TE Vwgh Erkenntnis 2000/6/7 99/01/0321

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Veröffentlicht am 07.06.2000
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1997 §7;
AVG §68 Abs1;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

Beachte

Serie (erledigt im gleichen Sinn): 99/01/0277 E 7. September 2000

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldner und die Hofräte Dr. Bachler, Dr. Rigler, Dr. Pelant und Dr. Büsser als Richter, im Beisein des Schriftführers DDDr. Jahn, über die Beschwerde des P M in G, geboren am 1. März 1977, vertreten durch Dr. Georg Eisenberger, Rechtsanwalt in 8011 Graz, Hilmgasse 10, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 8. März 1999, Zl. 208.221/0-III/07/99, betreffend Zurückweisung eines Asylantrages (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein jugoslawischer Staatsangehöriger albanischer Ethnie aus dem Kosovo, der am 28. September 1995 in das Bundesgebiet eingereist ist, hat am 16. Oktober 1995 einen Asylantrag gestellt, den er im Wesentlichen mit seiner Furcht vor der Einberufung zum Militärdienst begründete. Dieser Antrag wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 25. Oktober 1995 mit der wesentlichen Begründung abgewiesen, dass der Beschwerdeführer nicht glaubhaft gemacht habe, tatsächlich einen Einberufungsbefehl erhalten zu haben, und überdies die Furcht vor der Einberufung keinen Grund für die Asylgewährung darstelle. Dieser Bescheid wurde dem Beschwerdeführer am 27. Oktober 1995 zugestellt und erwuchs in Rechtskraft.

Am 22. Oktober 1998 stellte der Beschwerdeführer einen neuerlichen Asylantrag. Bei seiner Vernehmung durch das Bundesasylamt am 14. Jänner 1999 führte er dazu im Wesentlichen Folgendes aus:

Er sei Kosovo-Albaner und lebe seit der Abweisung seines ersten Asylantrages in Österreich von Unterstützungen durch das Sozialamt. Er habe neuerlich um Asyl angesucht, weil er in Österreich eine Lebensgefährtin und ein Kind habe. Auf Grund eines Aufenthaltsverbotes habe er keinen rechtmäßigen Aufenthalt und könne keiner Arbeit nachgehen. Er möchte "zu geregelten Verhältnissen in Österreich" kommen. Andere Gründe für seinen Antrag habe er nicht.

Mit Bescheid vom 18. Jänner 1999 hat das Bundesasylamt diesen Asylantrag gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückgewiesen.

In der dagegen gerichteten Berufung brachte der Beschwerdeführer vor allem vor, dass im Kosovo ab Anfang 1998 insoweit eine Veränderung der Verhältnisse eingetreten sei, als nunmehr alle Albaner einer Verfolgung ausgesetzt seien.

Mit Bescheid vom 8. März 1999 hat der unabhängige Bundesasylsenat diese Berufung abgewiesen.

Prozessgegenstand sei nur die Frage, ob die Erstbehörde den Antrag zu Recht wegen entschiedener Sache zurückgewiesen habe. Die Prüfung der Zulässigkeit eines neuerlichen Antrages auf Grund geänderten Sachverhaltes dürfe nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (Erkenntnis vom 20. April 1995, Zl. 93/09/0341) ausschließlich anhand jener Gründe erfolgen, die von der Partei in erster Instanz zur Begründung ihres Begehrens geltend gemacht worden seien. Es sei nicht zulässig, in der Berufung derartige Gründe neu vorzubringen. Im erstinstanzlichen Verfahren habe der Beschwerdeführer jedoch keine wesentliche Sachverhaltsänderung geltend gemacht.

Über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Gemäß § 68 Abs. 1 AVG sind Anbringen von Beteiligten, die die Abänderung eines der Berufung nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren - außer in hier nicht in Betracht kommenden Fällen - wegen entschiedener Sache zurückzuweisen. Dem ausdrücklichen Begehren auf Abänderung eines der Berufung nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides stehen Ansuchen gleich, die eine erneute sachliche Behandlung einer bereits rechtskräftig entschiedenen Sache bezwecken. Einer neuen Sachentscheidung steht die Rechtskraft eines früher in derselben Angelegenheit ergangenen Bescheides nur dann nicht entgegen, wenn in den für die Entscheidung maßgeblichen Umständen eine Änderung eingetreten ist. Eine Sachverhaltsänderung kann jedoch nur dann zu einer neuen Entscheidung führen, wenn sie für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen den Schluss zulässt, dass nunmehr eine andere rechtliche Beurteilung des Antrages nicht von vornherein ausgeschlossen ist (vgl. zum Ganzen etwa die bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahren I2, E 88 ff zu § 68 AVG, zitierte hg. Judikatur).

Hat die Erstbehörde den Antrag mangels in diesem Sinn wesentlicher Sachverhaltsänderung gemäß § 68 Abs. 1 AVG als unzulässig zurückgewiesen, so ist "Sache" des Berufungsverfahrens im Sinn des § 66 Abs. 4 AVG nur die Frage, ob dies zu Recht erfolgte. Die Berufungsbehörde hat also zu prüfen, ob die Behörde erster Instanz auf Grund des von ihr zu berücksichtigenden Sachverhaltes zu Recht zu dem Ergebnis gekommen ist, dass keine wesentliche Änderung im Sinn der obigen Ausführungen eingetreten ist.

Der Verwaltungsgerichtshof sieht es insbesondere auf Grund von Medienberichten als notorisch an, dass mit der Reaktion serbischer Sonderpolizei auf einen Überfall auf eine reguläre Polizeipatrouille durch "albanische Separatisten" am 28. Februar 1998 eine neue Stufe der (bewaffneten) Auseinandersetzungen im Kosovo begonnen hatte. Diese Auseinandersetzungen gingen mit vermehrten Übergriffen insbesondere auf die der albanischen Volksgruppe zugehörige Zivilbevölkerung in den hievon betroffenen Gebieten und auf solche Personen, die aus anderen Gründen bereits ins Blickfeld der serbischen Behörden geraten sind, einher (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 16. Juni 1999, Zl. 98/01/0339). Nach einer nur vorübergehenden Entspannung der Situation infolge des "Holbrooke/Milosevic-Abkommens" vom 13. Oktober 1998 kam es zu einer neuerlichen Verschärfung für die Lage der ethnischen Albaner im Kosovo beginnend mit dem "Massaker von Racak", verübt am 15. Jänner 1999 an dutzenden albanischen Zivilpersonen. Die Lage danach war zumindest jener Situation vor der erwähnten vorübergehenden Entspannung der Lage gleichzuhalten (vgl. das hg. Erkenntnis vom 16. September 1999, Zl. 99/01/0129).

Derartige Vorgänge, insbesondere in Ländern, aus denen viele Asylwerber nach Österreich kommen, sind vom Bundesasylamt und vom unabhängigen Bundesasylsenat als Spezialbehörden jedenfalls auch von Amts wegen zu berücksichtigen. Die Verfolgung von ethnischen Albanern allein wegen der Zugehörigkeit zu dieser Bevölkerungsgruppe im beschriebenen (auch zeitlichen) Umfang stellt daher eine allgemein bekannte Tatsache dar, die vom Asylwerber nicht geltend gemacht werden muss (vgl. das hg. Erkenntnis vom 6. Oktober 1999, Zl. 99/01/0329). In solchen Fällen genügt es also, wenn der Asylwerber dartut, der albanischen Bevölkerungsgruppe im Kosovo anzugehören.

Für die vorliegend zu beurteilende Frage, ob seit der Abweisung des vorangegangenen Asylantrages eine wesentliche Sachverhaltsänderung eingetreten ist, kann nichts anderes gelten. Auch in derartigen Verfahren ist es nicht notwendig, das Vorliegen allgemein bekannter Tatsachen zu behaupten. Die im angefochtenen Bescheid zitierte hg. Judikatur, wonach die Prüfung der Zulässigkeit eines neuerlichen Antrages auf Grund geänderten Sachverhaltes ausschließlich anhand jener Gründe erfolgen darf, die von der Partei in erster Instanz zur Begründung ihres Begehrens geltend gemacht worden sind, hatte Sachverhaltsänderungen im Blickwinkel, die - weil in der Sphäre des Antragstellers gelegen - nur auf Grund eines entsprechenden Vorbringens zu berücksichtigen sind. So bezieht sich das im angefochtenen Bescheid zitierte hg. Erkenntnis vom 20. April 1995, Zl. 93/09/0341, ebenso wie das grundlegende Erkenntnis vom 6. Oktober 1961, Zl. 1649/59, Slg. Nr. 5642/A, auf die Leistung einer Beschädigtenrente nach dem Kriegsopferversorgungsgesetz. Die Sachverhaltsgrundlage bildete der Gesundheitszustand des Beschwerdeführers (Erkenntnis zur Zl. 93/09/0341) bzw. die Erträgnisse aus einem landwirtschaftlichen Betrieb (Erkenntnis zur Zl. 1649/59). Aus dieser Judikatur kann somit nicht geschlossen werden, dass bei der Beurteilung der Zulässigkeit eines neuerlichen Antrages gemäß § 68 Abs. 1 AVG auch allgemein bekannte Tatsachen nur dann berücksichtigt werden dürfen, wenn sie - im erstinstanzlichen Verfahren - vorgebracht worden sind.

Die Erstbehörde hätte daher entgegen der von der belangten Behörde vertretenen Rechtsansicht auf die beschriebene Änderung der Verhältnisse im Kosovo Bedacht zu nehmen gehabt. Da es auf Grund dieser Veränderungen seit der Abweisung des ersten Asylantrages durch das Bundesasylamt am 25. Oktober 1995 keineswegs von vornherein ausgeschlossen war, dass die Frage der Asylgewährung an den Beschwerdeführer anders zu beurteilen sei, hätte die belangte Behörde den zurückweisenden Bescheid der Behörde erster Instanz (ersatzlos) zu beheben gehabt.

Der angefochtene Bescheid erweist sich daher mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 7. Juni 2000

Schlagworte

Rechtskraft Umfang der Rechtskraftwirkung Allgemein Bindung der Behörde

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2000:1999010321.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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