Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AsylG 1997 §23;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldner und die Hofräte Dr. Bachler und Dr. Rigler als Richter, im Beisein des Schriftführers DDDr. Jahn, über die Beschwerde des A (auch A) B (auch K, C und C) in W, geboren am 11. April 1968, vertreten durch Dr. Daniela Altendorfer-Eberl, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Rotenturmstraße 12, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 25. Februar 1999, Zl. 200.042/0-V/13/98, betreffend Asylgewährung (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein algerischer Staatsangehöriger, der am 5. September 1997 in das Bundesgebiet eingereist ist und bereits früher (unter falschem Namen) einen - in der Folge zurückgezogenen - Asylantrag gestellt hatte, hat bei seiner Vernehmung am 11. November 1997 durch das Bundesasylamt zum gegenständlichen, am 31. Oktober 1997 gestellten Asylantrag zu seinen Fluchtgründen im Wesentlichen folgendes ausgeführt:
Er sei als Gendarmeriebeamter in Algerien von den Islamisten bedroht worden. Im April 1995 habe er gemeinsam mit anderen Gendarmeriebeamten an einer Streifenfahrt mit drei Gendarmeriefahrzeugen teilgenommen. Er sei im ersten Fahrzeug gesessen. Das dritte Fahrzeug sei von Islamisten beschossen worden. Dabei habe es Tote gegeben. Der Beschwerdeführer selbst sei nicht verletzt worden. In der Folge habe er weiter seinen Dienst versehen, sich aber nicht mehr zu Hause aufgehalten, sondern meist an der Dienstelle übernachtet. Vor etwa sechs Monaten habe er am Wochenende seine Mutter besucht. Diese habe ihm mitgeteilt, dass sich "Terroristen" nach ihm erkundigt hätten. Daraufhin habe er sich entschlossen, zu fliehen. Die Lage in Algerien sei "miserabel und unsicher". Weitere Asylgründe könne er nicht nennen.
Mit Bescheid vom 11. November 1997 hat das Bundesasylamt diesen Asylantrag abgewiesen.
In der dagegen gerichteten Berufung rügte der Beschwerdeführer die mangelnde Sachverhaltsermittlung durch die Behörde erster Instanz, erstattete jedoch kein weiteres Vorbringen zu seinen Fluchtgründen. In der Berufungsergänzung vom 25. Jänner 1999 brachte er vor, dass er nunmehr aus Algerien erfahren habe, dass die islamischen Terroristen die Wohnung seiner Familie niedergebrannt hätten. Zuvor hätten diese Personen nach dem Beschwerdeführer gesucht und von dessen Familie die Zahlung von "Schutzgeld" erpresst. Da seine Familie nicht habe zahlen können, hätten die Terroristen ihre Drohungen wahr gemacht. Die algerische Polizei habe sich geweigert, die Familie und die Wohnung des Beschwerdeführers zu beschützen. Sie habe lediglich nach dem Attentat den Tatbestand aufgenommen. Überdies gehe die algerische Polizei davon aus, dass der Beschwerdeführer im Ausland einen Asylantrag gestellt habe, weshalb nach ihm gefahndet werde.
Mit Bescheid vom 25. Februar 1999 hat der unabhängige Bundesasylsenat die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 7 Asylgesetz 1997 - AsylG, BGBl. I Nr. 76, abgewiesen. Dieser Bescheid wurde dem Bundesasylamt am 26. Februar 1999 um 7.35 Uhr per Telefax zugestellt und somit zu diesem Zeitpunkt erlassen.
Über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Zunächst sei ausgeführt, dass eine weitere Berufungsergänzung des Beschwerdeführers am 26. Februar 1999 per Post beim Bundesasylamt eingelangt ist. Auf diesem Schriftstück wurde anlässlich der Anbringung der Eingangsstampiglie des Bundesasylamtes festgehalten, dass der angefochtene Bescheid beim Bundesasylamt bereits eingelangt sei. Da diese weitere Berufungsergänzung somit erst nach Erlassung des angefochtenen Bescheides bei der Behörde eingelangt ist, stellt es keinen Verfahrensmangel dar, dass die belangte Behörde darauf nicht Bezug genommen hat.
Der Beschwerdeführer hat sich im erstinstanzlichen Verfahren auf die Verfolgung durch Islamisten berufen und dazu den Überfall auf die Gendarmeriepatrouille, an der er teilgenommen habe, und die Nachfrage der Islamisten nach ihm bei seiner Mutter ins Treffen geführt. Zur konkreteren Dartuung seiner Furcht vor der Verfolgung durch die Islamisten hat er in der Berufungsergänzung vom 25. Jänner 1999 vorgebracht, die islamistischen Terroristen hätten in der Zwischenzeit neuerlich nach ihm gesucht, von seiner Familie "Schutzgeld" zu erpressen versucht und schließlich die Wohnung seiner Familie niedergebrannt. Die Polizei habe sich geweigert, Schutz zu gewähren.
Da der Beschwerdeführer damit einen über das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens hinausgehenden Sachverhalt konkret behauptet hat, hätte die belangte Behörde eine mündliche Verhandlung durchführen müssen (vgl. das auch im angefochtenen Bescheid zitierte hg. Erkenntnis vom 11. November 1998, Zl. 98/01/0308).
Die belangte Behörde hat zum dargestellten Vorbringen in der Berufungsergänzung vom 25. Jänner 1999 lediglich festgestellt, dass "zwischenzeitlich ... auch die Familie des Antragstellers von islamischen Terroristen erpresst" worden sei. In den Ausführungen zur rechtlichen Beurteilung des festgestellten Sachverhaltes setzte sich die belangte Behörde weder mit der Frage auseinander, ob die vorgebrachte Verfolgung auf die in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe zurückzuführen ist, noch damit, ob die Intensität dieser Verfolgung für die Asylgewährung ausreichend ist, sondern vertrat die Ansicht, die Verfolgung des Beschwerdeführers durch die Islamisten gehe von Privatpersonen aus, sie sei dem Staat nicht zuzurechnen, weil eine "generelle Billigung" der vom Beschwerdeführer befürchteten Übergriffe durch die algerischen Behörden bzw. eine "generelle Schutzverweigerung" weder dem Vorbringen des Beschwerdeführer zu entnehmen noch "objektiver Weise seitens der erkennenden Behörde feststellbar" sei.
Damit übersieht sie, dass der Beschwerdeführer in der Berufungsergänzung vorgebracht hat, die Polizei habe sich geweigert, seine Familie vor den Islamisten, die im Zug der Suche nach ihm gegen seine Familie vorgegangen seien, zu schützen. Dieses Vorbringen indiziert, dass der Beschwerdeführer befürchtet, auch ihm werde bei einer Rückkehr kein Schutz gegen Übergriffen von Islamisten gewährt werden. Es ist nicht auszuschließen, dass die belangte Behörde bei einem Eingehen auf dieses Vorbringen - im Rahmen einer mündlichen Berufungsverhandlung - zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre.
Sollte die belangte Behörde mit ihren Ausführungen gemeint habe, dass nur eine generelle - also alle von bestimmten Privatpersonen Verfolgte betreffende - Schutzverweigerung durch den Staat zur Asylgewährung führen könne, ist sie darauf zu verweisen, dass es für die Frage, ob eine bestimmte Person asylrelevante Verfolgung zu befürchten hat, vor der sie der Staat nicht ausreichend schützt, jedenfalls nicht darauf ankommt, ob der Staat auch anderen Personen seinen Schutz verweigert.
Aus den dargestellten Gründen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Wien, am 7. Juni 2000
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2000:1999010330.X00Im RIS seit
24.11.2000