TE Bvwg Erkenntnis 2018/1/4 W269 2181160-1

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Veröffentlicht am 04.01.2018
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Entscheidungsdatum

04.01.2018

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
BFA-VG §18 Abs1 Z3
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W269 2181160-1/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Dr. Elisabeth MAYER-VIDOVIC über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen Spruchpunkt VI. des Bescheids des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.11.2017, Zl. XXXX , zu Recht:

A)

Der Beschwerde gegen Spruchpunkt VI. des angefochtenen Bescheids wird Folge gegeben und Spruchpunkt VI. des angefochtenen Bescheids ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer reiste illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 22.11.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Am selben Tag fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung des Beschwerdeführers statt. Dabei gab er an, dass er am XXXX geboren sei. Seine Schwester sei verlobt gewesen sei. Als seine Familie erfahren habe, dass es sich bei dem Verlobten um einen Taliban handle, habe sie die Verlobung aufgelöst. Die Familie des Taliban habe sich damit nicht einverstanden gezeigt und habe der Familie des Beschwerdeführers mit dem Tod gedroht. Aus diesem Grund habe der Vater des Beschwerdeführers dessen Ausreise organisiert.

3. Aufgrund von Zweifeln an der Minderjährigkeit des Beschwerdeführers gab das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Erstellung eines gerichtsmedizinischen Sachverständigengutachtens zur Feststellung des Alters des Beschwerdeführers in Auftrag. Das eingeholte Sachverständigengutachten vom 16.02.2016 ergab als spätmögliches fiktives Geburtsdatum des Beschwerdeführers den XXXX .

4. Am 29.11.2017 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einvernommen. Dabei beantwortete der Beschwerdeführer die Frage nach seinem Geburtsdatum mit XXXX . Er wisse sein Geburtsdatum von seiner Mutter. Hinsichtlich seines Fluchtgrundes führte der Beschwerdeführer die gegen seine Familie gerichtete Bedrohung durch den ehemaligen Verlobten seiner Schwester, der Angehöriger der Taliban sei, an.

5. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz mit Bescheid vom 30.11.2017 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) ab. Weiters wurde dem Beschwerdeführer kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 erteilt (Spruchpunkt III.), ihm gegenüber gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG 2005 erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG 2005 festgestellt, dass die Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 46 FPG 2005 zulässig sei (Spruchpunkt V.). Schließlich wurde einer Beschwerde gegen diese Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 18 Abs. 1 Z 3 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt VI.) und festgestellt, dass gemäß § 55 Abs. 1a FPG 2005 keine Frist für die freiwillige Ausreise besteht (Spruchpunkt VII.).

Die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten begründete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Wesentlichen damit, dass der Beschwerdeführer keine Bedrohung oder Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention glaubhaft gemacht habe. Zu Spruchpunkt II. führte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl aus, dass dem Beschwerdeführer eine Rückkehr in seine Heimatprovinz Laghman nicht zumutbar sei, weil Laghman zu den volatilen Provinzen Afghanistans zähle. Jedoch bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative in der Stadt Kabul. Hinsichtlich der mit dem angefochtenen Bescheid erlassenen Rückkehrentscheidung wird ausgeführt, dass die öffentlichen Interessen an der Außerlandesbringung des Beschwerdeführers gegenüber seinen privaten Interessen am Verbleib in Österreich überwiegen würden und ein Eingriff in seine durch Art. 8 EMRK geschützten Rechte daher als gerechtfertigt anzusehen sei. Zu Spruchpunkt VI. führte die Behörde schließlich aus, dass der Beschwerdeführer trotz Belehrung versucht habe, die Behörde über seine wahre Identität zu täuschen, indem er sich als minderjährig ausgegeben habe. Ein gerichtsmedizinisches Sachverständigengutachten habe jedoch ergeben, dass der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Antragstellung ein Mindestalter von 18,76 Jahren gehabt habe und somit volljährig gewesen sei.

6. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer vollinhaltlich das Rechtsmittel der Beschwerde, welche am 22.12.2017 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einlangte.

In der Beschwerde wurde unter anderem ausgeführt, dass sich die im angefochtenen Bescheid ins Treffen geführten Widersprüche, in die sich der Beschwerdeführer verwickelt haben soll, aufklären ließen. Der Vorwurf der vagen Zeitangaben könne insofern entkräftet werden, als in Afghanistan, vor allem in den ländlichen Gebieten, Zeit eine sehr untergeordnete Rolle spiele. Zur Aberkennung der aufschiebenden Wirkung wurde ausgeführt, dass der Beschwerdeführer bei seiner Einvernahme wahrheitsgemäß angegeben habe, dass er sein Geburtsdatum von seiner Mutter erfahren habe. Der Vorwurf der belangten Behörde, der Beschwerdeführer habe hinsichtlich seines Geburtsdatums wissentlich falsche Angaben gemacht, sei nicht nachvollziehbar.

7. Die gegenständliche Beschwerde und der Bezug habende Verwaltungsakt wurden vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vorgelegt und langten am 29.12.2017 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Der Beschwerdeführer führt den Namen XXXX und ist am XXXX in Afghanistan in der Provinz Laghman geboren. Er ist afghanischer Staatsangehöriger.

Es wird festgestellt, dass der Beschwerdeführer im Asylverfahren als sein Geburtsdatum jenes wiedergegeben hat, das ihm seine Mutter mitgeteilt hatte.

2. Die unter Punkt II.1. getroffenen Feststellungen ergeben sich aus dem unbedenklichen Inhalt des Verwaltungsaktes sowie den Angaben des Beschwerdeführers.

3. Zu A) Stattgabe der – zulässigen – Beschwerde gegen Spruchpunkt

VI.:

3.1. Gemäß § 18 Abs. 1 BFA-VG kann einer Beschwerde gegen eine abweisende Entscheidung über einen Antrag auf internationalen Schutz das Bundesamt die aufschiebende Wirkung aberkennen, wenn

1. der Asylwerber aus einem sicheren Herkunftsstaat (§ 19) stammt,

2. schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass der Asylwerber eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung darstellt,

3. der Asylwerber das Bundesamt über seine wahre Identität, seine Staatsangehörigkeit oder die Echtheit seiner Dokumente trotz Belehrung über die Folgen zu täuschen versucht hat,

4. der Asylwerber Verfolgungsgründe nicht vorgebracht hat,

5. das Vorbringen des Asylwerbers zu seiner Bedrohungssituation offensichtlich nicht den Tatsachen entspricht,

6. gegen den Asylwerber vor Stellung des Antrags auf internationalen Schutz eine durchsetzbare Rückkehrentscheidung, eine durchsetzbare Ausweisung oder ein durchsetzbares Aufenthaltsverbot erlassen worden ist, oder

7. der Asylwerber sich weigert, trotz Verpflichtung seine Fingerabdrücke abnehmen zu lassen.

Gemäß § 18 Abs. 5 BFA-VG hat das Bundesverwaltungsgericht der Beschwerde, der die aufschiebende Wirkung vom Bundesamt aberkannt wurde, binnen einer Woche ab Vorlage der Beschwerde von Amts wegen die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, wenn anzunehmen ist, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK, Art. 8 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. In der Beschwerde gegen den in der Hauptsache ergangenen Bescheid sind die Gründe, auf die sich die Behauptung des Vorliegens einer realen Gefahr oder einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit gemäß Satz 1 stützt, genau zu bezeichnen.

3.2. Im vorliegenden Beschwerdefall lagen – entgegen der Ansicht des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl – die Voraussetzungen des § 18 Abs. 1 BFA-VG für die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde nicht vor:

Der im vorliegenden Fall angenommene Tatbestand des § 18 Abs. 1 Z 3 BFA-VG erfordert, dass der Asylwerber das Bundesamt über seine wahre Identität, seine Staatsangehörigkeit oder die Echtheit seiner Dokumente trotz Belehrung über die Folgen zu täuschen versucht hat. Der Begriff der Täuschung erschöpft sich nicht in der Angabe unwahrer Tatsachen, sondern setzt voraus, dass sich der Täuschende über die Unwahrheit seiner Angaben zumindest bewusst ist. So sprach der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 19.03.2009, 2006/18/0180, aus, dass die Verwirklichung des Tatbestandes gemäß § 60 Abs. 2 Z 6 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl I. Nr. 100/2005 idF BGBl. I. Nr. 99/2006 ("gegenüber einer österreichischen Behörde oder ihren Organen unrichtige Angaben über seine Person, seine persönlichen Verhältnisse, den Zweck oder die beabsichtigte Dauer seines Aufenthaltes gemacht hat, um sich die Einreise- oder die Aufenthaltsberechtigung zu verschaffen"), das Vorliegen einer vorsätzlichen Täuschung durch wissentlich falsche Angaben über die dort genannten Umstände erfordert. Auch im Strafrecht ist für das Vorliegen einer Täuschung neben dem objektiven Tatbestand zudem der subjektive Tatbestand erforderlich. Das bedeutet, dass der Täter mit Täuschungsvorsatz handeln muss; er muss es demnach ernstlich für möglich halten und sich damit abfinden, dass er durch die von ihm gesetzte Handlung bei seinem Gegenüber eine Täuschung über Tatsachen im Sinne eines Irrtums bewirkt (vgl. etwa Kirchbacher in Höpfel/Ratz, WK2 StGB § 146 Rz 114).

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl gründet die erfolgte Aberkennung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde auf das eingeholte medizinische Sachverständigengutachten vom 16.02.2016, welches das vom Beschwerdeführer im Verfahren angegebene Geburtsdatum XXXX widerlegte und als spätmögliches fiktives Geburtsdatum den XXXX ermittelte. Der Beschwerdeführer habe durch die Angabe eines aus gerichtsmedizinischer Sicht nicht belegbaren Alters versucht, die Behörde über seine wahre Identität zu täuschen, indem er sich als Minderjähriger ausgegeben habe. Eine nähere Begründung, weshalb von einer Täuschung durch den Beschwerdeführer auszugehen sei, findet sich im Bescheid nicht.

Im Rahmen seiner Erstbefragung gab der Beschwerdeführer als Geburtsdatum den XXXX an. Auch bei der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl beantwortete der Beschwerdeführer die Frage nach seinem Geburtsdatum wiederum mit XXXX . Befragt danach, woher der Beschwerdeführer wisse, wann er geboren sei, gab er als Antwort "Von meiner Mutter" an. Dies deckt sich auch mit dem nachvollziehbaren Beschwerdevorbringen, wonach der Beschwerdeführer als Geburtsdatum lediglich das wiedergegeben hat, was er von seiner Mutter erfahren habe. Das Bundesverwaltungsgericht erachtet es zudem für schlüssig, dass Zeit im Herkunftsland des Beschwerdeführers eine untergeordnete Rolle spielt, sodass es bei zeitlichen Angaben durchaus zu Irrtümern kommen kann.

Nun hat sich das vom Beschwerdeführer genannte Geburtsdatum durch das Ergebnis des medizinischen Sachverständigengutachtens als falsch herausgestellt. Ein Hinweis darauf, dass der Beschwerdeführer im Sinne der oben vorgenommenen Auslegung der Z 3 des § 18 Abs. 1 BFA-VG vorsätzlich ein falsches Geburtsdatum genannt habe, kann jedoch nicht gefunden werden.

3.3. Der die aufschiebende Wirkung der Beschwerde aberkennende Spruchpunkt VI. des Bescheids vom 30.11.2017 ist daher mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 18 Abs. 1 BFA-VG durch Teilerkenntnis ersatzlos aufzuheben. Durch die Aufhebung dieses Spruchpunktes kommt der Beschwerde gemäß § 13 Abs. 1 VwGVG ex lege aufschiebende Wirkung zu.

Soweit sich die Beschwerde gegen die übrigen Spruchpunkte des angefochtenen Bescheids richtet, wird darüber nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung entschieden werden.

4. Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte zur Beurteilung der Frage der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG entfallen.

Zu B) Zulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen. Nach Art. 133 Abs. 4 erster Satz B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichts die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Im vorliegenden Fall ist die ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, weil die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung abhängt, denn zu der Frage, wie der Begriff "täuschen" in § 18 Abs. 1 Z 3 BFA-VG auszulegen ist, fehlt eine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.

Schlagworte

aufschiebende Wirkung - Entfall, Behebung der Entscheidung,
ersatzlose Behebung, Revision zulässig, Spruchpunktbehebung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:W269.2181160.1.00

Zuletzt aktualisiert am

18.01.2018
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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