TE Vwgh Erkenntnis 2000/6/7 99/01/0294

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Veröffentlicht am 07.06.2000
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1997 §7;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldner und die Hofräte Dr. Bachler, Dr. Rigler, Dr. Pelant und Dr. Büsser als Richter, im Beisein des Schriftführers DDDr. Jahn, über die Beschwerde des SV in W, geboren am 11. September 1973, vertreten durch Mag. Alexander Stolitzka, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Laurenzerberg 2, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 18. Jänner 1999, Zl. 200.516/3-IV/10/98, betreffend Zurückweisung eines Asylantrages (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 13. Februar 1998 wurde der am 1. August 1997 gestellte Asylantrag des Beschwerdeführers, eines der albanischen Ethnie angehörigen jugoslawischen Staatsbürgers, der am 31. Juli 1997 in das Bundesgebiet eingereist ist, gemäß § 7 Asylgesetz 1997 - AsylG, BGBl. I Nr. 76, abgewiesen. Dieser Bescheid wurde am 25. Februar 1998 an den Beschwerdeführer - durch Hinterlegung - zugestellt.

In der Begründung führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass die vorgebrachte Hausdurchsuchung zum Zweck der Waffensuche und die dabei vorgefallenen Übergriffe von Polizeiorganen nicht ausreichten, die Flüchtlingseigenschaft des Beschwerdeführers zu begründen. Eine asylrelevante Verfolgung aufgrund der bloßen Zugehörigkeit zur albanischen Ethnie sei im Kosovo nicht gegeben.

Am 5. August 1998 stellte der Beschwerdeführer neuerlich einen Asylantrag, in dem er vorbrachte, dass sich nunmehr die Umstände aufgrund der Eskalation der Situation im Kosovo geändert hätten und somit neue Fluchtgründe vorlägen. Die Änderung der Umstände sei solcherart, dass er im Fall der Rückkehr in den Kosovo "massiver asylrelevanter Verfolgung und unmenschlicher Behandlung ausgesetzt wäre bzw. Gefahr liefe unmenschlicher Strafe oder der Todesstrafe unterworfen zu werden".

Dieser Asylantrag wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 23. November 1998 wegen entschiedener Sache gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückgewiesen.

Die dagegen gerichtete Berufung des Beschwerdeführers wurde von der belangten Behörde mit Bescheid vom 18. Jänner 1999 abgewiesen. Die Erstbehörde habe die wesentliche Begründung des ersten Asylantrages dem Vorbringen im neuen Asylantrag gegenübergestellt und sei zurecht zu dem Ergebnis gekommen, "dass eine idente Sache vorliegt und somit das Vorbringen nicht geeignet ist, einen neuen entscheidungsrelevanten Sachverhalt entstehen zu lassen, und hat auch festgestellt, dass keine neuen entscheidungsrelevanten Sachverhalte festzustellen waren".

Über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Vorweg sei festgehalten, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid nach der Sachlage im Zeitpunkt seiner Erlassung zu prüfen hat.

Gemäß § 68 Abs. 1 AVG sind Anbringen von Beteiligten, die die Abänderung eines der Berufung nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren - außer in hier nicht in Betracht kommenden Fällen - wegen entschiedener Sache zurückzuweisen. Bei einer wesentlichen Sachverhaltsänderung ist jedoch ein neuerlicher Antrag zulässig.

Der Verwaltungsgerichtshof sieht es insbesondere aufgrund von Medienberichten als notorisch an, dass mit der Reaktion serbischer Sonderpolizei auf einen Überfall auf eine reguläre Polizeipatrouille durch "albanische Separatisten" am 28. Februar 1998 - somit nach rechtskräftiger Abweisung des ersten Asylantrages - eine neue Stufe der (bewaffneten) Auseinandersetzungen im Kosovo begonnen hat. Diese Auseinandersetzungen gingen auch mit vermehrten Übergriffen insbesondere auf die albanische Zivilbevölkerung einher. Es ist gleichfalls allgemein bekannt, dass sich die Kampfhandlungen und die damit verbundenen Aktionen gegen die Zivilbevölkerung nicht auf das gesamte Gebiet des Kosovo, sondern im Wesentlichen auf das Gebiet Zentralkosovo (Region Drenica bzw. "Drenica-Dreieck", wobei sich die Vorfälle von Srbica und Logovac bis Klina ausgedehnt haben) sowie westlich davon auf die Verwaltungsbezirke an der albanischen Grenze, vor allem Decani und Djakovica erstreckten, wobei im September 1998 - also noch vor Abweisung des zweiten Asylantrages in erster Instanz - eine weitere gebietsmäßige Ausdehnung in Richtung Nordosten (Podujevo, Kosovska Mitrovica und Vucitrn sowie Richtung Suva Reka) erfolgte (vgl. das hg. Erkenntnis vom 6. Oktober 1999, Zl. 99/01/0057).

Derartige Vorgänge, insbesondere in Ländern, aus denen viele Asylwerber nach Österreich kommen, sind vom Bundesasylamt und vom unabhängigen Bundesasylsenat als Spezialbehörden jedenfalls auch von Amts wegen zu berücksichtigen. Eine Verfolgungsgefahr kann nicht nur aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Verfolgungsmaßnahmen abgeleitet werden, sie kann vielmehr auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein (vgl. auch dazu das zitierte hg. Erkenntnis, Zl. 99/01/0057, mwN).

Bei einem ethnischen Albaner, der aus der oben genannten Region bzw. aus einem angrenzenden Gebiet kommt, auf das eine Ausweitung der Aktionen nicht auszuschließen ist, kann daher - anders als für den Zeitraum vor dieser Eskalation, auf die der Beschwerdeführer seinen neuerlichen Asylantrag gestützt hat - nicht von vornherein gesagt werden, dass die bloße Zugehörigkeit zur albanischen Bevölkerungsgruppe nicht ausreicht, die Flüchtlingseigenschaft zu begründen. In einem solchen Fall ist es vielmehr erforderlich, bei der Beurteilung der Flüchtlingseigenschaft auch das genannte Amtswissen einzubeziehen. Dazu hat die Behörde dem Asylwerber - allenfalls im Rahmen einer gemäß § 67d AVG iVm Art. II Abs. 2 Z. 43a EGVG idF

BGBl. I Nr. 28/1998 erforderlichen Verhandlung - Gelegenheit einzuräumen, sich auch zu den von Amts wegen zu berücksichtigenden Umständen zu äußern (vgl. abermals das hg. Erkenntnis, Zl. 99/01/0057, mwN). Eine asylrelevante Verfolgung wäre bereits dann zu bejahen, wenn sich dabei herausstellt, dass der Asylwerber aus einer Gegend stammt, in der Aktionen der genannten Art mit der für die Asylgewährung maßgeblichen Wahrscheinlichkeit zu befürchten sind, und keine besonderen Umstände vorliegen, die es unwahrscheinlich machen, dass der Asylwerber davon betroffen sein könnte.

Der Beschwerdeführer stammt nach dem Akteninhalt aus dem Bezirk Vucitrn, somit aus einem Gebiet im Bereich des von den Vorgängen bis zur Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides betroffenen Gebietes. Es ist daher offensichtlich, dass die belangte Behörde, hätte sie auf die genannten Vorfälle in der dargestellten Weise von Amts wegen (vgl. das hg. Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 99/01/0321) Bedacht genommen, zu dem Ergebnis hätte gelangen können, dass eine wesentliche Sachverhaltsänderung seit Erlassung des den ersten Asylantrag abweisenden Bescheides eingetreten ist, und somit zu einem anderen Bescheid hätte kommen können. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil neben dem pauschalierten Schriftsatzaufwand ein gesonderter Ersatz von Umsatzsteuer nicht vorgesehen ist. Wien, am 7. Juni 2000

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2000:1999010294.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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