TE Bvwg Erkenntnis 2018/1/3 W124 2148094-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 03.01.2018
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

03.01.2018

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §34
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W124 2135369-1/16E

W124 2135367-1/4E

W124 2135365-1/6E

W124 2135363-1/6E

W124 2148094-1/4E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. FELSEISEN über die Beschwerden (1.) der XXXX , geboren am XXXX , (2.) der XXXX , geboren am XXXX , (3.) der XXXX , geboren am XXXX (4.) der XXXX , geboren am XXXX , (5.) des XXXX , geboren am XXXX alle afghanische Staatsangehörige, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX bzw. XXXX , Zlen. (1.) XXXX (2.) XXXX

(3.) XXXX (4.) XXXX (5.) XXXX nach einer mündlichen Verhandlung am XXXX zu Recht erkannt:

A)

Den Beschwerden wird stattgegeben und XXXX , XXXX , XXXX , XXXX , XXXX , gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG 2005) i. d.g.F. der Status von Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass, XXXX , XXXX , XXXX , XXXX , XXXX kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang

1. Die Beschwerdeführer (die Erstbeschwerdeführerin ist die Mutter des ledigen Drittbeschwerdeführers und des ledigen Viertbeschwerdeführers) stellten am XXXX (Erst – bis FünftbeschwerdeführerInnen) Anträge auf internationalen Schutz.

Dabei gab die Erstbeschwerdeführerin im Wesentlichen in der mit ihr vor der Landespolizeidirektion Steiermark am XXXX aufgenommenen Niederschrift an, dass die Taliban ihren Ehemann bedroht hätten. Die gesamte Familie sei betroffen bzw. hätte sie aus diesem Grunde ihre Heimat verlassen.

2. In der mit der Erstbeschwerdeführerin vor dem BFA am XXXX aufgenommenen Niederschrift gab diese im Wesentlichen an, dass ihr die Tazkira in Griechenland abgenommen worden sei und sie nie einen Reisepass besessen habe. Sie würde der Volksgruppe der Hazara angehören und schiitische Muslimin sein.

Sie sei in XXXX geboren, in XXXX aufgewachsen, habe dort die Schule besucht und sei nach XXXX gezogen, nachdem sie geheiratet habe.

Ihr Mann habe für die afghanische Regierung als Polizist gearbeitet. Eines Nachts seien fünf Männer zu ihnen nach Hause gekommen und habe ihren Ehemann zusammen geschlagen. Die BF 1 habe die Taliban an ihrer Tracht erkannt. Diese hätten den Mann der BF 1 beinahe zu Tode geprügelt. Es sei dabei auf Paschtu gesprochen worden. Der Mann der BF 1 sei zusammen geschlagen worden, weil er als Polizist gearbeitet habe. Sie habe die Taliban angefleht, dass man ihren Mann am Leben lasse und habe einer dieser Männer Schüsse auf einen Mann abgefeuert, wobei ihr Mann am Bein getroffen worden sei. Ihr Mann sei dann ohnmächtig geworden und habe man von diesem abgelassen. Ihr Schwiegervater habe sie in dieser Nacht dann nach XXXX gefragt und den Ehemann der BF 1 ins Spital gebracht. Sie hätten dann noch fünf, sechs Monate versteckt in XXXX gelebt, bis ihr Mann wieder gesund geworden sei.

Auf die Aufforderung hin den Vorfall genau zu schildern, gab die BF 1 an, dass sie gerade Tee getrunken hätten, als diese zu fünft zu ihnen gekommen seien. Zwei Männer hätten ihren Ehemann geschlagen und diesen gefragt, weshalb er für die Polizei arbeiten würde. Die anderen hätten das Haus durchsucht, wobei BF 1 nicht genau gesehen habe, wonach sie gesucht hätten, da sie verhindern habe wollen, dass man ihren Mann umbringen würde. Einer der Männer habe auf ihren Ehemann geschossen, worauf dieser ohnmächtig geworden sei. Nach diesem Vorfall hätten siei den Entschluss gefasst Afghanistan zu verlassen.

5. Mit dem angefochtenen Bescheiden vom XXXX bzw. XXXX wies das Bundesasylamt die Anträge der Erst-, bis FünftbeschwerdeführerInnen auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 i.V.m. § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG 2005 ab (Spruchteil I.), wies gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf deren Herkunftsstaat Afghanistan ab (Spruchteil II.) Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen sei ihnen nicht ausgestellt worden. Gem. § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG sei gegen die Erst-, bis FünftbeschwerdeführerInnen eine Rückkehrentscheidung gem. § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen worden. Es sei gem. § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung gem. § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei. (Spruchteil III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG würde die Frist für ihre freiwillige Ausreise 2 Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betragen.

Nach Wiedergabe des Verfahrensganges führte das Bundesasylamt neben den Länderfeststellungen im Wesentlichen aus, dass es zusammengefasst so erscheine, dass dem Vorbringen nicht glaubhaft entnommen werden könne, dass die BF aus den von ihr genannten Gründen die Heimat verlassen habe. Die Angaben zur Verfolgungssituation seien auf Grund der vagen Angaben der Widersprüche zwischen ihr und ihrem Ehegatten und auf Grund zahlreicher Ungereimtheiten nicht glaubhaft gewesen.

Rechtlich wurde zu Spruchpunkt I. im Wesentlichen ausgeführt, dass sie im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan in XXXX ihren Lebensunterhalt bestreiten könnten, da sie gesund, jung und arbeitsfähig sei. Außerdem würde sie über eine mehrjährige Berufserfahrung verfügen und in der Vergangenheit bereits bewiesen haben, dass sie dazu fähig sei für ihren Lebensunterhalt zu sorgen. Hinzu komme, dass in Afghanistan komplementäre Auffangmöglichkeiten existieren würden, die sie im Falle einer erfolglosen Suche nach einer Unterkunft in Anspruch nehmen könne.

Eine etwaige Ortsunkenntnis in XXXX könne ebenso nicht zur Feststellung führen, XXXX würde nicht als taugliche Fluchtalternative in Frage kommen, zumal gerade mit den Hilfsorganisationen Möglichkeiten gegeben sein würden, um diesen etwaigen Problemen Abhilfe zu schaffen.

Hinzu komme, dass es einem Erwachsenen zumutbar sei, sich in der Hauptstadt seines Heimatlandes Kenntnisse der örtlichen Begebenheiten anzueignen. In Anbetracht der Vielzahl an Rückkehrern aus dem Ausland und deren Möglichkeiten sich im Heimatland anzusiedeln, lasse sich kein Grund feststellen, der gerade im Fall der BF 1 eine solche Rückkehr unmöglich erscheinen lasse.

Zu Spruchpunkt II. wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass im Verfahren der BF 1 keine Anhaltspunkte dafür hervorgekommen seien, dass sie bei ihrer Rückkehr nach Afghanistan ihren Lebensunterhalt nicht durch berufliche Tätigkeiten bestreiten könne. Die BF 1 sei ein gesunder, arbeitsfähiger Erwachsener und wäre es dieser auch nach ihrer Rückkehr nach Afghanistan zumutbar ihren Unterhalt mit Gelegenheitsjobs zu bestreiten. Die BF 1 habe überdies ihr gesamtes Leben in Afghanistan verbracht und würden auch einige Teile ihrer Familie dort wohnhaft sein, welche sie unterstützen könnten. Überdies könne die BF1, wie aus den Feststellungen zum Herkunftsland klar hervorgehe, zum Zwecke des Bestreitens des Lebensunterhaltes Unterstützungen durch den UNHCR und IOM in Anspruch nehmen.

Aus dem Vorbringen und der allgemeinen Situation alleine sei somit nicht ersichtlich, dass im Falle der Rückkehr eine unmenschliche Behandlung oder eine im gesamten Herkunftsstaat vorliegende extreme Gefährdungslage erkennen lassen würde.

Zu Spruchpunkt III. wurde ausgeführt, dass im Verfahren keine Ansatzpunkte hervor getreten seien, die die Vermutung einer besonderen Integration seiner Person in Österreich rechtfertigen würde, zumal die BF 1 weder gut Deutsch spreche noch über nennenswerte private Kontakte verfügen würde, die sie an Österreich binden würde. Auch ihr erst kurzer Aufenthalt im österreichischen Bundesgebiet würde dagegen sprechen. Dagegen spreche das Interesse der Öffentlichkeit an einem geordneten Vollzug des Fremdenwesens, wogegen sie alleine schon mit ihrer illegalen Einreise verstoßen habe.

Wie bereits unter Spruchpunkt II. dargelegt, würden sich im Falle der BF 1 keine Anhaltspunkte ergeben, dass dadurch Art 2 oder 3 EMRK oder das Protokoll Nr. 6 oder 13 zur Konvention zum Schutze der Menschrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt werden würde.

6. Gegen den Bescheid der Erst-, bis FünftbeschwerdeführerInnen wurde von der Erstbeschwerdeführerin von dieser als gesetzliche Vertreterin für die Zweit-, bis FünftbeschwerdeführerInnen fristgerecht Beschwerde erhoben.

Im Wesentlichen wurde dies damit begründet, dass die BF 1 inzwischen seit über einem halben Jahr in Österreich leben und mehr und mehr die Freiheit genießen würde, die ihr als Frau in Österreich zu Teil werden würde. Sie wolle, dass ihre drei Töchter zur Schule gehen könnten, eine Ausbildung bekommen und einer Berufstätigkeit nachgehen könnten. Den Töchtern solle es überlassen bleiben, ob diese später einmal ein Kopftuch tragen würden wollen oder gänzlich, ohne muslimische Kleidungsvorschriften, Genüge tun müssten, ihr Leben frei zu gestalten. Darin würde sich die BF 1 mit ihren Ehegatten einig sein. Die BF 1 habe schon in Afghanistan unter den rigiden Vorschriften gelitten. Nunmehr lehne sie diese Vorschriften zur Gänze ab und könne sich nicht mehr vorstellen, sich diesen sowie den sonstigen in Afghanistan geltenden Vorschriften für Frauen unterzuordnen. Sie wolle sich nicht mehr unterordnen und ein selbstbestimmtes Leben führen können.

7. Am XXXX fand vor dem BVwG eine öffentlich mündliche Verhandlung statt, bei der die Erstbeschwerdeführerin ausführte, dass sie im Dorf XXXX , Distrikt XXXX , Provinz XXXX geboren sei. Bis zu ihrem siebenten Lebensjahr habe sie an der von ihr angegebenen Adresse gelebt. Nach ihrer Heirat sei sie von XXXX wieder in ihr Heimatdorf gezogen.

Vor ihrer Hochzeit habe sie mit ihrer Mutter und ihren Geschwistern zusammen gelebt. Nach der Hochzeit habe sie sich bei ihren Mann aufgehalten.

Ihr Ehemann sei nach Afghanistan zurückgekehrt, weil sein in Iran lebender Bruder ermordet worden sei. Die Leute hätten unterschiedliche Versionen erzählt, wie dieser ums Leben gekommen sei. Ihr Schwiegervater sei sehr alt und könne deshalb diesem Fall nicht nachgehen. Aus diesem Grund sei ihr Ehemann ausgereist, um die Trauerfeier zu organisieren. Er würde in den Iran gehen, um die Umstände des Todes seines Bruders herauszufinden. Ihren Ehemann würde es psychisch überhaupt nicht gut gehen. Einerseits habe er seinen Bruder verloren, andererseits sei er von seiner Familie getrennt, weshalb sie jeden Tag in Kontakt stehen würden.

Seit einer Woche würde ihr Sohn im Krankenhaus liegen, weil dessen Herzkanäle verstopft seien. Dieser habe bereits eine Operation hinter sich und stehe die nächste Operation bevor, wenn dieser zwei Jahre alt sei.

Die BF habe Angst um die Zukunft ihrer Kinder und könne in die Provinz XXXX nicht zurückkehren, da die Taliban sie erwischen würden.

Die BF würde zu der Volksgruppe der Hazara und Saids gehören und bekenne sich zum schiitischen muslimischen Glauben. Ihre Religion würde sie nicht besonders praktizieren und habe diese keine Ahnung darüber.

In Afghanistan habe sie sich verschleiern und ein langes Gewand tragen müssen. Sowohl im Winter als auch im Sommer sei sie gezwungen gewesen lange Socken zu tragen, damit man ihre Füße nicht sehen habe können. Sie habe ihren Schleier ganz nach vorne ziehen und ihr Gesicht verstecken müssen. Dazu sei sie nicht mehr bereit gewesen. Sie habe sich eingesperrt und schlecht gefühlt und ihr Gewand selbst aussuchen wollen. Ihr Bruder habe die Bekleidung ausgewählt, als er zu Hause gelebt habe. Als sie dann verheiratet gewesen sei, sei ihr Mann mit ihr einkaufen gegangen. Die Freiheit der Frau sei dort sehr eingeschränkt, als sie sich weder mit einem Mann unterhalten noch einkaufen gehen habe können.

Ihren Töchtern würde es die BF gestatten am Schwimmunterricht teilzunehmen. Dies würde auch dann gelten, wenn es sich um einen Schwimmunterricht handeln würde, bei dem Burschen teilnehmen würden. Sie würde dies auch nach der Geschlechtsreife ihrer Töchter akzeptieren, als sie nun hier leben und sich anpassen müssten.

In Afghanistan habe die BF den Haushalt, ihre Kinder und alles andere was noch angefallen sei besorgt. Ohne Begleitung ihres Mannes habe sie das Haus aber nicht verlassen dürfen. Sie habe sich so anziehen müssen, wie es ihr dort vorgeschrieben worden sei. Sie habe nicht alleine einkaufen gehen und auch sonst nicht über ihr Leben bestimmen dürfen.

In Österreich mache sie zwar auch den Haushalt, doch müsse sie sich nicht so anziehen, wie es dort vorgeschrieben gewesen sei. Sie habe nicht alleine einkaufen gehen können und wäre es ihr nicht erlaubt gewesen über ihr eigenes Leben entsprechend zu bestimmen. In Österreich könne ihr niemand vorschreiben, was sie zu tun und lassen habe. Jederzeit sei es ihr möglich ihr Haus mit ihren Kindern zu verlassen und sich draußen zu bewegen.

Zur Frage der Schul-, und Berufsausbildung führte die BF 1 aus, dass sie erst ab der fünften Klasse begonnen habe die Schule zu besuchen. Sie sei dann bis zur elften Klasse gegangen. Ihre Mutter habe auf Grund ihres Interesses und ihrer Begabung sie in einer Schule anmelden können, obwohl dies in der ganzen Familie noch nie der Fall gewesen sei, dass ein Mädchen die Schule besucht habe. Dies sei auf Grund der unsicheren Lage und des Umstandes, dass Schulmädchen Säure über das Gesicht geschüttet bekommen hätten nicht der Fall gewesen, als die Familien auch Angst davor bekommen hätten.

Während ihrer Schulzeit sei sie zwar nicht mit Säure angegriffen worden, doch seien die Schulmädchen von Männern belästigt worden, in denen man an ihren Schleiern herumgezogen und diese beschimpft habe. Außerdem seien sie mit dem Motorrad angefahren worden.

Sie selbst sei immer wieder beschimpft worden, weshalb sie ihren Bruder mitgenommen habe. Dieser habe sie bis zur Schule begleitet und wieder nach Hause gebracht.

Sie habe hinsichtlich der Auswahl ihrer Kinder derer zukünftigen EhepartnerInnen bzw. LebenspartnerInnen kein Problem, als diese auch eine andere Religion haben können. Ihre Nichte habe sogar einen Paschtunen und Schiiten geheiratet, womit ihre Familie kein Problem gehabt habe. Auch wenn ihre Kinder eine Person einer anderen Religion bzw. einen Atheisten heiraten würde, würde die BF dazu nichts sagen, soweit es sich bei dem Partner um einen guten Menschen handeln würde und ihre Tochter glücklich sei. Es würde ihren Töchtern auch gestattet sein einen Partner zu haben und diese Beziehung so zu gestalten, wie sie dies wolle.

Ihrer eigenen Religion nach, sei dies zwar nicht gestattet, aber würde ihr dies egal sein. Religiös gesehen würde es nicht gestattet sein, dass ein Sunnit einen Schiiten heiraten würde.

Überdies würde die BF kein Problem haben, wenn ihre Kinder Alkohol trinken würden, als diese ihre Jugend genießen können müssten. Dies würde auch dann gelten, wenn diese dem jugendlichen Alter entsprungen seien, als man sich den Gegebenheiten der Gesellschaft anpassen müsse und in Afghanistan andere Bedingungen vorherrschen würden.

In Afghanistan habe die BF über kein Mobiltelefon verfügen dürfen. Es sei ihr lediglich gestattet worden mit ihren CousInnen zu telefonieren. Die Freunde ihres Bruders oder den Ehemann ihrer Schwester hätte diese beispielsweise nicht sprechen dürfen. Sie habe auch zuvor zu den Freunden ihres Bruders keinen Kontakt gepflegt.

Ihren Töchtern würde es frei stehen ein Kopftuch tragen zu müssen. Sie würden darüber selbst eine eigenständige Entscheidung treffen können. Die BF sei der Meinung, dass sie nun in einer anderen Gesellschaft leben würden und sich daher auch ihre Kinder anzupassen hätten. Ihre Religion würde dagegen zwar sicher etwas haben, aber sei es den Kindern freigestellt zu entscheiden, was diese machen würden.

Ihre Kinder müssten etwas lernen und ein aktives Mitglied der Gesellschaft sein, indem sie einen Beruf ausüben. Die BF würde ihre Kinder dazu entsprechend ermutigen.

Für den Fall, dass ihr Sohn als Erwachsener eine gleichgeschlechtliche Beziehung führen würde, gab diese an dazu zu schweigen und nichts dazu zu sagen. Ihre Meinung dazu sei nicht unbedingt gut und meinte dazu: "Würde es so wenige hübsche Frauen geben, dass er sich einen Mann suchen müsse?".

Zweimal in der Woche würde sie nun am Dienstag und Donnerstag in der Zeit von 9.00 Uhr bis 11.00 einen Deutschkurs besuchen. Als ihr Ehemann noch in Österreich gewesen sei, habe dieser auf die Kinder aufgepasst. Seitdem er weg sei, würde eine Iranerin zur BF kommen, welche sie zu Hause in Deutsch unterrichten würde.

Von der Vertreterin wurde in der Folge angemerkt, dass die Erstbeschwerdeführerin bereits in Afghanistan den Wunsch nach einem freien selbst bestimmten Leben gehegt habe, was auf Grund der dort herrschenden islamisch/gesellschaftlichen Normen nicht möglich gewesen wäre. Dennoch habe sich die Erstbeschwerdeführerin der drohenden Zwangsarbeit entzogen. In Österreich würde diese ihre Wünsche umsetzen und ein selbstbestimmtes Leben führen. Sie würde ihre Entscheidungen hinsichtlich dem Ausgehen, der Wahl der Kleidung, dem Bildungs-, und Arbeitswunsch bzw. Berufswahl selbst treffen. Es sei der Erstbeschwerdeführerin unter diesen Bedingungen unzumutbar wieder nach Afghanistan zurückzukehren und sei ihr und ihrer Familie im Zuge des Familienverfahrens der Status der Asylberechtigten zuzuerkennen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zu den Beschwerdeführern:

Die strafgerichtlich unbescholtenen BeschwerdeführerInnen tragen die im Spruch angeführten Namen. Sie sind afghanische Staatsangehörige und gehören der Volksgruppe der Hazara an und bekennen sich zum sunnitischen Glauben. Die Erstbeschwerdeführerin ist verheiratet. Die Zweit-, bis FünftbeschwerdeführerInnen sind ihre eigenen Kinder.

Die Erstbeschwerdeführerin ist in ihrer Wertehaltung überwiegend an dem in Europa mehrheitlich gelebten, allgemein als "westlich" bezeichneten Frauen- und Gesellschaftsbild orientiert und es droht ihr im Zusammenhang damit im Fall ihrer Rückkehr Verfolgung aus religiösen und/oder politischen Gründen.

1.2. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

Überblick über die politische Lage

Der Präsident wird direkt gewählt. Die letzten Präsidentschafts- und Provinzratswahlen fanden im August 2009 statt. Präsident Karsai ging abermals als Sieger aus den Wahlen hervor. Laut afghanischer Verfassung ist es Präsident Karsai nicht erlaubt, für eine dritte Amtszeit zu kandidieren. Die nächsten Präsidentschaftswahlen werden am 5. April 2014 stattfinden. Die afghanische Nationalversammlung ("Shuraye Melli") besteht aus dem Unterhaus (Volksvertretung, "Wolesi Jirga") und dem Oberhaus (Ältestenrat/Senat, "Meshrano Jirga"), die nach dem Modell eines klassischen Zweikammersystems gleichberechtigt an der Gesetzgebung beteiligt sind. Beide Kammern haben sich am 19.12.2005 erstmals konstituiert. Nach der Veröffentlichung der Ergebnisse der Unterhauswahl vom 18.09.2010 ist das neue Parlament am 26.01.2011 zusammengetreten. Die Auseinandersetzung um die Ergebnisse bei den Parlamentswahlen hielt über die kommenden Monate aber an und mündete am 21.08.2011 in der Entscheidung der Unabhängigen Wahlkommission, noch neun Abgeordneten wegen Wahlbetrugsvorwürfen das Mandat zu entziehen. [vgl.: Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan, vom 10.01.2012, S.1; United States, Country on Human Rights Practices 2012 – Afghanistan, vom 19.04.2013, S.1, Deutsches Auswärtiges Amt, Innenpolitik, vom April 2013]

Sicherheitslage

Die Gewalt in Afghanistan erreichte im Jahr 2011 das höchste Niveau seit dem Fall des Taliban-Regimes im 2001 - mit zahlreichen Todesopfern bei Koalitionstruppen und Zivilbevölkerung [The Guardian vom 14.09.2011]. In den ersten 8 Monaten des Jahres 2011 hat es im Schnitt 2.108 sicherheitsrelevante Vorfälle gegeben, was gegenüber dem gleichen Zeitraum im Vorjahr einen Anstieg um 39 % darstellt [Report des UN-Security Council vom 23.06.2011]. In den ersten 6 Monaten des Jahres 2012 sanken wiederum die Angriffe regierungsfeindlicher Gruppierungen landesweit im Vergleich zum ersten Halbjahr des Vorjahres um 38 %, wobei diese Zahl Entführungen oder Drohungen bzw. kriminelle Vorfälle nicht erfasst; die Verringerung der Angriffe wird auch als taktische Reaktion der regierungsfeindlichen Kräfte auf den Rückzug der internationalen Truppen gedeutet [ANSO Quarterly Report vom Juni 2012]. Die Angaben über einen Rückgang regierungsfeindlicher Attacken stehen im Kontrast zu den veröffentlichten Zahlen der Nato, denen zufolge die Angriffe der Taliban zwischen April und Juni 2012 um 11 % gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres gestiegen sind [BBC-News vom 08.08.2012, Online-Zugriff am 13.08.2012]. Die Zahl an zivilen Opfern des Konflikts betrug im ersten Halbjahr 2012 1.145 Tote und

1.945 Verletzte und sank damit um 15 % gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres, womit die Opferzahlen erstmals seit fünf Jahren nicht zugenommen, sondern abgenommen haben; dennoch bleibt die Zahl an zivilen Opfern - im Vergleich zu 2010 - Besorgnis erregend [Midyear Report der United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) vom Juli 2012]. Konkret schätzt UNHCR die Situation in Helmand, Kandahar, Kunar und in Teilen der Provinzen Ghazni und Khost aufgrund der hohen Zahl von zivilen Todesopfern, Häufigkeit sicherheitsrelevanter Zwischenfälle und Anzahl von (auf Grund des bewaffneten Konflikts) vertriebenen Personen als eine Situation allgemeiner Gewalt ein [Zusammenfassung der UNHCR-Richtlinien vom 24.03.2011]. Seit August 2008 liegt die Sicherheitsverantwortung für den städtischen Bereich der Provinz Kabul nicht länger in den Händen von ISAF, sondern der afghanischen Armee und Polizei. Dem landesweiten Trend folgend verübte die Aufstandsbewegung seit Januar 2011 auch in der Hauptstadt Kabul mehrere spektakuläre Selbstmordanschläge gegen nicht-militärische Ziele (Anschlag auf ein Einkaufszentrum und auf einen insbesondere von Ausländern frequentierten Supermarkt, Angriff auf das ANA-Krankenhaus, Anschlag auf das Interncontinental Hotel, Anschläge auf das Botschaftsviertel, Ermordung Ex-Präsident Rabbani). Damit endete in Kabul eine praktisch anschlagsfreie Zeit von fast 18 Monaten. Dessen ungeachtet ist die Sicherheitslage in Kabul jedoch unverändert stabil und weiterhin deutlich ruhiger als noch vor zwei Jahren. Medienwirksame Anschläge auf Einrichtungen mit Symbolcharakter sind auch zukünftig nicht auszuschließen [Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage, vom 10.01.2012, S. 12]. Die Anzahl der verübten Angriffe von bewaffneten Oppositionsgruppen in den ersten 3 Monaten des Jahres 2013 ist im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 47 Prozent angestiegen. Die Anzahl der Angriffe bestätigen, dass der Rückgang der Gewalt im vergangenen Jahr kein Anzeichen einer dauerhaft verminderten Kampffähigkeit der bewaffneten Oppositionsgruppen gewesen ist. Bewaffnete Oppositionsgruppen greifen weiterhin zunehmend afghanische Ziele an. Bis Ende 2014 werden die internationalen Kampftruppen Afghanistan verlassen haben. [Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage, vom 04.06.2013, S.4; vgl.: ANSO, 1. Quartalsbericht 2013, vom 25.04.2013, S.9]

Menschenrechte

Die Menschenrechtssituation in Afghanistan verbessert sich weiter, allerdings langsam. Die universellen Menschenrechte sind in der afghanischen Verfassung verankert, aber bei weitem noch nicht vollständig verwirklicht. Durch den allgemeinen Islamvorbehalt darf laut Verfassung kein Gesetz im Widerspruch zum Islam stehen. Eine Hierarchie der Normen ist nicht gegeben. Diese Unklarheit und das Fehlen einer Autoritätsinstanz zur einheitlichen Interpretation der Verfassung führen nicht nur zur willkürlichen Anwendung eines Rechts, sondern auch immer wieder zu Menschenrechtsverletzungen. Insbesondere die Lage der Frauen bleibt in der konservativ-islamischen Gesellschaft schwierig. Die größte Bedrohung der Menschenrechte geht weiterhin von der bewaffneten Aufstandsbewegung aus Was Repressionen Dritter anbelangt, geht die größte Bedrohung der Menschenrechte von lokalen Machthabern und Kommandeuren aus. Es handelt sich meist um Anführer von Milizen, die nicht mit staatlichen Befugnissen, aber mit faktischer Macht ausgestattet sind, die sie häufig missbrauchen. Die Zentralregierung hat auf viele dieser Menschenrechtsverletzer kaum Einfluss und kann sie nur begrenzt kontrollieren oder ihre Taten untersuchen oder verurteilen. Wegen des schwachen Verwaltungs- und Rechtswesens bleiben diese Menschenrechtsverletzungen daher häufig ohne Sanktionen. Immer wieder kommt es zu Exekutionen durch nicht-staatliche Akteure vor allem auch der Insurgenz, die sich auf traditionelles Recht berufen und die Vollstreckung der Todesstrafe mit dem Islam legitimieren. Die afghanische Regierung verurteilt diese Exekutionen öffentlich. Die Ausweichmöglichkeiten für diskriminierte, bedrohte oder verfolgte Personen hängen maßgeblich vom Grad ihrer sozialen Verwurzelung, ihrer Ethnie und ihrer finanziellen Lage ab. Die größeren Städte bieten aufgrund ihrer Anonymität eher Schutz als kleine Städte oder Dorfgemeinschaften. [Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage, vom 04.06.2013, S. 4, 13-16]

Justiz und Strafverfolgung

Verwaltung und Justiz funktionieren nur sehr eingeschränkt. Eine einheitliche Anwendung der verschiedenen Rechtsquellen (kodifiziertes Recht, Scharia, Gewohnheits-/Stammesrecht) ist nicht gegeben. Auch rechtsstaatliche (Verfahrens-)Prinzipien werden längst noch nicht überall eingehalten. Durch Einflussnahme und Zahlung von Bestechungsgeldern durch machtvolle Akteure an die Justiz und Verwaltung werden Entscheidungen nach rechtsstaatlichen Grundsätzen in weiten Teilen verhindert. Vereinzelt gibt es Berichte von Körperstrafen nach islamischem Recht (Auspeitschungen, Steinigungen, Amputationen). Zur Verhängung dieser Strafen kommt es im ländlichen Raum eher als in den Städten, da die ländlichen Gebiete durch ihre Abgeschnittenheit und strukturelle Rückständigkeit eine Regulierung oder öffentliche Ordnung nur sehr begrenzt zulassen. [Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage, vom 04.06.2013, S. 4-5, 16]

Versorgungslage

Die Grundversorgung ist für große Teile der Bevölkerung eine tägliche Herausforderung. Das World Food Programme reagiert das ganze Jahr hindurch in verschiedenen Landesteilen auf Krisen bzw. Notsituationen wie Dürre, Überschwemmungen oder extremen Kälteeinbruch. Auch der Norden eigentlich die "Kornkammer" des Landes ist extremen Natureinflüssen wie Trockenheiten, Überschwemmungen und Erdverschiebungen ausgesetzt. Die aus Konflikt und chronischer Unterentwicklung resultierenden Folgeerscheinungen im Süden und Osten haben zur Folge, dass ca. 1 Mio. oder 29,5% aller Kinder als akut unterernährt gelten. [Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan, vom 04.06.2013, S.18]

Die Arbeitslosenrate in Afghanistan beträgt rund 40 Prozent. Durch die steigende Zahl von Binnenvertriebenen sowie zunehmend stattfindender, wirtschaftlich bedingter Migration aus anderen Landesteilen hat sich die Situation am Arbeitsmarkt weiter verschärft. Etwa 80 Prozent der Bevölkerung ist in der Landwirtschaft tätig. Im Dienstleistungsbereich sind etwa 14% und in der Industrie 6% beschäftigt. Häufig ausgeübte Tätigkeiten für Männer in Afghanistan sind ungelernte Arbeiter, Tätigkeiten im öffentlichen Sektor, Ladenbesitzer, Schneider, Fahrer, Lehrer. Typische Tätigkeiten für Frauen sind Schneiderin, Köchin, Haushaltshilfe, Teppichweberin, Stickerin, Lehrerin. Hauptbereiche für wirtschaftliche Tätigkeit sind der Handel (Markt- und Basarstrukturen). Das Handwerk/Kleinindustrie (Baugewerbe, Textil, Möbel, Teppiche, Seife, Schuhe, Lebensmittel, Kunstdünger, Kohle, Kupfer). Der Dienstleistungsbereich (Telekommunikation, Banken, Fahrzeugreparatur), sowie der Öffentliche und der Nichtregierungsorganisationssektor zählen ebenfalls zu den Hauptbereichen wirtschaftlicher Tätigkeiten. Wachsende Branchen sind die Bauwirtschaft, Telekommunikationsindustrie, Dienstleistungssektor. Eine große Nachfrage nach Facharbeitern besteht im Fachbereich des Baugewerbes, Verwaltung und Dienstleistungssektor. Die Einkommensstruktur (monatlich) stellt sich so dar, dass Landarbeiter 50-100 US-Dollar verdienen. Landwirte etwa 100-300 US-Dollar, Ungelernte Hilfskräfte verdienen 80-150 US-Dollar. Facharbeiter im staatlichen Bereich 80-150 US-Dollar und Facharbeiter im privaten Bereich 200-300 US-Dollar. Ein Arzt beziehungsweise Ingenieure verdienen im staatlichen Sektor 80-150 US-Dollar. Je nach Einsatzort im privaten Bereich 1.500 US-Dollar. Ladenbesitzer und Händler kommen auf 150-250 US-Dollar. Ein Fahrer hat etwa 80-150 US-Dollar. Im öffentlichen Dienst ist ein Verdienst zwischen 50-200 US-Dollar zu erwarten. Nach der Reform im öffentliche Dienst zwischen 200-300 US-Dollar. Bei einer internationalen Organisation zwischen 300-2.500 US-Dollar (nach oben offen). In diesem Bereich und im Bereich von internationalen Hilfsorganisationen gibt es tendenziell einen Überhang an Arbeitskräften. [Schweizerische Flüchtlingshilfe, Die aktuelle Sicherheitslage, vom 23.08.2011; Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Erkenntnisse und Ergebnisse eines Expertenhearings vom 29.04.2010, S. 35; UNHCR, Auskunftserteilung, Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz, vom 11.11.2011, S.10; Gutachterliche Stellungnahme, Dr. Karin Lutze, vom 08.06.2011, S. 6]

Medizinische Versorgung

Der Großteil der modernen medizinischen Einrichtungen des Landes befindet sich in Kabul und anderen Großstädten. Der generelle Mangel an Gesundheitszentren besteht vor allem in den ländlichen Gebieten bereits seit längerer Zeit. Die aktuelle Regierung arbeitet an der Wiedereröffnung von Krankenhäusern und der Kapazitätserhöhung auf dem medizinischen Sektor. Darüber hinaus sind Ressourcen zum landesweiten Bau von Kliniken bestimmt worden. Problematisch bleibt jedoch weiterhin die Frage des kompetenten medizinischen Personals. Der Bedarf an gut ausgebildetem afghanischen Personal, das in der Lage wäre, der Bevölkerung auf nachhaltige Weise medizinische Versorgung zukommen zu lassen, ist groß. Das Land hat eine der höchsten Sterblichkeitsraten der Welt. Mit der Unterstützung von ausländischen Sponsoren und internationalen Hilfsorganisationen wurden in den Krankenhäusern einiger Städte chirurgische Abteilungen wiedereröffnet. Spezielle Behandlungszentren wurden eingerichtet, um Opfer von Landminen zu rehabilitieren. Trotz dieser Anstrengungen beträgt die durchschnittliche Lebenserwartung nur 44 Jahre. Krieg, wiederkehrende Dürren, schlechte sanitäre Verhältnisse und fehlende Immunisierungsprogramme haben zu weit verbreiteter Unterernährung und dem Ausbruch von Krankheiten wie Cholera (die durch unsauberes Trinkwasser ausgelöst wird), Malaria, TBC, Typhus sowie weiteren Krankheiten, die durch Parasiten ausgelöst werden, geführt. Die Weltgesundheitsorganisation und andere Gesundheitsorganisationen arbeiten zusammen mit dem Ministerium für Gesundheit daran, das betreffende Bewusstsein für diese Krankheiten zu schärfen und insbesondere eine zeitnahe Behandlung solcher Krankheiten zu ermöglichen. Eine bessere medizinische Versorgung von Frauen und Kindern ist dringend geboten; die Sterblichkeit von Kindern unter 5 Jahren beträgt in Afghanistan 191 pro 1000 Geburten. Eine Behandlung in Krankenhäusern wird von Personen, die sich die entsprechende Anreise leisten können, gewöhnlich in angrenzenden Ländern, insbesondere in Peshawar (Pakistan) durchgeführt. Das Fehlen eines Gesundheitssystems trägt zur Ungleichheit in der Frage des Zugangs zu medizinischen Dienstleistungen bei. Medikamente, überwiegend Importe aus Pakistan und Iran, sind immer leichter erhältlich. Die Diskrepanz zwischen ländlichen und städtischen Gegenden ist in diesem Bereich jedoch nach wie vor auffällig. Es ist wichtig, frühzeitig die Verfügbarkeit von Medikamenten zu prüfen. Das Ministerium für Öffentliche Gesundheit will zur Verbesserung der Situation auf dem medizinischen Sektor folgende Schritte einleiten:

Erhöhung der Anzahl von Gesundheitseinrichtungen mit weiblichem Personal, Etablierung von Zweigstellen in abgelegenen und ländlichen Regionen, Einsatz mobiler Teams in unterversorgten Gebieten, Trainingskurse für medizinisches Personal, Schulung und Einsatz von Gemeindearbeitern, um Frauen aufzuklären und zur Inanspruchnahme medizinischer Einrichtungen zu ermutigen, Geburtshilfekurse. Das Ministerium räumt die Notwendigkeit weiterer nationaler und ausländischer Ressourcen ein, um nachhaltige Fortschritte im Gesundheitssektor zu sichern. [BAMF_IOM, Länderinformationsblatt – Afghanistan, vom Oktober 2012, S. 15]

Zur Situation der Frauen in Afghanistan

Menschenrechtslage - allgemein

Die Situation der Frauen war bereits vor dem Taliban-Regime durch sehr strenge Scharia-Auslegungen und archaisch-patriarchalische Ehrenkodizes geprägt. So war die Burka auch vor der Taliban-Herrschaft bei der ländlichen weiblichen Bevölkerung ein übliches Kleidungsstück. Viele Frauen tragen sie noch immer, weil sie sich damit vor Übergriffen sicher fühlen. Während Frauenrechte in der Verfassung und teilweise im staatlichen Recht gestärkt werden konnten, liegt ihre Verwirklichung für den größten Teil der afghanischen Frauen noch in weiter Ferne (Bericht des deutschen Auswärtigen Amtes vom 10.01.2012 über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan, S. 20, Stand: Jänner 2012). Während sich die Situation der Frauen seit dem Ende der Taliban-Herrschaft wesentlich verbessert hat, bleibt die vollumfängliche Durchsetzung der Frauenrechte innerhalb der konservativ-islamischen afghanischen Gesellschaft schwierig. Die Lage der Frauen kann sich allerdings je nach regionalem und sozialem Hintergrund stark unterscheiden. Afghanistan verpflichtet sich in seiner Verfassung durch die Ratifizierung internationaler Konventionen und durch nationale Gesetze, die Rechte der Frauen zu achten und zu stärken. In der Praxis mangelt es jedoch oftmals an der praktischen Umsetzung dieser Rechte. Viele Frauen sind sich ihrer in der Verfassung garantierten und im Islam vorgegebenen Rechte nicht bewusst. Eine Verteidigung ihrer Rechte ist in einem Land, in dem die Justiz stark konservativ-traditionell geprägt und überwiegend von männlichen Richtern bestimmt wird, nur in wenigen Fällen möglich. Staatliche Akteure aller drei Gewalten sind häufig nicht in der Lage – oder aufgrund konservativer Wertevorstellungen nicht gewillt –, Frauenrechte zu schützen [Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage, vom 04.06.2013, S.12]. In den vergangenen Jahren hat sich die Situation der Frauen im Land drastisch verschlimmert [Die Presse vom 15.07.2012]. Anfang Juli 2012 wurde in einem Dorf in der Provinz Parwan, etwa eine Autostunde von Kabul entfernt, eine 22-jährige Frau als (angebliche) Ehebrecherin mit mehreren Schüssen vor einem teilweise jubelnden Publikum hingerichtet; die Provinzregierung beschuldigte die Taliban, die jedoch jede Verantwortung von sich wiesen [Der Spiegel-Online vom 08.07.2012, download am 31.07.2012].

Die Situation afghanischer Frauen hat sich seit dem Sturz der Taliban-Herrschaft teilweise verschlechtert. Die Bewegungsfreiheit bleibt, mit regionalen Unterschieden, stark eingeschränkt. Die registrierten Fälle physischer Gewalt gegenüber Frauen sind seit März 2007 um rund 40 Prozent gestiegen: 2374 registrierte Übergriffe im Jahr 2007 (Januar bis November 2006: 1545 Fälle). Die Dunkelziffer dürfte wesentlich höher liegen. In diesem Zeitraum haben rund 626 Frauen einen Selbstmordversuch begangen. Erzwungene Heiraten, häusliche Gewalt, sexuelle Übergriffe und Vergewaltigungen, Frauenhandel und Ehrenmorde gehören zu den gegen Frauen angewandten Gewaltformen. Die Täter sind meist männliche Familienmitglieder. Wenn Frauen Anzeige erstatten, werden sie oft genau den von ihnen angezeigten Männern ausgeliefert. Vieles deutet darauf hin, dass die staatlichen Akteure in Afghanistan nicht in der Lage oder wegen konservativ-islamischer Wertevorstellungen nicht gewillt sind Frauen zu schützen. Frauen bleiben meist ihrem Schicksal überlassen. Die Direktoren der Departemente für Frauenangelegenheiten in Kandahar, Helmand, Farah, Uruzgan, Wardak und Nuristan erhielten Gewaltandrohungen. Massoma Anwary, Vorsteherin des Departements für Frauenangelegenheiten, überlebte im November 2007 einen Anschlag auf ihr Leben: Täter sind meist bewaffnete Bewegungen oder Führer des konservativ-religiösen Establishments (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Update Afghanistan, 21.08.2008).

Die Lage der Frauen unterscheidet sich je nach regionalem und sozialem Hintergrund stark. Auch die unbefriedigende Sicherheitslage in weiten Landesteilen erlaubt es den Frauen nicht, die mit Überwindung der Taliban und ihrer frauenverachtenden Vorschriften erwarteten Freiheiten wahrzunehmen. Die meisten Frauen sind sich ihrer in der Verfassung garantierten Rechte nicht bewusst. Eine Verteidigung ihrer Rechte ist in einem Land, in dem die Justiz stark konservativ-traditionell geprägt und überwiegend von männlichen Richtern bestimmt wird sowie kaum qualifizierte Anwälte zur Verfügung stehen, in den seltensten Fällen möglich. Staatliche Akteure aller drei Gewalten sind häufig nicht in der Lage oder aufgrund konservativer Wertvorstellungen nicht gewillt Frauenrechte zu schützen. (Bericht des deutschen Auswärtigen Amtes vom 10.01.2012 über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan, S. 20, Stand: Jänner 2012).

Frauen werden weiterhin in Familien-, Erb-, Zivilverfahren sowie im Strafrecht benachteiligt. Dies gilt vor allem hinsichtlich des Straftatbestandes "Ehebruch", wonach selbst Opfer von Vergewaltigungen bestraft werden können. Es gibt Berichte, dass Frauen wegen "Ehebruchs" von Ehemännern oder anderen Familienmitgliedern umgebracht werden (so genannte "Ehrenmorde", die besonders in den paschtunischen Landesteilen vorkommen können). Das durchschnittliche Heiratsalter von Mädchen liegt bei 15 Jahren, obwohl ein Mindestheiratsalter von 16 Jahren gesetzlich verankert ist. Zwangsheirat bereits im Kindesalter, "Austausch" weiblicher Familienangehöriger zur Beilegung von Stammesfehden sowie weit verbreitete häusliche Gewalt kennzeichnen die Situation der Frauen. Opfer sexueller Gewalt sind dabei auch innerhalb der Familie stigmatisiert. Das Sexualdelikt wird in der Regel als "Entehrung" der gesamten Familie aufgefasst. Sexualverbrechen zur Anzeige zu bringen hat aufgrund des desolaten Zustands des Sicherheits- und Rechtssystems wenig Aussicht auf Erfolg. Der Versuch endet u. U. mit der Inhaftierung der Frau, sei es aufgrund unsachgemäßer Anwendung von Beweisvorschriften oder zum Schutz vor der eigenen Familie, die eher die Frau oder Tochter eingesperrt als ihr Ansehen beschädigt sehen will. Viele Frauen sind wegen so genannter Sexualdelikte inhaftiert, weil sie sich beispielsweise einer Zwangsheirat durch Flucht zu entziehen versuchten, vor einem gewalttätigen Ehemann flohen oder weil ihnen vorgeworfen wurde, ein uneheliches Kind geboren zu haben (Bericht des deutschen Auswärtigen Amtes vom 10.01.2012 über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan, S. 20, 21, Stand: Jänner 2012).

Das Rechtssystem und die afghanische Gesellschaftsordnung diskriminieren Frauen in verschiedener Hinsicht. Insbesondere wegen folgender als Delikte geahndeter Handlungen droht Frauen aus politischen oder religiösen Gründen bzw. wegen der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe eine unverhältnismäßig harte Bestrafung bis hin zu extralegalen Tötungen (auch Ehrenmorde): Verstöße gegen Kleidervorschriften und Moralvorschriften, z. B. berufliche Aktivitäten, Beziehungen zu einem Nichtmuslim, außereheliche sexuelle Kontakte, Zwangsheirat, Mitarbeit bei Frauenorganisationen (Position der Schweizerischen Flüchtlingshilfe, Asylsuchende aus Afghanistan vom 26.02.2009).

Die Situation der Frauen in Afghanistan hat sich seit dem Jahr 2007 nicht verbessert, Frauen sind besonders gefährdet, Opfer von Misshandlungen zu werden, wenn ihr Verhalten als nicht mit den von der Gesellschaft, der Tradition oder sogar vom Rechtssystem auferlegten Geschlechterrollen vereinbar angesehen wird. Afghanische Frauen, die einen weniger konservativen Lebensstil angenommen haben, beispielsweise solche, die aus dem Exil im Iran oder in Europa zurückgekehrt sind, werden nach wie vor als soziale und religiöse Normen überschreitend wahrgenommen. Als Folge können sie Opfer von häuslicher Gewalt oder anderer Formen der Bestrafung werden, die von der Isolation und Stigmatisierung bis hin zu Ehrenmorden auf Grund der über die Familie, die Gemeinschaft oder den Stamm gebrachte "Schande" reichen. Tatsächliche oder vermeintliche Überschreitungen der sozialen Verhaltensnormen umfassen nicht nur das Verhalten im familiären oder gemeinschaftlichen Kontext, sondern auch die sexuelle Orientierung, das Verfolgen einer beruflichen Laufbahn und auch bloße Unstimmigkeiten über die Art des Auslebens des Familienlebens.

Alleinstehende Frauen oder Frauen ohne männlichen Schutz (mahram) sind weiterhin in Bezug auf eine normale soziale Lebensführung eingeschränkt. Betroffen sind geschiedene, unverheiratete, jedoch nicht jungfräuliche Frauen und Frauen, deren Verlobung gelöst wurde. Außer wenn sie heiraten, was angesichts des gesellschaftlichen Stigmas sehr schwierig ist, sind soziale Unterdrückung und Diskriminierung üblich. Allein lebenden Frauen ohne männliche Unterstützung und Schutz fehlt es infolge der sozialen Einschränkungen, einschließlich der Einschränkungen der Bewegungsfreiheit, grundsätzlich an Mitteln zum Überleben. Dies spiegelt sich im Fall der wenigen Frauen wieder, die ein Frauenhaus aufsuchen konnten. Da es für sie keine Möglichkeit gibt, unabhängig zu leben, sehen sie sich mit einer jahrelangen haftähnlichen Situation im Frauenhaus konfrontiert und entscheiden sich deswegen vielfach für die Rückkehr in die durch Missbrauch geprägte familiäre Situation. Ergebnisse dieser "Versöhnungen" werden nicht weiter beobachtet und Misshandlungen oder Ehrenmorde, die nach der Rückkehr begangen werden, bleiben oft unbestraft. Zwangs- und Kinderheirat werden in Afghanistan nach wie vor weit verbreitet praktiziert und können in unterschiedlichen Formen in Erscheinung treten. Auch ist der Zugang zu Bildung für Mädchen stark eingeschränkt. Darüber hinaus werden Frauenrechtsaktivisten bedroht und eingeschüchtert, insbesondere wenn sie ihre Stimme zu Frauenrechten, der Rolle des Islam oder das Verhalten von Befehlshabern erheben.

Angesichts der weit verbreiteten gesellschaftlichen Diskriminierung und der geschlechtsspezifischen Gewalt können afghanische Frauen und Mädchen - insbesondere in den vom bewaffneten Konflikt betroffenen oder sich unter der faktischen Kontrolle der bewaffneten regierungsfeindlichen Gruppen befindlichen Gebieten - je nach ihrem individuellen Profil und ihren persönlichen Umständen einer Verfolgungsgefahr ausgesetzt sein. Das Abweichen von den konventionellen Rollen oder die Überschreitung der gesellschaftlichen und religiösen Normen kann dazu führen, dass Frauen und Mädchen Gewalt, Schikanierungen und Diskriminierungen ausgesetzt sind. Frauen mit bestimmten Profilen können einer Verfolgungsgefahr ausgesetzt sein, beispielsweise Opfer von häuslicher oder anderer Formen schwerwiegender Gewalt, alleinstehende Frauen oder weibliche Familienvorstände, Frauen mit erkennbaren gesellschaftlichen oder beruflichen Rollen wie Journalistinnen, Menschenrechtsaktivistinnen und in der Gemeindearbeit tätige Frauen (UNHCR's Eligibility Guidelines for Assessing the International Protection Needs of Afghan Asylum Seekers, Juli 2009 [deutsche Zusammenfassung vom 10. November 2009]).

Verletzende traditionelle Praktiken in Afghanistan, einschließlich Zwangsverheiratung und Verheiratung von Kindern, Ehrenmorde, Haft für formell nach nationalem Recht nicht strafbares Verhalten und Blutrache, betreffen sowohl Männer als auch Frauen. Letztgenannte jedoch unverhältnismäßig stark. Frauen ohne den effektiven Schutz von Männern oder die Unterstützung durch die Familie sowie allein stehende Frauen im heiratsfähigen Alter sind in Afghanistan rar und werden nach wie vor mit Argwohn betrachtet. Sie sind einem hohen Risiko ausgesetzt, von ihren Familien gegen ihren Willen verheiratet zu werden. Allein stehende Frauen laufen Gefahr durch die afghanische Gemeinschaft geächtet oder Opfer von boshaften Gerüchten zu werden, die ihren Ruf und ihren gesellschaftlichen Status zerstören können. Dies setzt sie einem erhöhten Risiko von Missbrauch, Bedrohungen, Belästigungen und Einschüchterungen durch afghanische Männer aus, einschließlich des Risikos, entführt, sexuell missbraucht oder vergewaltigt zu werden. In der Mehrheit dieser Fälle ist die Regierung nicht in der Lage, diese Frauen effektiv zu schützen (UNHCR's Eligibility Guidelines for Assessing the International Protection Needs of Afghan Asylum Seekers, Dezember 2007).

Seit 2011 hat die afghanische Regierung wichtige Maßnahmen unternommen, um die Situation von Frauen im Land zu verbessern. Dennoch gibt die Situation von Frauen und Mädchen in vielen Bereichen weiterhin Anlass zu großer Sorge. Dies trifft besonders in Gebieten zu, die unter der effektiven Gewalt der Taliban und Hezb-i Islami (Gulbuddin) stehen, in welchen Frauen in einer Vielzahl von Berufen, einschließlich als Staatsbedienstete, Opfer von zielgerichteten Angriffen sind (UNHCR - UN High Commissioner for Refugees: UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, Zusammenfassende Übersetzung, 24.03.2011).

Soziale Gebräuche beschränkten die Bewegungsfreiheit von Frauen ohne einen männlichen Begleiter. Religiöse Organisationen verschärften in einigen Provinzen die soziale Inakzeptanz gegenüber alleine reisenden oder nur alleine das Haus verlassenden Frauen. Der Ulema-Rat für die westliche Region gab eine Deklaration heraus in der Frauen, die sich weiter als 54 Meilen [~87km] von ihrem Haus entfernen, einen männlichen Begleiter benötigen. Außerdem wurde es weiblichen Angestellten in ausländischen Organisationen untersagt, alleine mit einem ausländischen Mann in einem Raum zu arbeiten (US DOS - U.S. Department of State: 2010 Human Rights Report - Afghanistan, 08.04.2011).

AIHRC registrierte im Berichtszeitraum eine steigende Anzahl von Vergewaltigungen, Misshandlungen und ähnlichen v.a. gegen Frauen gerichtete Straftaten. Weitgehend besteht aber Einigkeit darüber, dass diese Zunahme im Wesentlichen darauf zurückzuführen ist, dass solche Straftaten vermehrt angezeigt werden. Auch eine erhöhte Sensibilisierung auf Seiten der afghanischen Polizei und Justiz führt zu einer sich langsam aber stetig verbessernden Lage der Frauen in Afghanistan. Dennoch geschieht es immer wieder, dass Frauen, die entweder eine solche Straftat zur Anzeige bringen oder aber von der Familie aus Gründen der Ehrenrettung angezeigt werden, wegen sog. Sittenverbrechen oder "Verlassen der ehelichen Wohnung" inhaftiert werden. Laut einem Bericht von Human Rights Watch von März 2012 befanden sich in Afghanistan ca. 400 Frauen wegen solcher "Verbrechen" in Haft. Weibliche Opfer von häuslicher Gewalt oder Vergewaltigungen sind meist auf Schutzmöglichkeiten außerhalb der Familie angewiesen, da die Familie oft (mit-)ursächlich für die Notlage ist. Landesweit gibt es Frauenhäuser, deren Angebot reichlich in Anspruch genommen wird. Die Frauenhäuser sind in der afghanischen Gesellschaft höchst umstritten, da immer wieder Gerüchte gestreut werden, diese Häuser seien Orte für unmoralische Handlungen und die Frauen seien in Wahrheit Prostituierte. Das Schicksal von Frauen, die auf Dauer weder zu ihren Familien noch zu ihren Ehemännern zurückkehren können, ist bisher ohne Perspektive. Für diese erste "Generation" von Frauen, die sich seit Ende der Taliban-Herrschaft in den Schutzeinrichtungen eingefunden haben, hat man in Afghanistan bisher keine Lösung gefunden. Generell ist in Afghanistan das Prinzip eines individuellen Lebens weitgehend unbekannt. Auch unverheiratete Erwachsene leben in der Regel im Familienverband. Für Frauen ist ein alleinstehendes Leben außerhalb des Familienverbandes bisher undenkbar. [Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage, vom 04.06.2013, S.12-13].

Das afghanische Parlament hat ein Gesetz verabschiedet, das Männern, die Frauen misshandeln, faktisch Straffreiheit garantiert. Präsident Karzai muss es nur noch unterzeichnen; 05.02.2014. Dem Gesetz zufolge ist es Verwandten künftig verboten, gegen die Peiniger in der eigenen Familie auszusagen. Dies würde die Verfolgung von häuslicher Gewalt erheblich erschweren. Da die Mehrheit der Afghanen in mit Lehm ummäuerten Anlagen im Rahmen von Großfamilienstrukturen lebt, könnten durch das Gesetz somit faktisch alle potentiellen Zeugen von einer Aussage ausgeschlossen werden. (Frankfurter Allgemeine Politik, Afghanistan Neues Gesetz beschneidet Frauenrechte drastisch,

.faz.net/aktuell/politik/ausland/asien/afghanistan-neues-gesetz-beschneidet-frauenrechte-drastisch-12785948.html, download am 12.03.2014)

Bildung/Berufstätigkeit

Frauen waren unter den Taliban (1996-2001) von jeglicher Bildung ausgeschlossen. Die Alphabetisierungsrate bei Frauen liegt Schätzungen zufolge in der Größenordnung von 10%. Nach Angaben von UNICEF können nur 18% der Mädchen und Frauen im Alter zwischen 15 und 24 Jahren lesen und schreiben. Für die wenigen hochqualifizierten Afghaninnen hat sich jedoch der Zugang zu adäquaten Tätigkeiten bei der Regierung verbessert. Die Entwicklungsmöglichkeiten für Mädchen und Frauen bleiben durch die strenge Ausrichtung an Traditionen und fehlender Schulbildung weiterhin wesentlich eingeschränkt. Wiederholte Gasangriffe auf Mädchenschulen (zuletzt am 25.08.2010, Totja-Oberschule, Kabul - der fünfte mutmaßliche Gasangriff auf eine Mädchenschule in Kabul 2010; 2011 wurden keine derartigen Vorkommnisse bekannt) bestätigen, dass Schulbildung für Mädchen immer noch von einem Teil der Bevölkerung abgelehnt wird (Bericht des deutschen Auswärtigen Amtes vom 10.01.2012 über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan, S. 22, Stand: Jänner 2012).

Der Zugang zu Bildung, Gesundheit und Arbeit steht jedoch vielen Frauen nur theoretisch offen, praktisch sind sie die am meisten von der Armut, Diskriminierung und Rechtlosigkeit betroffene Bevölkerungsgruppe geblieben. In vielen Landesteilen sind sie vom öffentlichen Leben weiterhin weitgehend ausgeschlossen. Gezielte Übergriffe radikal-muslimischer Kräfte auf Frauen und Mädchen sind alltäglich. So soll der Schulbesuch von Mädchen verhindert werden (Gesellschaft für bedrohte Völker, Menschenrechtsreport 53, Juni 2008).

Einige lokale Behörden schließen Frauen von jeglicher Erwerbstätigkeit außerhalb des Haushalts oder der Landwirtschaft aus (US Department oft State, Human Rights Report 2008, Afghanistan vom 25.02.2009).

Bedrohungen und Einschüchterungen gegen Frauen im öffentlichen Leben sind dramatisch angewachsen. Die besten Berufsaussichten für Frauen finden sich im öffentlichen Dienst und in internationalen Organisationen. Die Abteilung für Frauenangelegenheiten berichtet von Bedrohungen gegenüber berufstätigen Frauen. Die Lage der Frauen hat sich insofern im Gegensatz zur Zeit vor 2007 verschlechtert, dass die Frauen sich jetzt weniger trauen sich in der Öffentlichkeit zu äußern und die Möglichkeiten, die ihnen in der Öffentlichkeit zu Verfügung stehen, in Anspruch zu nehmen. Früher, vor 2007, sind sie z. B. in den Städten teilweise ohne Begleitung einkaufen gegangen. Heute, wenn möglich, meiden sie die Öffentlichkeit. Es wurden bis jetzt mehrere weibliche Abgeordnete und Journalistinnen getötet. Viele Frauen, die früher im Rahmen der internationalen Organisationen und im Rahmen der Regierungsprogramme in der Öffentlichkeit gearbeitet haben, haben ihre Jobs aufgegeben, weil die Fundamentalisten über sie Schlechtes verbreitet haben. Deshalb wurden sie von ihren Familien eingeschränkt, weil sie dem psychischen Terror der Gesellschaft unterlegen waren, z.B. wenn in der Gesellschaft verbreitet wird, dass die Frau mit dem Chauffeur eine Beziehung hat, kommt das einem Rufmord gleich, sodass die Familie die Frau nicht mehr arbeiten schickt (Human Rights Watch, Word Report 2009 vom 14.01.2009 [Zugriff am 19.05.2009]; UNHCR, Annual Report vom 16.01.2009 [Zugriff am 20.02.2009]; Sachverständigengutachten in der Beschwerdeverhandlung vom 12.12.2008, C6 267.439-0/2008/8E [Zugriff am 19.05.2009]).

Zwangsverheiratungen

Jedes Jahr töten sich mehrere hundert Frauen aus Verzweiflung über Entführungen, Zwangsheirat und Gewalt selbst. Sogar Mädchen im Alter von nur sechs Jahren werden zwangsweise verheiratet. Sie werden nicht nur durch ihre Männer sondern auch durch deren Familienangehörige mit Vergewaltigung und einem Leben in Sklaverei bedroht. Oft dürfen sie nach der Heirat die eigenen Eltern und andere Familienangehörige nicht mehr sehen und es wird ihnen der Schulbesuch verboten. Da viele dieser Mädchen ihre Rechte entweder gar nicht kennen oder zumindest nicht wissen, wie sie diese einfordern können, sehen sie als einzigen Ausweg allzu oft nur die Selbstverbrennung. Gemäß einer Studie der Organisation "Womankind" beklagen 87 Prozent der Frauen, Opfer von Gewalt in der Ehe oder im öffentlichen Leben geworden zu sein (Independent, 25.02.2008). Die Hälfte aller Übergriffe sei sexuell motiviert. Seit März 2007 hat nach UN-Angaben die Zahl der offiziell registrierten Gewalttaten gegen Frauen und Mädchen um 40 Prozent zugenommen (IRIN, 08.03.2008). Diese erschreckenden Zahlen sind vermutlich auf eine gestiegene Bereitschaft bei Frauen zurückzuführen, Gewalttaten anzuzeigen, die zuvor in der hohen Dunkelziffer verschwanden. Mehr als 60 Prozent aller Eheschließungen erfolgten laut "Womankind" unter Zwang. 57 Prozent der Bräute seien jünger als 16 Jahre alt (Gesellschaft für bedrohte Völker, Menschenrechtsreport 53, Juni 2008).

Entsprechend den Berichten der Afghanistan Independent Human Rights Commission sind 68-80 % der Ehen in Afghanistan sog. "Zwangsehen" (South Asia Human Rights Index 2008). Nach den afghanischen Traditionen/Gebräuchen wird eine Witwe an ihren Schwager oder sonstige nahe Verwandte ihres verstorbenen Ehegatten (zwangs)verheiratet (ACCORD-Anfragebeantwortung vom 30.06.2005 [u.a.] betreffend zwangsweise Wiederverheiratung von Witwen).

Gesundheitliche Situation für Frauen

Der Gesundheitszustand der afghanischen Bevölkerung gehört zu den schlechtesten weltweit. Die Lebenserwartung der afghanischen Bevölkerung gehört mit 42 Jahren zu den tiefsten der Welt. Im ganzen Land stehen der afghanischen Bevölkerung lediglich 210 Gesundheitseinrichtungen mit Betten zur Hospitalisierung zur Verfügung. Mit Ausnahme von vier Provinzen beträgt die Ärztedichte landesweit ein Arzt auf 10'000 Einwohner. Gemäß Angaben des deutschen Auswärtigen Amtes besteht in weiten Landesteilen keine medizinische Versorgung. Kinder und Frauen gehören zu den speziell vernachlässigten Personengruppen. Die Müttersterblichkeitsrate ist mit 1600 - 1900 auf 100.000 Geburten weltweit die zweithöchste. Bei rund 70 - 85 Prozent der Geburten war keine dafür ausgebildete Person anwesend. Der Zugang zu medizinischen Einrichtungen ist für Frauen kulturell bedingt schlechter als für Männer. Dies gilt insbesondere dann, wenn kein weibliches Gesundheitspersonal anwesend ist. Im Bereich der psychischen Erkrankungen existieren in Afghanistan nur sehr limitierte Einrichtungen und eine höchst rudimentäre Behandlung (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Update Afghanistan, 21.08.2008). [Auch] für werdende Mütter ist die gesundheitliche Situation noch immer katastrophal. Aufgrund mangelnder ärztlicher Versorgung stirbt eine von neun Müttern bei der Geburt ihres Kindes. Nur im westafrikanischen Staat Sierra Leone ist die Situation ebenso dramatisch. Alle 27 Minuten stirbt in Afghanistan eine Frau aufgrund von Komplikationen während der Schwangerschaft. Nur 14 Prozent aller Frauen wurden im Jahr 2006 während der Geburt von ausgebildetem medizinischen Personal begleitet (Radio Free Asia, 10.05.2008, IRIN, 30.01.2008; Gesellschaft für bedrohte Völker, Menschenrechtsreport 53, Juni 2008). Die durchschnittliche Lebenserwartung für Frauen in Afghanistan liegt bei ca. 44 bis 46 Jahren (South Asia Human Rights Index 2008, bzw. Human Rights Watch, Country Summary Afghanistan, January 2008).

Eine bessere medizinische Versorgung von Frauen und Kindern ist dringend geboten; die Sterblichkeit von Kindern unter 5 Jahren beträgt in Afghanistan 191 pro 1000 Geburten. Eine Behandlung in Krankenhäusern wird von Personen, die sich die entsprechende Anreise leisten können, gewöhnlich in angrenzenden Ländern, insbesondere in Peshawar (Pakistan) durchgeführt (IOM - International Organization for Migration: Länderinformationsblatt Afghanistan, Oktober 2010).

Der vorhandene Anteil an Ärztinnen (23 %) stellt insofern ein Problem dar, da sich Frauen nur von Frauen behandeln lassen wollen bzw. die Ehemänner und Väter nur eine Behandlung durch Frauen zulassen. Ein Grund für den Mangel an weiblichen Ärzten liegt in der schlechten Sicherheitslage in vielen ländlichen Gebieten. In Kabul selbst gibt es zwei Entbindungsstationen.

Vor allem am Land ist die medizinische Behandlung für Frauen deshalb schwierig. Sie erhalten medizinische Hilfe meist von älteren Frauen ohne entsprechende medizinische Instrumente. Dies ist auch ein Grund für die hohe Kinder- und Müttersterblichkeit (BAA: Bericht zur Fact Finding Mission Afghanistan, 20-29. Oktober 2010, Dezember 2010).

Rechtliche Gleichstellung/Diskriminierung

Die Verfassung enthält einen umfangreichen Menschenrechtskatalog, der politische, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte umfasst. Gemäß Art. 22 ha

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten