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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);Norm
ABGB §914;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler und den Hofrat Dr. Strohmayer als Richter sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterin, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Sinai, über die Revision der Dr. J B in Wien, vertreten durch Dr. Hans Peter Ringhofer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Franz-Josefs-Kai 5, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 12. Juni 2017, Zl. W178 2111326-1/7E, betreffend Pflichten einer Vertragsärztin nach dem ASVG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht:
Paritätische Schiedskommission für Wien; mitbeteiligte Partei:
Wiener Gebietskrankenkasse in 1100 Wien, Wienerbergstraße 15-19), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründnung:
1 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
2 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
3 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
4 Mit Schreiben vom 18. Dezember 2014 wandte sich die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse mit folgendem Ersuchen an die Revisionswerberin:
"Wie Ihnen vermutlich bereits bekannt ist, kommt der Wiener Gebietskrankenkasse auch die verpflichtende Aufgabe zu, die zweckentsprechende Durchführung der in Rechnung gestellten Leistungen zu überprüfen. Dies erfolgt primär durch Routinemaßnahmen, im Anlassfall aber ebenso durch gezielte Recherchen mit Unterstützung unserer Vertragspartner/innen.
Anlassbezogen ist nun zur Abklärung offener Fragen im Zusammenhang mit der oben genannten Patientin (Henriette H.) Ihre Mithilfe unverzichtbar. Wir erlauben uns daher, Sie um die Übermittlung einer Kopie der kompletten Krankengeschichte des oben angeführten Zeitraums (Krankengeschichte für das 4. Quartal 2013) an die Ärztin der Wiener Gebietskrankenkasse - Frau Dr. M. - bis zum 23.01.2015 zu ersuchen, da diese eine wesentliche Voraussetzung zur Wahrnehmung der uns übertragenen Aufgaben bildet."
5 Mit Antrag vom 23. Jänner 2015, modifiziert am 20. Mai 2015, begehrte die Revisionswerberin die Feststellung,
"dass die mit Schreiben der Antragsgegnerin vom 18.12.2014 an mich in Bezug auf die Krankengeschichte der Henriette H. gerichtete Vorlageaufforderung der Rechtfertigung (rechtlichen Grundlage) entbehrt und dass ich nicht zur Befolgung dieser Aufforderung verpflichtet war und bin".
Begründung
Mit Bescheid der belangten Behörde vom 26. Mai 2015 wurde der
6 sei der Aufforderung (Übermittlung einer Kopie der kompletten Krankengeschichte) nicht fristgerecht nachgekommen. Erst in ihrem an die belangte Behörde gerichteten Antrag sei die verlangte Behandlungsdokumentation für das 4. Quartal 2013 samt histologischem Befund enthalten gewesen. Die Revisionswerberin habe somit die Vorlageaufforderung so verstanden, wie sie objektiv von einem Vertragspartner nur habe verstanden werden können, nämlich dahin, dass nur die zur Überprüfung der verrechneten Leistungen erforderliche Dokumentation verlangt worden sei. Mehr habe nicht verlangt werden dürfen, insbesondere nicht die Erteilung einer Auskunft über andere, nicht mit der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse, sondern mit anderen Krankenversicherungsträgern abgerechnete Krankenbehandlungen. Ein solches Verlangen sei - ungeachtet des vielleicht missverständlichen Ausdruckes "komplette Krankengeschichte" - dem Begehren nicht zu entnehmen gewesen. Von einem Begehren, dessen Erfüllung die Verletzung datengeschützter Interessen der Henriette H. bedeutet hätte, könne keine Rede sein. Aus dem Inhalt des Schreibens, wonach die Krankengeschichte zur Prüfung der von der Revisionswerberin der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse in Rechnung gestellten Leistungen benötigt werde, sei für jeden verständigen Vertragspartner eindeutig erkennbar, dass keine Daten begehrt worden seien, die zur Überprüfung dieser Leistungen gar nicht erforderlich seien. Soweit die Revisionswerberin der Ansicht sei, dass die Vorlage der Krankengeschichte nur vom chef(kontroll)ärztlichen Dienst der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse verlangt werden könne und der Vertragsarzt nur diesem zur medizinischen Auskunftserteilung verpflichtet sei, übersehe sie, dass § 43 (des Gesamtvertrages) nur von ordnungsgemäß ausgewiesenen bevollmächtigten Ärzten der Versicherungsträger spreche. Dies sei aber nicht nur der Chefarzt, sondern jeder ordnungsgemäß ausgewiesene und bevollmächtigte Arzt des Versicherungsträgers.
7 Mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis hat das Verwaltungsgericht die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde abgewiesen. Die Revision wurde gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig erklärt.
8 Das Verwaltungsgericht stellte fest, die Revisionswerberin sei als Ärztin für Haut- und Geschlechtskrankheiten Vertragspartnerin der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse (Vertragsärztin). Henriette H. habe von der Revisionswerberin Sachleistungen entgegengenommen. Sie sei im gegenständlichen Zeitraum auch bei anderen Einrichtungen (als der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse) in der Krankenversicherung leistungsberechtigt gewesen. Nach der Aufforderung der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse vom 18. Dezember 2014 habe die Revisionswerberin die angeforderten Unterlagen der belangten Behörde vorgelegt. Sie habe dabei mitgeteilt, sie sei weiter der Meinung, dass sie nur dem chefärztlichen Dienst der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse gegenüber der Auskunftspflicht nachkommen müsse.
9 In rechtlicher Hinsicht führte das Verwaltungsgericht aus, die genannte Aufforderung habe sich - bei richtiger Interpretation im Sinn des § 914 ABGB - nur auf jene Daten bezogen, die sich aus Leistungsfällen ergeben hätten, die über den Einzelvertrag mit der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse abgerechnet worden seien, nicht aber auf andere Krankenversicherungsträger und die dort abgerechneten Leistungen. Im Übrigen wäre bei Unklarheit, ob sich die Aufforderung auch auf anderweitig abgerechnete Leistungen bezögen, unter Vertragspartnern eine klärende Nachfrage angebracht gewesen. Im Übrigen seien die geforderten Auskünfte nicht nur gegenüber dem chefärztlichen Dienst der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse zu erteilen, sondern auch anderen ausgewiesenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, und zwar je nachdem, ob medizinische Daten oder andere Daten verlangt würden, an ärztliches Personal oder an sonstige Bevollmächtigte. Die Aufforderung der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse habe dem Gesamtvertrag (§ 43) entsprochen. § 49 des Gesamtvertrages beziehe sich nicht auf die Auskunftspflicht. Die Auskunftspflicht in der dargelegten einschränkenden Interpretation der Aufforderung beruhe auf §§ 338, 341 und 342 ASVG über die Berechtigung zum Abschluss von Gesamtverträgen und auf dem genannten Gesamtvertrag als Normenvertrag, an den die Einzelvertragspartner gebunden seien. Damit beruhe die Auskunftspflicht und die Datenweiterleitung auf einer entsprechenden rechtlichen Grundlage für die Auskunftserteilung. Diese sei nicht überschießend. Es sei der leistungserbringenden Kasse ein Recht auf Nachprüfung der abgerechneten Leistungen zuzubilligen. Die unterstellte Absicht, auch über die mit einem anderen Leistungserbringer abgerechneten Leistungen für die Patientin wäre Auskunft verlangt worden, sei - wie bereits dargelegt - eine falsche Interpretation der Aufforderung.
10 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die außerordentliche Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Erstattung von Revisionsbeantwortungen durch die belangte Behörde sowie die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse erwogen hat:
11 Die Revisionswerberin bringt zur Zulässigkeit der Revision vor, sie sei aufgefordert worden, eine Kopie der kompletten Krankengeschichte einer Patientin an eine Ärztin der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse zu übermitteln. Die Ärztin habe nicht zum chefärztlichen Dienst gehört. Undeutliche Äußerungen seien zum Nachteil der Erklärenden auszulegen. Eine Umdeutung des Begriffs "komplette Krankengeschichte" in den sinngemäßen Begriff "erforderliche Dokumentation" sei unzulässig. Einer grundsätzlichen Erklärung durch den Verwaltungsgerichtshof bedürfe die Frage,
"inwieweit eine dem Wortlaut nach rechtswidrige Aufforderung eines Sozialversicherungsträgers an einen Vertragsarzt durch diesen so umgedeutet werden muss, dass sie im klaren Widerspruch zum vertrags- bzw. gesetzeswidrigen Wortlaut einen wesentlich anderen gesetzeskonformen Inhalt erhält, und inwieweit dabei der Grundsatz zum Tragen kommt, dass undeutliche Formulierungen der mitbeteiligten Partei im Rahmen des gegenständlichen Vertragsverhältnisses dieser zuzurechnen sind, somit keine Eignung haben, eine den Vertragsarzt treffende Vertragspflicht zu begründen."
12 Weiters bestehe ein Klarstellungserfordernis durch die Judikatur dahin, wie die Grenze zwischen Zusammenarbeit in medizinischen Angelegenheiten und Auskunftspflicht insbesondere im Hinblick auf § 49 des Gesamtvertrages zu ziehen sei. Die genannte Bestimmung stelle klar, dass die Versicherungsträger gegenüber dem Vertragsarzt "in allen medizinischen Angelegenheiten durch den Chef(Kontroll)arzt der Kasse" vertreten würden. Damit werde offensichtlich eine Abgrenzung zur sonstigen Auskunftspflicht statuiert, die bei der Interpretation berücksichtigt werden müsse. Es gehe weiters um die grundsätzliche Frage, wie detailliert ein Auskunftsbegehren des Sozialversicherungsträgers dem Arzt gegenüber zu sein habe bzw. umgekehrt inwieweit allgemeine Formulierungen eine Auskunftspflicht überhaupt (bzw. in welchem Ausmaß) begründen könnten.
13 Mit diesem Vorbringen zeigt die Revisionswerberin keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung auf. Sie bestreitet nicht, dass die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse mit Schreiben vom 18. Dezember 2014 nach dem Erklärungsinhalt, der vom Verwaltungsgericht festgestellt wurde, Auskunft in einem von § 43 Abs. 3 des Gesamtvertrages vom 1. Jänner 2011 gedeckten Umfang begehrt hat. Die einzelfallbezogene Auslegung des Begehrens kann, solange sie nicht unvertretbar ist - wofür hier in Anbetracht des zum Ausdruck gebrachten Telos keine Anhaltspunkte vorliegen -, keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung konstituieren.
14 Gemäß § 43 Abs. 3 des Gesamtvertrages ist der Vertragsarzt nur gegenüber den ordnungsgemäß ausgewiesenen bevollmächtigten Ärzten der Versicherungsträger zur Erteilung von Auskünften in medizinischen Fragen, insbesondere zur Bekanntgabe der Diagnose, verpflichtet. Das gegenständliche Begehren trägt dieser Bestimmung - unbeschadet der die Zusammenarbeit des Vertragsarztes mit dem chef(kontroll)ärztlichen Dienst betreffende Regelung des § 49 des Gesamtvertrages - Rechnung, indem die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse eine Ärztin als Adressatin der Auskunftserteilung namhaft machte. Dass die Vorgangsweise dem Gesamtvertrag entspricht, bedarf keiner höchstgerichtlichen Klarstellung, weil sie sich aus dem insoweit klaren Vertragswortlaut für den vorliegenden Sachverhalt eindeutig ergibt.
15 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 19. Dezember 2017
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2017:RA2017080080.L00Im RIS seit
12.01.2018Zuletzt aktualisiert am
05.03.2018