TE Bvwg Erkenntnis 2017/12/29 W211 2111116-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 29.12.2017
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Entscheidungsdatum

29.12.2017

Norm

AsylG 2005 §2 Abs1 Z13
AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W211 2111116-1/29E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag.a SIMMA als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , StA. Somalia, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides

wird als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die beschwerdeführende Partei, eine weibliche Staatsangehörige Somalias, stellte am XXXX .2013 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

2. Bei ihrer Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am XXXX 2013 gab die beschwerdeführende Partei an, in Afgooye geboren worden zu sein und der Volksgruppe der Ashraf anzugehören. Ihr Vater sei 2008 verstorben; in Somalia würden noch ihre Mutter, neun Geschwister und ihr Stiefvater leben. Eine Schwester lebe in Europa. Als Fluchtgrund gab die beschwerdeführende Partei an, dass ihre Familie wegen des Kriegs 2008 von Afgooye nach Qoryooley gegangen sei. Ihr Vater sei verstorben, und habe ihr Onkel väterlicherseits die Mutter geheiratet. Er sei Mitglied der Al Shabaab und habe die beschwerdeführende Partei an einen Mann verheiraten wollen. Im Falle einer Rückkehr fürchte sie, von ihrem Onkel getötet zu werden. Ihre Mutter habe das Geld für die Reise heimlich vom Onkel genommen.

3. Bei der Einvernahme durch die belangte Behörde am XXXX .2014 gab die beschwerdeführende Partei im Wesentlichen an, Medikamente wegen Zahnfleischblutens zu nehmen. Sie sei in Somalia zu Hause unterrichtet worden. Ihr Onkel habe der Familie erzählt, dass ihr Vater von den Husbul-Islam getötet worden sei. Ihre Familie sei zur Zeit in Qoryooley. Zwei Tanten würden in Mogadischu leben und eine Großmutter in Afgooye. Das Geld für die Flucht habe ihre Mutter vom Onkel gestohlen. Nach dem Fluchtgrund befragt gab die beschwerdeführende Partei zusammengefasst an, dass die Familie nach einem Anschlag in Afgooye nach Qoryooley gegangen sei. Ihre Mutter habe da zu arbeiten begonnen. Der Onkel sei dann zu ihnen gekommen und habe erzählt, dass der Vater umgekommen sei. Der Onkel habe die Mutter heiraten wollen und ihr andernfalls mit der Wegnahme der Kinder gedroht. Der Onkel sei ein schlimmer Mensch gewesen und habe die Familie geschlagen. Der Onkel habe die beschwerdeführende Partei an einen älteren Mann verheiraten wollen. Jener Mann sei ein Freund des Onkels gewesen. Die beschwerdeführende Partei habe ihn einmal gesehen, aber nie mit ihm geredet. Ihr Stiefvater habe nach ihrer Weigerung die Mutter und sie selbst geschlagen. Ihr Onkel gehöre zur Al Shabaab.

4. Nach einem medizinischen Gutachten zur Unterscheidung von Minder- und Volljährigkeit vom XXXX .2014 hatte die beschwerdeführende Partei zum Untersuchungszeitpunkt ein Mindestalter von 15,6 Jahren.

Honorarnoten einer Psychotherapeutin führen aus, dass die beschwerdeführende Partei am XXXX 2014, am XXXX .2014 und am XXXX 2014 Sitzungen einer Psychotherapie besuchte.

Aus einem jugendpsychiatrischen Sachverständigengutachten einer Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie vom XXXX .2014 geht nach einer Untersuchung am XXXX .2014 unter Teilnahme einer Dolmetscherin hervor, dass die beschwerdeführende Partei an einer psychoreaktiven Störung mit Krankheitswert leide. Sie leide an einer ängstlich-depressiven Anpassungsstörung, wobei anzunehmen sei, dass die Erlebnisse in der Heimat bereits im Heimatland zu einer relevanten – fraglich krankheitswertigen – psychischen Beeinträchtigung geführt hätten. Die minderjährige beschwerdeführende Partei benötige derzeit eine psychiatrische, medikamentöse und psychotherapeutische Behandlung.

Zu diesem Gutachten wurde am XXXX .2014 eine Stellungnahme der gesetzlichen Vertreterin der beschwerdeführenden Partei eingebracht. Mit Schreiben vom XXXX .2015 wurde außerdem ein ärztlicher Befundbericht mit der Diagnose "St post Genitalverstümmelung (Infibulation)" vorgelegt.

5. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Antrag der beschwerdeführenden Partei bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.), ihr gemäß § 8 Abs. 1 AsylG der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ihr eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG erteilt (Spruchpunkt III.).

6. Gegen Spruchpunkt I. des Bescheides wurde rechtzeitig Beschwerde eingebracht.

7. Mit Schreiben vom XXXX 2016 wurden die beschwerdeführende Partei, ihre Vertretung und das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zu einer mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am XXXX .2016 geladen. Am XXXX 2016 langte bereits eine Stellungnahme zu den mit der Ladung mitversendeten Länderberichten ein, in der Teile der Beschwerde wiederholt und insbesondere zur Situation von Frauen, von Minderheiten, von Ashraf und betreffend die Al Shabaab teilweise ergänzende Informationen eingebracht wurden. Am XXXX .2016 führte das Bundesverwaltungsgericht in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die somalische Sprache und in Anwesenheit der beschwerdeführenden Partei und ihrer Vertretung eine mündliche Verhandlung durch, bei der die beschwerdeführende Partei soweit wesentlich angab, zur Zeit in keiner psychologischen oder psychiatrischen Behandlung zu stehen. Sie glaube, sie habe 2014 ca. sechs Monate lang eine Therapie gemacht. Ihre Mutter und ihre Geschwister würden seit kurzem in Wajid leben, nachdem sie nach dem Tod der Großmutter aus Äthiopien zurückgekehrt seien. Es gebe noch Tanten väterlicherseits in Mogadischu, zu welchen sie keinen Kontakt habe. In Qoryooley habe sie keine Verwandten mehr. Sie gehöre dem Clan der Ashraf, Subclan

XXXX an. Danach erstattete die beschwerdeführende Partei ein detailliertes Vorbringen betreffend einen Stiefvater und eine drohende Zwangsverheiratung. Darauf angesprochen, dass sie vieles aus diesem Vorbringen vor der belangten Behörde nicht erwähnt habe, meinte die beschwerdeführende Partei, sich heute, nach den Therapien, besser erinnern zu können. Sie wisse nicht genau, wann sich ihre Mutter von ihrem Onkel getrennt habe. Dieser sei Sprecher bei Al Shabaab gewesen; genaueres wisse sie nicht. Sie wisse auch nicht, ob ihr Onkel noch in Qoryooley sei. Nach ihrer größten Sorge im Falle einer Rückkehr befragt meinte die beschwerdeführende Partei, dass es in Qoryooley keine Sicherheit gebe; sie habe dort keine Familie mehr und könne dort nichts lernen. Auf Nachfrage, ob sie sich vor Al Shabaab auch fürchten würde, meinte sie, ja, denn sie sei mit dem Geld der Al Shabaab ausgereist.

8. Mit Erkenntnis vom XXXX 2016 wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des Bescheids vom XXXX .2015 als unbegründet ab.

9. Die beschwerdeführende Partei erhob gegen dieses Erkenntnis Beschwerde gemäß Art. 144 B-VG an den Verfassungsgerichtshof.

Mit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 09.06.2017, E 2687/2016-13, wurde das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 07.09.2016 aufgehoben. Begründend wurde insbesondere angeführt wie folgt: Das Bundesverwaltungsgericht habe sich – wie das BFA – in keiner Weise mit der aktenkundigen Genitalverstümmelung der beschwerdeführenden Partei auseinandergesetzt, obgleich sich die Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht gegen das entsprechende Vorbringen des BFA und den folgenlosen Verweis auf den einschlägigen Befund im Bescheid des BFA gewendet habe. Weiter heißt es im Wortlaut:

"2.3. Es gibt Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, derzufolge eine drohende Reinfibulation in Somalia nach dortigen Geburten als ein berücksichtigungswürdiger Umstand in einer Gesamtbetrachtung der individuellen Situation einer Asylsuchenden anerkannt wird, wenn das Bundesverwaltungsgericht auch betont, dass es sich dabei um eine Zusatzbegründung für eine Asylzuerkennung handelt (vgl. zB BVwG 27.6.2016, W211 1428843-1/23E; 19.8.2016, W211 1434000-2/22E ua.; 26.8.2016, W211 2116722-1/10E – jeweils mit Verweis auf die Rechtsprechung des Schweizer Bundesverwaltungsgerichts 6.8.2014, E-1425/2014). In dieser Rechtsprechung wird auch angemerkt, dass Reinfibulationen in Somalia insbesondere für alleinstehende Frauen asylrelevant sein können auf Grund der Notwendigkeit der Beschneidung, um in Somalia einen Ehemann finden zu können (siehe BVwG 27.6.2016, W211 1428843-1/23E).

Nach Einschätzung von UNHCR (vgl. die – auch in der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht abgedruckten Passagen der – Guidance Note on Refugee Claims relating to Female Genital Mutilation, Mai 2009, S. 8 f.) kann auch eine bereits vorgenommene weibliche Genitalverstümmelung eine asylrelevante Verfolgung begründen, sei es wegen schweren, oft lebenslang schädigenden Konsequenzen physischer und psychischer Art des ursprünglichen Eingriffs oder der Gefahr einer Vornahme weiterer Genitalverstümmelungen (anderer Form), etwa anlässlich einer Eheschließung oder Geburt eines Kindes (so auch End FGM European Network, FGM in EU Asylum Directives on Qualification, Procedures and Reception Conditions, End FGM Network Guidelines for Civil Society, März 2016, S. 9).

2.4. Dass das Bundesverwaltungsgericht auf die aktenkundige (schwere Form der) Genitalverstümmelung der Beschwerdeführerin nicht eingeht, kann daher nicht damit gerechtfertigt werden, dass eine bereits vorgenommene Genitalverstümmelung (zur Ermittlungs- und Auseinandersetzungspflicht hinsichtlich einer drohenden Genitalverstümmelung vgl. zB VfSlg. 18.590/2008, 19.273/2010 und – betreffend Somalia – zur von den Umständen des Einzelfalles abhängigen Asylrelevanz zB VwGH 24.6.2010, 2007/01/1199; 27.6.2016, Ra 2016/18/0045) keinesfalls bzw. in der individuellen Situation der Beschwerdeführerin von vornherein nicht asylrechtlich relevant wäre.

Eine nähere Auseinandersetzung mit der Genitalverstümmelung der Beschwerdeführerin und deren Konsequenzen wäre auch deshalb geboten gewesen, als sowohl der Akteninhalt als auch die Beschwerde darauf schließen lassen, dass es der Beschwerdeführerin aus Gründen der Scham schwer fällt, über dieses sensible, tabubehaftete Thema zu sprechen (vgl. auch die Dokumente End FGM Network Guidelines for Civil Society, S. 8 f., wonach gerade hinsichtlich Genitalverstümmelung ein Bedarf nach einer aktiven Kooperation zwischen mitgliedstaatlichen Behörden und Antragstellerinnen besteht und UNHCR, Too Much Pain, Female Genital Mutilation & Asylum in the European Union, A Statistical Overview, Februar 2013, S. 32 und 34, wonach eine erhöhte Sensibilität und Bewusstseinsschaffung in Fällen von Frauen, die eine Genitalverstümmelung erlitten haben, geboten sein kann).

2.5. Indem das Bundesverwaltungsgericht hinsichtlich der Genitalverstümmelung jede nähere Auseinandersetzung mit dem durch einen medizinischen Befund substantiierten Parteivorbringen und der Aktenlage vermissen lässt, hat es in einem möglicherweise entscheidenden Punkt jegliche Ermittlungstätigkeit unterlassen."

10. Am XXXX .2017 führte das Bundesverwaltungsgericht eine neuerliche mündliche Verhandlung durch. In der Verhandlung wurden außerdem aktuelle Länderinformationen zur Situation in Qoryooley übergeben.

11. Am XXXX .2017 langte eine schriftliche Stellungnahme der Vertretung der beschwerdeführenden Partei ein, in der insbesondere dargelegt wurde, dass diese im Falle einer Rückkehr nach Somalia heiraten müsse, in Somalia der Gefahr einer Defibulation und einer Reinfibulation im Zuge der Heirat bzw. von eventuellen Geburten ausgesetzt wäre und ein hohes Gesundheitsrisiko während einer Schwangerschaft oder einer Geburt bestehen würde. Die Rechtsprechung betreffend Frauen und Mädchen, die noch keiner Beschneidung unterzogen worden seien, sei auch auf Frauen wie die beschwerdeführende Partei anzuwenden, die zwar schon einer Infibulation unterzogen worden seien, denen aber in Somalia eine De- und dann eine Reinfibulation drohen könnte.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur beschwerdeführenden Partei:

1.1.1. Die beschwerdeführende Partei ist eine weibliche Staatsangehörige Somalias, die am XXXX .2013 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich stellte.

1.1.2. Die beschwerdeführende Partei wurde in Afgooye geboren und lebte dort bis ins Jahr 2008, bevor sie mit ihrer Mutter und ihren Geschwistern nach Qoryooley gezogen ist. Ihre Großmutter verblieb noch zumindest bis zur Ausreise der beschwerdeführenden Partei in Afgooye. Ihre Mutter und ihre Geschwister leben nunmehr in Äthiopien.

Nicht festgestellt werden kann, dass die beschwerdeführende Partei in Qoryooley über keine Bekannten, Clanverwandten oder Nachbarn mehr verfügt.

1.1.3. Die Clanzugehörigkeit der beschwerdeführenden Partei kann nicht festgestellt werden.

1.1.4. Bei der beschwerdeführenden Partei wurden im Jahr 2014 eine ängstlich-depressiven Anpassungsstörung diagnostiziert; sie besuchte im Frühjahr 2014 zumindest drei psychotherapeutische Sitzungen. Sie ist seitdem und zur Zeit in keiner medizinischen, psychologischen, psychiatrischen oder psychotherapeutischen Behandlung.

1.2.

1.2.1. Es wird nicht festgestellt, dass der Stiefvater der beschwerdeführenden Partei diese an einen (älteren) Mann zwangsverheiraten wollte. Es wird nicht festgestellt, dass der Stiefvater der beschwerdeführenden Partei ein Al Shabaab Mitglied war oder ist. Es wird nicht festgestellt, dass die beschwerdeführende Partei mit gestohlenem Geld der Al Shabaab aus Somalia ausreiste. Festgestellt wird, dass die beschwerdeführende Partei angab, über den Verbleib ihres Stiefvaters nicht Bescheid zu wissen.

In Qoryooley befindet sich ein Stützpunkt der AMISOM.

Eine Gefährdung der beschwerdeführenden Partei im Falle einer Rückkehr nach Qoryooley durch ihren Stiefvater als Person, die sie zwangsverheiraten wollte, der durch ihre Flucht Geld gestohlen wurde und/oder die Al Shabaab Mitglied ist, wird nicht festgestellt. Eine allgemeine Gefährdung der beschwerdeführenden Partei durch Al Shabaab in Qoryooley wird ebenfalls nicht festgestellt.

1.2.2. Die beschwerdeführende Partei wurde als Fünf- oder Sechsjährige in Somalia infibuliert, also einer weiblichen Genitalbeschneidung des Typ 3 nach der WHO Klassifizierung unterzogen. Sie hat Beschwerden bei ihrer Periode und bekommt dagegen Schmerzmittel verschrieben. Sie wurde über die Möglichkeit einer Defibulation informiert, hat sich aber bis jetzt nicht dazu entschlossen, eine solche vornehmen zu lassen, auch deshalb, weil die beschwerdeführende Partei Sorge hat, im Falle einer Heirat mit einem Somali beschimpft zu werden.

Eine konkrete und aktuelle Gefährdung der beschwerdeführenden Partei im Falle einer Rückkehr nach Somalia in Zusammenhang mit ihrer bereits erfolgten Genitalbeschneidung, so zB in Bezug auf eine drohende Reinfibulation oder auf entsprechende psychologische Folgen, kann nicht festgestellt werden.

1.3. Relevante Länderfeststellungen zu Somalia:

1.3.1. Zur Lage in Qoryooley – Auszüge entnommen dem Fact Finding Mission Report Somalia, Sicherheitslage in Somalia, Bericht zur österreichisch-schweizerischen FFM, August 2017, Staatendokumentation, BFA, Kapitel 4.1., S 22ff und Kapitel 6.3.1., S 67ff :

Lagekarte – Areas of Influence

Die folgende Lagekarte wurde unter Heranziehen von Informationen unterschiedlicher Quellen der FFM Somalia 2017, nicht-öffentlicher Quellen und unter Einbezug eines militärstrategischen Experten erstellt. Alle verwendeten Quellen finden sich auch im Quellenverzeichnis dieses Berichtes wieder. Die Punkte 0 und 0 sind zu berücksichtigen. [NB BVwG: Ausschnitt: Süd- und Zentralsomalia!]

Bild kann nicht dargestellt werden

Erklärung zur Legende

Eine vollständige und inhaltlich umfassende Darstellung kann nicht gewährleistet werden; die Gebietsgrenzen sind relativ, jedoch annähernd (z.B. Problematik der unterschiedlichen Einflusslage bei Tag und Nacht; der Fluktuation entlang relevanter Nachschubwege).

Um die Karten übersichtlich zu gestalten, wurde eine Kategorisierung der auf somalischem Boden operierenden (Konflikt-)Parteien vorgenommen:

a) Alle auf irgendeine Art und Weise mit der somalischen Regierung verbundenen und gleichzeitig gegen al Shabaab gestellten Kräfte wurden als "anti-al-Shabaab Forces" zusammengefasst. Diese Kategorie umfasst neben Bundeskräften (SNA) auch Kräfte der Bundesstaaten (etwa Jubaland, Galmudug, Puntland) sowie AMISOM und bi-lateral eingesetzte Truppen (und damit de facto auch die Liyu Police).

b) Die ASWJ wurde nicht in diese Kategorie aufgenommen, da sie zwar gegen al Shabaab kämpft, die Verbindung zur Bundesregierung aber momentan unklar ist.

c) Einige Clans verfügen über relative Eigenständigkeit, die auch mit Milizen abgesichert ist. Dies betrifft in erster Linie die Warsangeli (Sanaag), Teile der Dulbahante (Sool) und die Macawusleey genannte Miliz in Hiiraan. Keine dieser Milizen ist mit Somaliland, einem somalischen Bundesstaat, mit der somalischen Bundesregierung oder al Shabaab verbunden; sie agieren eigenständig, verfügen aber nur über eingeschränkte Ressourcen.

Operational Areas

d) Operationsgebiete, in welchen die markierten Parteien über relevanten Einfluss verfügen (einfarbig): Dort können die Parteien auf maßgebliche Mittel (Bewaffnung, Truppenstärke, Finanzierung, Struktur, Administration u.a.) zurückgreifen, um auch längerfristig Einfluss zu gewährleisten. Es sind dies die Republik Somaliland;

Puntland; teilweise auch Galmudug; AMISOM in Tandem mit der somalischen Regierung bzw. mit Bundesstaaten; äthiopische Kräfte im Grenzbereich; al Shabaab; Ahlu Sunna Wal Jama’a in Zentralsomalia;

e) Einige Gebiete (schraffiert) – vorwiegend in Süd-/Zentralsomalia – unterliegen dabei dem Einfluss von zwei dermaßen relevanten Parteien.

f) Alle in der Karte eingetragenen Städte und Orte wurden einer der o. g. Parteien zugeordnet. Sie gelten als nicht schraffiert, die Kommentare unter 0 sind zu berücksichtigen. Soweit bekannt wurden den Städten AMISOM-Stützpunkte oder Garnisonen bi-lateral eingesetzter Truppen zugeordnet. In den Städten ohne eine derartige Präsenz gibt es eine SNA-Präsenz, oder aber Sicherheitskräfte der einzelnen Bundesstaaten; oder Somalilands.

g) Operationsgebiete, in welchen kleinere Parteien über eingeschränkten Einfluss verfügen (strichliert): Dort sind neben den o. g. relevanten Parteien noch weitere Parteien mit eingeschränkter Ressourcenlage aktiv. Ihr Einfluss in diesen Operationsgebieten ist von wechselnder Relevanz und hängt von den jeweiligen verfügbaren Ressourcen und deren Einsatz ab.

Kommentare zum Inhalt

[ ]

A) Die Reichweite der jeweiligen Garnison ist unterschiedlich und

kann im Einzelnen nicht bewertet werden. Der effektive Einfluss von AMISOM und den somalischen Verbündeten bleibt jedoch in vielen Fällen auf das jeweilige Stadtgebiet konzentriert, auch wenn es teils zu weiteren Exkursionen kommt.

B) Die al Shabaab beherrscht weite Teile des ländlichen Raumes und

isoliert durch Guerilla-Aktivitäten mehrere Städte, die teils als Inseln im Gebiet der al Shabaab aufscheinen.

C) Infiltration der Städte mittels größerer Kampfverbände der al

Shabaab kommt in seltenen Fällen vor. I.d.R. wird die Penetration innert Stunden durch AMISOM und somalische Verbündete beendet (Beispiele der Vergangenheit waren Afgooye und Qoryooley)

D) Infiltration der Städte durch verdeckte Akteure der al Shabaab

kommt in manchen Städten vor. In manchen Teilen Mogadischus kommt es je nach Tageszeit zu unterschiedlich starkem Einfluss .

E) An der äthiopischen Grenze operiert die Liyu Police, oftmals in Kooperation mit lokalen Milizen.

Lower Shabelle

Das Dreieck Afgooye-Mogadischu-Merka bildet das einsatztechnische Schwergewicht der al Shabaab.1 Dieses Gebiet wird als "the most violent area in all of Somalia" bezeichnet.2 Dabei kommt es in und um Afgooye zu den meisten Anschlägen und Angriffen. Das Hügelland westlich von Afgooye stellt dabei einen perfekten Rückzugsraum dar. Al Shabaab verbirgt sich westlich und nordwestlich von Afgooye sowie nördlich von Qoryooley und führt von dort Angriffe nach Süden und Osten.3

Lower Shabelle ist hinsichtlich der Clan-Konstellation, der Ressourcenlage und der Beziehungen zur Bundesregierung und zum SWS reichlich kompliziert.4 So verschwimmt auch die Grenze von Clan-Milizen und SNA zusehends. Eine Quelle formuliert es folgendermaßen: "The guys with the guns don’t follow orders, neither from Mogadishu nor from the Ministry of Defence."5 Die drei maßgeblichen Akteure im Dreieck werden mit AMISOM, Milizen und al Shabaab angegeben – die SNA findet hier keine Erwähnung.6

Gleichzeitig gibt es in diesem Gebiet auch Clan-Konflikte, v.a. zwischen Habr Gedir, Biyomaal und Rahanweyn. Die Fruchtbarkeit der Gegend ist ein Mitgrund für die Dichte an Gewalttätigkeiten. Es kommt häufig zum Streit über Ressourcen; und viele Clans sind involviert.7

Die al Shabaab versucht, die Komplexität der unterschiedlichen Konflikte in Lower Shabelle auszunutzen.8 Auch AMISOM ist in die Clan-Konflikte involviert: "AMISOM sometimes supported Habr Gedir, sometimes Biyomaal – always the contrary of what AS supports."9

Die al Shabaab ist bereits mehrfach in Afgooye eingedrungen und hat die SNA dort auch regelmäßig zurückgeworfen. Genauso regelmäßig ist die al Shabaab aus Afgooye auch wieder abgezogen. Offenbar will die Gruppe der SNA zwar einerseits ständig vor Augen führen, dass sie in der Lage ist, ihre Stützpunkte zu überrennen. Andererseits ist die al Shabaab nicht gewillt, den Kampf mit AMISOM aufzunehmen. Letztere verfügt über eine wichtigen Stützpunkt der UPDF in Afgooye, der ständig mit 250-800 Mann besetzt ist. Im Grunde handelt es sich bei den Aktionen gegen Afgooye um größer angelegte hit-and-run-Angriffe – in diesem Fall mit bis zu 300 Mann geführt und auf mehrere Stunden angelegt.10 Generell hat die al Shabaab ihre Präsenz in Afgooye – Stadt und Bezirk – verstärkt. Neben den Angriffen auf die Stadt macht sich die Gruppe auch mit Anrufen und SMS bemerkbar. Personen werden aufgefordert, die al Shabaab an Treffpunkten außerhalb der Stadt aufzusuchen und dort ihre Steuern zu entrichten.11

Die Lage von Merka ist reichlich verworren und Änderungen unterworfen. Einerseits befindet sich in der unmittelbaren Peripherie von Merka ein Stützpunkt der AMISOM.12 Die dort stationierten ugandischen Truppen unternehmen auch sporadische Patrouillen in die Stadt.13 In Merka gibt es eine funktionierende Verwaltung und einen vom SWS eingesetzten District Commissioner, der sich auch regelmäßig in der Stadt aufhält. Die Stadtverwaltung betreibt eine Stadtpolizei und eine Polizeistation. Kräfte der SNA befinden sich hingegen keine in der Stadt.14 Bereits in den Jahren 2014 und 2015 gab es dort eine Präsenz der al Shabaab. Nunmehr kontrollieren weder al Shabaab noch die AMISOM die Stadt. Zwar gibt es immer wieder Meldungen, wonach al Shabaab oder AMISOM die Stadt eingenommen hätten, jedoch kann eine tatsächliche Kontrolle nicht bestätigt werden. Keine Kraft konnte sich in Merka konsolidieren.15 Laut einer Quelle kann die al Shabaab in Merka auch untertags aktiv werden.16 Die Islamisten verfügen in Merka aber über keine permanente Präsenz.17 Eine andere Quelle bezeichnet Merka als "loosely under control of al Shabaab." Das heißt, dass al Shabaab die lokale Administration nicht steuert, sondern dass lokale Milizen – mehr oder weniger – mit al Shabaab koexistieren und es z.B. zulassen, das AS in Merka die Justiz betreibt. Gemäß einer Quelle ist al Shabaab nicht in der Lage, in Merka Steuern einzuheben.18

Eine andere Quelle erklärt, dass al Shabaab in Stadt und Bezirk Merka sehr wohl den Zakat einhebt, dies aber nicht flächendeckend erfolgt und ganze Teile ausgelassen werden – etwa der Biyomaal-Teil der Stadt.19 Insgesamt wird die Stadt also vor allem von lokalen Milizen kontrolliert – namentlich der Biyomaal und der Habr Gedir. Die gleiche Quelle hat in einer späteren Kommunikation angegeben, dass von einer Kooperation zwischen Biyomaal und der al Shabaab keine Rede mehr sein kann.20 Eine weitere Quelle bestätigt, dass es nunmehr in Merka immer wieder zu Schießereien zwischen al Shabaab und Biyomaal kommt.21 Teile der ehemals Biyomaal Resistance Movement genannten, nunmehr unter dem Namen Lower Shabelle People’s Guard (LSPG) aktiven Biyomaal-Miliz sind in Merka über alliierte Milizen aktiv. Die permanenten Kräfte der LSPG konzentrieren sich im Bereich K50 und K60 in Anlehnung an die dort vorhandenen Stützpunkte der AMISOM; letztere versorgt die Miliz. Die Biyomaal scheinen dabei unabhängig vom SWS vorzugehen, sie kooperiert aber mit dem ugandischen AMISOM-Kontingent und ist im Gebiet von Afgooye bis Merka aktiv. Außerdem agiert sie als Schutz für die Flüchtlingslager bei K50, wo sich viele der von der al Shabaab vertriebenen Biyomaal aufhalten. Die al Shabaab hat v.a. im zweiten Quartal 2017 damit begonnen, Biyomaal aus den Dörfern des Gebietes zwischen Merka und Afgooye zu vertreiben. Ganze Biyomaal-Dörfer wurden geräumt. Eine Folge dieser Entwicklungen ist es, dass keine Meldungen mehr über Zusammenstöße zwischen Biyomaal und SNA eingehen.22 Auseinandersetzungen zwischen Biyomaal und Habr Gedir-Milizen kommen weiterhin vor, zuletzt im Juni 2017.23

Aus der Stadt Baraawe kommen seit Monaten keine Meldungen mehr über relevante Gefechte. Die Stadt scheint ruhig zu sein, es gibt einen Stützpunkt der AMISOM (UPDF, inkl. vorgeschobener Posten: ein Bataillon bzw. ca. 850 Mann).24

In der Vergangenheit haben die Biyomaal die al Shabaab unterstützt. Dabei handelte es sich um eine Zweckgemeinschaft, um dem Druck durch die Habr Gedir entgegentreten zu können. Die Beziehungen sind nunmehr abgekühlt. Teile der Biyomaal haben sich gegen die al Shabaab gewendet, die AS wiederum ging in den vergangenen Monaten hart gegen die Biyomaal vor. Die Habr Gedir wiederum stehen der SNA nicht mehr so nahe, wie zuvor; dafür haben sich die Biyomaal der Armee angenähert. "The situation is an unstable equilibrium."25

Die Straßenverbindung von Baidoa nach Mogadischu ist – sowohl in den Städten entlang der Route als auch außerhalb – anfällig: "There are a lot of different ‚not so legal‘ activities happening. People are rent-seeking on roads and crossing points." Dabei kann oft nicht gesagt werden, welche Akteure hier aktiv sind. Neben al Shabaab beteiligen sich auch andere Gruppen – etwa die SNA.26 Die Achse Shalambood – Qoryooley bildet hinsichtlich einer besseren Absicherung der Hauptstraße von Mogadischu in Richtung Baraawe das Limit für AMISOM. Weiter südlich hat al Shabaab einen besseren Zugriff auf diese Route.27

Stützpunkte und Stellungen der ugandischen AMISOM-Kräfte befinden sich an zahlreichen Orten und Städten entlang der Hauptrouten bzw. gibt es Sicherungspunkte für relevantere Stützpunkte.28

Das Stadtgebiet von Merka wurde im Juli 2015 geräumt; im November 2015 wurden folgende Stellungen geräumt: Aw Dheegle, Bariire, Tortoorow, Janaale, Buufow Bacaad (von SNA übernommen), Ceel Silini, Ceel Haji, Kurtunwaarey. Die Stellung in Wareer Maleh wurde im Jänner 2016 aufgegeben.29

Am Stützpunkt Bali Doogle sind größere Kräfte der SNA stationiert, darunter die Spezialeinheit Danaab. Außerdem befindet sich dort ein Ausbildungsstützpunkt der USA (ca. 100 Mann) sowie eine US-Drohneneinsatzbasis und US-Special Forces sowie Angehörige des CIA). Für Einsätze der Danaab werden vor allem von See kommende US-Hubschrauber genutzt.30

Folgende Orte werden von einem militärstrategischen Experten als systemrelevant genannt:31

* K50 (Pufferstellung für Mogadischu; ein Bataillon)

* Afgooye (Pufferstellung für Mogadischu; ein Bataillon)

* Bali Doogle

1.3.2. Zur Situation der Frauen

Bereits im Erkenntnis des BVwG vom 07.09.2016 wurden die folgenden Länderfeststellungen zur Situation der Frauen getroffen: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Staatendokumentation, Länderinformationsblatt Somalia, 25.04.2016, Auszüge. In der Zwischenzeit fanden Ergänzungen und Aktualisierungen des Länderinformationsblattes zu Somalia statt, die zB am 20.09.2016, am 19.01.2017 und am 27.06.2017 die Dürre in Somalia und am 13.02.20167 den Ausgang der Präsidentschaftswahl betroffen haben. Die Informationen zur Situation der Frauen waren jedoch von Aktualisierungen in der Zwischenzeit nicht betroffen:

Die aktuelle Verfassung betont in besonderer Weise die Rolle und die Menschenrechte von Frauen und Mädchen und die Verantwortung des Staates in dieser Hinsicht. Tatsächlich ist deren Lage jedoch weiterhin besonders prekär. Frauen und Mädchen bleiben den besonderen Gefahren der Vergewaltigung, Verschleppung und der systematischen sexuellen Versklavung ausgesetzt. Wirksamer Schutz gegen solche Übergriffe, insbesondere in den Lagern der Binnenvertriebenen, ist mangels staatlicher Autorität bisher nicht gewährleistet (AA 1.12.2015).

Die somalische Regierung hat mit Unterstützung der EU-Delegation für Somalia einen Aktionsplan zur Bekämpfung der sexuellen Übergriffe verabschiedet, die Implementierung geschieht jedoch sehr langsam (ÖB 10.2015).

Auch wenn Gewalt gegen Frauen in der Verfassung verboten ist (USDOS 13.4.2016), bleibt häusliche Gewalt gegen Frauen ein großes Problem (USDOS 13.4.2016; vgl. AA 1.12.2015).

Gewalt gegen Frauen – insbesondere sexuelle Gewalt – ist laut Berichten der UNO und internationaler NGOs in der gesamten Region weit verbreitet (ÖB 10.2015; vgl. UNHRC 28.10.2015). Besonders betroffen sind davon IDPs in Flüchtlingslagern, insbesondere in Mogadischu (ÖB 10.2015; vgl. UNHRC 28.10.2015; USDOS 13.4.2016). Auch Frauen und Mädchen von Minderheiten sind häufig unter den Opfern von Vergewaltigungen. Dabei gibt es aufgrund der mit einer Vergewaltigung verbundenen Stigmatisierung der Opfer eine hohe Dunkelziffer (UNHRC 28.10.2015; vgl. UKHO 3.2.2015; USDOS 13.4.2016). Die Täter sind bewaffnete Männer, darunter auch Regierungssoldaten, Milizionäre (HRW 27.1.2016; vgl. UNHRC 28.10.2015; USDOS 13.4.2016), Polizisten und Mitglieder der al Shabaab (UNHRC 28.10.2015).

Es gibt Berichte, die nahelegen, dass sexualisierte Gewalt von der al Shabaab gezielt als Taktik im bewaffneten Konflikt eingesetzt wird (AA 1.12.2015).

Vergewaltigung ist zwar gesetzlich verboten (AA 1.12.2015; vgl. ÖB 10.2015), die Strafandrohung beträgt 5-15 Jahre, vor Militärgerichten auch den Tod (USDOS 13.4.2016). Hinsichtlich geschlechtsspezifischer Gewalt herrscht aber weitgehend Straflosigkeit. Strafverfolgung oder Verurteilungen wegen Vergewaltigung oder anderer Formen sexueller Gewalt sind in Somalia rar (UKHO 3.2.2015; vgl. AA 1.12.2015; ÖB 10.2015; USDOS 13.4.2016). Bei der Strafjustiz herrscht Unfähigkeit (UNHRC 28.10.2015). Manchmal verlangt die Polizei von den Opfern, die Untersuchungen selbst zu tätigen (Suche nach Zeugen, Lokalisierung von Schuldigen) (USDOS 13.4.2016; vgl. UKHO 3.2.2015).

Andererseits hat die Militärjustiz bereits einige Soldaten der Armee wegen Vergewaltigungen zu langen Haftstrafen oder zum Tode verurteilt (UNHRC 28.10.2015). Meist werden Vergewaltigungen oder sexuelle Übergriffe aber vor traditionellen Gerichten abgehandelt, welche entweder eine Kompensationszahlung vereinbaren oder aber eine Ehe zwischen Opfer und Täter erzwingen (UNHRC 28.10.2015; vgl. USDOS 13.4.2016). Von staatlichem Schutz kann nicht ausgegangen werden (ÖB 10.2015; vgl. UKHO 3.2.2015), für die am meisten vulnerablen Fälle ist er nicht existent (HRW 27.1.2016).

Grundlage für eine Eheschließung ist die Scharia, Polygamie und Ehescheidung sind somit erlaubt (ÖB 10.2015). Die Übergangsverfassung legt kein Mindestalter für eine Eheschließung fest. Die Kinderehe ist verbreitet. In ländlichen Gebieten verheiraten Eltern ihre Töchter manchmal schon im Alter von zwölf Jahren. Insgesamt wurden 45 Prozent der Frauen im Alter von 20-24 Jahren bereits mit 18 Jahren, 8 Prozent bereits im Alter von 15 Jahren verheiratet. In ländlichen Gebieten werden auch 12jährige Mädchen verheiratet (USDOS 13.4.2016).

Zwangsehen sind weit verbreitet (ÖB 10.2015). Zwangsehen durch al Shabaab kommen in der Regel nur dort vor, wo die Gruppe die Kontrolle hat (C 18.6.2014; vgl. USDOS 13.4.2016; UKHO 3.2.2015; DIS 9.2015). Dort sind Frauen und Mädchen einem ernsten Risiko ausgesetzt, von al Shabaab entführt, vergewaltigt und zu einer Ehe gezwungen zu werden (UKHO 3.2.2015; vgl. USDOS 13.4.2016). Eine Verweigerung kann für das Mädchen oder ihre Familie den Tod bedeuten (DIS 9.2015; vgl. NOAS 4.2014). Aus Städten unter Kontrolle von AMISOM und somalischer Armee gibt es keine Berichte hinsichtlich Zwangsehen mit Kämpfern der al Shabaab; wohl aber gibt es Berichte über diesbezügliche Drohungen via SMS (DIS 9.2015). Hingegen zwingen auch Angehörige bewaffneter Milizen und Clanmilizen Mädchen zur Eheschließung (UNHRC 28.10.2015).

Manchmal müssen entführte Frauen und Mädchen für al Shabaab auch als Putzkräfte, Köchinnen oder Trägerinnen arbeiten. In einigen Fällen wurden Mädchen als Selbstmordattentäterinnen verwendet (UKHO 3.2.2015).

Sowohl im Zuge der Anwendung der Scharia als auch bei der Anwendung traditionellen Rechtes sind Frauen nicht in den Entscheidungsprozess eingebunden (USDOS 13.4.2016). Zudem gelten die aus der Scharia interpretierten Regeln des Zivilrechts und Strafrechts, die Frauen tendenziell benachteiligen bzw. einem (übersteigerten) paternalistischen Ansatz folgen. Für Frauen gelten entsprechend andere gesetzliche Maßstäbe als für Männer. So erhalten beispielsweise Frauen nur 50% der männlichen Erbquote (AA 1.12.2015; vgl. USDOS 13.4.2016). Bei der Tötung einer Frau ist im Vergleich zur Tötung eines Mannes nur die Hälfte des an die Familie des Opfers zu zahlenden "Blutgeldes" vorgesehen. Erwachsene Frauen und viele minderjährige Mädchen werden zur Heirat gezwungen (AA 1.12.2015). Insgesamt gibt es hinsichtlich der grundsätzlich diskriminierenden Auslegungen der zivil- und strafrechtlichen Elemente der Scharia keine Ausweichmöglichkeiten, die aus der Scharia interpretierten Regeln des Zivil- und Strafrechts gelten auch in Puntland und Somaliland. Gleichwohl gibt es politische Ansätze, die mittel- bis langfristig eine Annäherung des Status von Mann und Frau anstreben. In den von der al Shabaab kontrollierten Gebieten werden die Regeln der Scharia in extremer Weise angewandt – mit der entsprechenden weitergehenden Diskriminierung von Frauen als Folge (AA 1.12.2015).

In den kleiner werdenden Gebieten, die von der al Shabaab kontrolliert werden, herrscht eine strenge und harte Interpretation der Scharia. Viele Regeln betreffen Frauen: Vollverschleierung; Arbeitsverbot; Verbot der Reise mit nicht-verwandten Männern etc. Bei Nicht-Einhaltung der Regeln drohen schwere Bestrafungen (UKHO 3.2.2015).

In politische Entscheidungsprozesse sind Frauen nicht adäquat eingebunden (UNHRC 28.10.2015). Eigentlich wären für das Parlament 30% Sitze für Frauen vorgesehen. Diese stellen aber nur 14 von 275 Abgeordneten. In der 26köpfigen Regierung finden sich drei Frauen (USDOS 13.4.2016). In der Regionalversammlung der Galmudug Interim Administration (GIA) sind 8 von 64 Abgeordneten Frauen (UNSC 11.9.2015). Im Ältestenrat von Puntland war noch nie eine Frau vertreten, im 66sitzigen Repräsentantenhaus sind es zwei, es gibt auch zwei Ministerinnen (USDOS 13.4.2016).

Generell haben Frauen nicht die gleichen Rechte, wie Männer, und sie werden systematisch nachrangig behandelt (USDOS 13.4.2016). Frauen leiden unter schwerer Ausgrenzung und Ungleichheit in vielen Bereichen, vor allem; Gesundheit, Beschäftigung und Arbeitsmarktbeteiligung (ÖB 10.2015), Kreditvergabe, Bildung und Unterbringung (USDOS 13.4.2016). Laut einem Bericht einer somaliländischen Frauenorganisation aus dem Jahr 2010 besaßen dort nur 25% der Frauen Vieh, Land oder anderes Eigentum (USDOS 13.4.2016).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (1.12.2015): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia

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C - Experte C (18.6.2014): Dieser Experte arbeitet seit mehreren Jahren zu Somalia.

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DIS - Danish Immigration Service (9.2015): Country of Origin Information for Use in the Asylum Determination Process; Report from the Danish Immigration Service’s fact finding mission to Nairobi, Kenya and Mogadishu, Somalia; 2-12 May 2015, http://www.ecoi.net/file_upload/1788_1443181235_somalia-ffm-report-2015.pdf, Zugriff 4.4.2016

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EGMR - Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte (10.9.2015):

R.H. v. Sweden, Application no. 4601/14, Council of Europe: European Court of Human Rights, http://www.refworld.org/docid/55f66ef04.html, Zugriff 7.4.2015

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HRW - Human Rights Watch (27.1.2016): World Report 2016 - Somalia, http://www.ecoi.net/local_link/318350/443530_en.html, Zugriff 22.3.2016

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NOAS - Norwegian (4.2014): Persecution and protection in Somalia,

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http://www.noas.no/wp-content/uploads/2014/04/Somalia_web.pdf, Zugriff 14.4.2016

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Asylländerbericht Somalia,

http://www.ecoi.net/file_upload/1729_1445329855_soma-oeb-bericht-2015-10.pdf, Zugriff 25.2.2016

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UKHO - UK Home Office (3.2.2015): Country Information and Guidance

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UNSC - UN Security Council (11.9.2015): Report of the Secretary - General on Somalia,

http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1443010894_n1527126.pdf, Zugriff 23.3.2016

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USDOS - US Department of State (13.4.2016): Country Report on Human Rights Practices 2015 - Somalia, http://www.state.gov/j/drl/rls/hrrpt/humanrightsreport/index.htm?year=2015&dlid=252727, Zugriff 14.4.2016

Weibliche Genitalverstümmelung (FGM)

Die Übergangsverfassung verbietet zwar weibliche Genitalverstümmelung (FGM) (USDOS 25.6.2015), diese ist in Somalia aber weit verbreitet (USDOS 13.4.2016; vgl. LI 11.6.2015; AA 1.12.2015). Betroffen sind mehr als 90% aller Mädchen (LI 11.6.2015; vgl. UNHRC 28.10.2015). In der Regel erleiden FGM dabei Mädchen im Alter von zehn bis 13 Jahren (AA 1.12.2015); nach anderen Angaben findet die Verstümmelung bei mehr als 80% im Alter zwischen fünf und neun Jahren statt; bei 10% zwischen neun und vierzehn Jahren; und bei 7% zwischen null und vier Jahren (EASO 8.2014). Nach wieder anderen Angaben wurde die Verstümmelung bei 80% der Mädchen im Alter zwischen fünf und 14 Jahren vorgenommen (USDOS 13.4.2016). Quellen im jüngsten Bericht des Danish Immigration Service (DIS) erklären wiederum, dass die große Mehrheit vor dem achten Geburtstag einer Verstümmelung unterzogen wird. Eine Quelle des DIS gab an, dass Mädchen, welche die Pubertät erreicht haben, nicht mehr beschnitten werden. Dies wäre gesundheitlich zu riskant. Hat ein Mädchen die Pubertät erreicht, fällt auch der Druck durch die Verwandtschaft weg (DIS 1.2016).

63% der Beschnittenen erlitten die weitreichendsten Form (pharaonische Beschneidung/Infibulation/WHO Typ III) (EASO 8.2014). Eine andere Quelle schätzt die Zahl von Infibulationen auf 80% (DIS 1.2016). Verbreitet sind die hieraus resultierenden Gesundheitsprobleme der Betroffenen. Viele überleben die Verstümmelung nicht (AA 1.12.2015).

Bei den Bendiri und den arabischen Gemeinden in Somalia ist nicht die Infibulation sondern die Sunna (WHO Typen I und II) verbreitet. Bei diesen Gruppen scheint die Beschneidung bei der Geburt stattzufinden, möglicherweise auch nur als symbolischer Schnitt. Auch in anderen Teilen Somalias wird zunehmend die Sunna verwendet (DIS 1.2016).

Landesweit bemühen sich die Regierungen, diese Praxis einzuschränken (AA 1.12.2015). UNICEF arbeitet mit der somalischen Regierung, mit Puntland und anderen Akteuren zusammen, um die Menschen gegen FGM zu mobilisieren und die Praktik auszurotten (UNHRC 28.10.2015). In Puntland ist FGM verboten und es gibt Zeichen einer Reduzierung. Laut einer Untersuchung von UNICEF in Zusammenarbeit mit den Regierungen von Somaliland und Puntland sind in Nordsomalia 25% der Mädchen zwischen 1-14 Jahren von FGM betroffen. Im Gegensatz dazu sind es bei den über 15jährigen 99% (UKHO 3.2.2015).

In den Gebieten der al Shabaab ist FGM verboten (LIFOS 24.1.2014). Auch die Gruppe al Islah und andere Islamisten setzen sich gegen FGM ein (C 18.6.2014). Es gibt allerdings keine Behörden oder Organisationen für Mütter, die hinsichtlich der Verhinderung einer FGM Unterstützung oder Schutz bieten (DIS 1.2016).

Um eine Verstümmelung zu vermeiden, kommt es auf die Standhaftigkeit der Mutter an. Auch der Bildungshintergrund, der soziale Status sowie die kulturelle und geographische Zugehörigkeit spielen eine Rolle. Es gibt sowohl in urbanen als auch in ländlichen Gebieten Eltern, die ihre Töchter nicht verstümmeln lassen. Leichter ist es aber in den Städten, wo die Anonymität eher gegeben bzw. die enge soziale Interaktion geringer ist (DIS 1.2016).

Generell stößt eine Mutter, die ihre Tochter nicht beschneiden lassen will, in ländlichen Gebieten auf erhebliche Probleme. Auch in urbanen Gebieten kann es zu großem sozialen (LIFOS 24.1.2014) und psychischem Druck kommen, damit die Tochter beschnitten wird. Der psychische Druck kann auch extreme Formen annehmen, derartige Fälle sind aber außergewöhnlich. Spricht sich auch der Kindesvater gegen eine Verstümmelung aus, und bleibt dieser standhaft, dann ist es leichter, dem psychischen Druck standzuhalten (DIS 1.2016).

Dass Mädchen ohne Einwilligung der Mutter von Verwandten einer FGM unterzogen werden, ist zwar nicht auszuschließen, aber unwahrscheinlich. Keine Quelle des Danish Immigration Service konnte einen derartigen Fall berichten. Ohne das Wissen der Mutter kann eine FGM aufgrund der gesundheitlichen Folgen nicht von statten gehen (DIS 1.2016).

Unbeschnittene Frauen sind in der somalischen Gesellschaft sozial stigmatisiert (EASO 8.2014). Allerdings kommt es zu keinen körperlichen Untersuchungen, um den Status hinsichtlich einer vollzogenen Verstümmelung bei einem Mädchen festzustellen. Dies gilt auch für Rückkehrer aus dem Westen. In ländlichen Gebieten wird wahrscheinlich schneller herausgefunden, dass ein Mädchen nicht verstümmelt ist. Eine Möglichkeit ist, dass eine Mutter vorgibt, dass ihre Tochter einer Sunna unterzogen worden ist (DIS 1.2016).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (1.12.2015): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia

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C - Experte C (18.6.2014): Dieser Experte arbeitet seit mehreren Jahren zu Somalia.

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DIS - Danish Immigration Service (1.2016): South Central Somalia - Female Genital Mutilation/Cutting, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1455786226_fgmnotat2016.pdf, Zugriff 4.4.2016

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EASO - European Asylum Support Office (8.2014): South and Central Somalia: Country Overview,

http://www.ecoi.net/file_upload/90_1412334993_easo-2014-08-coi-report-somalia.pdf, Zugriff 14.4.2016

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LI - Landinfo (11.6.2015): Barn og unge , http://www.ecoi.net/file_upload/1788_1436864948_3151-1.pdf, Zugriff 4.4.2016

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LIFOS - Lifos/Migrationsverket (24.1.2014): Kvinnor i Somalia. Rapport från utredningsresa till Nairobi, Kenya i oktober 2013, http://lifos.migrationsverket.se/dokument?documentSummaryId=31539, Zugriff 4.4.2016

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UKHO - UK Home Office (3.2.2015): Country Information and Guidance

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Somalia: Women fearing gender-based harm / violence, http://www.refworld.org/docid/54d1daef4.html, Zugriff 14.4.2016

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UNHRC - UN Human Rights Council (28.10.2015): Report of the independent expert on the situation of human rights in Somalia, Bahame Tom Nyanduga,

http://www.ecoi.net/file_upload/1930_1451399567_a-hrc-30-57-en.docx, Zugriff 23.3.2016

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USDOS - US Department of State (13.4.2016): Country Report on Human Rights Practices 2015 - Somalia, http://www.state.gov/j/drl/rls/hrrpt/humanrightsreport/index.htm?year=2015&dlid=252727, Zugriff 14.4.2016

2. Beweiswürdigung:

2.1. Das Datum der Antragstellung und Ausführungen zum Verfahrenslauf ergeben sich aus dem Akteninhalt.

2.2. Die Feststellungen betreffend die Herkunft der beschwerdeführenden Partei aus Afgooye und Qoryooley, den früheren Aufenthalt der Großmutter und den nunmehrigen Aufenthalt der Familienmitglieder in Äthiopien basieren auf diesbezüglich konsistenten und gleichbleibenden Angaben der beschwerdeführenden Partei im Laufe des Verfahrens. Keine Feststellung kann dazu erfolgen, dass die beschwerdeführende Partei in Qoryooley nicht mehr über Nachbarn, Clanverwandte oder Bekannte verfügen würde; sie selbst gab dazu in der zweiten Beschwerdeverhandlung nur an, keinen Kontakt mit solchen zu haben, weil es (damals) keinen Internetzugang gegeben habe. Daraus lässt sich nicht ableiten, dass Clanverwandte, Bekannte oder Nachbars

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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