrigen Rechtsvertreter" eine weitere Berufung mit einem bestimmten (dem Erfordernis eines begründeten Berufungsantrages im Sinne des § 63 Abs. 3 AVG entsprechenden) Vorbringen erhoben worden.
Gemäß § 63 Abs. 3 AVG hat die Berufung einen begründeten Berufungsantrag zu enthalten. Nach der Rechtslage vor der am 1. Jänner 1999 in Kraft getretenen AVG-Novelle BGBl. I Nr. 158/1998 stellte das Fehlen eines begründeten Berufungsantrages, wenn im erstinstanzlichen Bescheid auf das Erfordernis eines solchen im Grunde des § 61 Abs. 5 AVG hingewiesen wurde, kein nach § 13 Abs. 3 AVG behebbares Formgebrechen dar. Ein derartiger inhaltlicher Mangel einer Berufung bewirkte deren Unzulässigkeit (vgl. das hg. Erkenntnis vom 22. April 1998, Zl. 98/03/0006). Die Erhebung einer unzulässigen Berufung hindert aber nach der hg. Rechtsprechung nicht den Eintritt der Rechtskraft eines Bescheides (vgl. das Erkenntnis vom 21. Dezember 1978, Slg. Nr. 9727/A). Die Zurückweisung einer solchen Berufung durch die Berufungsbehörde hat lediglich feststellenden Charakter (vgl. das hg. Erkenntnis vom 15. Dezember 1987, Zl. 87/05/0147).
Dies bedeutet im Beschwerdefall, dass sich die "innerhalb offener Frist" eingebrachte Berufung des Beschwerdeführers wegen des ihr anhaftenden Mangels eines begründeten Berufungsantrages als unzulässig erwies. Die am 16. November 1998 eingebrachte Berufung war verspätet, weil die Berufungsfrist bereits mit 13. November 1998 abgelaufen war. Mit diesem Zeitpunkt war das erstinstanzliche Straferkenntnis somit in Rechtskraft erwachsen. Die meritorische Erledigung der - unzulässigen bzw. verspäteten - Berufung könnte den angefochtenen Bescheid, mit dessen in Beschwerde gezogenem Teil die Berufung hinsichtlich zweier Spruchpunkte des erstinstanzlichen Straferkenntnisses als unbegründet abgewiesen und dem Beschwerdeführer gemäß § 64 Abs. 1 und 2 VStG Kosten des Berufungsverfahrens vorgeschrieben wurden, im angefochtenen Umfang mit - von Amts wegen wahrzunehmender - Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde belasten (vgl. das hg. Erkenntnis vom 29. November 1982, Slg. Nr. 10.903/A).
Daran vermag die gemäß § 82 Abs. 6 AVG in der Fassung BGBl. I Nr. 158/1998 mit 1. Jänner 1999 in Kraft getretene Änderung des § 13 Abs. 3 AVG nichts zu ändern. Mangels einer entsprechenden Übergangsbestimmung kann diese Bestimmung nicht auf von der Berufungsbehörde noch nicht erledigte Berufungen angewendet werden, die nach der früheren Rechtslage wegen des Mangels eines begründeten Berufungsantrages unzulässig waren, wenn die Berufungsfrist am 1. Jänner 1999 bereits abgelaufen war, würde doch in einem solchen Fall mit einem Vorgehen nach der genannten Bestimmung in die bereits eingetretene Rechtskraft des erstinstanzlichen Bescheides eingegriffen werden. Dem steht auch nicht entgegen, dass die Berufungsbehörde im Allgemeinen das im Zeitpunkt ihrer Entscheidung geltende Recht anzuwenden hat. Dieser Grundsatz gilt nämlich - unter anderem - nicht, wenn darüber abzusprechen ist, was an einem bestimmten Stichtag rechtens war (vgl. das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 4. Mai 1977, Slg. Nr. 9315/A). Dies trifft auf die Beurteilung der Zulässigkeit eines Rechtsmittels zu, weil sich diese Frage - bei Fehlen anders lautender Übergangsbestimmungen - nach der in dem für den Eintritt der Rechtskraft maßgebenden Zeitpunkt des Ablaufes der Rechtsmittelfrist geltenden Rechtslage zu richten hat."
Dazu äußerte sich der Beschwerdeführer dahin, dass die von seinen früheren Rechtsvertretern - am 3. November 1998 zur Post gegebene - "Berufung" nicht mit dem Mangel eines begründeten Berufungsantrages behaftet gewesen sei. Auf Grund der Bezeichnung "Berufung", der Anführung der Geschäftszahl des Straferkenntnisses "sowie des Schriftsatzes an die BH Innsbruck vom 13.10.1998" sei eindeutig erkennbar, "dass sich daraus hinreichende Klarheit für das Begehren in der Berufung ergibt".
Die belangte Behörde vertrat in ihrer Stellungnahme den Standpunkt, dass sie im Zeitpunkt ihrer Entscheidung "den § 13 Abs. 3 AVG (neu)" anzuwenden gehabt habe. Die alte Fassung dieser Bestimmung sei schon außer Kraft getreten gewesen. In diesem Zusammenhang sei § 82 Abs. 7 AVG "interessant". Die Erteilung eines Verbesserungsauftrages (hinsichtlich des fehlenden begründeten Berufungsantrages) sei nicht erforderlich gewesen, weil der Mangel schon vorher saniert worden sei. Gehe man von der im hg. Beschluss vom 22. März 2000 geäußerten Rechtsansicht aus, so würde nach Ansicht der belangten Behörde eine Beschwer des Beschwerdeführers fehlen, da er durch das angefochtenen Berufungserkenntnis besser gestellt sei als durch das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck. Auf Grund des angefochtenen Bescheides habe er insgesamt einen Betrag von S 7.800,-- an Strafen sowie an Verfahrenskosten zu bezahlen, auf Grund des erstinstanzlichen Straferkenntnisses hingegen insgesamt S 9.900,--.
Die von den Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens erstatteten Vorbringen veranlassen den Verwaltungsgerichtshof nicht, von der im Beschluss vom 22. März 2000 vertretenen Rechtsansicht abzugehen. Der Beschwerdeführer übersieht insbesondere, dass die am 3. November 1998 zur Post gegebene Berufung nicht auf den Schriftsatz vom 13. Oktober 1998 Bezug genommen hat. Da aus dieser Berufung nicht einmal ansatzweise erkennbar ist, aus welchen konkreten Erwägungen die in Berufung gezogene Entscheidung bekämpft wird, mangelt ihr das Mindesterfordernis eines begründeten Berufungsantrages im Sinne des § 63 Abs. 3 AVG (vgl. das hg. Erkenntnis vom 8. September 1998, Zl. 98/03/0190).
Die belangte Behörde vermag in ihrer Stellungnahme nichts aufzuzeigen, was die im erwähnten Beschluss vom 22. März 2000 vertretene Rechtsansicht, dass sich die Beurteilung der Zulässigkeit eines Rechtsmittels bei Fehlen anders lautender Übergangsbestimmungen nach der in dem für den Eintritt der Rechtskraft maßgebenden Zeitpunkt des Ablaufes der Rechtsmittelfrist geltenden Rechtslage zu richten hat, in Zweifel ziehen könnte. Die Auffassung der belangten Behörde würde bedeuten, dass der Gesetzgeber der Novelle BGBl. I Nr. 158/1998 ein Rückgängigmachen der eingetretenen Rechtskraftwirkungen angeordnet hätte, was im Hinblick auf Mehrparteienverfahren, an denen Privatpersonen beteiligt sind, nicht angenommen werden kann. Ein Eingriff dieser Art in die Rechtskraft hätte einer ausdrücklichen Anordnung bedurft. Der Hinweis auf § 82 Abs. 7 AVG geht schon deshalb fehl, weil diese Norm nicht das Außerkrafttreten von Bestimmungen des AVG betrifft. Das Vorbringen der belangten Behörde, der Beschwerdeführer sei durch den angefochtenen Bescheid gegenüber dem erstinstanzlichen Straferkenntnis besser gestellt, lässt außer Acht, dass der den Punkt 3. des erstinstanzlichen Straferkenntnisses betreffende Abspruch im angefochtenen Bescheid vom Beschwerdeführer nicht in Beschwerde gezogen wurde.
Der Verwaltungsgerichtshof erhebt daher die im Beschluss vom 22. März 2000 geäußerte vorläufige Rechtsansicht zu seiner endgültigen.
Auf dem Boden dieser Rechtslage war der angefochtene Bescheid - in dem in Beschwerde gezogene Umfang - gemäß § 42 Abs. 2 Z. 2 VwGG wegen Unzuständigkeit der belangten Behörde aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 7. Juni 2000
Schlagworte
Formgebrechen nicht behebbare NICHTBEHEBBARE materielle Mängel Rechtskraft Besondere Rechtsprobleme Berufungsverfahren Verbesserungsauftrag Ausschluß Verbesserungsauftrag Nichtentsprechung ZurückweisungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2000:1999030422.X00Im RIS seit
07.05.2001