Entscheidungsdatum
03.01.2018Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W142 2173330-1/5E
W412 2170717-1/6E
W412 2170714-1/6E
W412 2170719-1/6E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Dr. Irene HOLZSCHUSTER über die Beschwerden von 1.) XXXX , geb. XXXX ,(BF1),
2.) XXXX , geb. XXXX , (BF2), 3.) XXXX , geb. XXXX , (BF3), 4.) XXXX , geb. XXXX , (BF4), alle StA Somalia, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 1.) 14.09.2017, Zl.17-1167449901-171047398, 2.) 11.08.2017, Zl.16-1104107205-16016191, 3.) 11.08.2017, Zl. 14-1002160010-14131512, 4.) 11.08.2017, Zl. 14-1002160206-14131504, beschlossen:
A) In Erledigung der Beschwerden werden die bekämpften Bescheide
betreffend Spruchpunkt I behoben und die Angelegenheiten gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG zur Erlassung neuer Bescheide an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
BEGRÜNDUNG:
I. Verfahrensgang und Sachverhalt:
1. Die Beschwerdeführerin (BF1) wurde am XXXX geboren und stellte durch ihre Mutter als gesetzliche Vertreterin (BF4) am 11.09.2017 einen Antrag auf internationalen Schutz.
2. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 14.09.2017 wurde der Antrag der BF1 bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.), ihr gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 3 AsylG der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ihr eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG erteilt (Spruchpunkt III.). Festgestellt wurde, dass die gesetzliche Vertreterin keine eigenen Fluchtgründe für die Beschwerdeführerin vorgebracht habe. Da keinem anderen Familienmitglied der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden sei, komme auch für die BF1 die Zuerkennung auf Grund des vorliegenden Familienverfahrens nicht in Betracht. Der Mutter wurde der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt, weshalb auch die BF1 den gleichen Schutz erhalte.
3. Gegen Spruchpunkt I. des Bescheides wurde fristgerecht Beschwerde erhoben, in welcher ausgeführt wurde, dass auch amtswegig eine eigene Verfolgungsgefahr der BF1, wie beispielsweise eine drohende FGM in Somalia, einzubeziehen gewesen wäre.
4. Auch hinsichtlich der Beschwerdeführer (BF2 bis BF4) wurden fristgerecht Beschwerden gegen Spruchpunkt I der oben im Spruch angeführten Bescheide vom 11.08.2017 erhoben.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Zu A):
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Wie eben ausgeführt, ist gemäß § 17 VwGVG der IV. Teil des AVG und somit auch § 66 Abs. 2 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991, BGBl. Nr. 51/1991 (AVG), in der Fassung BGBl. I Nr. 158/1998, nicht anzuwenden.
Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn
1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder
2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist (§ 28 Abs. 2 VwGVG).
Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist (§ 28 Abs. 3 VwGVG).
Das Modell der Aufhebung des Bescheides und Zurückverweisung der Angelegenheit an die Behörde folgt konzeptionell jenem des § 66 Abs. 2 AVG, setzt im Unterschied dazu aber nicht auch die Notwendigkeit der Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung voraus (Fister/Fuchs/Sachs, Das neue Verwaltungsgerichtsverfahren, Stand der Rechtslage 01.01.2014, § 28 VwGVG, Anmerkung 11).
§ 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Verwaltungsgerichtes, wenn "die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen" hat.
Aus der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu der vergleichbaren Bestimmung des § 66 Abs. 2 AVG ergibt sich, dass nur Mängel der Sachverhaltsfeststellung d.h. im Tatsachenbereich zur Behebung des Bescheides und Zurückverweisung der Angelegenheit berechtigen (vgl. VwGH 19.01.2009, 2008/07/0168; VwGH 23.05.1985, 84/08/0085). Der Verwaltungsgerichtshof hat mit den Erkenntnissen vom 21.11.2002, 2002/20/0315 und 2000/20/0084, grundsätzliche Ausführungen zur Anwendbarkeit des § 66 Abs. 2 AVG im Asylverfahren im Allgemeinen und durch den Unabhängigen Bundesasylsenat im Besonderen getätigt.
Dabei hat er im letztgenannten insbesondere ausgeführt:
"Bei der Abwägung der für und gegen eine Entscheidung gemäß § 66 Abs. 2 AVG sprechenden Gesichtspunkte muss nämlich auch berücksichtigt werden, dass das Asylverfahren nicht nur möglichst kurz sein soll. Zur Sicherung seiner Qualität hat der Gesetzgeber einen Instanzenzug vorgesehen, der zur belangten Behörde und somit zu einer gerichtsähnlichen, unparteilichen und unabhängigen Instanz als besonderem Garanten eines fairen Asylverfahrens führt (vgl. bereits das Erkenntnis vom 16. April 2002, Zahl 99/20/0430). Die der belangten Behörde in dieser Funktion schon nach der Verfassung zukommende Rolle einer obersten Berufungsbehörde (Art. 129c 1 B-VG) wird aber ausgehöhlt und die Einräumung eines Instanzenzuges zur bloßen Formsache degradiert, wenn sich das Asylverfahren einem erstinstanzlichen Verfahren vor der Berufungsbehörde nähert, weil es das Bundesasylamt ablehnt, auf das Vorbringen sachgerecht einzugehen und brauchbare Ermittlungsergebnisse in Bezug auf die Verhältnisse im Herkunftsstaat in das Verfahren einzuführen. Diese über die Unvollständigkeit der Einvernahme hinaus gehenden Mängel des erstinstanzlichen Verfahrens sprechen auch bei Bedachtnahme auf die mögliche Verlängerung des Gesamtverfahrens unter dem Gesichtspunkt, dass eine ernsthafte Prüfung des Antrages nicht erst bei der "obersten Berufungsbehörde" beginnen und zugleich - abgesehen von der im Sachverhalt beschränkten Kontrolle der letztinstanzlichen Entscheidung durch den Verwaltungsgerichtshof - bei derselben Behörde enden soll, für die mit der Amtsbeschwerde bekämpfte Entscheidung."
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063-4, unter anderem ausgeführt, dass gemäß den Bestimmungen des § 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG bereits nach dem Wortlaut die Aufhebung eines Bescheides einer Verwaltungsbehörde durch ein Verwaltungsgericht nicht in Betracht kommt, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht (vgl. auch Art. 130 Abs. 4 Z 1 BVG). Dies wird jedenfalls dann der Fall sein, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt bereits im verwaltungsbehördlichen Verfahren geklärt wurde, zumal dann, wenn sich aus der Zusammenschau der im verwaltungsbehördlichen Bescheid getroffenen Feststellungen (im Zusammenhalt mit den dem Bescheid zu Grunde liegenden Verwaltungsakten) mit dem Vorbringen in der gegen den Bescheid erhobenen Beschwerde kein gegenläufiger Anhaltspunkt ergibt. Weiters wird zusammengefasst ausgeführt, dass auch eine an der verfassungsrechtlichen Vorgabe des Art. 130 Abs. 4 B-VG orientierte Auslegung ergibt, dass eine Aufhebung des Bescheides der Verwaltungsbehörde jedenfalls erst dann in Betracht kommt, wenn die in § 28 Abs. 2 VwGVG normierten Voraussetzungen, die eine Pflicht des Verwaltungsgerichtes zur "Entscheidung in der Sache selbst" nach sich ziehen, nicht vorliegen. Aus den im Erkenntnis wiedergegeben Gesetzesmaterialien zur Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 ist ersichtlich, dass dem Verwaltungsgericht in den in Art. 130 Abs. 4 B-VG vorgesehenen und in § 28 Abs. 2 VwGVG angeordneten Fällen eine kassatorische Entscheidung nicht offensteht. Damit normiere § 28 VwGVG für die überwiegende Anzahl der Fälle die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte, in der Sache selbst zu entscheiden. Derart wird (wie erwähnt) der sich schon aus Art. 130 Abs. 4 B-VG ergebenden Zielsetzung, dass die Verwaltungsgerichte grundsätzlich in der Sache selbst entscheiden sollen, Rechnung getragen. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer "Delegierung" der Entscheidung an das Verwaltungsgericht, vgl. Holoubek, Kognitionsbefugnis, Beschwerdelegitimation und Beschwerdegegenstand, in: Holoubek/Lang (Hrsg), Die Verwaltungsgerichtsbarkeit, erster Instanz, 2013, Seite 127, Seite 137; siehe schon Merli, Die Kognitionsbefugnis der Verwaltungsgerichte erster Instanz, in: Holoubek/Lang (Hrsg), Die Schaffung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz, 2008, Seite 65, Seite 73f).
Gemäß § 2 Abs. 1 Z. 22 AsylG 2005 ist ein "Familienangehöriger" im Sinne dieses Gesetzes u.a., wer leiblicher Elternteil eines minderjährigen Kindes oder zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind einer/eines Asylwerberin/Asylwerbers ist.
§ 34 Abs. 4 Satz 1 AsylG 2005 normiert, dass die Behörde Anträge von Familienangehörigen einer/eines Asylwerberin/Asylwerbers gesondert zu prüfen, aber unter einem zu führen, hat.
Dazu hat der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 18.09.2015, E 1174/2014-18, unter Verweis auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes Folgendes festgehalten: "Vor allem aber hat das Bundesverwaltungsgericht nicht erkannt, dass das Verfahren des Beschwerdeführers ab dem Zeitpunkt des Asylantrages des Vaters des Beschwerdeführers, dessen Verfahren im Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts noch nicht abgeschlossen gewesen ist, gemäß § 34 AsylG 2005 zwingend gemeinsam mit dem des Vaters (und dessen weiteren Kindern und seiner nunmehrigen Ehefrau) als Familienverfahren durchzuführen war (vgl. etwa auch VwGH 9.4.2008, 2008/19/0205). Das Bundesverwaltungsgericht hätte daher den bei ihm angefochtenen Bescheid des BAA im Spruchpunkt der Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten aufzuheben und die Durchführung eines Familienverfahrens mit der Familie des Vaters anzuordnen gehabt".
Im gegenständlichen Fall liegen grobe Ermittlungs- und Feststellungsmängel vor.
Gemäß § 18 Abs. 1 1. Fall AsylG hat das Bundesamt in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen darauf hinzuwirken, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Beweismittel für diese Angaben bezeichnet oder die angebotenen Beweismittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Beweismittel auch von Amts wegen beizuschaffen.
Gemäß § 19 Abs. 2 AsylG ist ein Asylwerber vom Bundesamt, soweit er nicht auf Grund von in seiner Person gelegenen Umständen nicht in der Lage ist, durch Aussagen zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes beizutragen, zumindest einmal im Zulassungsverfahren und - soweit nicht bereits im Zulassungsverfahren über den Antrag entschieden wird - zumindest einmal nach Zulassung des Verfahrens einzuvernehmen. Eine Einvernahme kann unterbleiben, wenn dem Asylwerber ein faktischer Abschiebeschutz nicht zukommt (§ 12a Abs. 1 oder 3).
Bereits aus § 34 Abs. 1 AsylG ergibt sich, dass jeder Antrag eines/einer Familienangehörigen – anders als nach dem Asylerstreckungsverfahren nach dem AsylG 1997 in der Fassung BGBl. I 101/2003 – ex lege als "Antrag auf Gewährung desselben Schutzes" gilt. Die Behörde hat somit bei einem Antrag eines/einer Familienangehörigen in jedem Fall die Bestimmungen des Familienverfahrens anzuwenden. Dies ändert jedoch nichts daran, dass jeder Antrag eines/einer Familienangehörigen gesondert zu prüfen und über jeden mit gesondertem Bescheid abzusprechen ist (§ 34 Abs. 4 AsylG). Unabhängig von der konkreten Formulierung ist jeder Antrag eines/einer Familienangehörigen überdies in erster Linie auf die Zuerkennung des Status des/der Asylberechtigten gerichtet. Es sind daher für jeden Antragsteller allfällige eigene Fluchtgründe zu ermitteln. Nur wenn solche – nach einem ordnungsgemäßen, also den gesetzlichen Vorgaben entsprechenden, Ermittlungsverfahren – nicht hervorkommen, ist dem/der Antragsteller/in jener Schutz zu gewähren, der bereits einem/einer anderen Familienangehörigen gewährt wurde (vgl. Putzer/Rohrböck, Asylrecht, Rz 522 ff;
Frank/Anerinhofer/Filzwieser, AsylG 2005, K 13 f zu § 34;
Feßl/Holzschuster, Asylgesetz 2005, 496 f;
Schrefler-König/Szymanski, Fremdenpolizei- und Asylrecht, Anm. 8 zu § 34 AsylG 2005; vgl. zur gesonderten Prüfung der Anträge von Familienangehörigen nach § 34 Abs. 4 AsylG etwa VwGH 21.10.2010, 2007/01/0164, wieder aufgenommen in VwGH 24.03.2015, Ra 2014/19/0063).
Die Einvernahme nach Zulassung des Verfahrens dient der Erforschung der Fluchtgründe, und ist auch an dieser Stelle festzuhalten, dass nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes die Angaben eines/einer Asylwerbers/Asylwerberin im Rahmen einer Erstbefragung nicht alleinige Erkenntnisquelle für das Vorliegen von Asylgründen sein können. Gemäß § 18 Abs. 1 AsylG ist das Bundesamt zur amtswegigen Ermittlung der Fluchtgründe gehalten und präzisiert § 19 AsylG hinsichtlich der Befragung (als eine der Haupterkenntnisquellen im Asylverfahren), dass der/die Asylwerber/in persönlich von einem Organwalter des Bundesamtes einzuvernehmen ist, was im vorliegenden Beschwerdefall allerdings nicht geschehen ist. Das Bundesamt hätte eine Einvernahme auch dann durchführen müssen, wenn der/die jeweilige Antragsteller/in vermeint, keine Fluchtgründe zu haben; es ist einem/einer rechtsunkundigen, sprachunkundigen Fremden nicht zumutbar, zu erkennen, welche Gründe zur Asylgewährung führen können und welche nicht.
Das Bundesamt stützte seine abweisende Entscheidung in Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids ausschließlich darauf, dass die BF1 keine eigenen Asylgründe habe und solche auch von ihrer gesetzlichen Vertreterin nicht vorgebracht worden seien. Hierbei übersieht das Bundesamt offensichtlich, dass die BF1 zum Zeitpunkt der Einvernahme ihrer gesetzlichen Vertreterin noch gar nicht geboren, und es dieser daher nicht möglich war, die ihre Tochter betreffenden Fluchtgründe in ihrer eigenen Einvernahme vorzubringen.
Beim Asylantragsformular handelt es sich um einen Vordruck, bei dem der letzte Absatz "Zur Begründung des Asylantrages meines Kindes berufe ich mich auf die Fluchtgründe in meinem Verfahren. Ich beantrage daher gem. AsylG 2005 die Gewährung desselben Schutzumfanges wie in meinem Falle. Eigene Fluchtgründe habe ich für mein Kind nicht vorzubringen." bereits vorgedruckt sind, weshalb nicht davon ausgegangen werden kann, dass diese Angaben die Behörde von der amtswegigen Ermittlung eventueller Schutzgründe von vornherein zu befreien in der Lage ist.
Schließlich muss mittlerweile davon ausgegangen werden, dass die Möglichkeit des Vorliegens eigener Schutzgründe für ein in Österreich nachgeborenes somalisches Mädchen notorisch ist (siehe unter vielen anderen: BVwG W189 2110396 vom 13.06.2017; W196 2137615 vom 31.01.2017 und W211 2138681 und 2138683 vom 16.12.2016). Im vorliegenden Fall ist daher zu berücksichtigen, dass der Antrag auf Asyl der BF1 vor dem Hintergrund der in Somalia praktisch kaum vermeidbaren Genitalverstümmelung kleiner Mädchen im Hinblick auf die einschlägige Judikatur durchaus aussichtsreich erscheint. Dem Bundesamt müsste es aufgrund seines Amtswissens bekannt sein bzw. hätte sich aus zu prüfenden relevanten Länderfeststellungen entnehmen lassen, dass die weibliche Genitalverstümmelung in Somalia weit verbreitet ist und nicht beschnittenen Mädchen und Frauen eine solche bei einer Rückkehr drohen könnte, was unter Umständen als asylrelevante Verfolgung zu qualifizieren wäre.
Das Bundesamt hat im vorliegenden Verfahren keine relevanten Ermittlungen zu dieser Fragestellung getätigt und hat auch eine Einvernahme nicht vorgenommen, in der das Risiko der BF1, einer Genitalbeschneidung unterzogen zu werden, geprüft hätte werden können, bzw. ihren gesetzlichen Vertretern die Gelegenheit gegeben worden wäre, allfällige weitere Antragsgründe in einer förmlichen Befragung vorzubringen.
Im fortgesetzten Verfahren wird das Bundesamt die Mutter der BF1 als gesetzliche Vertreterin niederschriftlich ausführlich insbesondere zum Themenkomplex der Gefahr einer weiblichen Genitalverstümmelung zu befragen und den entscheidungswesentlichen Sachverhalt durch allfällige weitere Ermittlungen zu erheben haben, wobei auch das Beschwerdevorbringen zur Gänze zu berücksichtigen sein wird. Aufgrund des zu behandelnden Themenbereichs der weiblichen Genitalverstümmelung wird die Einvernahme von einer weiblichen Organwalterin unter Beiziehung einer weiblichen Dolmetscherin durchzuführen sein. Unter Wahrung des Grundsatzes der amtswegigen Ermittlungspflicht und des Parteiengehörs wird die belangte Behörde auch aktuelle Länderfeststellungen zum Herkunftsstaat treffen, das Vorbringen der gesetzlichen Vertreter vor dem Hintergrund der aktuellen Lage im Herkunftsstaat würdigen und schließlich die rechtlichen Konsequenzen daraus ziehen müssen.
Die belangte Behörde hat hinsichtlich der Frage des Vorliegens einer asylrelevanten Verfolgung sowie der Situation im Falle einer Rückkehr keinerlei Ermittlungen vorgenommen. Nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts handelt es sich hierbei um besonders grobe Ermittlungsfehler.
Unter Berücksichtigung der relevanten Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes vom 26.06.2014 hat das Bundesamt kein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren durchgeführt. Die Mängel in den Feststellungen können - im Gegensatz zum Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, welches durch die bei ihm eingerichtete Staatendokumentation rasch und effizient erforderliche Feststellungen nachholen kann - durch das erkennende Gericht nicht schneller und kostensparender behoben werden. Es war daher der angefochtene Bescheid des Bundesasylamtes gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG zu beheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückzuverweisen.
Auch die Bescheide der BF2 bis BF4 – der beiden Geschwister und der Mutter der BF1 - sind gemäß § 34 AsylG 2005 zu beheben und an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückzuverweisen, da mit dem gegenständlichen Beschluss das Verfahren betreffend die BF1 wieder vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl anhängig wird. Damit wird sichergestellt, dass die Verfahren der Familienangehörigen iSd.
§ 2 Abs. 1 Z. 22 AsylG 2005 "unter einem" geführt werden können. Angemerkt wird, dass auch bei der BF2 das Risiko der Genitalbeschneidung unterzogen zu werden, seitens der belangten Behörde geprüft werden muss.
Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung:
Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.
Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG entfallen, zumal aufgrund der Aktenlage feststeht, dass die mit den Beschwerden angefochtenen Bescheide aufzuheben sind.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25 Absatz 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF., hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht vorgekommen.
Die oben in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des VwGH ist zwar zur früheren Rechtslage ergangen, sie ist jedoch nach Ansicht des erkennenden Gerichts auf die inhaltlich meist völlig gleich lautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Schlagworte
Behebung der Entscheidung, Ermittlungspflicht, Familieneinheit,European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2018:W142.2170717.1.00Zuletzt aktualisiert am
12.01.2018