TE Vwgh Erkenntnis 2000/6/8 99/20/0398

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Veröffentlicht am 08.06.2000
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §32 Abs2;
AsylG 1997 §6;
AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
AVG §37;
AVG §45 Abs2;
AVG §46;
AVG §52 Abs1;
AVG §66 Abs4;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwGG §42 Abs2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Puck und die Hofräte Dr. Stöberl, Dr. Baur, Dr. Nowakowski und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hohenecker, über die Beschwerde des GE, geboren am 19. Oktober 1982, vertreten durch Dr. Wolfgang Vacarescu, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Jakominiplatz 16/II, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 13. Juli 1999, Zl. 204.850/14-XII/36/99, betreffend Abweisung eines Asylantrages gemäß § 6 Z 3 Asylgesetz und Feststellung gemäß § 8 Asylgesetz (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund (Bundeskanzleramt) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer reiste seinen Angaben zufolge am 3. August 1998 in das Bundesgebiet ein und behauptet, Staatsangehöriger von Sierra Leone zu sein. Am 4. August 1998 beantragte er Asyl.

Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 14. August 1998 wurde im Spruchpunkt 1 der Asylantrag gemäß § 6 Z 3 AsylG als offensichtlich unbegründet abgewiesen und im Spruchpunkt 2 gemäß § 8 AsylG ausgesprochen, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Sierra Leone zulässig sei.

Das Bundesasylamt begründete die Abweisung des Asylantrages damit, dass die Angaben des Beschwerdeführers, "aus Freetown (zu) stammen, dort für eine Rebellengruppe gekämpft (zu) haben und deswegen möglicherweise von der Polizei gesucht (zu) werden, als offensichtlich falsch zu bezeichnen (sind)".

Der Beschwerdeführer habe "keine Dokumente oder Unterlagen anderer Art vorlegen" können, weshalb das Bundesasylamt ausschließlich auf seine Angaben angewiesen sei. Der Beschwerdeführer habe angegeben, in der Stadt Freetown zusammen mit seinem Onkel 10 Jahre gelebt und dort zuletzt gezwungenermaßen für die "Armed Force Revolutionary Council" gekämpft zu haben. Der Beschwerdeführer habe auf einer ihm vorgehaltenen Lageskizze von Freetown das Haus seines Onkels, der als Fischer arbeite, in der "Circular Road" in der Nähe der Kreuzung "Regent Road" eingezeichnet. Freetown liege am Meer und die vom Beschwerdeführer bezeichnete Wohnadresse etwa 1,3 km von der Küste entfernt im Bereich des Regierungsviertels. Wenn eine Person seit Jahren sehr nahe am Meer lebe, müsse davon ausgegangen werden, dass sie diese Tatsache realisiere und dazu nähere Angaben machen könne. Der Beschwerdeführer sei zwar in der Lage gewesen, in Freetown den "Cotton Tree" und die "Pademba Road" zu nennen, nicht aber anzugeben, in welche Richtung von seinem angeblichen Wohnsitz das Meer oder der Flugplatz liege. Die vom Beschwerdeführer angegebene Fahrzeit von etwa einer Stunde mit dem Bus bis zum Meer "dürfte nur mit einem gewaltigen Umweg zu erreichen sein". Auf die Frage, wie sein Onkel ans Meer gekommen sei, habe der Beschwerdeführer angegeben, er wisse das nicht, "vielleicht mit einem kleinen Schiff". Auf Grund dieser geographisch mangelhaften Kenntnisse über die Verhältnisse in Freetown sei davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer nicht aus Sierra Leone stamme. Demgemäß könne auch nicht angenommen werden, dass er dort im Sinne des § 57 Abs. 1 FrG bedroht wäre.

Dagegen erhob der Beschwerdeführer Berufung. Darin brachte er vor, er habe mit seiner Aussage, er sei gezwungen gewesen für die "ARFC" zu kämpfen und deshalb Verfolgung von Regierungsleuten ausgesetzt, einen konkreten Hinweis auf eine ihn betreffende Gefahr vor Verfolgung gegeben. Hinsichtlich der zur Begründung seiner Unglaubwürdigkeit herangezogenen Aussage, er wisse nicht, wo das Meer sei bzw. habe angegeben, nie am Meer gewesen zu sein, halte er fest, dass er während der Zeit in Freetown für seinen Lebensunterhalt habe sorgen müssen und daher nicht das Bedürfnis gehabt habe, ans Meer zu gehen. Er sei bereit, zu seiner Identität sämtliche Fragen zu beantworten.

Die belangte Behörde führte eine mündliche Berufungsverhandlung durch, zu der sie neben einem Dolmetscher für die englische Sprache zusätzlich als "Dolmetscher für Krio" Herrn SK beizog. In der Verhandlung wurde der beigezogene Dolmetscher "nach Wahrheitserinnerung" aufgefordert, sich mit dem Beschwerdeführer "auf Krio zu unterhalten". Zur Person des Dolmetschers wurde festgehalten, dass er nach seinen Angaben am 15. Dezember 1978 geboren, aus "Tongo Koindu" stamme und bis 1995 in Sierra Leone wohnhaft gewesen sei. Im Protokoll heißt es weiters:

"Nach einem längeren Gespräch erklärt er (der Dolmetscher K), dass der Asylwerber eine andere Art von Pidgin-Englisch spricht als in Freetown und überhaupt in Sierra Leone gebräuchlich ist. Es gebe ein Westafrikanisches Pidgin-Englisch, das in Ghana, Nigeria, Sierra Leone, Camerun und Liberia gesprochen werde. Dieses Pidgin-Englisch sei jeweils durch einen besonderen Tonfall gekennzeichnet. Der in Sierra Leone gesprochene Tonfall werde als Krio bezeichnet. Der Asylwerber spreche nicht diesen sondern einen anderen Tonfall."

Der Beschwerdeführer gab über Frage seines Rechtsvertreters an, dass er eine Landkarte "nicht wirklich lesen" könne. Zu seinem Heimatort gab er an, dass er aus "Raba (phonetisch) in Koindu" stamme und dem "Stamm der Mandingo" angehöre.

Der Dolmetscher K erklärte dazu, dass er aus Koindu stamme, welches eine große Stadt in der Provinz Kailahun sei und er gehöre zum Stamm der "Temne". Nach übereinstimmenden Aussagen des Dolmetschers und des Beschwerdeführers bestehe keine Feindschaft zwischen diesen beiden Stämmen.

Der Beschwerdeführer gab an, seine Muttersprache sei "Madingu (phonetisch)". Er könne "ein wenig Krio".

In der mündlichen Berufungsverhandlung wurden weder vom Beschwerdeführer und seinem Rechtsvertreter Ablehnungsgründe gegen den beigezogenen Dolmetscher geltend gemacht noch wurde seine Sachkunde bezweifelt.

Weiter gehende Fragen zu den geographischen, gesellschaftlichen oder politischen Verhältnissen in Sierra Leone wurden nicht gestellt.

Mit dem angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde die Berufung gemäß § 6 Z 3 AsylG abgewiesen und neuerlich gemäß § 8 AsylG i.V.m. § 57 FrG festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Sierra Leone zulässig sei.

In der Begründung führte die belangte Behörde nach Wiedergabe des Vorbringens des Beschwerdeführers und Darlegung des Ganges des Verwaltungsverfahrens aus,

"die (Negativ-)Feststellungen, dass der Asylwerber nicht aus Sierra Leone stammt und die von ihm behaupteten Verfolgungsgründe nicht den Tatsachen entsprechen, stützen sich zum einen darauf, dass der Asylwerber - obwohl er angab, ein wenig Krio zu sprechen - nicht in der Lage war, mit dem Dolmetsch in dieser Sprache zu kommunizieren und der Dolmetsch zu dem Ergebnis gelangte, dass der Asylwerber eine andere Art Pidgin-Englisch spricht und offenbar nicht aus Sierra Leone stammt. Zum anderen ist auf die zutreffende Beweiswürdigung des Bundesasylamtes im angefochtenen Bescheid zu verweisen. Hierzu ist im Einzelnen noch Folgendes auszuführen:

Die Antworten des Asylwerbers zu den ihm zur geographischen Lage Freetowns und zu seinem Wohnort gestellten Fragen weisen eindeutig darauf hin, dass der Asylwerber nicht längere Zeit hindurch in Freetown gelebt haben kann. Selbst unter Berücksichtigung, dass der vom Bundesasylamt herangezogene Stadtplan von Freetown keine besonders große Detaillierung aufweist, geht daraus doch hervor, dass sich der vom Asylwerber angegebene Wohnort ca. 1,3 km von der Küste entfernt befindet. Der dem Asylwerber nach seinen Angaben ebenfalls bekannte "Cotton-Tree" im Stadtzentrum befindet sich ca. 400 m von der Küste entfernt. Es ist nicht plausibel, dass eine Person, die ca. 1,5 km von der Küste entfernt lebt und auch den vorhin genannten "Cotton-Tree" zu kennen behauptet, nicht angeben kann, in welcher Himmelsrichtung sich von ihrem Wohnort aus gesehen die Meeresküste befindet. Diese Unkenntnis kann auch nicht - wie in der Berufung - schlüssig damit erklärt werden, dass der Asylwerber um sein Fortkommen besorgt gewesen sei und keine Zeit gehabt habe, ans Meer zu gehen. Denn selbst, wenn der Asylwerber keine Zeit dazu gehabt hätte, ans Meer zu gehen, so müsste ihm angesichts der geringen Entfernung seines Wohnortes zur Küste zumindest die Himmelsrichtung bekannt sein. Ebenso erscheinen die Angaben des Asylwerbers, dass ein Onkel - angeblich Fischer - möglicherweise mit einem kleinen Schiff ans Meer gefahren sei, da in der Umgebung des vom Asylwerber angegeben Wohnortes in der Circular Road weit und breit kein Gewässer zu erkennen ist, das ein Befahren mit einem Schiff oder Boot ermöglichen würde.

Des Weiteren erscheinen auch die Angaben des Asylwerbers zu seinem Geburtsort Koindu im Kono-Distrikt unglaubwürdig, da der Asylwerber zum einen ausführt, über die Bevölkerungszahl in diesem Ort nichts zu wissen, da er dort seit seinem sechsten Lebensjahr nicht mehr gewesen sei, andererseits aber angibt, den Ort Koindu noch relativ (kurze) Zeit vor seiner Flucht aufgesucht zu haben, um dort seinen Verwandten einen Besuch abzustatten.

Die Erwägungen des Bundesasylamtes, wonach die Angaben des Asylwerbers über seinen Wohnort und seinen Herkunftsort als unglaubwürdig zu qualifizieren sind, erweisen sich demnach als zutreffend. Da dem Asylwerber sohin in diesem Punkt kein Glauben geschenkt werden kann, müssen auch seine Ausführungen zu den Fluchtgründen als unglaubwürdig qualifiziert werden. Dies im Hinblick darauf, dass sich das vom Asylwerber behauptete Geschehen (Verfolgung durch Anhänger von Präsident Kabbah) an dessen Wohnort ereignet haben soll, sohin die Richtigkeit der Angaben über den Wohnsitz eine notwendige Voraussetzung für die Richtigkeit der Angaben des Asylwerbers zum Fluchtgrund darstellt."

Wenn ein Asylwerber einfache Fragen zu seinem Wohnort bzw. Herkunftsort, deren Beantwortung auch Personen mit einem sehr geringen Bildungsgrad ohne weiteres möglich sein müsste, nicht bzw. nicht richtig beantworten könne und die Angaben des Asylwerbers zu seinem Wohnort demnach als unrichtig qualifiziert werden müssten, so liege offenbar eine Täuschung der Asylbehörde bzw. ein Missbrauch des Asylverfahrens vor. Demgemäß lägen die Voraussetzungen des § 6 Z 3 AsylG vor.

Ausgehend von den weiters getroffenen Feststellungen zu den Bürgerkriegsverhältnissen in Sierra Leone gelangte der unabhängige Bundesasylsenat in seinem Ausspruch nach § 8 AsylG zu dem Ergebnis, die Verhältnisse seien nicht derart, dass infolge Zusammenbruchs der Staatsgewalt jeder dorthin abgeschobene Fremde einer Gefahr im Sinne des § 57 Abs. 1 oder 2 Fremdengesetz ausgesetzt wäre.

Es würden zumindest die Hauptstadt Freetown und die umliegenden Landesteile von der legitimen Staatsregierung mit Unterstützung der ECOMOG-Truppen kontrolliert und insoweit sei die Staatsgewalt in Sierra Leone funktionsfähig. Im Übrigen sei auf den am 6. Juli 1999 in Lome geschlossenen Waffenstillstand zu verweisen, der voraussichtlich eine Normalisierung der Situation im gesamten Staatsgebiet mit sich bringen werde. Demgemäß sei der Beschwerdeführer, dessen Angaben über eine befürchtete individuelle Verfolgung unglaubwürdig seien, im Falle der Zurückstellung nach Sierra Leone keiner Gefährdung im Sinne des § 57 Abs. 1 oder 2 FrG ausgesetzt, die seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in dieses Land unzulässig erschienen ließe.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften mit dem Antrag, den Bescheid aus diesen Gründen aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte in der fristgerecht erstatteten Gegenschrift, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Nach § 7 AsylG ist Asylwerbern auf Grund eines Antrages gemäß § 3 leg. cit. mit Bescheid Asyl zu gewähren, wenn glaubhaft ist, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention (FlKonv) droht und keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F FlKonv genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt. Gemäß Art. 1 Abschnitt A Z 2 FlKonv (i.d.F. des Protokolles über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974) ist Flüchtling, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen, oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG begehren Fremde, die in Österreich Schutz vor Verfolgung (Art. I Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) suchen, mit einem Asylantrag die Gewährung von Asyl.

§ 6 AsylG bestimmt, dass Asylanträge gemäß § 3 als offensichtlich unbegründet abzuweisen sind, wenn sie eindeutig jeder Grundlage entbehren. Dies ist der Fall, wenn "ohne sonstigen Hinweis auf Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat

1.

...

2.

...

3.

das Vorbringen der Asylwerber zu einer Bedrohungssituation offensichtlich den Tatsachen nicht entspricht oder

4.

...

5.

..."

Nach § 32 Abs. 2 erster Satz AsylG ist der Berufung stattzugeben, wenn die Feststellung der Behörde, der Antrag sei offensichtlich unbegründet, nicht zutrifft. Hiebei bildet nur die offensichtliche Unbegründetheit den Gegenstand der Überprüfung (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 23. Juli 1998, Zl. 98/20/0175).

Wie die Behörde erster Instanz bereits in ihrem Bescheid darlegte und wie aus den Erläuterungen zur Regierungsvorlage (686 BlgNR 20. GP, 19) hervorgeht, orientiert sich die Bestimmung des § 6 AsylG im Wesentlichen an der Entschließung der für Einwanderung zuständigen Minister der Europäischen Gemeinschaften über offensichtlich unbegründete Asylanträge vom 30. November und 1. Dezember 1992. Ein Asylantrag soll demnach "nur dann als offensichtlich unbegründet abgewiesen werden, wenn eine Verfolgungsgefahr mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit (eindeutig) ausgeschlossen werden kann". Die Berufungsbehörde kann die Berufung demnach nicht mit der Begründung abweisen, dass der Asylantrag zwar nicht "offensichtlich", aber doch "unbegründet" sei; in einem solchen Fall müsste sie vielmehr - wie im gegenständlichen Fall geschehen - gemäß § 32 Abs. 2 AsylG mit Aufhebung des erstinstanzlichen Bescheides und Zurückverweisung an das Bundesasylamt vorgehen.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist dieser gemäß § 41 Abs. 1 VwGG auf eine Schlüssigkeitsprüfung der von der Behörde vorgenommenen Beweiswürdigung beschränkt; die Beweiswürdigung ist dabei nur insoweit zu überprüfen, als es sich um die Feststellung handelt, ob der Denkvorgang der Behörde zu einem den Denkgesetzen entsprechenden Ergebnis geführt hat bzw. ob der Sachverhalt, der im Denkvorgang gewürdigt wurde, in einem ordnungsgemäßen Verfahren ermittelt worden ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 24. Mai 1974, Slg. NF Nr. 8619/A). Der Verwaltungsgerichtshof kann somit wohl die Schlüssigkeit der Beweiswürdigung des angefochtenen Bescheides, nicht aber ihre konkrete Richtigkeit nachprüfen (vgl. dazu die in Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit3, zu § 41, S. 551, wiedergegebene Judikatur).

Im vorliegenden Fall hat die Behörde erster Instanz ihre Annahme, der Antrag des Beschwerdeführers sei gemäß § 6 Z 3 AsylG offensichtlich unbegründet, darauf gestützt, dass der Beschwerdeführer zwar in der Lage gewesen sei, geographische Punkte wie den "Cotton-Tree" und die Pademba-Road" zu nennen, nicht aber, "in welche Richtung von (seinem) angeblichen Wohnsitz aus das Meer oder der Flugplatz liege". Nach den in erster Instanz festgehaltenen Angaben besuchte der Beschwerdeführer in Freetown von seinem sechsten bis zum zwölften Lebensjahr die Grundschule und war zuletzt "Straßenverkäufer von Fischen mit seinem Onkel". Der im Zeitpunkt seiner Flucht gerade 16-jährige Beschwerdeführer gab in der mündlichen Berufungsverhandlung an, dass "er nicht wirklich eine Landkarte lesen kann". In dieser Verhandlung war der Beschwerdeführer im Übrigen lediglich nochmals kurz zu seinen Fluchtgründen befragt worden, die er im Wesentlichen widerspruchsfrei zu seinen Angaben in erster Instanz schilderte; er war in der Lage, - soweit er gefragt wurde - die politischen Zusammenhänge und die Parteien des Bürgerkrieges in Sierra Leone - von der Behörde unbeanstandet - anzugeben. Weiter gehende Fragen zu geographischen, gesellschaftlichen oder politischen Gegebenheiten in Sierra Leone wurden dem Beschwerdeführer entgegen seiner erklärten Bereitschaft in der Berufung, jegliche Auskünfte erteilen zu wollen, nicht gestellt.

Die belangte Behörde hat grundsätzlich richtig erkannt, dass der von ihr angenommene Umstand, der Beschwerdeführer habe nicht sagen können, in welcher Himmelsrichtung von seinem Wohnsitz in Freetown sich das Meer befinde, eine unwahre Behauptung über die Herkunft des Beschwerdeführers indizierte. Allerdings ist dazu anzumerken, dass der Beschwerdeführer nicht über die Himmelsrichtung der Lage des Meeres von seinem Wohnort an sich befragt wurde, sondern über die Lage des Meeres auf der ihm vorgehaltenen Karte bzw. angefertigten Skizze, wozu der Beschwerdeführer in der Berufungsverhandlung festhielt, er könne "nicht wirklich eine Karte lesen". Diese geographische Kenntnislücke erschiene im Übrigen angesichts des noch jugendlichen Alters des Beschwerdeführers, seiner geringen Schulausbildung, seiner ansonsten getätigten Angaben über geographische Gegebenheiten in Freetown und über politische Zusammenhänge im Bürgerkrieg für sich allein noch nicht als ausreichend, um von einer "offensichtlich" unwahren Behauptung über seine Herkunft ausgehen zu können. Diesbezüglich hat die belangte Behörde es verabsäumt, den Beschwerdeführer detaillierter über alltägliche gesellschaftliche Belange des Lebens in Freetown, über politische Zusammenhänge und weitere geographische Gegebenheiten zu befragen. Der Beschwerdeführer hatte erklärt, er habe nicht gewusst, wie sein Onkel zum Meer gelange, weshalb aus seiner weiter gehenden Vermutung, er sei "mit einem kleinen Schiff" dorthin gelangt, ebenfalls noch keine "offensichtlich" unwahre Behauptung seiner gesamten Fluchtgeschichte abgeleitet werden kann. Der von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid überdies zur Begründung der Unglaubwürdigkeit des Beschwerdeführers herangezogene Umstand, dass der Beschwerdeführer über die Bevölkerungsanzahl in seinem Geburtsort Koindu keine Angaben habe machen können, obwohl er andererseits behauptet habe, den "Ort Koindu noch relativ (kurze) Zeit vor seiner Flucht aufgesucht zu haben, um dort seinen Verwandten einen Besuch abzustatten", ist nicht stichhältig. Diesbezüglich hatte nämlich der Beschwerdeführer zu Protokoll gegeben, dass er seit seinem sechsten Lebensjahr in Freetown gelebt habe und kurze Zeit vor seiner Flucht nach Koindu zurückgekehrt sei. Dabei habe er das Dorf Koindu "teilweise zerstört" vorgefunden, und es seien dort "nur mehr wenige Menschen" gewesen. Bei dieser Sachlage kann demnach eine Unglaubwürdigkeit der Angaben des Beschwerdeführers nicht daraus abgeleitet werden, dass er nicht in der Lage gewesen sei, Angaben über die "Bevölkerungszahl" dieses Ortes zu machen.

Die Beweiswürdigung der belangten Behörde stützt sich schließlich wesentlich darauf, dass der von ihr beigezogene nicht amtliche "Dolmetscher für Krio" angegeben hatte, der Beschwerdeführer spreche nicht den in Sierra Leone "gesprochenen Tonfall", der als "Krio" bezeichnet werde.

Wenn zur Person des Dolmetschers nunmehr in der Beschwerde vorgebracht wird, dieser verfüge nicht "über die fachliche Qualifikation", so ist dem Beschwerdeführer entgegenzuhalten, dass in der mündlichen Berufungsverhandlung gegen den beigezogenen Dolmetscher weder Ablehnungsgründe erhoben noch Einwände gegen seine fachliche Eignung als "Dolmetscher für Krio" geltend gemacht wurden. Demgemäß ist diese erstmals in der Beschwerde, allerdings auch hier nicht näher begründete (bloße) Behauptung, der beigezogene nicht amtliche Dolmetscher habe für die Beurteilung der Aussprache des Beschwerdeführers "keinerlei fachliche Qualifikationen" als verspätet und unsubstanziiert abzulehnen. Allerdings reicht die Aussage des Dolmetschers, der Beschwerdeführer spreche nicht den Tonfall "Krio", für sich allein nicht hin, um dem Beschwerdeführer schlüssig die von ihm behauptete Herkunft abzusprechen. Der Beschwerdeführer hatte angegeben, "ich kann ein wenig Krio", worunter "ein wenig Krio" sprechen oder verstehen gemeint sein konnte. Der Beschwerdeführer erklärte weiters, seine Muttersprache sei "Madingu (phonetisch)". Eine Auseinandersetzung damit, was unter "Madingu" zu verstehen sei, findet sich weder in der Niederschrift über die Berufungsverhandlung noch im vorliegenden Bescheid. Um aus der Aussage des Dolmetschers, der Beschwerdeführer spreche nicht "Krio" auf die Unglaubwürdigkeit seiner Herkunft aus Sierra Leone schließen zu können, bedürfte es aber der weiteren begründeten Feststellung, der Beschwerdeführer müsste angesichts seiner behaupteten Herkunft aus Koindu, wo er bis zu seinem sechsten Lebensjahr gewohnt habe, und seines weiteren Aufenthaltes in Freetown bis zu seinem 16. Lebensjahr jedenfalls den vom Dolmetscher genannten "Tonfall" in der Bezeichnung "Krio" sprechen. Es müsste weiters dargelegt werden, dass die vom Beschwerdeführer behauptete Muttersprache "Madingu" den Umstand nicht erklären könne, dass er "nur ein wenig Krio" spreche oder verstehe. Mit anderen Worten müsste der zu erhebende Befund dahin gehen, dass eine Person mit der behaupteten Lebensgeschichte des Beschwerdeführers jedenfalls den Tonfall "Krio" beherrschen müsste. Die Erstellung eines solchen Befundes und die daraus zu ziehende Schlussfolgerung stellt allerdings eine von einem Sachverständigen zu lösende Aufgabe dar. Dem angefochtenen Bescheid ist zu entnehmen, dass die belangte Behörde selbst nicht in der Lage ist, diese Frage zu beurteilen. Die Behörde hat nach der hg. Judikatur einen Sachverständigenbeweis dann aufzunehmen, wenn dies in den Verwaltungsvorschriften vorgesehen ist, oder wenn zur Erforschung der materiellen Wahrheit besondere Fachkenntnisse nötig sind (vgl. z.B. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 4. November 1983, Zl. 83/04/0263). Weder dem angefochtenen Bescheid noch der Gegenschrift noch dem Akteninhalt ist zu entnehmen, dass der von der belangten Behörde herangezogene Dolmetscher dieser oder einer anderen Verwaltungsbehörde als Amtssachverständiger für Sierra Leone im Sinne des § 52 Abs. 1 AVG "beigegeben" wäre. Wenn Amtssachverständige nicht zur Verfügung stehen oder es mit Rücksicht auf die Besonderheit des Falles geboten ist, kann die Behörde auch ausnahmsweise andere geeignete Personen als Sachverständige heranziehen (§ 52 Abs. 2 erster Satz AVG) und, wenn sie nicht schon für die Erstattung von Gutachten der erforderten Art im Allgemeinen beeidet sind, beeiden. Da sich die belangte Behörde im vorliegenden Fall nicht veranlasst sah, den Dolmetscher für die konkrete Sache als Sachverständigen zu beeiden, und auch in ihrer Gegenschrift von seiner Person lediglich als "beigezogener Dolmetscher" spricht, ist nicht anzunehmen, dass sie den Dolmetscher als einen für den besonderen Fall herangezogenen nicht amtlichen Sachverständigen ansah. Andernfalls hätte es die belangte Behörde im Verwaltungsverfahren unterlassen aufzuzeigen, dass Amtssachverständige nicht zur Verfügung standen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 16. September 1999, Zl. 98/20/0543).

Demnach kann aber auch nicht davon ausgegangen werden, dass der beigezogene Dolmetscher über die fachliche Qualifikation zur Beurteilung der hier anstehenden, über die Frage des tatsächlichen "Tonfalles" in der Aussprache des Beschwerdeführers, hinausgehenden Sachfragen verfügt. Indem sich die belangte Behörde dennoch letztlich ausschließlich darauf stützte, der Beschwerdeführer stamme deshalb nicht aus Sierra Leone, weil er nicht den Tonfall "Krio" beherrsche, hat sie Verfahrensvorschriften außer Acht gelassen, bei deren Einhaltung sie zu einem anderen Bescheid hätte gelangen können.

Demgemäß war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG, und zwar auch hinsichtlich des Ausspruches gemäß § 8 AsylG (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 24. Februar 2000, Zl. 99/20/0338), aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i.V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Soweit Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zitiert wurden, die in der Amtlichen Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse dieses Gerichtshofes nicht veröffentlicht sind, wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen.

Wien, am 8. Juni 2000

Schlagworte

Beweismittel Sachverständigengutachten Inhalt der Berufungsentscheidung Anspruch auf meritorische Erledigung (siehe auch Beschränkungen der Abänderungsbefugnis Beschränkung durch die Sache Besondere Rechtsprobleme Verfahrensrechtliche Entscheidung der Vorinstanz) Inhalt der Berufungsentscheidung Voraussetzungen der meritorischen Erledigung Zurückweisung (siehe auch §63 Abs1, 3 und 5 AVG)

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2000:1999200398.X00

Im RIS seit

09.08.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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