Entscheidungsdatum
05.01.2018Norm
AsylG 2005 §10Spruch
W191 1419818-3/11E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Rosenauer als Einzelrichter über die Beschwerde von Herrn XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Indien, vertreten durch Rechtsanwältin XXXX , Österreichische Flüchtlings- und MigrantInnenhilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23.02.2017, Zahl 554583409-14688371, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 28.12.2017 zu Recht:
A)
Die Beschwerde wird gemäß §§ 10 und 55 Asylgesetz 2005 in Verbindung mit § 9 BFA-Verfahrensgesetz sowie §§ 46 und 52 Fremdenpolizeigesetz als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
1. Verfahrensgang:
1.1. Vorverfahren:
1.1.1. Der Beschwerdeführer (in der Folge BF), ein indischer Staatsangehöriger aus New Delhi, reiste am 17.05.2011 unrechtmäßig in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am darauffolgenden Tag einen Antrag auf internationalen Schutz gemäß Asylgesetz 2005 (in der Folge AsylG).
1.1.2. Er gab in seinem Asylverfahren an, er sei in New Delhi geboren, verheiratet und habe im Herkunftsstaat noch seine Ehefrau, zwei Söhne und eine Tochter sowie einen Bruder und zwei Schwestern. Seine Eltern seien bereits verstorben.
Sein Heimatland habe er am 23.04.2011 von New Delhi aus schlepperunterstützt per Flugzeug verlassen und sei nach Prag geflogen und von dort per LKW nach Österreich gebracht worden.
Sein Heimatland habe er verlassen, weil er von einem Polizisten verfolgt und schikaniert worden sei. Dazu sei es gekommen, als im Jahr 2010 die Baubehörde an ihn herangetreten sei und ihm vorgeworfen habe, dass er sein seit dreißig Jahren bestehendes Gasthaus illegal vergrößert habe. Er habe der Behörde widersprochen, weil er offizielle Baupläne gehabt habe. Als Konsequenz habe die Behörde sein ganzes Gasthaus mit Bulldozern zerstört. Als die Baubehörde erstmals mit ihm Kontakt aufgenommen habe, sei ein Polizist dabei gewesen, mit dem er letztlich eine schwere verbale Auseinandersetzung gehabt habe. Dieser habe alles persönlich genommen und gedroht, ihm das Leben so schwer zu machen, dass er weggehen werde. Im Falle seiner Rückkehr befürchte er, dass ihn der Polizist "reinlegen" und nicht in Ruhe lassen würde. Eine unmenschliche Behandlung oder Strafe befürchte er dagegen nicht.
Auch seine Familie sei von der Polizei bedroht worden. Das Gasthaus sei seine einzige Einnahmequelle gewesen. Auf die Frage, wie er bedroht worden sei, antwortete der BF, dass ihn sein Verfolger entweder umbringen oder fälschlich anzeigen werde. Der Polizist habe ihm angedroht, ihn fertig zu machen, falls er sich weiterhin in New Delhi aufhalten sollte. Für die Reise habe er einen Kredit auf seine Wohnung aufgenommen.
Der BF gab an, er könne keine Personaldokumente vorlegen. In Indien habe er noch seinen Führerschein und eine Lebensmittelkarte.
Als Auslöser für seine Ausreiseentscheidung gab er an, dass er schikaniert worden sei. Er habe vier Monate als Rettungsfahrer gearbeitet und sei schließlich wegen dieses Polizisten gekündigt worden. Danach habe er keine Arbeit mehr gehabt. Seine Familie lebe nach wie vor in seiner Wohnung in Delhi. Er habe Indien zwar verlassen wollen, allerdings sei es sehr schmerzhaft gewesen, die Familie zurückzulassen.
Auf die Frage, warum er nicht versucht habe umzuziehen, antwortete der BF, die Familie habe eben so entschieden, und auch der Schlepper habe gemeint, dass es besser wäre, wenn er das Land verlassen würde. Außerdem habe seine Familie gemeint, wenn er weiterhin in Indien bleiben würde, werde ihn der Polizist sicher eines Tages festnehmen. Dieser habe den Streit nämlich sehr persönlich genommen. Auf die Frage, warum ihn dieser nicht bereits verhaftet habe, antwortete er, dass er gegen den Polizisten eine Beschwerde bei dessen Offizier eingebracht habe. Dieser habe ihm dann mitgeteilt, dass der Polizist an Depressionen leide und in der Lage wäre, ihn zu verhaften und ihm zu schaden.
Auf Vorhalt der Möglichkeit einer zumutbaren innerstaatlichen Fluchtalternative gab der BF an, dass er dafür nicht genug Geld gehabt habe. Auf Hinweis, dass er nach eigenen Angaben die Wohnung belehnen und damit 700.000,- Rupien für die Reise aufbringen habe können und daher die Wohnung auch verkaufen und mit der Familie übersiedeln hätte können, gab er an, dass er auf die Wohnung einen Kredit aufgenommen habe, aber nicht Alleineigentümer sei. Die Wohnung gehöre der ganzen Familie.
Auf die Frage, ob er nicht vordergründig zur Verbesserung seiner wirtschaftlichen Situation ausgereist sei, antwortete er:
"eigentlich ja". Außerdem habe er Angst um sein Leben gehabt. Er sei der Älteste, und alle in der Familie seien von ihm abhängig. Er habe drei Kinder, die er ernähren müsse. Auf die Frage, ob er zur Lage in Indien etwas angeben wolle, erklärte der BF, man bekomme dort keine Arbeit; es sei alles sehr teuer geworden, weshalb dort ein normaler Bürger nicht überleben könne. Er habe Indien verlassen, damit es seiner Familie gut gehe.
1.1.3. Mit Bescheid vom 25.05.2011 wies das Bundesasylamt (BAA) den Antrag des BF gemäß § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt I.), stellte fest, dass ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Indien nicht zukomme (Spruchpunkt II.), und verband diese Entscheidung gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG mit einer Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Indien (Spruchpunkt III.).
1.1.4. Der BF brachte gegen diesen Bescheid mit Schreiben vom 07.06.2011 das Rechtsmittel der Beschwerde ein.
1.1.5. Mit Erkenntnis vom 07.05.2012, Zahl C12 419.818-1/2011/10E, wies der Asylgerichtshof diese Beschwerde gemäß §§ 3, 8 und 10 AsylG als unbegründet ab. Der BF habe eine asylrelevante Verfolgung nicht glaubhaft gemacht.
Diese Entscheidung erwuchs in Rechtskraft.
1.2. Gegenständliches Verfahren:
1.2.1. Mit Telefax vom 24.05.2012 gab ein Rechtsanwalt bekannt, dass er nunmehr den BF vertrete, stellte einen Antrag auf Akteneinsicht und ersuchte, von allfällig beabsichtigten fremdenrechtlichen Maßnahmen Abstand zu nehmen, da sich der BF dem fremdenrechtlichen Verfahren nicht entziehen werde und beabsichtige, "die gesetzlich vorgesehenen Möglichkeiten auszuschöpfen".
1.2.2. Laut im Akt einliegender Anzeige vom 24.08.2012 wurde der BF aufgrund einer Anzeige, dass eine fremde Person im Haus sei und die Wäsche aufhänge, im Zuge einer fremdenrechtlichen Überprüfung an einer Adresse in 1100 Wien angetroffen. Der BF wies sich mit einer Kopie seiner Aufenthaltsberechtigungskarte gemäß § 51 AsylG aus dem (rechtskräftig negativ beendeten Asylverfahren) aus und wurde angesichts des Umstandes, dass gegen ihn eine aufrechte Ausweisung vorlag, gemäß § 120 Fremdenpolizeigesetz 2005 (in der Folge FPG) verwaltungsstrafrechtlich angezeigt und darüber in Kenntnis gesetzt.
1.2.3. Mit Telefax vom 22.05.2013 gab der vormalige anwältliche Vertreter des BF die Beendigung seines Vollmachtsverhältnisses bekannt.
1.2.4. Mit ausgefülltem Formularvordruck des nunmehr zuständigen Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge BFA), datiert mit 05.06.2014, beim BFA eingebrachtt am nächsten Tag, unterfertigt vom BF und mit Unterschrift und Namen seines nunmehrigen anwältlichen Vertreters versehen, stellte der BF einen "Erstantrag" auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK "Aufrechterhaltung des Privat und Familienlebens" gemäß § 55 Abs. 1 oder ("andernfalls") 2 AsylG, wobei er beide Möglichkeiten ankreuzte.
Diesem Antrag waren Belege für die Integration des BF in Österreich in Kopie beigelegt (Deutschkursbestätigung, Mietvertrag und Mietzahlungsbestätigungen, E-Card, Aufstellung über Entgeltzahlungen als Werbemittelverteiler).
1.2.5. Das BFA forderte den BF mit Schreiben vom 23.01.2015 auf, binnen zwei Wochen weitere Urkunden (im Original und in Kopie) zu seinem Antrag nachzubringen, darunter für die "Aufenthaltsberechtigung- Rot-Weiß-Rot-Karte plus" gemäß § 55 Abs. 1 AsylG ein gültiges Reisedokument, Geburtskurkunde, und für die "Aufenthaltsberechtigung plus" Belege für die Erfüllung von Modul 1 der Integrationsvereinbarung sowie für die Erfüllung bestimmter Einkommensgrenzen.
Auf einem Beiblatt wurde weiter konkretisiert, welche Belege vorzulegen wären.
Weiters habe der BF eine Antragsbegründung nicht vorgelegt, er werde aufgefordert, den von ihm angestrebten Aufenthaltstitel genau zu bezeichnen.
1.2.6. Mit Schreiben seines Vertreters vom 09.02.2015 brachte der BF einige weitere Belege nach, darunter einen Dienstzettel und einen aktuellen Auszug aus der Konsumentenkreditevidenz des Kreditschutzverbandes (KSV) von 1870 sowie das Prüfungszertifikat A1 Grundstufe Deutsch 1 und stellte einen Antrag auf Fristerstreckung für die Vorlage weiterer Unterlagen bis 23.02.2015.
1.2.7. Mit Schreiben seines Vertreters vom 24.02.2015 ("ergänzende Stellungnahme") legte der BF weitere Unterlagen vor (Jahreskonto und Eingaben-Ausgabenrechnung für 2014, Werkvertrag mit XXXX vom 10.01.2012, Auskunft des KSV 1870, wonach der BF mit einem Einkaufsrahmen von 2.000 Euro einen Kredit gewährt bekommen habe, der nun einen Positivsaldo aufweise.
1.2.8. Mit Bescheid vom 12.03.2015, Zahl 554583409-14688371, wies das BFA den Antrag des BF auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 55 Abs. 1 und 2 AsylG gemäß § 58 Abs. 10 und Abs. 11 Z 2 AsylG als unzulässig zurück.
In der Bescheidbegründung wurde ausgeführt, dass der BF trotz behördlicher Aufforderung folgende Beweismittel nicht in Vorlage gebracht habe:
Gültiges Reisedokument, Geburtsurkunde, schriftliche ausführliche Antragsbegründung, Urkunden über seine Familienverhältnisse, Bekanntgabe aller in Österreich lebenden Familienangehörigen und Bekanntgabe der familiären Bindungen in Österreich.
Der Bestimmung des § 55 AsylG sei die Verfahrensbestimmung des § 58 Abs. 11 Z 2 AsylG zwingend vorgelagert, welche normiere, dass der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels zurückzuweisen sei, wenn der Drittstaatsangehörige seiner allgemeinen Mitwirkungspflicht im erforderlichen Ausmaß nicht nachkomme. Zudem sei gemäß § 58 Abs. 10 AsylG ein Antrag gemäß § 55 AsylG als unzulässig zurückzuweisen, wenn gegen den Antragsteller eine Rückkehrentscheidung rechtskräftig erlassen worden sei und aus dem begründeten Antragsvorbringen im Hinblick auf die Berücksichtigung des Privat- und Familienlebens gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG ein geänderter Sachverhalt, der eine ergänzende oder neue Abwägung gemäß Art. 8 EMRK erforderlich mache, nicht hervorgehe.
Der BF habe im Zuge seiner verfahrensgegenständlichen Erstantragsstellung vom 06.06.2014 Beweismaterial vorgelegt, das zwar zeige, dass sich der BF um Integration bemühe, aber dies [ver]möge im Kern keine Neubewertung auszulösen. Eine maßgebliche Sachverhaltsänderung sei daher nach der vom BF hergestellten Aktenlage nicht eingetreten. Der BF habe aktenkundig keinerlei Schritte unternommen, um nach negativer Asylentscheidung seine Ausreise zu organisieren und sich Identitätsdokumente zu besorgen.
Für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht (in der Folge BVwG) wurde dem BF mit Verfahrensanordnung der Verein Menschenrechte Österreich gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG amtswegig als Rechtsberater zur Seite gestellt.
1.2.9. Gegen diesen Bescheid richtete sich das mit Schreiben des Vertreters des BF vom 26.03.2015 fristgerecht eingebrachte Rechtsmittel der Beschwerde, mit dem der Bescheid gesamtinhaltlich wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens, unrichtiger Tatsachenfeststellung aufgrund unrichtiger Beweiswürdigung und unrichtiger rechtlicher Beurteilung angefochten wurde.
Der BF beantragte, das BVwG wolle seiner "Beschwerde Folge geben, den Bescheid aufheben und dahingehend abändern, dass ihm ein Aufenthaltstitel aus besonders berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 55 Abs. 1 oder 2 AsylG erteilt" werde, "in eventu seiner Beschwerde Folge geben, den Bescheid aufheben und zur Verfahrensergänzung an die Behörde 1. Instanz zurückverweisen."
In der Beschwerdebegründung wurde – kurz zusammengefasst – moniert, dass die Aufforderung zur Vorlage von Urkunden widersprüchlich gewesen sei. Der BF habe die ihm zur Verfügung gestandenen Unterlagen vorgelegt, andere Dokumente hätten ihm nicht zur Verfügung gestanden. Er hätte auch keinen gültigen Reisepass gehabt, dieser sei ihm vor seiner Einreise nach Österreich von Schleppern abgenommen worden. Er habe daher seine Mitwirkungspflicht nicht verletzt.
Das Verhalten der Behörde sei willkürlich.
Der maßgebliche, zu seinen Gunsten geänderte Sachverhalt sei darin gelegen, dass dem BF am 15.06.2012 eine Beschäftigungsbewilligung gemäß § 20 Abs. 6 Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslBG) ausgestellt worden sei, dass er nachträglich eine Deutschprüfung A1 bestanden habe, dass er verstärkt in Österreich sozial integriert sei, dass er mittels Urkundenvorlage seinen Lebensunterhalt hätte nachweisen können, dass er keinen Kredit mehr offen habe, dass er krankenversichert sei und dass er seine Miete bezahlen könne.
Es liege immerhin ein mehr als vierjähriger Aufenthalt des BF vor, der überwiegend als rechtmäßig anzusehen sei. Er sei unbescholten.
1.2.10. Mit Erkenntnis vom 04.05.2015, Zahl W191 1419818-2/3E, behob das BVwG den angefochtenen Bescheid gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG in Verbindung mit §§ 55, 58 AsylG.
In der Erkenntnisbegründung wurde unter anderem ausgeführt:
" [ ] 2.2.2. Das BFA hat den Antrag des BF als unzulässig zurückgewiesen und gründet diese Entscheidung auf § 58 Abs. 10 sowie Abs. 11 Z 2 AsylG. Diese Entscheidung ist zwar nicht – wie in der Beschwerde behauptet – willkürlich, aber doch rechtswidrig:
Zwar liegt mit der aufrechten Rückkehrentscheidung gegen den BF eine Voraussetzung des § 58 Abs. 10 1. Satz AsylG für eine zurückweisende Entscheidung vor, doch kann im Hinblick auf den längeren Zeitraum zwischen Erlassung dieser Entscheidung und der nunmehrigen Entscheidung über die beantragte Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK (von ca. drei Jahren) nicht erkannt werden, dass eine zweite Voraussetzung, nämlich dass ein geänderter Sachverhalt, der eine ergänzende [ ] Abwägung gemäß Art. 8 EMRK erforderlich mache, nicht hervorgehe, vorläge.
Auch die Tatbestandsvoraussetzung eines "begründeten Antragsvorbringens" in § 58 Abs. 10 1. Satz AsylG liegt – nach der Begründung des angefochtenen Bescheides selbst – nicht vor.
Wenn auch das Verhalten des BF im Verfahren mehrfach relevante Umstände offengelassen hat – so hat er nicht angegeben, welchen Aufenthaltstitel des 55 AsylG er nun tatsächlich anstrebt; es ist nicht erkennbar, warum sein Aufenthalt in Österreich trotz aufrechter Rückkehrentscheidung seit 2012 (mehr als zwei Jahre lang bis zur gegenständlichen Antragstellung) ‚als rechtmäßig anzusehen‘ wäre; er hat nicht dargetan, in welcher Hinsicht seine Rückkehr nach Indien seine – nicht näher angegebene – verstärkte soziale Integration in Österreich verletzen würde, zumal seine Familie in Indien lebe, – so rechtfertigen diese Umstände für sich noch nicht, dem BF eine materielle Entscheidung zu versagen.
Der Beurteilung des BFA, der BF sei seiner Mitwirkungspflicht in einer Form nicht nachgekommen, dass deswegen sein Antrag gemäß § 58 Abs. 11 Z 2 – ohne in die Sache einzugehen – als unzulässig zurückzuweisen sei, ist nicht zu folgen, zumal § 55 AsylG nicht ausdrücklich normiert, welche Dokumente ein Antragsteller vorzulegen habe. Gerade Asylwerber, die längere Zeit in Österreich leben, haben oft tatsächlich keine Identitätspapiere vorzuweisen, und es erscheint überschießend, dem BF, zumal er angegeben hat, sich um Papiere bemüht zu haben, deren Nichtvorlage als Verletzung seiner Mitwirkungspflicht in einer Weise anzulasten, dass sein Antrag ohne inhaltliche Prüfung aus formellen Gründen zurückgewiesen wird. Der BF hat in seinem Asylverfahren seinerzeit angegeben, er hätte in Indien einen Führerschein. Die Nichtvorlage von Identitätsdokumenten wird – genauso wie seine private Situation (Familie in Indien) – bei der inhaltlichen Bewertung aber mit zu berücksichtigen sein (§ 15 AsylG, Mitwirkungspflicht).
2.2.3. Zusammengefasst ist festzustellen, dass das BFA eine formelle (zurückweisende) Entscheidung getroffen hat, ohne dass die diesbezüglichen Voraussetzungen vorgelegen haben.
2.2.4. Das BFA wird aufgrund des gestellten Antrages des BF das Verfahren fortzusetzen und zu ermitteln haben, ob die Voraussetzungen für die Zuerkennung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG vorliegen, dem BF die Ermittlungsergebnisse zur Kenntnis zu bringen und eine neue (inhaltliche) Entscheidung zu treffen haben.
1.2.11. Das BFA forderte den BF im fortgesetzten Verfahren mit Schreiben vom 24.11.2016 auf, insbesondere begründet darzulegen, welchen Aufenthaltstitel er konkret anstrebe, inwieferne seine soziale Integration im Bundesgebiet ausgestaltet sei und inwieferne die Durchsetzung der gegen ihn erlassenen aufenthaltsbeendenden Maßnahme eine Verletzung des Art. 8 EMRK darstelle.
Weiters wurde der BF eingeladen, Belege zu seinem Vorbringen vorzulegen.
1.2.12. Im Verwaltungsakt liegen – unchronologisch eingeordnet, Aktenseiten 339 ff. – offenbar vom BF vorgelegte Belege ein (Sozialversicherungsdatenauszug vom 31.01.2017, Kopie seines indischen Führerscheins, Geburtsurkunde und indische Police Clearance Certificate vom 28.02.2015,).
1.2.13. Im Schreiben seines damaligen Vertreters vom 13.12.2016 wurde ausgeführt:
"Aus dem Erkenntnis des BVwG wird ersichtlich, dass ich die ‚Aufenthaltsberechtigung- Rot Weiß Rot Karte plus‘ gemäß 55 Abs. 1 AsylG beantragte und wird dieser Antrag wiederholt."
Der BF verwies auf die bereits vorgelegten Belege sowie auf seinen mehr als fünfjährigen "Daueraufenthalt in Österreich" und legte ein "Zertifikat A2 Kurs nicht bestanden" sowie einige Empfehlungsschreiben von Bekannten (großteils Personen mit offenbar indischen Namen) vor. Der BF habe sich sofort zu einem neuen A2-Kurs angemeldet und lerne täglich Deutsch bei einem angegebenen Bildungsinstitut. Es wurde um Abwarten seiner Deutschprüfung am 20.02.2017 ersucht.
Mit E-Mail seines damaligen Vertreters vom 23.01.2017 wurde um neuerliche Terminverschiebung auf 02.03.2017 ersucht.
1.2.14. Nach Durchführung des fortgesetzten Ermittlungsverfahrens wies das BFA mit Bescheid vom 23.02.2017 den Antrag des BF auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK vom "31.10.2013" [richtig: 06.04.2014] gemäß § 55 AsylG ab und verband diese Entscheidung gemäß § 10 Abs. 3 AsylG in Verbindung mit § 9 BFA-VG mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 3 FPG (Spruchpunkt I.). In Spruchpunkt II. wurde festgestellt, dass die Abschiebung des BF nach Indien gemäß § 46 FPG zulässig sei. In Spruchpunkt III. wurde einer Beschwerde gegen diesen Bescheid gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt.
In der Bescheidbegründung traf die belangte Behörde Feststellungen zur Person des BF und zur Lage in seinem Herkunftsstaat. Es bestünden keine aktenkundigen [hinreichenden] Gründe gegen eine Abschiebung des BF nach Indien.
Der BF erfülle nicht die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG, der Erlassung einer Rückkehrentscheidung stehe sein Recht auf Achtung des Privat- oder Familienlebens angesichts des – nach rechtskräftiger Abweisung seines Antrages auf internationalen Schutz – überwiegend unrechtmäßigen Aufenthalts und des Fehlens von zu berücksichtigenden familiären oder privaten Bindungen im Inland nicht entgegen, zumal sich seine gesamte Familie in Indien aufhalte.
1.2.15. Gegen diesen verfahrensgegenständlichen Bescheid brachte der BF mit Schriftsatz seiner nunmehrigen gewillkürten Vertreterin ohne Datum (offenbar fristgerecht eingebracht, da eingelangt am 13.03.2017 – das Einbringungsdatum ist dem Verwaltungsakt nicht zu entnehmen, und auch eine telefonische Recherche beim zuständigen Referenten des BFA konnte diese Frage nicht klären) – das Rechtsmittel der Beschwerde beim BVwG wegen "Rechtswidrigkeit der Anordnung und mangelhafter Verfahrensführung" ein.
In der Beschwerdebegründung wurde im Wesentlichen das bisherige Vorbringen des BF bezüglich seiner Integration in Österreich wiederholt und auf seine vorgelegten Belege verwiesen. Eine Beschäftigungsbewilligung als Koch für Juni bis September 2012, Entgeltbestätigungen als Zusteller sowie ein Mietvertrag wurden vorgelegt.
Die Durchführung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung wurde beantragt.
1.2.16. Diese Beschwerde langte am 20.03.2017 beim BVwG ein.
1.2.17. Mit Beschluss vom 22.03.2017, Zahl W191 1419818-3/3ZAW, erkannte das BVwG dieser Beschwerde gemäß § 18 Abs. 5 BFA-VG die aufschiebende Wirkung zu, da aus der zum derzeitigen Entscheidungszeitpunkt zur Verfügung stehenden Aktenlage nach Durchführung einer Grobprüfung eine Verletzung der genannten, durch die EMRK garantierten Rechte bei einer Rückführung des BF nach Indien aufgrund der besonderen Gegebenheiten im konkreten Fall angesichts der kurzen Entscheidungsfrist nicht mit der in diesem Zusammenhang erforderlichen Sicherheit ausgeschlossen werden könne.
1.2.18. Mit Schreiben seines Vertreters vom 18.06.2017 legte der BF einen Arbeitsvorvertrag und eine Sozialversicherungsbestätigung (versichert seit 02.09.2015) vor.
1.2.19. Das BVwG führte am 21.08.2017 eine öffentliche mündliche Verhandlung unter Beisein eines Dolmetsch für die Sprache Punjabi durch, zu der der BF – trotz nachweislicher Zustellung an seine Vertreterin – unentschuldigt nicht erschien.
1.2.20. Das BVwG führte am 28.12.2017 eine neuerliche öffentliche mündliche Verhandlung unter Beisein eines Dolmetsch für die Sprache Punjabi durch, zu der der BF persönlich in Begleitung eines Vertreters erschien. Die belangte Behörde verzichtete im Vorhinein auf die Teilnahme an der Verhandlung.
Dabei gab der BF auf richterliche Befragung im Wesentlichen Folgendes an (Auszug aus der Verhandlungsschrift):
" [ ] Aufruf der Sache um 09:00 Uhr
Nachdem der BF – nach ordnungsgemäßer Zustellung an seine Vertreterin – zur Verhandlung vor dem BVwG am 21.08.2017 nicht erschienen ist, ist er heute in Begleitung von XXXX , erschienen.
[ ]
RI [Richter]: Was ist Ihre Muttersprache?
BF: Hindi. Ich spreche auch Punjabi, das ist die Muttersprache meines Vaters.
RI an D: In welcher Sprache übersetzen Sie für den BF?
D: Punjabi.
RI befragt BF, ob er D gut verstehe; dies wird bejaht.
Zur heutigen Situation:
RI: Fühlen Sie sich körperlich und geistig in der Lage, der heutigen Verhandlung zu folgen?
BF: Ja, ich habe keine Probleme, ich bin gesund.
RI: Leiden Sie an chronischen oder akuten Krankheiten oder anderen Leiden oder Gebrechen?
BF: Ich hatte vor einiger Zeit Operationen an beiden Unterarmen, Schwellungen wurden wegoperiert. Ich habe auch kleinere Schwellungen an anderen Stellen des Körpers.
BFV [Vertreter des BF]: Der BF ist nicht in ärztlicher Behandlung.
[ ]
Der BFV nimmt kurz Akteneinsicht.
[ ]
Der BF hat bisher seine Geburtsurkunde, ein indisches Leumundszeugnis sowie seinen indischen Führerschein (AS 343 ff.) sowie Integrationsbelege (Arbeitsvorvertrag, Sozialversicherungsdatenauszug, Honorarnoten von XXXX , Deutschkurs-Prüfungsbestätigung A1, Mietvertrag) vorgelegt, auf die der BFV verweist.
[ ]
Zur Identität und Herkunft sowie zu den persönlichen
Lebensumständen:
RI: Sind die von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen zu Ihrem Namen und Geburtsdatum sowie zu Ihrer Staatsangehörigkeit korrekt?
BF: Ja.
RI: Welcher ethnischen Gruppe bzw. Volks- oder Sprachgruppe gehören Sie an?
BF: Ich bin Rajput (Anmerkung D: Das ist eine Unterkaste der zweiten Kaste, ‚Krieger‘).
RI: Gehören Sie einer Religionsgemeinschaft an, und wenn ja, welcher?
BF: Ich bin Hindu.
RI: Sind Sie verheiratet, oder leben Sie in einer eingetragenen Partnerschaft oder sonst in einer dauernden Lebensgemeinschaft?
BF: Ich bin verheiratet. Ich habe zwei Söhne und eine Tochter. Meine Familie lebt von meiner Geburt an in New Delhi. Meine Frau stammt aus dem Bundesstaat Haryana, XXXX .
RI: Haben Sie in Ihrem Herkunftsstaat eine Schul- oder Berufsausbildung absolviert?
BF: Ich habe acht Jahre die Schule besucht und nachher als Koch gearbeitet. In Österreich habe ich auch zeitweise legal mit Beschäftigungsbewilligung im Sommer am Rathausplatz als Koch gearbeitet.
RI: Wann haben Sie Ihren Herkunftsstaat zuletzt genau verlassen?
BF: Im Mai 2011.
RI: Warum?
BF: Weil ich dort mit der Polizei Probleme bekommen habe.
RI: Sie haben doch ein indisches Leumundszeugnis aus 2015 vorgelegt?
BF: Ich hatte in Indien, als ich in einem Restaurant als Koch gearbeitet habe, einen Streit mit einen Polizisten gehabt.
Zur derzeitigen Situation in Österreich:
RI: Haben Sie in Österreich lebende Familienangehörige oder Verwandte?
BF: Nein.
RI ersucht D, die folgenden Fragen nicht zu übersetzen. RI stellt diverse Fragen.
RI: Sprechen Sie Deutsch? Haben Sie mich bis jetzt auch ohne Übersetzung durch den D verstehen können?
BF (auf Deutsch): Ein bisschen.
RI stellt fest, dass der BF die zuletzt gestellten und nicht übersetzten Fragen teilweise verstanden und gebrochen auf Deutsch beantwortet hat.
RI: Besuchen Sie derzeit einen Deutschkurs oder haben Sie einen Deutschkurs bereits besucht?
BF: Nein, momentan nicht, weil ich zur Zeit wenig Zeit habe. Ich habe auch ein Problem mit meinem Erinnerungsvermögen.
RI: Warum habe Sie derzeit wenig Zeit?
BF: Wegen meiner Arbeit und wegen des Haushaltes bin ich sehr müde. Ich arbeite in der Nacht als Zeitungszusteller von 2 Uhr bis 10 Uhr.
RI: Besuchen Sie in Österreich bestimmte Kurse oder eine Schule, oder sind Sie aktives Mitglied in einem Verein? Gehen Sie sportlichen oder kulturellen Aktivitäten nach?
BF: Ich lese die Bibel. Ich habe einen Freund namens XXXX , er kommt zu mir und wir studieren gemeinsam die Bibel. Er ist Österreicher. Er ist ein Zeuge Jehovas. Er hat mir auch eine Bibel geschenkt.
RI: Wurden Sie in Österreich jemals von einem Gericht wegen einer Straftat verurteilt oder von einer Behörde mit einem Aufenthaltsverbot oder Rückkehrverbot belegt?
BF: Nein.
RI: Unterhalten Sie von Österreich aus noch Bindungen an Ihren Herkunftsstaat, insbesondere Kontakte zu dort lebenden Familienangehörigen, Verwandten, Freunden oder zu sonstigen Personen? Wenn ja, wie sieht dieser Kontakt konkret aus (telefonisch, brieflich, per E-Mail), bzw. wie regelmäßig ist dieser Kontakt?
BF: Ja, telefonisch, nach den Möglichkeiten, einmal in der Woche oder einmal im Monat.
RI: Was würde Ihnen konkret passieren, wenn Sie jetzt wieder in Ihren Herkunftsstaat zurückkehren müssten?
BF: Ich hätte weiterhin das Problem mit diesem Polizisten, weil er die Sache persönlich genommen hat. Er fragt immer noch meine Familienangehörigen, insbesondere meine Kinder, wo der Vater ist.
RI: Was haben Sie ihm angetan?
BF: Weil er sich mir gegenüber nicht anständig verhalten hat, kam es zu einer Rauferei. Ich habe mich deshalb bei seinem Vorgesetzten beschwert, dieser hat mit ihm gesprochen, aber es hat nichts gebracht. Ich bin eine arme Person, auf diese wird keine Rücksicht genommen.
Der RI bringt [ ] in das gegenständliche Verfahren ein.
Der RI erklärt die Bedeutung und das Zustandekommen dieser Berichte. Im Anschluss daran legt der RI die für die Entscheidung wesentlichen Inhalte dieser Feststellungen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat dar.
Der RI folgt BFV diese Feststellungen in Kopie aus und gibt ihm die Möglichkeit, dazu und zu den bisherigen Angaben des BF eine Stellungnahme abzugeben sowie Fragen an den BF zu stellen, worauf dieser verzichtet.
RI befragt BF, ob er noch etwas Ergänzendes vorbringen will.
BF: Ich bitte Sie, mir zu erlauben, dass ich hier bleiben kann. Ich bin schon lange Zeit hier, ich habe mich an die Lebensweise hier gewöhnt. Ich selbst arbeite und nehme keine finanzielle Hilfe von irgendwem in Anspruch. Ich habe keinerlei große Probleme hier. Wenn ich ein bisschen Zeit habe und mit meinem Freund die Bibel studiere, bekomme ich ‚seelischen Frieden‘.
RI: Würde sich Ihre Familie nicht freuen, wenn Sie wieder zurückkämen?
BF: Ja, aber meine Familie sagt, dass es wegen meiner Probleme auch gut ist, wenn ich derzeit in Österreich bleibe. Wenn ich zurückkomme, bekommt die Familie auch wegen mir Probleme.
RI befragt BF, ob er D gut verstanden habe; dies wird bejaht. [ ]"
Das erkennende Gericht brachte weitere Erkenntnisquellen zum Herkunftsstaat des BF in das Verfahren ein (aufgelistet unter Punkt 2.).
Das BFA beantragte schriftlich die Abweisung der gegenständlichen Beschwerde. Dem BFA wurde die Verhandlungsschrift samt Beilagen übermittelt.
2. Beweisaufnahme:
Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch:
* Einsicht in den dem BVwG vorliegenden Verwaltungsakt des Bundesamtes, beinhaltend die im Verfahrensgang aufgelisteten Schriftstücke, die vom BF vorgelegten Belege sowie die gegenständliche Beschwerde vom 13.03.2017
* Einsicht in Dokumentationsquellen betreffend den Herkunftsstaat des BF im erstbehördlichen Verfahren (Aktenseiten 414 bis 421)
* Einvernahme des BF im Rahmen der öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem BVwG am 28.12.2017 und Einsicht in die vom BF im Beschwerdeverfahren zusätzlich vorgelegten Belege zu seiner Identität und zu seiner Integration in Österreich
* Einsichtnahme in die vom BVwG in der öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem zusätzlich in das Verfahren eingebrachten Erkenntnisquellen zum Herkunftsstaat des BF:
o Feststellungen und Berichte über die allgemeine Lage im Herkunftsstaat sowie im Bundesstaat Punjab (Auszüge aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 09.01.2017)
3. Ermittlungsergebnis (Sachverhaltsfeststellungen):
Folgende Feststellungen werden aufgrund des glaubhaft gemachten Sachverhaltes getroffen:
3.1. Zur Person des BF:
3.1.1. Der BF führt den Namen XXXX , geboren am XXXX , ist indischer Staatsangehöriger, bekennt sich zur Religionsgemeinschaft der Hindus und zur Volksgruppe (Kaste) der Rajput und ist verheiratet.
3.1.2. Der BF verließ Indien am 23.04.2011 und reiste schlepperunterstützt per Flugzeug nach Prag und von dort weiter nach Österreich, wo er am 18.05.2011 einen Antrag auf internationalen Schutz stellte.
3.1.3. Der BF hält sich seit über sechseinhalb Jahren in Österreich auf. Ihm steht hier kein Aufenthaltsrecht außerhalb des Asylrechtes zu, und er hatte niemals ein anderes als das vorübergehende Aufenthaltsrecht als Asylwerber in Österreich. Seit seiner rechtskräftigen Abweisung seines Antrages auf internationalen Schutz und damit verbundener Ausweisung (Rückkehrentscheidung) im Mai 2012 hält sich der BF unrechtmäßig in Österreich auf.
3.1.4. Der BF hat keine hinsichtlich Art. 8 EMRK relevanten Familienangehörigen oder Verwandten in Österreich. Allfällige freundschaftliche Beziehungen in Österreich sind erst zu einem Zeitpunkt entstanden, an dem sich der BF seiner unsicheren bzw. illegalen aufenthaltsrechtlichen Stellung bewusst sein musste. Seine Familie (Ehefrau, zwei Söhne und eine Tochter) lebt in New Delhi (Indien).
3.1.5. Der BF hat im Zuge des Verfahrens Belege bezüglich seiner Identität vorgelegt (indischer Führerschein, indisches Police Clearance Certificate vom 28.02.2015, Geburtsurkunde).
3.1.6. Der BF hat die Sprachprüfung Deutsch A1 bestanden, die Prüfung A2 nicht. Er hat in Österreich kurzzeitig (für einige Monate im Jahr 2012) legal als Koch und längerwährend als Zeitungszusteller gearbeitet und ist seit 2015 sozialversichert.
Der BF hat den Besuch von Kursen oder Schulen in Österreich sowie sonstige kulturelle oder soziale Interessen – mit Ausnahme wiederholter Gespräche mit einem Bekannten (ein Zeuge Jehovas), mit dem er nach eigenen Angaben regelmäßig die Bibel liest – weder behauptet noch belegt.
Der BF ist irregulär in das Bundesgebiet eingereist. Er weist keine strafgerichtliche Verurteilung auf, hat aber offensichtlich mehrere Jahre lang gegen verwaltungsrechtliche Bestimmungen des Aufenthalts- bzw. Fremdenrechts verstoßen, zumal er sich seit über fünf Jahren unrechtmäßig in Österreich aufhältig.
Eine Integration des BF in Österreich in besonderem Ausmaß liegt nicht vor.
3.2. Zu einer möglichen Rückkehr des BF in den Herkunftsstaat:
3.2.1. Es konnte vom BF nicht glaubhaft vermittelt werden, dass ihm im Falle der Rückkehr in den Herkunftsstaat ein reales Risiko einer Verletzung der Art. 2 oder 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958 (in der Folge EMRK), oder der bezüglichen Zusatzprotokolle drohe, und ist dies auch nicht von Amts wegen hervorgekommen.
Sein Fluchtvorbringen, auf das sich der BF auch im gegenständlichen Verfahren bezieht, ist bereits im Asylverfahren rechtskräftig als unglaubhaft beurteilt worden.
Der BF ist im erwerbsfähigen Alter und männlich. Dass sein allgemeiner Gesundheitszustand erheblich beeinträchtigt wäre, hat der BF im Verfahren weder behauptet, noch ist es dem erkennenden Gericht sonstwie bekannt geworden. Es ist daher anzunehmen, dass der BF im Herkunftsstaat in der Lage sein wird, sich notfalls mit Hilfstätigkeiten ein ausreichendes Auskommen zu sichern und daher nicht in eine hoffnungslose Lage zu kommen, zumal er über langjährige Berufserfahrung verfügt und auch seine Familie (Ehefrau, zwei Söhne, eine Tochter) in Indien (New Delhi) aufhältig ist.
3.2.2. Es besteht kein reales Risiko, dass der BF im Herkunftsstaat einer dem 6. oder 13. Zusatzprotokoll zur EMRK widerstreitenden Behandlung unterworfen wird.
3.3. Zur Lage im Herkunftsstaat des BF:
Aufgrund der in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG zusätzlich in das Verfahren eingeführten aktuellen Erkenntnisquellen werden folgende entscheidungsrelevante Feststellungen zum Herkunftsstaat des BF getroffen:
Zur allgemeinen Lage in Indien (Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des BFA vom 09.01.2017, Schreibfehler teilweise korrigiert):
Überblick über die politische Lage:
Indien ist mit über 1,2 Milliarden Menschen und einer multireligiösen und multiethnischen Gesellschaft die bevölkerungsreichste Demokratie der Welt (CIA Factbook 12.12.2016; vgl. auch: AA 16.08.2016, BBC 27.09.2016). Die – auch sprachliche – Vielfalt Indiens wird auch in seinem föderalen politischen System reflektiert, in welchem die Macht von der Zentralregierung und den Bundesstaaten geteilt wird (BBC 27.09.2016). Die Zentralregierung hat deutlich größere Kompetenzen als die Regierungen der Bundesstaaten (AA 9.2016a). Im Einklang mit der Verfassung haben die Bundesstaaten und Unionsterritorien ein hohes Maß an Autonomie und tragen die Hauptverantwortung für Recht und Ordnung (USDOS 13.04.2016). Die Hauptstadt New Delhi hat einen besonderen Rechtsstatus (AA 9.2016a).
Die Gewaltenteilung zwischen Parlament und Regierung entspricht britischem Muster (AA 16.08.2016), der Grundsatz der Gewaltenteilung von Legislative, Exekutive und Judikative ist durchgesetzt (AA 9.2016a). Die Unabhängigkeit der Gerichtsbarkeit, die über einen dreistufigen Instanzenzug verfügt, ist verfassungsmäßig garantiert (AA 16.08.2016).
Indien ist eine parlamentarische Demokratie und verfügt über ein Mehrparteiensystem und ein Zweikammerparlament (USDOS 13.04.2016). Die Legislative besteht aus einer Volkskammer (Lok Sabha) und einer Staatenkammer (Rajya Sabha). Darüber hinaus gibt es Parlamente auf Bundesstaatsebene (AA 16.08.2016).
Der Präsident ist das Staatsoberhaupt und wird von einem Wahlausschuss gewählt, während der Premierminister Leiter der Regierung ist (USDOS 13.04.2016). Das Präsidentenamt bringt vor allem repräsentative Aufgaben mit sich, im Krisenfall verfügt der Präsident aber über weitreichende Befugnisse. Seit Juli 2012 ist Präsident Pranab Kumar Mukherjee indisches Staatsoberhaupt (AA 9.2016a). Das wichtigste Amt innerhalb der Exekutive bekleidet aber der Premierminister (GIZ 11.2016).
Die seit 2014 im Amt befindliche neue Regierung will nicht nur den marktwirtschaftlichen Kurs fortsetzen, sondern ihn noch intensivieren, indem bürokratische Hemmnisse beseitigt und der Protektionismus verringert werden soll. Ausländische Investoren sollen verstärkt aktiv werden (GIZ 12.2016).
Sicherheitslage:
Indien ist reich an Spannungen entlang von Ethnien, Religionen, Kasten und auch Lebensperspektiven. Widersprüche, Gegensätze oder Konflikte entladen sich in den gesellschaftlichen Arenen und werden von der Politik aufgegriffen, verarbeitet und teilweise instrumentalisiert (GIZ 11.2016). Blutige Terroranschläge haben in den vergangenen Jahren in Indiens Millionen-Metropolen wiederholt Todesopfer gefordert (Eurasisches Magazin 24.5.2014). Die Spannungen im Nordosten des Landes gehen genauso weiter wie die Auseinandersetzung mit den Naxaliten (GIZ 11.2016). Das staatliche Gewaltmonopol wird gebietsweise von den Aktivitäten der "Naxaliten" in Frage gestellt (AA 16.08.2016).
Terroristische Anschläge in den vergangenen Jahren (Dezember 2010 in Varanasi, Juli 2011 Mumbai, September 2011 New Delhi und Agra, April 2013 in Bangalore, Mai 2014 Chennai und Dezember 2014 Bangalore) und insbesondere die Anschläge in Mumbai im November 2008 haben die Regierung unter Druck gesetzt. Von den Anschlägen der letzten Jahre wurden nur wenige restlos aufgeklärt, und die als Reaktion auf diese Vorfälle angekündigten Reformvorhaben zur Verbesserung der indischen Sicherheitsarchitektur wurden nicht konsequent umgesetzt (AA 24.04.2015). Das South Asia Terrorism Portal verzeichnet in einer Aufstellung für das Jahr 2011 1.073 Todesopfer durch terrorismusrelevante Gewalt, für das Jahr 2012 803, für das Jahr 2013 885, für das Jahr 2014 976, für das Jahr 2015 722 und für das Jahr 2016 835 [Anmerkung: die angeführten Zahlen beinhalten Zivilisten, Sicherheitskräfte und Terroristen] (SATP 09.01.2017).
Konfliktregionen sind Jammu und Kashmir, die nordöstlichen Regionen und der maoistische Gürtel. In Jharkhand und Bihar setzten sich die Angriffe von maoistischen Rebellen auf Sicherheitskräfte und Infrastruktur fort. In Punjab kam es bis zuletzt durch gewaltbereite Regierungsgegner immer wieder zu Ermordungen und Bombenanschlägen. Neben den islamistischen Terroristen tragen die Naxaliten (maoistische Untergrundkämpfer) zur Destabilisierung des Landes bei. Von Chattisgarh aus kämpfen sie in vielen Unionsstaaten (von Bihar im Norden bis Andrah Pradesh im Süden) mit Waffengewalt gegen staatliche Einrichtungen. Im Nordosten des Landes führen zahlreiche Separatistengruppen einen Kampf gegen die Staatsgewalt und fordern entweder Unabhängigkeit oder mehr Autonomie (United Liberation Front Assom, National Liberation Front Tripura, National Socialist Council Nagaland, Manipur People’s Liberation Front etc.). Der gegen Minderheiten wie Moslems und Christen gerichtete Hindu-Radikalismus wird selten von offizieller Seite in die Kategorie Terror eingestuft, vielmehr als "communal violence" bezeichnet (ÖB 12.2016).
Gegen militante Gruppierungen, die meist für die Unabhängigkeit bestimmter Regionen eintreten und/oder radikalen Auffassungen anhängen, geht die Regierung mit großer Härte und Konsequenz vor. Sofern solche Gruppen der Gewalt abschwören, sind in der Regel Verhandlungen über ihre Forderungen möglich. Gewaltlose Unabhängigkeitsgruppen können sich politisch frei betätigen (AA 16.08.2016).
Justiz:
In Indien sind viele Grundrechte und -freiheiten verfassungsmäßig verbrieft, und die verfassungsmäßig garantierte unabhängige indische Justiz bleibt vielmals wichtiger Rechtegarant. Die häufig lange Verfahrensdauer aufgrund überlasteter und unterbesetzter Gerichte sowie verbreitete Korruption, vor allem im Strafverfahren, schränken die Rechtssicherheit aber deutlich ein (AA 16.08.2016; vgl. auch:
USDOS 13.04.2016). Eine generell diskriminierende Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis lässt sich nicht feststellen, allerdings sind vor allem die unteren Instanzen nicht frei von Korruption (AA 24.04.2015).
Das Gerichtswesen ist auch weiterhin überlastet, und der Rückstau bei Gericht führt zu langen Verzögerungen oder der Vorenthaltung von Rechtsprechung. Eine Analyse des Justizministeriums ergab mit 01.08.2015 eine Vakanz von 34% der Richterstellen an den Obergerichten (USDOS 13.04.2016). Die Regeldauer eines Strafverfahrens (von der Anklage bis zum Urteil) beträgt mehrere Jahre; in einigen Fällen dauern Verfahren bis zu zehn Jahre. Auch der Zeugenschutz ist mangelhaft. Dies führt dazu, dass Zeugen vor Gericht häufig nicht frei aussagen, da sie bestochen oder bedroht worden sind (AA 16.08.2016; vgl. auch: USDOS 13.04.2016).
Sicherheitsbehörden:
Die indische Polizei (Indian Police Service) ist keine direkte Strafverfolgungs- oder Vollzugsbehörde (BICC 6.2016) und untersteht den Bundesstaaten (AA 16.08.2016). Sie fungiert vielmehr als Ausbildungs- und Rekrutierungsstelle für Führungsoffiziere der Polizei in den Bundesstaaten. Im Hinblick auf die föderalen Strukturen ist die Polizei dezentral in den einzelnen Bundesstaaten organisiert. Die einzelnen Einheiten haben jedoch angesichts eines nationalen Polizeigesetzes, zahlreicher nationaler Strafrechte und der zentralen Rekrutierungsstelle für Führungskräfte eine Reihe von Gemeinsamkeiten. Allgemein ist die Polizei mit der Strafverfolgung, Verbrechensprävention und -bekämpfung sowie Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung betraut und übt gleichzeitig eine teilweise Kontrolle über die verschiedenen Geheimdienste aus. Innerhalb der Polizei gibt es eine Kriminalpolizei (Criminal Investigation Department – CID), in die wiederum eine Sondereinheit (Special Branch) integriert ist. Während erstere mit nationalen und bundesstaatenübergreifenden Verbrechen betraut ist, hat die Sondereinheit Informationsbeschaffung und Überwachung jeglicher subversiver Elemente und Personen zur Aufgabe. In fast allen Bundesstaaten sind spezielle Polizeieinheiten aufgestellt worden, die sich mit Frauen und Kindern beschäftigen. Kontrolliert wird ein Großteil der Strafverfolgungsbehörden vom Innenministerium (Ministry of Home Affairs) (BICC 6.2016).
Ein Mangel an Vertrauen in die Zuverlässigkeit der Polizei entsteht neben den strukturellen Defiziten auch durch häufige Berichte über Menschenrechtsverletzungen wie Folter, außergerichtliche Tötungen und Drohungen, die mutmaßlich durch die Polizei verübt wurden (BICC 6.2016; vgl. auch: USDOS 13.04.2016). Die Polizei bleibt weiterhin überlastet, unterbezahlt und politischem Druck ausgesetzt, was in einigen Fällen zu Korruption führt. (USDOS 13.04.2016). Versprochene Polizeireformen verzögerten sich 2015 erneut (HRW 27.01.2016).
Die Effektivität der Strafverfolgung und der Sicherheitskräfte ist im gesamten Land sehr unterschiedlich ausgeprägt. Während es einerseits Fälle von Polizisten/Beamten gibt, die auf allen Ebenen ungestraft handeln, so gab es andererseits auch Fälle, in denen Sicherheitsbeamte für ihre illegalen Handlungen zur Verantwortung gezogen wurden (USDOS 13.04.2016).
Das indische Militär ist der zivilen Verwaltung unterstellt und hat in der Vergangenheit wenig Interesse an einer politischen Rolle gezeigt. Der Oberbefehl obliegt dem Präsidenten. Ihrem Selbstverständnis nach ist die Armee zwar die "Beschützerin der Nation", aber nur im militärischen Sinne (BICC 6.2016). Das Militär kann im Inland eingesetzt werden, wenn dies zur Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit notwendig ist (AA 16.08.2016; vgl. auch: BICC 6.2016), wie etwa beim Kampf gegen bewaffnete Aufständische, der Unterstützung der Polizei und der paramilitärischen Einheiten sowie dem Einsatz bei Naturkatastrophen (BICC 6.2016).
Für den Einsatz von Streitkräften – vor allem von Landstreitkräften – in Unruhegebieten und gegen Terroristen wird als Rechtsgrundlage der "Armed Forces Special Powers Act" (AFSPA) herangezogen. Der AFSPA gibt den Streitkräften weitgehende Befugnisse zum Gebrauch tödlicher Gewalt, zu Festnahmen ohne Haftbefehl und Durchsuchungen ohne Durchsuchungsbefehl. Bei ihren Aktionen genießen die Handelnden der Streitkräfte weitgehend Immunität vor Strafverfolgung. Der AFSPA kommt zur Anwendung, nachdem Regierungen der Bundesstaaten ihre Bundesstaaten oder nur Teile davon auf der Basis des "Disturbed Areas Act" zu "Unruhegebieten" erklären. Als Unruhegebiete gelten zurzeit der Bundesstaat Jammu und Kaschmir und die nordöstlichen Bundesstaaten Arunachal Pradesh, Assam, Meghalaya, Manipur, Mizoram und Nagaland (AA 16.08.2016 vgl. USDOS 25.06.2015).
Die unter anderem auch in den von linksextremistischen Gruppen (sog. Naxaliten) betroffenen Bundesstaaten Zentralindiens eingesetzten paramilitärischen Einheiten Indiens unterstehen zu weiten Teilen dem Innenministerium (AA 16.08.2016). Dazu zählen insbesondere die National Security Guard (Nationale Sicherheitspolizei NSG), eine aus Angehörigen des Heeres und der Polizei zusammengestellte Spezialtruppe für Personenschutz, auch als "Black Cat" bekannt, die Rahtriya Rifles, eine Spezialtruppe zum Schutz der Verkehrs- und Nachrichtenverbindungen bei inneren Unruhen und zur Bekämpfung von bewaffneten Rebellionen, die Central Reserve Police Force (CRPF) – die Bundesreservepolizei, eine militärisch ausgerüstete Polizeitruppe für Sondereinsätze –, die Border Security Force (BSF – Bundesgrenzschutz), als größte und am besten ausgestattete Miliz zum Schutz der Grenzen zu Pakistan, Bangladesh und Myanmar. Sie wird aber auch zur Aufrechterhaltung der inneren Ordnung in anderen Landesteilen eingesetzt. Weiters zählen die Assam Rifles – zuständig für Grenzverteidigung im Nordosten –, die Indo-Tibetan Border Force (ITBP) als Indo-Tibetische Grenzpolizei sowie die Küstenwache, die Railway Protective Force zum Schutz der nationalen Eisenbahn und die Central Industrial Security Force, zum Werkschutz der Staatsbetriebe dazu (ÖB 12.2016). Besonders in Unruhegebieten haben die Sicherheitskräfte zur Bekämpfung sezessionistischer und terroristischer Gruppen weitreichende Befugnisse, die oft exzessiv genutzt werden (AA 16.08.2016).
Die Grenzspezialkräfte ("Special Frontier Force)" unterstehen dem Büro des Premierministers. Die sogenannten Grenzspezialkräfte sind eine Eliteeinheit, die an sensiblen Abschnitten der Grenze zu China eingesetzt werden. Auch für das Handeln der Geheimdienste, das sogenannte Aufklärungsbüro ("Intelligence Bureau" – Inlandsgeheimdienst) und den Forschungs- und Analyseflügel ("Research and Analysis Wing" – Auslandsgeheimdienst), bestehen gesetzliche Grundlagen (AA 24.04.2015; vgl. auch USDOS 25.06.2015).
Der "Unlawful Activities (Prevention) Act" (UAPA) wurde verschärft. Die Änderungen beinhalten u.a. eine erweiterte Terrorismusdefinition und in Fällen mit Bezug zu Terrorismus die Möglichkeit zur Ausweitung der Untersuchungshaft ohne Anklage von 90 auf 180 Tage und erleichterte Regeln für den Beweis der Täterschaft eines Angeklagten (die faktisch einer Beweislastumkehr nahekommen) (AA 24.04.2015).
Allgemeine Menschenrechtslage:
Indien hat 1948 die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte unterzeichnet (AA 16.08.2016). Die nationale Gesetzgebung in Menschenrechtsangelegenheiten ist breit angelegt. Alle wichtigen Menschenrechte sind verfassungsrechtlich garantiert (ÖB 12.2016). Die Umsetzung dieser Garantien ist allerdings häufig nicht in vollem Umfang gewährleistet (AA 16.08.2016). Eine Reihe von Sicherheitsgesetzen schränken die rechtsstaatlichen Garantien, z.B. das Recht auf ein faires Verfahren, aber ein. Diese Gesetze wurden nach den Terroranschlägen von Mumbai im November 2008 verschärft; u. a. wurde die Unschuldsvermutung für bestimmte Straftatbestände außer Kraft gesetzt.
Die wichtigsten Menschenrechtsprobleme sind Missbrauch durch Polizei und Sicherheitskräfte einschließlich außergerichtlicher Hinrichtungen, Folter und Vergewaltigung. Korruption bleibt weit verbreitet und trägt zur ineffektiven Verbrechensbekämpfung, insbesondere auch von Verbrechen gegen Frauen, Kinder und Mitglieder registrierter Kasten und Stämme sowie auch gesellschaftlicher Gewalt aufgrund von Geschlechts-, Religions-, Kasten- oder Stammeszugehörigkeit bei (USDOS 13.04.2016).
Die Menschenrechtslage ist in Indien regional sehr unterschiedlich (BICC 6.2016), eine verallgemeinernde Bewertung kaum möglich:
Drastische Grundrechtsverletzungen und Rechtsstaatsdefizite koexistieren mit weitgehenden bürgerlichen Freiheiten, fortschrittlichen Gesetzen und engagierten Initiativen der Zivilgesellschaft. Vor allem die Realität der unteren Gesellschaftsschichten, die die Bevölkerungsmehrheit stellen, ist oftmals von Grundrechtsverletzungen und Benachteiligung geprägt (AA 16.08.2016). Ursache vieler Menschenrechtsverletzungen in Indien bleiben tiefverwurzelte soziale Praktiken wie nicht zuletzt das Kastenwesen (AA 16.08.2016). Frauen, Mitglieder ethnischer und religiöser Minderheiten sowie niedriger Kasten werden systematisch diskriminiert (BICC 6.2016). Während die Bürger- und Menschenrechte von der Regierung größtenteils respektiert werden, ist die Lage in den Regionen dort, wo es interne Konflikte gibt, teilweise sehr schlecht. Dies trifft insbesondere auf Jammu und Kaschmir und den Nordosten des Landes zu. Den Sicherheitskräften, aber auch den nichtstaatlichen bewaffneten Gruppen, seien es separatistische Organisationen oder regierungstreue Milizen, werden massive Menschenrechtsverletzungen angelastet. Dem Militär und den paramilitärischen Einheiten werden Entführungen, Folter, Vergewaltigungen, willkürliche Festnahmen und außergerichtliche Hinrichtungen vorgeworfen. Insbesondere hinsichtlich der Spannungen zwischen Hindus und Moslems, welche im Jahr 2002 zu Tausenden von Todesfällen führten, wird den Sicherheitskräften Parteilichkeit vorgeworfen Die Stimmung wird durch hindunationalistische Parteien angeheizt, welche auch in der Regierung vertreten sind (BICC 6.2016).
Separatistische Rebellen und Terroristen in Jammu und Kaschmir, den nordöstlichen Bundesstaaten und im Maoistengürtel begehen schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen, darunter Morde an Zivilisten, Polizisten, Streitkräften und Regierungsbeamten. Aufständische sind für zahlreiche Fälle von Entführung, Folter, Vergewaltigung, Erpressung und den Einsatz von Kindersoldaten verantwortlich (USDOS 13.04.2016).
Die Behörden verstoßen auch weiterhin gegen die Privatsphäre der Bürger. In manchen Bundesstaaten schränkt das Gesetz die religiöse Konversion ein, und es gibt Berichte von Verhaftungen, aber keine Verurteilungen nach diesem Gesetz. Manche Einschränkungen in Bezug auf die Bewegungsfreiheit dauern an (USDOS 13.04.2016).
Im Oktober 1993 wurde die Nationale Menschenrechtskommission (National Human Rights Commission – NHRC) gegründet. Ihre Satzung beinhaltet den Schutz des Menschenrechtgesetzes aus dem Jahre 1993. Die Kommission verkörpert das Anliegen Indiens für den Schutz der Menschenrechte. Sie ist unabhängig und wurde durch ein Umsetzungsgesetz des Parlaments gegründet. Die NHRC hat die Befugnis eines Zivilgerichtes (NHRC o.D.). Die NHRC empfiehlt, dass das Kriminalermittlungsbüro alle Morde, in denen die angeblichen Verdächtigen während ihrer Anklage, Verhaftung, oder bei ihrem Fluchtversuch getötet wurden, untersucht. Viele Bundesstaaten sind diesem unverbindlichen Rat nicht gefolgt und führten interne Revisionen im Ermessen der Vorgesetzten durch. Die NHRC-Richtlinien weisen die Bundesstaatenregierungen an, alle Fälle von Tod durch Polizeihandlung binnen 48 Stunden an die NHRC zu melden, jedoch hiel