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001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
AlVG 1977 §12 Abs10 idF 1993/817;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Puck und die Hofräte Dr. Sauberer, Dr. Gall, Dr. Stöberl und Dr. Handstanger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Böheimer, über die Beschwerde des RD in Wien, vertreten durch MMag. Dr. Markus Fellner, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Wipplingerstraße 23, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom 28. Jänner 1999, Zl. LGSW/Abt. 10-AlV/1218/56/1997-525, betreffend Notstandshilfe, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund (Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf Notstandshilfe vom 17. Oktober 1997 mangels Arbeitslosigkeit abgewiesen. In der Begründung ging die belangte Behörde davon aus, dass das Einkommen des Beschwerdeführers aus selbständiger Erwerbstätigkeit nach dem Einkommensteuerbescheid über das zuletzt veranlagte Kalenderjahr, nämlich 1993, S 106.329,-- betragen habe. Nach den bis 7. April 1998 geltenden Bestimmungen, denen zufolge das Einkommen eines selbständigen Erwerbstätigen auf Grund des Einkommensteuerbescheides über das zuletzt veranlagte Kalenderjahr zu bemessen gewesen sei, ergebe sich ein monatliches Einkommen von S 8.860,75, welches die Geringfügigkeitsgrenze (S 3.740,-- für 1997 und S 3.830,-- für 1998) übersteige. Ab 8. April 1998 sei das Einkommen eines Arbeitslosen, soferne dieser behaupte, es habe sich seit dem letzten Einkommensteuerbescheid verändert, auf Grund seiner Angabe im Rahmen einer so genannten rollierenden Einkommensberechnung festzustellen. Dies bedeute, dass der Leistungswerber jeweils am Ende eines Kalendermonats sein Einkommen bzw. seinen Umsatz anzugeben habe und "dieser/s Gesamteinkommen-Umsatz" in der Folge durch die jeweiligen Kalendermonate zu teilen sei, um das monatliche Einkommen (Umsatz) zu bestimmen. Mit Schreiben der belangten Behörde vom 10. Oktober 1998 sei dem Beschwerdeführer die Sach- und Rechtslage zur Kenntnis gebracht und er unter Fristsetzung aufgefordert worden, Erklärungen betreffend sein "Einkommen/Umsatz" ab 8. April 1998 abzugeben. Mit Schreiben vom 30. November 1998 habe der Beschwerdeführer die Einkommensteuererklärungen 1995 und 1996 sowie seine Einnahme/Ausgabenrechnung 1996 vorgelegt und ausgeführt, für die Monate "1-6/96" (richtig: 1998) gelte, dass er kein Einkommen erzielt habe, für die zweite Jahreshälfte 1998 sei es ihm unmöglich, Prognosen hinsichtlich seines Einkommens bzw. seines Umsatzes zu tätigen. Die ihm von Seiten des Arbeitsmarktservice übermittelten Formulare zur Erklärung des Einkommens bzw. Umsatzes ab 8. April 1998 habe er nicht ausgefüllt. Da er trotz diesbezüglicher Aufforderung durch die belangte Behörde sein Einkommen ab 8. April 1998 nicht erklärt habe, sei nach den geltenden gesetzlichen Bestimmungen anzunehmen, dass sein Einkommen die Geringfügigkeitsgrenze übersteige, sodass Arbeitslosigkeit nicht vorliege.
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Akten des Verwaltungsverfahrens und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:
Gemäß § 7 Abs. 1 Arbeitslosenversicherungsgesetz 1977, BGBl. Nr. 609 (AlVG) hat Anspruch auf Arbeitslosengeld, wer 1. der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht, 2. die Anwartschaft erfüllt und 3. die Bezugsdauer noch nicht erschöpft hat. Der Arbeitsvermittlung steht zur Verfügung, wer - u.a. - arbeitslos (§ 12) ist (§ 7 Abs. 2 AlVG). Gemäß § 12 Abs. 1 AlVG gilt als arbeitslos, wer nach Beendigung seines Beschäftigungsverhältnisses keine neue Beschäftigung gefunden hat. Nach § 12 Abs. 3 leg. cit. gilt u.a. nicht als arbeitslos, wer selbständig erwerbstätig ist (lit. b). Als arbeitslos gilt jedoch u.a. gemäß § 12 Abs. 6 lit. c AlVG in der Fassung BGBl. I Nr. 139/1997, "wer auf andere Art selbständig erwerbstätig ist bzw. selbständig arbeitet und daraus ein Einkommen gemäß § 36a erzielt oder im Zeitpunkt der selbständigen Erwerbstätigkeit bzw. der selbständigen Arbeit einen Umsatz gemäß § 36b erzielt, wenn weder das Einkommen zuzüglich Sozialversicherungsbeiträge, die als Werbungskosten geltend gemacht wurden, noch 11,1 v.H. des Umsatzes die im § 5 Abs. 2 ASVG angeführten Beträge übersteigt".
Gemäß § 36a Abs. 5 Z. 1 AlVG in der Fassung BGBl. Nr. 297/1995 war das Einkommen bei Personen, die zur Einkommensteuer veranlagt werden, durch die Vorlage des Einkommensteuerbescheides über das zuletzt veranlagte Kalenderjahr nachzuweisen. Diese Regelung wurde durch die Novelle BGBl. Nr. 411/1996 um eine Vorschrift für den Fall ergänzt, dass "noch kein rechtskräftiger Einkommensteuerbescheid" vorliege. In diesem Fall sollte das Einkommen "auf Grund einer Erklärung des selbständig Erwerbstätigen und geeigneter Nachweise festzustellen" sein.
Der mit "Umsatz" überschriebene § 36b AlVG idF BGBl. Nr. 297/1995 lautete:
"§ 36b. (1) Der Umsatz im Sinne dieses Bundesgesetzes wird auf Grund des Umsatzsteuerbescheides für das Kalenderjahr vor dem Jahr, in dem eine Leistung nach diesem Bundesgesetz beantragt wird, festgestellt. Als monatlicher Umsatz gilt bei durchgehender selbständiger Erwerbstätigkeit ein Zwölftel des sich ergebenden Jahresumsatzes, bei nur vorübergehender selbständiger Erwerbstätigkeit der anteilsmäßige Umsatz in den Monaten, in denen selbständige Erwerbstätigkeit vorlag.
(2) Liegt kein rechtskräftiger Umsatzsteuerbescheid vor, weil die selbständige Erwerbstätigkeit nicht umsatzsteuerpflichtig ist oder die Tätigkeit erst in dem Jahr, in dem eine Leistung nach diesem Bundesgesetz beantragt wird oder im Jahr davor begonnen wurde, so ist der Umsatz auf Grund einer Erklärung des selbständig
Erwerbstätigen und geeigneter Nachweise festzustellen. Ist für das letzte Kalenderjahr noch kein Bescheid ergangen, so ist der zuletzt ergangene heranzuziehen."
§ 36c Abs. 6 AlVG idF BGBl. I Nr. 47/1997 lautet:
"(6) Wenn der Leistungsbezieher oder dessen Angehöriger (Lebensgefährte) keine Nachweise nach § 36a Abs. 5 und § 36b Abs. 2 vorlegt bzw. keine Erklärung nach § 36a Abs. 6 und § 36b Abs. 2 abgibt, so ist für den Leistungsbezieher kein geringfügiges Einkommen anzunehmen bzw. kein Anspruch des Leistungsbeziehers auf Familienzuschlag und auf Notstandshilfe gegeben."
Vor dem Strukturanpassungsgesetz, BGBl. Nr. 297/1995, und zwar seit der AlVG-Novelle BGBl. Nr. 817/1993, galten Personen, die aus einer selbständigen Erwerbstätigkeit einen Umsatz erzielten, von dem 11,1 % die durch das ASVG bestimmte Geringfügigkeitsgrenze nicht überstiegen, als arbeitslos (§ 12 Abs. 6 lit. c AlVG idF BGBl. Nr. 817/1993). Gemäß § 12 Abs. 9 AlVG (idF BGBl. Nr. 817/1993) wurde der Umsatz auf Grund des Umsatzsteuerbescheides für das Kalenderjahr, in dem das Arbeitslosengeld bezogen wurde, festgestellt. Der Leistungsbezieher war nach § 12 Abs. 10 AlVG verpflichtet, den Umsatz- bzw. Einkommensteuerbescheid für das Kalenderjahr, in dem das Arbeitslosengeld bezogen wurde, innerhalb bestimmter Frist nach dessen Erlassung der zuständigen Behörde vorzulegen. Bis zur Vorlage eines solchen Bescheides war die Frage der Arbeitslosigkeit bzw. der Einkommenshöhe insbesondere auf Grund einer eidesstattlichen Erklärung des Arbeitslosen über die Höhe seines Umsatzes bzw. seiner Einkünfte, einer allenfalls bereits erfolgten Einkommensteuererklärung bzw. eines Umsatz- bzw. Einkommensteuerbescheides aus einem früheren Jahr vorzunehmen. Des Weiteren hatte der Arbeitslose schriftlich seine Zustimmung zur Einholung von Auskünften beim Finanzamt zu erteilen.
Mit Erkenntnis vom 5. März 1998, G 284/97, Slg. Nr. 15.117, hat der Verfassungsgerichtshof die Worte "über das zuletzt veranlagte Kalenderjahr" im ersten Halbsatz der Z. 1 des § 36a Abs. 5 des Arbeitslosenversicherungsgesetzes 1977 (AlVG), BGBl. Nr. 609/1977, idF des Art. IV Z. 8 des Sozialrechts-Änderungsgesetzes 1996, BGBl. Nr. 411/1996, sowie § 36b Abs. 1 und den letzten Satz des § 36b Abs. 2 des AlVG, beide idF Art. XXII Z. 3 des Strukturanpassungsgesetzes, BGBl. Nr. 297/1995, als verfassungswidrig aufgehoben und ausgesprochen, dass § 12 Abs. 9 sowie der zweite Satz des § 12 Abs. 10 AlVG idF des Art. I Z. 6 und 7 des Bundesgesetzes BGBl. Nr. 817/1993 wieder in Wirksamkeit treten. Dies wurde im BGBl. I Nr. 56/1998 vom 7. April 1998 kundgemacht.
Mit der Novelle BGBl. I Nr. 148/1998 wurde das AlVG - u.a. -
wie folgt geändert:
§ 36a Abs. 5 Z. 1 lautet:
"1. bei Personen, die zur Einkommensteuer veranlagt werden, durch die Vorlage des Einkommensteuerbescheides für das Kalenderjahr, in dem die Leistung nach diesem Bundesgesetz bezogen wird, und bis zum Vorliegen dieses Bescheides auf Grund einer jeweils monatlich im nachhinein abzugebenden Erklärung des selbständig Erwerbstätigen und geeigneter Nachweise;"
Dem § 36a wird folgender Abs. 7 angefügt:
"(7) Als monatliches Einkommen gilt bei durchgehender selbständiger Erwerbstätigkeit ein Zwölftel des sich ergebenden Jahreseinkommens, bei nur vorübergehender selbständiger Erwerbstätigkeit das anteilsmäßige Einkommen in den Monaten, in denen selbständige Erwerbstätigkeit vorlag. Bis zum Vorliegen des Einkommensteuerbescheides für das betreffende Kalenderjahr ist das Einkommen in einem bestimmten Kalendermonat jeweils durch Zusammenrechnung des für diesen Kalendermonat nachgewiesenen Einkommens mit den für frühere Kalendermonate desselben Kalenderjahres nachgewiesenen Einkommen geteilt durch die Anzahl der Monate im Kalenderjahr, für die eine Einkommenserklärung vorliegt, zu ermitteln."
§ 36b lautet:
"§ 36b. (1) Der Umsatz wird auf Grund des Umsatzsteuerbescheides für das Kalenderjahr, in dem die Leistung nach diesem Bundesgesetz bezogen wird, festgestellt. Bis zum Vorliegen dieses Bescheides ist der Umsatz auf Grund einer jeweils monatlich im nachhinein abzugebenden Erklärung des selbständig Erwerbstätigen und geeigneter Nachweise festzustellen.
(2) Als monatlicher Umsatz gilt bei durchgehender selbständiger Erwerbstätigkeit ein Zwölftel des sich ergebenden Jahresumsatzes, bei nur vorübergehender selbständiger Erwerbstätigkeit der anteilsmäßige Umsatz in den Monaten, in denen selbständige Erwerbstätigkeit vorlag. Bis zum Vorliegen des Umsatzsteuerbescheides für das betreffende Kalenderjahr ist der Umsatz in einem bestimmten Kalendermonat jeweils durch Zusammenrechnung des für diesen Kalendermonat nachgewiesenen Umsatzes mit den für frühere Kalendermonate nachgewiesenen Umsatzes mit den für frühere Kalendermonate desselben Kalenderjahres nachgewiesenen Umsätzen geteilt durch die Anzahl der Monate im Kalenderjahr, für die eine Umsatzerklärung vorliegt, zu ermitteln."
Diese Bestimmungen traten gemäß § 79 Abs. 46 AlVG idF BGBl. I Nr. 148/1998 mit 1. Oktober 1998 in Kraft.
Der vorliegende Fall ist nicht Anlassfall des genannten Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes vom 5. März 1998, Slg. Nr. 15.117. Ansprüche auf Arbeitslosengeld bzw. auf Notstandshilfe sind aber - sofern der Gesetzgeber nichts anderes anordnet - zeitraumbezogen zu beurteilen.
Da der Verfassungsgerichtshof in dem angeführten Erkenntnis nicht angeordnet hat, dass die verfassungswidrigen Normen auch auf vor ihrem Außerkrafttreten verwirklichte Tatbestände nicht mehr anzuwenden seien (vgl. das hg. Erkenntnis vom 31. Mai 2000, Zl. 97/08/0657), haben im Beschwerdefall die vom Verfassungsgerichtshof aufgehobenen Bestimmungen bis zur Kundmachung der Aufhebung am 7. April 1998 Anwendung zu finden. Ab 8. April 1998 gelten die vom Verfassungsgerichtshof wiederhergestellten Bestimmungen des § 12 Abs. 9 sowie des zweiten Satzes des § 12 Abs. 10 AlVG in der Fassung BGBl. Nr. 817/1993, ab dem 1. Oktober 1998 die durch die Novelle BGBl. I Nr. 148/1998 neu geschaffenen Regelungen. Die belangte Behörde wendete zwar - im Grunde des zweiten Satzes des Art. 140 Abs. 7 B-VG zu Recht - bis 7. April 1998 die verfassungswidrige Bestimmung des § 36a Abs. 5 Z. 1 AlVG in der Fassung BGBl. Nr. 411/1996 an; sie verkannte jedoch insoweit die Rechtslage, als sie - wie die Begründung des angefochtenen Bescheides erkennen lässt - die durch die Novelle BGBl. I Nr. 148/1998 neu geschaffene Rechtslage bereits ab 8. April ?998 zur Anwendung brachte.
Der einen einheitlichen Abspruch über die gesamte Periode bis zu seiner Erlassung enthaltende angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG zur Gänze wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 7. Juni 2000
Schlagworte
Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2 Besondere RechtsgebieteEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2000:1999030324.X00Im RIS seit
07.03.2002