TE Vwgh Erkenntnis 2000/6/8 99/20/0111

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Veröffentlicht am 08.06.2000
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Index

19/05 Menschenrechte;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
AVG §67d;
EGVG Art2 Abs2 D Z43a;
FrG 1997 §57 Abs1;
MRK Art3;

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden): 99/20/0112 99/20/0113

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Puck und die Hofräte Dr. Stöberl, Dr. Baur, Dr. Nowakowski und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hohenecker, über die Beschwerden 1) (unter der Zl. 99/20/0111) der mj. MH (auch A), geboren am 6. Mai 1997, vertreten durch die Mutter MA (auch A), 2) (unter der Zl. 99/20/0112) der MA (auch A), geboren am 19. August 1968,

3) (unter der Zl. 99/20/0113) des AH (auch A), geboren am 12. Oktober 1968, sämtliche wohnhaft in M, alle vertreten durch Dr. Rudolf Gimborn, Rechtsanwalt in 2340 Mödling, Badstraße 14, gegen die Bescheide des unabhängigen Bundesasylsenates jeweils vom 30. Oktober 1998, zu 1) Zl. 204.305/0-IV/29/98,

zu 2) Zl. 204.304/0-IV/29/98, und zu 3) Zl. 204.303/0-IV/29/98, zu

1) betreffend Asylerstreckung gemäß §§ 10 und 11 Asylgesetz, zu 2) und 3) betreffend §§ 7 und 8 Asylgesetz (weitere Partei: jeweils Bundesminister für Inneres),

Spruch

A. (zu Zl. 99/20/0111) beschlossen:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Die Erstbeschwerdeführerin hat dem Bund (Bundeskanzleramt) Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

B. zu Recht erkannt:

I. (zu Zl. 99/20/0112):

Die Beschwerde gegen den ersten Spruchpunkt (betreffend die Gewährung von Asyl) wird als unbegründet abgewiesen.

In seinem zweiten Spruchpunkt (betreffend die Feststellung gemäß § 8 Asylgesetz) wird der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund (Bundeskanzleramt) hat der Zweitbeschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

II. (zu Zl. 99/20/0113):

Die Beschwerde gegen den ersten Spruchpunkt (betreffend die Gewährung von Asyl) wird als unbegründet abgewiesen.

In seinem zweiten Spruchpunkt (betreffend die Feststellung gemäß § 8 Asylgesetz) wird der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund (Bundeskanzleramt) hat dem Drittbeschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Zweit- und Drittbeschwerdeführer sind die Eltern der Erstbeschwerdeführerin und mit dieser gemeinsam am 8. Juni 1998 in das Bundesgebiet eingereist. Am 12. Juni 1998 beantragten die Eltern Asyl. Die Zweitbeschwerdeführerin beantragte für die Erstbeschwerdeführerin die Erstreckung des Asyls gemäß § 10 AsylG in Bezug auf ihren Antrag. Sämtliche Beschwerdeführer sind Staatsangehörige von Armenien.

Mit den Bescheiden vom 1. Juli 1998 hat das Bundesasylamt den Asylerstreckungsantrag der Erstbeschwerdeführerin gemäß § 10 i.V.m.

§ 11 Abs. 1 des Asylgesetzes 1997 (AsylG) und die Asylanträge der Zweit- und Drittbeschwerdeführer gemäß § 7 AsylG abgewiesen. Zugleich hat das Bundesasylamt hinsichtlich der Zweit- und Drittbeschwerdeführer (in einem weiteren Spruchpunkt) gemäß § 8 AsylG ausgesprochen, dass ihre Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Armenien zulässig sei.

Mit den nunmehr angefochtenen Bescheiden hat die belangte Behörde die dagegen jeweils erhobenen Berufungen abgewiesen. Auch die belangte Behörde sah die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Zweit- und Drittbeschwerdeführer nach Armenien gemäß § 8 AsylG als zulässig an.

Die Abweisung der Berufung der Erstbeschwerdeführerin begründete die belangte Behörde damit, dass der Asylantrag der Zweitbeschwerdeführerin mit Bescheid vom selben Tag gemäß § 7 AsylG abgewiesen worden sei. Da somit zum Entscheidungszeitpunkt keine Asylgewährung an die Mutter, hinsichtlich der die Erstreckung des Asyls beantragt worden sei, vorliege, sei der Asylerstreckungsantrag abzuweisen gewesen.

Hinsichtlich der Zweit- und Drittbeschwerdeführer verwies die belangte Behörde in beiden Bescheiden inhaltsgleich zunächst auf das im jeweiligen Bescheid des Bundesasylamtes wiedergegebene Vorbringen, welches sie zum Inhalt ihres jeweiligen Bescheides erhob.

In den entsprechenden Bescheiden des Bundesasylamtes wurde das Vorbringen der Zweit- und Drittbeschwerdeführer im Wesentlichen wie folgt wiedergegeben:

Die Zweitbeschwerdeführerin habe von Dezember 1991 bis Dezember 1993 als Kanzleileiterin im Justizministerium in Armenien gearbeitet. Sie habe die Aufsicht über zahlreiche Schreibkräfte gehabt. Sie habe kurzfristig auch als persönliche Sekretärin für den Justizminister gearbeitet. Im Dezember 1993 habe sie sich jedoch entschlossen, zu kündigen. Dies u.a. deshalb, weil sie von Verwandten und Bekannten mehrmals aufgefordert worden sei, Informationen für sie zu beschaffen, dem sie jedoch nicht habe nachkommen wollen. Im März oder April 1998 sei sie beim Einkauf von drei (unbekannten) Männern angesprochen und aufgefordert worden, Informationen aus dem Justizministerium über gewisse Personen bekannt zu geben. Sie habe dies jedoch abgelehnt. Danach sei sie etwa acht- bis zehnmal (von März 1998 bis zu ihrer Ausreise) von (unbekannten) Personen aufgesucht worden, die immer wieder (nicht näher konkretisierte) Informationen aus dem Justizministerium verlangt hätten. Sie habe diesen erklärt, dass sie Informationen weder besitze noch sich an solche erinnern könne. Da sie ca. vier Tage vor ihrer Abreise auch mit einer Pistole von einem dieser Männer bedroht worden sei und ihr Nachbarn mitgeteilt hätten, sollte sie die gewünschten Informationen nicht beschaffen, würde ihr Kind entführt werden, habe sie sich mit ihrem Ehemann entschlossen, das Land zu verlassen. An sich habe sie keine konkreten Verfolgungen von staatlichen Stellen zu erleiden gehabt.

Die erwähnten Männer hätten Auskünfte über eine namentlich genannte Person, die in einer leitenden Funktion im Justizministerium gearbeitet habe, und über eine weitere Person, die in der Personalabteilung gearbeitet habe, erhalten wollen. Sie habe befürchtet, noch größere Probleme mit den unbekannten Personen zu bekommen, wenn sie sich an die Behörden wende.

Der Drittbeschwerdeführer gab an, sein Heimatland im Hinblick auf die Probleme seiner Frau, insbesondere aus Angst um seine Tochter, verlassen zu haben.

Davon ausgehend sah das Bundesasylamt als nicht ausreichend "glaubhaft dargelegt", dass die Zweit- und Drittbeschwerdeführer aus Gründen der Konvention verfolgt wären bzw. im Falle ihrer Rückkehr im Sinne des § 57 Abs. 1 FrG bedroht wären. Dies begründete das Bundesasylamt für beide Beschwerdeführer inhaltlich gleich lautend wie folgt:

"Das Bundesasylamt vermag die von Ihnen behauptete Verfolgungsgefahr nicht zu erkennen, zumal Sie zur Begründung ihres Asylantrages damit keinerlei Umstände haben aufzeigen können, die auf individuelle Verfolgung durch staatliche Institutionen, ausgehend aus einem der in Art. 1 Abschn. A Zif. 2 GFK genannten Gründe, hindeuten. Vielmehr haben Sie durch die von Ihnen behaupteten einzelnen Sachverhalte deutlich gemacht, dass der Grund für die Furcht, die Sie zum Verlassen Ihres Heimatlandes bewogen hat, in der Angst vor den Drohungen der unbekannten Männer gelegen ist. Überdies haben Sie befürchtet, dass irgendwann demnächst möglicherweise diese Männer ihre Drohung auch wahr machen könnten und ihre Tochter entführt wird.

Sie vermochten hierdurch aber keine Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschn. A Zif. 2 GFK glaubhaft geltend zu machen, zumal ihre Angst rein subjektiv ist sowie von Unbekannten erfolgte und die von ihnen erwähnten Drohungen durch diese unbekannten Männer nicht ein solches Ausmaß und eine solche Intensität bzw. Qualität erreicht haben, dass diesfalls von einer Verfolgung im vorangeführten Sinne gesprochen werden könnte. Jedenfalls lassen sich aus Ihren Angaben keine Anhaltspunkte in diese Richtung entnehmen. Außerdem erfolgten diese Drohungen nicht von staatlichen Organgen, sondern von Unbekannten, und hätten Sie die Möglichkeit gehabt, dies den armenischen Behörden anzuzeigen.

Die Begründung Ihres Asylantrages findet somit keine Deckung in der Genfer Flüchtlingskonvention.

Auf Grund Ihres Vorbringens sowie dem Faktum, dass Sie derzeit keine Dokumente vorlegen können, durch die das Bundesasylamt Ihre Identität zweifelsfrei feststellen könnte, gelangt das Bundesasylamt im Rahmen seiner freien Beweiswürdigung zum Schluss, dass Ihnen in Österreich kein Asyl gewährt werden kann."

Im Weiteren folgen schließlich rechtliche Ausführungen, aus denen noch folgende Passagen hervorzuheben sind:

"... keinesfalls kann die bloße Behauptung asylbegründender Tatsachen als ausreichend angesehen werden. Würde es bereits genügen, wenn das Vorliegen von asylbegründenden Tatsachen abstrakt möglich wäre, also nicht mit Sicherheit ausgeschlossen ist, so könnte von Beweiswürdigung im eigentlichen Sinn wohl kaum gesprochen werden.

...

Soweit Sie daher vorbringen, in ihrem Heimatland von Unbekannten unter Druck gesetzt worden zu sein, ist dies allein, so unangenehm sich die Situation für Sie auch darstellt, nicht als geeignet anzusehen, das Vorliegen begründeter Furcht vor Verfolgung im Sinne der Genfer Konvention glaubhaft zu machen. Da es sich hierbei um keine staatlichen Verfolgungen handelt, kann Ihnen in Österreich die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt werden.

...

Wenngleich einzuräumen ist, dass die von Ihnen behaupteten Drohungen auf die Psyche gehen, kann nach Ansicht des Bundesasylamtes dennoch hieraus nicht der Schluss gezogen werden, dass sie hiedurch einer Verfolgung im Sinn der Genfer Flüchtlingskonvention ausgesetzt gewesen sind.

...

Auf Grund ihres Vorbringens, ihrer ungeklärten Identität wie

auch Nationalität, geht das Bundesasylamt davon aus, dass Ihnen die Rückkehr nach Armenien zumutbar ist.

..."

In der Berufung gegen diese Bescheide des Bundesasylamtes beantragten die Zweit- und Drittbeschwerdeführer ausdrücklich die Durchführung einer mündlichen Verhandlung zur Darlegung ihrer Situation in Armenien vor Ihrer Flucht. Dazu führten sie aus, in Armenien habe

"im Grunde jeder Präsident seine Mafia, die für ihn arbeitet, insbesondere um unliebsame Personen aus der vorherigen Präsidentschaft, aus der Regierung und den Ministerien zu entfernen - es soll hier dahingestellt bleiben, ob es sich hier um eine Mafia im klassischen Sinn handelt oder doch eher um eine Art Geheimpolizei, ich werde im Folgenden jedenfalls bei der Bezeichnung Mafia bleiben, weil auch immer ganz wesentliche wirtschaftliche Interessen mithereinspielen.

Menschen, die für die Regierung wichtig sind, werden durch diese Leute geschützt, hingegen wird nichts unternommen, wenn so genannte gewöhnliche Menschen sterben, umgebracht werden. Es ist daher nicht ungewöhnlich, dass die Mafia ehemalige Mitarbeiter der Ministerien erpresst, um Informationen über Leute zu erhalten, die nicht mehr in der Regierung erwünscht sind und die mit Hilfe dieser Informationen zu Fall gebracht werden sollten."

Dazu beantragten die Beschwerdeführer die Einholung von Berichten verschiedener namentlich genannter Organisationen. Weiters zitierte die Berufung aus einem Bericht "des Auswärtigen Amtes der BRD vom August 1997 wie folgt:

"In bestimmten Bereichen soll die 'Mafia' mächtiger sein als der Staat; Gerüchte rücken auch einzelne Regierungsmitglieder in die Nähe der 'Mafia', blieben aber bislang ohne Beweise. Zwar beschränkt sich die 'Mafia' in der Regel auf wirtschaftliche Aktivitäten, die Interessen in diesen Bereichen können mit politischen jedoch kollidieren oder sie ergänzen. Ggf. können Handlungen der 'Mafia' Verfolgungshandlungen gegen Privatpersonen darstellen, gegen die der Staat nichts unternimmt bzw. unternehmen kann."

Die Beschwerdeführer verwiesen weiters darauf, dass sie zwei Monate lang von den erwähnten Leuten unter Druck gesetzt, bedroht, erpresst worden seien. Die Zweitbeschwerdeführerin führte dazu insbesondere aus,

"da ich mit Sicherheit wusste, dass die Männer, die mich bedrohten, in irgendeinem Zusammenhang mit der Regierung standen, wagte ich es nicht bei der Polizei Meldung zu erstatten. Ich wusste auch, dass diese Männer uns, ohne Probleme zu bekommen, umbringen könnten, daher mussten wir Armenien verlassen. Wir konnten auch nicht einfach innerhalb von Armenien umziehen, da alle Menschen, die sich irgendwo neu ansiedeln, sofort registriert werden. Zusätzlich muss sich jedermann unter 40 bei der jeweiligen Sektion der Militärbehörde melden, um so jederzeit verfügbar zu sein."

In den angefochtenen Bescheiden betreffend die Zweit- und Drittbeschwerdeführer begründete die belangte Behörde den Verzicht auf eine mündliche Verhandlung durch (den bloßen) Verweis auf Art. II Abs. 2 Z. 43a EGVG i.V.m. § 67d AVG. Nach Darlegung der Rechtslage führte die belangte Behörde zu der von ihr angenommenen Unglaubwürdigkeit der Angaben der Beschwerdeführer (in beiden Bescheiden inhaltsgleich) aus wie folgt:

Es sei "gänzlich unglaubwürdig", dass die Zweitbeschwerdeführerin ca. 5 Jahre nach ihrem Ausscheiden aus dem Justizministerium, in dem sie nur zwei Jahre als Kanzleiarbeiterin gearbeitet habe, von unbekannten Männern, die angeblich der Mafia angehörten, aufgesucht, bedroht und nach Informationen betreffend zwei Personen befragt worden sein soll, zumal die Zweitbeschwerdeführerin ihren Angaben zufolge über keine geheimen Informationen verfügt habe. Es sei nicht plausibel, dass diese unbekannten Männer, die die Beschwerdeführer 8- bis 10-mal aufgesucht haben sollen, bei den jeweils ca. 15 Minuten dauernden Befragungen keine konkreten Fragen bzw. keine Andeutungen über die Art der Auskünfte, die sie hätten haben wollen, gemacht hätten. Es sei nicht nachvollziehbar, dass die Männer die Zweitbeschwerdeführerin zwar mit einer Pistole bedroht haben sollen, die Beschwerdeführer aber erst über Umweg durch ihre Nachbarn erfahren hätten, diese unbekannten Männer hätten gedroht, bei Nichtkooperation ihr Kind zu entführen.

Selbst bei Annahme der Glaubwürdigkeit der Angaben der Beschwerdeführer sei in den auf kriminellen Motiven beruhenden Verfolgungshandlungen durch Dritte keine dem Staat zurechenbare Verfolgung aus in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen zu sehen. Der bloße Verweis auf allgemeine Verhältnisse im Heimatland der Beschwerdeführer vermöge eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung nicht zu begründen. Der Behörde erster Instanz sei kein Ermittlungsfehler unterlaufen. Es genüge, wenn die Beschwerdeführer in einer ihnen verständlichen Sprache einvernommen worden seien.

Den Ausspruch gemäß § 8 AsylG begründete die belangte Behörde damit, dass das Vorbringen der Beschwerdeführer nicht glaubwürdig sei. Dementspreched sei es ihnen auch nicht gelungen, eine Bedrohung im Sinne des § 57 Abs. 1 FrG glaubhaft zu machen.

Gegen diese Bescheide richten sich die vorliegenden Beschwerden, in denen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden. Die belangte Behörde legte die Akten der Verwaltungsverfahren vor und beantragte die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerden.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über diese Beschwerden nach deren Verbindung wegen des sachlichen und rechtlichen Zusammenhanges erwogen:

A. Die Beschwerde der Erstbeschwerdeführerin (Zl. 99/20/0111) ist aus nachstehenden Erwägungen unzulässig:

Die belangte Behörde hat im angefochtenen Bescheid den Antrag der Erstbeschwerdeführerin, das Asyl der Zweitbeschwerdeführerin auf sie zu erstrecken, mit ausdrücklicher Bezugnahme auf die §§ 10 und 11 AsylG abgewiesen und in der Begründung klar zum Ausdruck gebracht, dass sie den Asylerstreckungsantrag mangels Asylgewährung an die Zweitbeschwerdeführerin als unbegründet erachte.

Demgegenüber sieht sich die Erstbeschwerdeführerin durch diesen Bescheid nicht in ihrem Recht auf Erstreckung des Asyls gemäß § 10 i.V.m. § 11 Abs. 1 AsylG als verletzt, sondern sie geht in aktenwidriger Weise davon aus, die belangte Behörde hätte einen Antrag der Erstbeschwerdeführerin auf Gewährung von Asyl gemäß § 7 AsylG abgewiesen und gemäß § 8 AsylG ausgesprochen, die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Erstbeschwerdeführerin nach Armenien wäre zulässig.

Da die Erstbeschwerdeführerin durch den angefochtenen Bescheid in solchen, im Übrigen im Verwaltungsverfahren gar nicht geltend gemachten Rechten nicht verletzt werden konnte, war die Beschwerde gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG zurückzuweisen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i.V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

B. I. Zur Beschwerde der Zweitbeschwerdeführerin (Zl. 99/20/0112):

Nach § 7 AsylG ist Asylwerbern auf Antrag mit Bescheid Asyl zu gewähren, wenn glaubhaft ist, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention (FlKonv) droht und keiner der im Art. 1 Abschnitt C oder F FlKonv genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt. Gemäß Art. 1 Abschnitt A Z 2 FlKonv (i.d.F. des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1994) ist Flüchtling, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

Die Auffassung der belangten Behörde, die Zweitbeschwerdeführerin sei in ihrem Heimatstaat nicht aus Gründen der Konvention verfolgt, kann vor dem Hintergrund ihres oben wiedergegebenen Vorbringens im Verwaltungsverfahren nicht als rechtswidrig erkannt werden. Danach hatte sie mit den staatlichen Behörden keine Probleme, vielmehr arbeitete sie selbst im Bereich des Justizministeriums, somit für eine staatliche Behörde. Die Zweitbeschwerdeführerin hat nicht behauptet, sie sei (etwa auf Grund einer nach ihrem Ausscheiden aus dem Justizministerium mittlerweile erfolgten Änderung der Regierungszusammensetzung) wegen einer ihr selbst unterstellten bestimmten politischen Gesinnung verfolgt, sondern sie gab an, "von den unbekannten Männern" lediglich wegen ihr unterstellter Kenntnisse über geheime Personalinformationen mit dem Ziel bedroht worden zu sein, solche Informationen preiszugeben. Auch dem Beschwerdevorbringen lassen sich keine konkreten Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass die Zweitbeschwerdeführerin wegen einer bestimmten politischen Zugehörigkeit bzw. einer politischen Gesinnung einer asylrelevanten Gefährdung ausgesetzt wäre. Der lediglich auf kriminelle Machenschaften gestützte Asylantrag wurde daher zu Recht abgewiesen.

Allerdings erweist sich die Verfahrensrüge der Beschwerde im Zusammenhang mit der beantragten, jedoch unterlassenen mündlichen Verhandlung betreffend die Feststellung gemäß § 8 AsylG als relevant:

Die belangte Behörde hatte die bestehende grundsätzliche Pflicht zur Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung auch dann zu beachten, wenn die Voraussetzungen für ein Absehen von einer Verhandlung nur in Bezug auf die zu treffende Entscheidung über den Abschiebungsschutz nicht gegeben sind. Dies ist hier der Fall:

Auf das Verfahren nach dem Asylgesetz 1997 findet das AVG Anwendung. Als besondere Bestimmung für das Verfahren vor den Unabhängigen Verwaltungssenaten sieht § 67d AVG grundsätzlich die Durchführung der öffentlichen mündlichen Verhandlung vor, zu welcher die Parteien und die anderen zu hörenden Personen zu laden sind. Nach dem Art. II Abs. 2 lit. d Z 43a EGVG ist auch auf das behördliche Verfahren des unabhängigen Bundesasylsenates das AVG anzuwenden, § 67d AVG jedoch mit der Maßgabe, dass eine mündliche Verhandlung unterbleiben kann, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Berufung geklärt erscheint. Dies ist dann der Fall, wenn er nach Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens und nach schlüssiger Beweiswürdigung der Behörde erster Instanz festgestellt wurde und in der Berufung kein dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens der Behörde erster Instanz entgegenstehender oder darüber hinausgehender Sachverhalt - erstmalig und mangels Bestehens eines Neuerungsverbotes zulässigerweise - neu und in konkreter Weise behauptet wird (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 11. November 1998, Zl. 98/01/0308).

Im vorliegenden Fall kann von einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren und einer schlüssigen Beweiswürdigung der Behörde erster Instanz nicht gesprochen werden:

Nach ständiger Rechtsprechung sind in der Begründung eines Bescheides die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und darauf gestützt die Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen. Demnach muss in der Bescheidbegründung in einer eindeutigen, die Rechtsverfolgung der Partei ermöglichenden Weise dargelegt werden, welcher Sachverhalt der Entscheidung zugrundegelegt wurde, aus welchen Erwägungen die Behörde zu der Ansicht gelangte, dass gerade dieser Sachverhalt vorliege und aus welchen Gründen sie die Subsumtion dieses Sachverhaltes unter einem bestimmten Tatbestand als zutreffend erachtete (vgl. die in Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2, 1044, wiedergegebene ständige hg. Rechtsprechung). Dem Bescheid der Behörde erster Instanz kann demgegenüber nicht entnommen werden, ob sie die Angaben der Beschwerdeführerin als glaubwürdig erachtete oder nicht. Im Bescheid der Behörde erster Instanz finden sich

-

wie in der Sachverhaltsdarstellung wiedergegeben - Ausführungen, die darauf schließen ließen, die Behörde erster Instanz erachtete das Vorbringen der Zweitbeschwerdeführerin grundsätzlich als glaubwürdig. An anderer Stelle wiederum brachte die Behörde

-

allerdings mit einer rechtlichen Begründung - zum Ausdruck, dass sie das Vorbringen der Beschwerdeführer als "nicht glaubhaft" ansehe. Jedenfalls kann von klaren Sachverhaltsfeststellungen und einer schlüssigen Beweiswürdigung der Behörde erster Instanz nicht gesprochen werden. Das Bundesasylamt hat sich in der Beweiswürdigung seines Bescheides mit der Glaubwürdigkeit des Vorbringens der Beschwerdeführerin - nachvollziehbar - nicht auseinander gesetzt, wenn es meinte, "keinesfalls kann die bloße Behauptung asylbegründender Tatsachen als ausreichend angesehen werden" (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 30. Mai 1996, Zl. 95/19/0058, und vom 27. Februar 1997, Zl. 95/20/0207) bzw. wenn weiters ausgeführt wird,

"auf Grund Ihres Vorbringens sowie dem Faktum, dass Sie derzeit keine Dokumente vorlegen können, durch die das Bundesasylamt ihre Identität zweifelsfrei feststellen könnte",

könne kein Asyl gewährt werden (vgl. das hg. Erkenntnis vom 25. November 1999, Zl. 99/20/0465).

Die grundsätzliche Pflicht zur Durchführung einer mündlichen Verhandlung bestand für die belangte Behörde, dies unabhängig davon, dass die von ihr selbst angestellte Beweiswürdigung betreffend das Vorbringen der Zweitbeschwerdeführerin in erster Instanz nicht als unschlüssig zu erkennen ist, nach der zitierten hg. Rechtsprechung aber auch im Hinblick auf das mit der ausdrücklich beantragten Einvernahme der Beschwerdeführerin verbundene weiter gehende Berufungsvorbringen.

Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass die belangte Behörde bei unmittelbarer Einvernahme der Beschwerdeführerin unter Bedachtnahme auf das Berufungsvorbringen zu einer anderen Beurteilung der Glaubwürdigkeit der Angaben und damit in weiterer Folge zu einem anderen Bescheid gekommen wäre.

Die belangte Behörde wird sich daher im fortgesetzten Verfahren nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung neuerlich mit der Frage der Glaubwürdigkeit des Vorbringens der Zweitbeschwerdeführerin und allenfalls damit auseinander zu setzen haben, ob trotz grundsätzlichen Willens der armenischen Behörden zum Schutz der Beschwerdeführerin vor einer unmenschlichen Behandlung im Sinn des Art. 3 EMRK der Eintritt eines relevanten Nachteils mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit im Falle der Zurückstellung der Beschwerdeführerin nach Armenien zu erwarten ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 8. Juni 2000, Zl. 99/20/0203).

Aus diesen Erwägungen war der Bescheid in seinem zweiten, die Feststellung gemäß § 8 AsylG betreffenden Spruchpunkt wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Kostenersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG i.V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

B.II. Zur Beschwerde des Drittbeschwerdeführers (99/20/0113):

Dazu kann gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf die Ausführungen betreffend die Zweitbeschwerdeführerin wegen des identen Sachverhaltes, insbesondere im Hinblick auf die Bedrohung gemäß § 57 Abs. 1 FrG wegen der behaupteten Entführung des Sohnes zur beabsichtigten Nötigung der Zweitbeschwerdeführerin, verwiesen werden.

Aus denselben Erwägungen war daher der angefochtene Bescheid in seinem zweiten Spruchpunkt wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Kostenersatz stützt sich auch hier auf die §§ 47 ff VwGG i.V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Soweit Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zitiert wurden, die in der amtlichen Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse dieses Gerichtshofes nicht veröffentlicht sind, wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen.

Wien, am 8. Juni 2000

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2000:1999200111.X00

Im RIS seit

16.05.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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