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E000 EU- Recht allgemein;Norm
32013R0604 Dublin-III Art27 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Robl, den Hofrat Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Rossmeisel, den Hofrat Mag. Stickler und die Hofrätin MMag. Ginthör als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Friedwagner, über die Revsion des A Y in B, vertreten durch Mag. Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Mozartstraße 11/6, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 2. Mai 2017, W105 2151834-1/8E, betreffend Zurückweisung eines Antrages auf internationalen Schutz nach dem AsylG 2005 und Anordnung einer Außerlandesbringung nach dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Kameruns, stellte am 24. September 2016 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz.
2 Im verwaltungsbehördlichen Verfahren wurde ein Abgleich der Fingerabdrücke des Revisionswerbers im Eurodac-System durchgeführt. Dem daraufhin automationsunterstützt gelieferten "Eurodac Treffer Ergebnis" ist zu entnehmen, dass die Fingerabdrücke des Revisionswerbers im Eurodac-System mit dem Hinweis verzeichnet waren, dass dieser bereits in Rumänien und in Ungarn erkennungsdienstlich behandelt worden war.
3 Am 4. Oktober 2016 leitete das BFA ein Konsultationsverfahren mit Rumänien ein und ersuchte die zuständige rumänische Asylbehörde um Wiederaufnahme des Revisionswerbers gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. b Dublin III-VO.
4 Mit Schreiben vom 18. Oktober 2016 stimmte die rumänische Behörde der Wiederaufnahme des Revisionswerbers zu und teilte mit, dass der Revisionswerber bereits am 3. März 2016 in Rumänien einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt habe und dieser Antrag noch geprüft werde. Vor dem Hintergrund eines bereits von den ungarischen Behörden erfolgten Wiederaufnahmeersuchens vom 8. September 2016 betreffend den nach Auskunft der ungarischen Behörden flüchtigen Revisionswerber werde für den Fall, dass der Revisionswerber flüchtig sei, die Zustimmung zu dessen Wiederaufnahme bis zum 8. März 2018 erteilt.
5 Mit Verfahrensanordnung vom 21. Oktober 2016 teilte das BFA dem Revisionswerber mit, dass beabsichtigt sei, seinen Antrag auf internationalen Schutz zurückzuweisen, weil eine Zuständigkeit Rumäniens angenommen werde.
6 Mit Bescheid vom 13. März 2017 wies das BFA den Antrag des Revisionswerbers auf internationalen Schutz gemäß § 5 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) als unzulässig zurück und sprach aus, dass für die Prüfung des Antrages gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. b Dublin III-VO Rumänien zuständig sei. Es ordnete gemäß § 61 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) die Außerlandesbringung des Revisionswerbers an und stellte fest, dass gemäß § 61 Abs. 2 FPG dessen Abschiebung nach Rumänien zulässig sei.
7 Der Revisionswerber erhob gegen diesen Bescheid Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht und stellte gleichzeitig den Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.
8 Mit Schreiben vom 12. April 2017 berichtete die Landespolizeidirektion Niederösterreich, Bezirkspolizeikommando Bruck an der Leitha, dem BFA, dass dem Festnahmeauftrag nicht habe entsprochen werden können, weil der Revisionswerber in seiner Unterkunft nicht angetroffen worden sei.
9 Mit Schreiben vom 13. April 2017 informierten die österreichischen Behörden die zuständige rumänische Asylbehörde dahingehend, dass die Überstellung des Revisionswerbers verschoben habe werden müssen, weil der Revisionswerber flüchtig sei. Gleichzeitig wurde um die Verlängerung der Überstellungsfrist auf 18 Monate gemäß Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO ersucht.
10 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde des Revisionswerbers ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß § 5 AsylG 2005 und § 61 FPG als unbegründet ab und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig. Über die Frage der Anerkennung des aufschiebenden Wirkung traf das Verwaltungsgericht keine Entscheidung.
11 Begründend führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, dass Rumänien gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. b Dublin III-VO zur Prüfung des gegenständlichen Antrages auf internationalen Schutz zuständig sei, zumal das Verfahren betreffend den Antrag des Revisionswerbers auf internationalen Schutz vor den rumänischen Behörden noch anhängig sei. Dabei verwies das Bundesverwaltungsgericht auf das Antwortschreiben der rumänischen Behörden vom 18. Oktober 2016, wonach der Antrag des Revisionswerbers auf internationalen Schutz vom 3. März 2016 noch überprüft werde. Das Bundesverwaltungsgericht stellte des Weiteren fest, dass dem Revisionswerber die Möglichkeit eines Folgeantrages offen stünde, sollte das Verfahren in Rumänien zwischenzeitig infolge des "Untertauchens" des Revisionswerbers abgeschlossen worden sein. Es bestehe keine Verpflichtung Österreichs, von dem Selbsteintrittsrecht Gebrauch zu machen, weil keine Gefahr im Sinn eines "real risk" bestehe, dass es in Rumänien zu einer Verletzung der durch die EMRK oder durch die GRC geschützten Rechte des Revisionswerbers komme. Das Asylverfahren in Rumänien weise keine systemischen Mängel auf.
12 In weiterer Folge verhängte das BFA mit Bescheid vom 3. Mai 2017 über den Revisionswerber gemäß Art. 28 Abs. 1 und Abs. 2 Dublin III-VO in Verbindung mit § 76 Abs. 2 Z 2 FPG die Schubhaft.
13 Mit Erkenntnis vom 15. Mai 2017 gab das Bundesverwaltungsgericht der Beschwerde des Revisionswerbers gegen den zuletzt genannten Bescheid statt und erklärte die Anhaltung des Revisionswerbers vom 3. März 2017, 14.52 Uhr, bis zu dessen Freilassung als rechtswidrig. Begründend führte das Verwaltungsgericht u.a. aus, es könne aufgrund des "Dublinaktes und des vorgelegten Schubhaftaktes" nicht festgestellt werden, dass sich der Revisionswerber in Österreich jemals dem Verfahren entzogen habe. Dieser sei Ladungsterminen regelmäßig nachgekommen und es sei nicht hervorgekommen, dass dem Revisionswerber behördliche Schriftstücke nicht hätten zugestellt werden können. Die Schubhaft sei folglich zu Unrecht angeordnet worden. Es bestehe keine Fluchtgefahr und es erweise sich die Schubhaft zudem als unverhältnismäßig.
14 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 2. Mai 2017 erhobene außerordentliche Revision nach Einleitung des Vorverfahrens - eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet - erwogen:
15 Zur Begründung ihrer Zulässigkeit führt die Revision unter anderem aus, das Bundesverwaltungsgericht habe sich in Abweichung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes weder mit dem Umstand, dass im vorliegenden Fall die sechsmonatige Überstellungsfrist im Sinn von Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO bereits während des vor dem Bundesverwaltungsgericht anhängigen Beschwerdeverfahrens abgelaufen sei, noch mit der Frage, ob sich diese Frist auf 18 Monate verlängert habe, auseinandergesetzt.
Die Revision erweist sich als zulässig und begründet.
16 Art. 29 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 (Dublin III-VO)
samt Überschrift lautet auszugsweise:
"Artikel 29
Modalitäten und Fristen
(1) Die Überstellung des Antragstellers oder einer anderen Person im Sinne von Artikel 18 Absatz 1 Buchstabe c oder d aus dem ersuchenden Mitgliedstaat in den zuständigen Mitgliedstaat erfolgt gemäß den innerstaatlichen Rechtsvorschriften des ersuchenden Mitgliedstaats nach Abstimmung der beteiligten Mitgliedstaaten, sobald dies praktisch möglich ist und spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach der Annahme des Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuchs durch einen anderen Mitgliedstaat oder der endgültigen Entscheidung über einen Rechtsbehelf oder eine Überprüfung, wenn diese gemäß Artikel 27 Absatz 3 aufschiebende Wirkung hat.
...
(2) Wird die Überstellung nicht innerhalb der Frist von sechs Monaten durchgeführt, ist der zuständige Mitgliedstaat nicht mehr zur Aufnahme oder Wiederaufnahme der betreffenden Person verpflichtet und die Zuständigkeit geht auf den ersuchenden Mitgliedstaat über. Diese Frist kann höchstens auf ein Jahr verlängert werden, wenn die Überstellung aufgrund der Inhaftierung der betreffenden Person nicht erfolgen konnte, oder höchstens auf achtzehn Monate, wenn die betreffende Person flüchtig ist."
17 Ausgehend von der an sich gegebenen Zuständigkeit Rumäniens zur Prüfung des Antrags des Revisionswerbers auf internationalen Schutz, die das Bundesverwaltungsgericht seiner Entscheidung zugrunde legte und gegen die sich die Revision nicht wendet, ergibt sich für den vorliegenden Fall betreffend den in der Revision geltend gemachten Ablauf der Überstellungsfrist Folgendes:
18 Mit Schreiben vom 18. Oktober 2016 stimmten die rumänischen Behörden dem Wiederaufnahmeersuchen des BFA zu. Die in Art. 29 Abs. 1 und Abs. 2 Dublin III-VO festgelegte sechsmonatige Überstellungsfrist ist daher am 18. April 2017, und somit vor der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses, abgelaufen.
19 Sofern sich diese Frist nicht unter den in Art. 29 Abs. 2 zweiter Satz Dublin III-VO genannten Voraussetzungen verlängert hätte, stünde der auf § 5 Abs. 1 AsylG 2005 gestützten Zurückweisung des Antrags des Revisionswerbers auf internationalen Schutz der Ablauf der sechsmonatigen Überstellungsfrist entgegen. In diesem Fall wäre, wie der EuGH mit Urteil vom 25. Oktober 2017, Majid Shiri, C-201/16, Rn. 34, festgehalten hat, der Revisionswerber berechtigt, sich auf den Ablauf der sechsmonatigen Überstellungsfrist zu berufen und wäre nach Ablauf der Überstellungsfrist die Zuständigkeit zur Prüfung des in Rede stehenden Antrags auf internationalen Schutz auf Österreich übergegangen, ohne dass es erforderlich wäre, dass der zuständige Mitgliedstaat die Verpflichtung zur Aufnahme oder Wiederaufnahme des Revisionswerbers ablehnt.
20 Die Frage, ob im vorliegenden Fall eine Verlängerung der in Art. 29 Abs. 1 und Abs. 2 Dublin III-VO normierten sechsmonatigen Überstellungsfrist eingetreten ist, weil der Revisionswerber flüchtig war, erweist sich vor diesem Hintergrund als entscheidungswesentlich. Auf dem Boden der im angefochtenen Erkenntnis getroffenen Feststellungen kann diese Frage allerdings nicht beurteilen werden.
21 Den Erwägungen des Bundesverwaltungsgerichtes lässt sich nicht entnehmen, dass sich dieses mit der aufgezeigten Fragestellung auseinandergesetzt hätte. Lediglich im Zusammenhang mit dem in Rumänien anhängigen Asylverfahren verweist das Verwaltungsgericht kursorisch darauf, dass der Revisionswerber "untergetaucht" sei. Das angefochtene Erkenntnis enthält trotz des zum Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes bereits eingetretenen Ablaufs der sechsmonatigen Überstellungsfrist keine Ausführungen hinsichtlich einer allfälligen Verlängerung dieser Frist. Es ist nicht ersichtlich, ob und, im bejahenden Fall, aufgrund welcher Überlegungen das Bundesverwaltungsgericht von einer Verlängerung der sechsmonatigen Überstellungsfrist ausging.
22 Im Hinblick auf den Ablauf der in Art. 29 Abs. 1 und Abs. 2 Dublin III-VO genannten sechsmonatigen Frist wäre das Bundesverwaltungsgericht im vorliegenden Fall gehalten gewesen, zu den für die allfällige Verlängerung der Überstellungsfrist maßgeblichen Umständen nachvollziehbare Feststellungen zu treffen, welche anschließend einer entsprechenden rechtlichen Beurteilung zu unterziehen gewesen wären (vgl. im Zusammenhang mit den in Art. 29 Abs. 2 zweiter Satz Dublin III-VO genannten Voraussetzungen beispielsweise VwGH 1.3.2016, Ra 2015/18/0283, Rn. 13).
23 Da das Verwaltungsgericht dies verkannte und sich das angefochtene Erkenntnis aus den dargelegten Erwägungen einer Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof entzieht, war dieses gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
24 Auf die zur behaupteten inhaltlichen Rechtswidrigkeit des angefochtenen Erkenntnisses erstatteten Ausführungen der Revision, wonach Österreich zur Ausübung des Selbsteintrittsrechts im Sinn von Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO verpflichtet gewesen wäre, ist hingegen auch schon deshalb nicht weiter einzugehen, weil sich die Revision mit diesem Vorbringen, von dem dem angefochtenen Erkenntnis zugrunde gelegten Sachverhalt entfernt (§ 41 Abs. 1 VwGG).
25 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 13. Dezember 2017
Gerichtsentscheidung
EuGH 62016CJ0201 Shiri VORABSchlagworte
Rechtsgrundsätze Fristen VwRallg6/5Gemeinschaftsrecht Verordnung EURallg5European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2017:RA2017190187.L00.1Im RIS seit
16.01.2018Zuletzt aktualisiert am
26.01.2018