Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AVG §10 Abs1;Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):Ra 2017/05/0078Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger und die Hofräte Dr. Enzenhofer und Dr. Moritz sowie die Hofrätinnen Dr. Pollak und Mag. Rehak als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Lorenz, über die Revision 1. des Erholungsvereins S und 2. der F V, beide in L, beide vertreten durch die Hasberger Seitz & Partner Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Gonzagagasse 4, gegen den Beschluss des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich vom 2. Februar 2017, Zl. LVwG-AV-1317/001-2015, betreffend Zurückweisung einer Beschwerde (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Gemeindevorstand der Marktgemeinde L; weitere Partei: Niederösterreichische Landesregierung), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Die Marktgemeinde Langenzersdorf hat den revisionswerbenden Parteien Aufwendungen in der Höhe von insgesamt EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Mit Schreiben vom 23. Februar 2015 begehrte die Zweitrevisionswerberin als Obfrau der erstrevisionswerbenden Partei (im Folgenden: Erholungsverein S.) Parteistellung in einem Baubewilligungsverfahren betreffend den Umbau einer näher bezeichneten Kleingartenhütte und erhob unter einem Einwendungen. Der Erholungsverein S. genieße als Kleingartenverein gemäß § 7b NÖ Kleingartengesetz Parteistellung zur Frage der Gestaltung von Baulichkeiten in Kleingartenanlagen.
2 Mit Bescheid des Bürgermeisters der Marktgemeinde L. vom 23. Juni 2015 wurden die Einwendungen des Erholungsvereins S. mangels Parteistellung gemäß § 8 AVG in Verbindung mit § 7b NÖ Kleingartengesetz zurückgewiesen. Dies wurde im Wesentlichen damit begründet, es handle sich beim Erholungsverein S. um keinen Kleingartenverein im Sinne des NÖ Kleingartengesetzes.
3 Gegen diesen Bescheid erhob der Erholungsverein S. durch seine Obfrau (die Zweitrevisionswerberin) mit Schreiben vom 6. Juli 2015 Berufung und brachte darin im Wesentlichen vor, die Begründung der Abweisung der Parteistellung beruhe auf dem Pachtvertrag und der Auslegung der Statuten durch die Behörde und nicht auf der seit Jahrzehnten gelebten Praxis. Es werde ersucht, den Pächtern der Kleingartenanlage S. nicht das Recht auf Parteistellung im Bauverfahren zu nehmen.
4 Mit Bescheid vom 15. September 2015 wies der Gemeindevorstand der Marktgemeinde L. die Berufung des Erholungsvereins S. als unbegründet ab. Auf Grund des statutenhaften Vereinszweckes des Erholungsvereins S. stehe fest, dass es sich bei diesem um keinen Kleingartenverein im Sinne des § 7b NÖ Kleingartengesetz handle, sondern um eine Interessenvertretung, der keine Parteistellung zukomme.
5 In der dagegen erhobenen Beschwerde ist die Zweitrevisionswerberin als "Beschwerdeführerin" angeführt, und zwar ohne Zusatz betreffend ihre Obfraustellung. In der Beschwerde wurde nochmals auf das Berufungsvorbringen hingewiesen und dieses zum Beschwerdeinhalt erhoben. Beim verfahrensgegenständlichen Verein handle es sich - mit näherer Begründung - um einen Kleingartenverein im Sinne des NÖ Kleingartengesetzes.
6 Mit dem angefochtenen Beschluss wurde die Beschwerde gemäß § 28 Abs. 1 in Verbindung mit § 31 Abs. 1 VwGVG als unzulässig zurückgewiesen.
7 Begründend führte das Verwaltungsgericht nach Darstellung des Verwaltungsgeschehens und von Rechtsvorschriften im Wesentlichen aus, in der Beschwerde werde ausdrücklich die Zweitrevisionswerberin als Beschwerdeführerin bezeichnet. Sie berufe sich inhaltlich darauf, dass der Erholungsverein S. sehr wohl als Kleingartenverein zu werten sei und daher gemäß § 7b NÖ Kleingartengesetz Parteistellung genieße. Aus dem Wesen der Beschwerde als Rechtsschutzeinrichtung ergebe sich, dass diese nur jenen Parteien des Verfahrens zustehe, deren Rechtsanspruch oder rechtliches Interesse durch den bekämpften Bescheid beeinträchtigt werden könne (Hinweis auf VwGH 18.9.1991, 91/01/0035). Nichts anderes gelte seit der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 für Beschwerden an das Verwaltungsgericht, sei doch auch im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht eine Prozessvoraussetzung, dass die Verletzung von Rechten durch den angefochtenen Bescheid zumindest möglich sei.
8 Es sei somit die Frage zu klären, wem die Beschwerde zuzurechnen sei, ob also der Einschreiter im eigenen Namen oder (entsprechende Vertretungsmacht vorausgesetzt) als gesetzlicher Vertreter oder als Bevollmächtigter für einen Beteiligten tätig werde. Ebenso wie die Frage nach dem Inhalt eines Anbringens sei die Frage der Zurechnung von Verfahrenshandlungen (z.B. einer Berufung) nach deren objektivem Erklärungswert zu beantworten (dem äußeren Erscheinungsbild, Hinweis u.a. VwGH 26.6.1995, 92/18/0199, und VwGH 23.4.2007, 2005/10/0140). Nur wenn der objektive Erklärungswert zweifelhaft sei, habe sich die Behörde gemäß § 37 AVG durch Herbeiführung einer entsprechenden Parteienerklärung darüber Klarheit zu verschaffen, wem das Anbringen zuzurechnen sei. Bestehe hingegen kein Anlass für Zweifel, so bedürfe es keiner weiteren Verfahrensschritte, sondern es sei etwa das Rechtmittel, das eindeutig einer Person ohne Parteistellung zuzurechnen sei, sofort zurückzuweisen (Hinweis auf VwGH 28.7.2010, 2010/02/0112).
9 Adressat des im hier gegenständlichen Beschwerdeverfahren angefochtenen Bescheides sei der Erholungsverein S., vertreten durch dessen Obfrau, die "Beschwerdeführerin". Es sei damit eine Berufung erledigt worden, die von der Zweitrevisionswerberin ausdrücklich als Obfrau des genannten Vereins erhoben worden sei. Nach dem objektiven Erklärungswert der hier gegenständlichen Beschwerde sei die Beschwerde aber unzweifelhaft von der Zweitrevisionswerberin im eigenen Namen und nicht als Obfrau des Erholungsvereins S. erhoben worden. Eine Verletzung der Zweitrevisionswerberin in ihren Rechten im Sinne des Art. 132 Abs. 1 Z 1 B-VG durch den angefochtenen Bescheid komme jedoch nicht in Betracht, weil ausdrücklich der genannte Verein Adressat des bekämpften Bescheides sei und nur die Parteistellung des Vereins Gegenstand des mit dem bekämpften Bescheid abgeschlossenen Verwaltungsverfahrens gewesen sei.
10 Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende Revision mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften kostenpflichtig aufzuheben.
11 Das Verwaltungsgericht legte die Revision unter Anschluss der Verfahrensakten vor. Die belangte Behörde erstattete eine Revisionsbeantwortung mit dem Antrag, die Revision kostenpflichtig ab- bzw. zurückzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
12 Die Revision erweist sich in Anbetracht der Frage der
Zurechnung der Beschwerde als zulässig.
13 § 13 AVG, BGBl. Nr. 51/1991, in der Fassung
BGBl. I Nr. 100/2011 und § 37 AVG in der Fassung
BGBl. I Nr. 158/1998 lauten (auszugsweise):
"3. Abschnitt: Verkehr zwischen Behörden und Beteiligten Anbringen
§ 13. (1) Soweit in den Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmt ist, können Anträge, Gesuche, Anzeigen, Beschwerden und sonstige Mitteilungen bei der Behörde schriftlich, mündlich oder telefonisch eingebracht werden. Rechtsmittel und Anbringen, die an eine Frist gebunden sind oder durch die der Lauf einer Frist bestimmt wird, sind schriftlich einzubringen. Erscheint die telefonische Einbringung eines Anbringens der Natur der Sache nach nicht tunlich, so kann die Behörde dem Einschreiter auftragen, es innerhalb einer angemessenen Frist schriftlich oder mündlich einzubringen.
(...)
(3) Mängel schriftlicher Anbringen ermächtigen die Behörde nicht zur Zurückweisung. Die Behörde hat vielmehr von Amts wegen unverzüglich deren Behebung zu veranlassen und kann dem Einschreiter die Behebung des Mangels innerhalb einer angemessenen Frist mit der Wirkung auftragen, dass das Anbringen nach fruchtlosem Ablauf dieser Frist zurückgewiesen wird. Wird der Mangel rechtzeitig behoben, so gilt das Anbringen als ursprünglich richtig eingebracht.
(4) Bei Zweifeln über die Identität des Einschreiters oder die Authentizität eines Anbringens gilt Abs. 3 mit der Maßgabe sinngemäß, dass das Anbringen nach fruchtlosem Ablauf der Frist als zurückgezogen gilt.
..."
"II. Teil: Ermittlungsverfahren
1. Abschnitt: Zweck und Gang des Ermittlungsverfahrens
Allgemeine Grundsätze
§ 37. Zweck des Ermittlungsverfahrens ist, den für die Erledigung einer Verwaltungssache maßgebenden Sachverhalt festzustellen und den Parteien Gelegenheit zur Geltendmachung ihrer Rechte und rechtlichen Interessen zu geben. Nach einer Antragsänderung (§ 13 Abs. 8) hat die Behörde das Ermittlungsverfahren insoweit zu ergänzen, als dies im Hinblick auf seinen Zweck notwendig ist."
14 Auf Grund des § 17 VwGVG sind u.a. die genannten Bestimmungen auch auf das Verfahren über Beschwerden vor dem Verwaltungsgericht anzuwenden.
15 Mit dem angefochtenen Beschluss wurde eine vom Verwaltungsgericht der Zweitbeschwerdeführerin zugerechnete Eingabe zurückgewiesen. Entgegen der Auffassung der Revisionsbeantwortung ist die Zweitrevisionswerberin daher revisionslegitimiert. Bei dem gegebenen Verfahrensstand - siehe dazu auch die unten folgenden Ausführungen - kann im Übrigen dem Erstrevisionswerber die Rechtskraft des Berufungsbescheides vom 15. September 2015 nicht entgegengehalten und ihm damit, auch angesichts des Umstandes, dass er bis dahin von den Behörden als Partei des Verfahrens angesehen wurde, die Revisionslegitimation nicht abgesprochen werden (vgl. VwGH 23.10.2013, 2012/03/0083), wie dies die Revisionsbeantwortung vermeint.
16 In der Revision wird im Wesentlichen ausgeführt, sowohl aus dem bisherigen Verfahrensgang als auch aus dem inhaltlichen Vorbringen in der Beschwerde ergebe sich klar, dass die Zweitrevisionswerberin als gesetzliche Vertreterin bzw. Bevollmächtigte des Erholungsvereins S., des Erstrevisionswerbers, eingeschritten und Beschwerde erhoben habe. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichtes habe es sehr wohl Anlass für massive Zweifel daran gegeben, wem das Anbringen zuzurechnen sei. Es habe dem Verwaltungsgericht völlig klar sein müssen, dass hier ein Fehler in der Parteienbezeichnung vorliege, und das Verwaltungsgericht hätte gemäß § 37 in Verbindung mit § 13 AVG zur Klarstellung der Parteienbezeichnung auffordern müssen. Zweck des Ermittlungsverfahrens sei gemäß § 37 AVG zunächst die Feststellung des für die Erledigung einer Verwaltungssache maßgeblichen Sachverhaltes. Zum maßgeblichen "Sachverhalt" im Sinn des § 37 AVG zählten die rechtlich relevanten - inneren und äußeren - Geschehnisse im "Seinsbereich", auch etwa die Frage, welchen Inhalt ein Anbringen habe bzw. wem es zuzurechnen sei. Sofern somit - wie im gegenständlichen Fall - für das Verwaltungsgericht zumindest massive Zweifel an der Person der "Beschwerdeführerin" bestanden hätten, wäre dieses verpflichtet gewesen, zur Klarstellung aufzufordern. Der Verwaltungsgerichtshof habe sowohl ausgesprochen, dass § 13 Abs. 3 AVG die Parteien vor Rechtnachteilen schützen solle, die ihnen aus Anbringen entstehen könnten, die in Folge eines Versehens mangelhaft seien (Hinweis auf VwGH 6.7.2011, 2011/08/0062), als auch festgestellt, dass eine fehlerhafte Parteienbezeichnung ein Formgebrechen darstelle, welches einem Verbesserungsauftrag gemäß § 13 Abs. 3 AVG zugänglich sei (Hinweis u.a. auf VwGH 16.9.2008, Zl. 2007/05/0188). Im Ergebnis weiche der bekämpfte Beschluss daher von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, indem das Verwaltungsgericht keinen Verbesserungsauftrag gemäß § 13 AVG erteilt habe.
17 Diesen Ausführungen kommt Berechtigung zu:
18 Der Verwaltungsgerichtshof führt in ständiger Rechtsprechung aus, dass die Behörde dann, wenn nicht eindeutig klar ist, wem ein Rechtsmittel zuzurechnen ist, verpflichtet ist, sich Klarheit darüber zu verschaffen, wer Rechtsmittelwerber ist. Nur wenn die Behörde auf Grund des objektiven Erklärungswertes der Eingabe keine Zweifel daran hat, dass diese einer nicht Parteistellung genießenden Person zuzurechnen ist, darf sie mit einer sofortigen Zurückweisung dieser Eingabe vorgehen (vgl. VwGH 29.9.2016, Ra 2016/05/0044).
19 Die Auffassung des Verwaltungsgerichtes, die im vorliegenden Fall erhobene Beschwerde sei allein bereits deshalb der Zweitrevisionswerberin zuzurechnen und es könnten Zweifel an der Zurechenbarkeit der Beschwerde nicht auftreten, weil die Zweitrevisionswerberin in der Beschwerde ausdrücklich als Beschwerdeführerin bezeichnet sei, weshalb sie die Beschwerde im eigenen Namen erhoben habe, steht mit der genannten Rechtsprechung nicht im Einklang.
20 Im Verwaltungsverfahren bis zur Beschwerdeerhebung trat jeweils der Erholungsverein S., vertreten durch die Zweitrevisionswerberin als Obfrau, im Verfahren auf. Zwar ist im Kopf der Beschwerde die Zweitrevisonswerberin ohne Zusatz "als Obfrau" angeführt, auf diese Bezeichnung allein kann es aber nicht ankommen. Es darf nicht unberücksichtigt gelassen werden, dass das Berufungsvorbringen, in welchem der Erholungsverein S. Parteistellung beantragte, ausdrücklich zum Beschwerdeinhalt erhoben wurde. Die inhaltlichen Ausführungen in der Beschwerde nehmen auch jeweils auf den Erholungsverein S. Bezug. Die Bezeichnung "Beschwerdeführerin" statt "Beschwerdeführer" für den verfahrensgegenständlichen Verein kann nichts daran ändern, dass das Verwaltungsgericht bei dieser Konstellation nicht ohne Weiteres davon ausgehen konnte, dass die Beschwerde der Zweitrevisionswerberin zuzurechnen ist. Das Verwaltungsgericht hätte zumindest daran Zweifel haben und dies durch eine entsprechende Anfrage an die Zweitrevisionswerberin klären müssen.
21 Der angefochtene Beschluss war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
22 Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung, BGBl. II Nr. 518/2013, in der Fassung BGBl. II Nr. 8/2014.
Wien, am 12. Dezember 2017
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2017:RA2017050077.L00Im RIS seit
17.01.2018Zuletzt aktualisiert am
07.02.2018