TE OGH 2017/11/28 2Ob182/17d

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Veröffentlicht am 28.11.2017
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Vizepräsidentin Hon.-Prof. Dr. Lovrek als Vorsitzende, die Hofräte Dr.

 Veith und Dr.

 Musger, die Hofrätin Dr. E. Solé sowie den Hofrat Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1) Gerhard K*****, 2) mj Alexander K*****, 3) mj Gregor K*****, alle vertreten durch Mag. Josef Hofinger, Dr. Roland Menschick, Rechtsanwälte in Grieskirchen, gegen die beklagten Parteien 1) Wolfgang D*****, 2) P*****, 3) A***** Versicherungs-Aktiengesellschaft, *****, alle vertreten durch die Aigner Fischer Aigner Rechtsanwaltspartnerschaft in Ried im Innkreis, wegen 15.491,20 EUR, über die Revision der beklagten Parteien gegen das Teilurteil (richtig: Urteil) des Landesgerichts Wels als Berufungsgericht vom 21. Juli 2017, GZ 22 R 198/17z-21, womit infolge der Berufungen des Erstklägers und der beklagten Parteien das Teilurteil des Bezirksgerichts Grieskirchen vom 13. April 2017, GZ 2 C 918/16h-15, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der erstklagenden Partei die mit 576,82 EUR (darin enthalten 96,14 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Text

Begründung:

Am 25. Juli 2016 ereignete sich auf der M***** Landesstraße ***** auf Höhe der Zufahrt zur Firma B***** in W***** ein Verkehrsunfall. An diesem waren der Erstkläger als Lenker eines Pkw und der Erstbeklagte als Lenker eines von der Zweitbeklagten gehaltenen und bei der Drittbeklagten haftpflichtversicherten Pkw beteiligt. Beide Fahrzeuge stießen zusammen.

Nach der vom Erstkläger nicht bekämpften Beurteilung der Vorinstanzen trifft ihn ein Verschulden am Unfall, weil er beim Rechtsabbiegen aus der Zufahrt zur Firma B***** in die Landesstraße durch einen Verstoß gegen § 19 Abs 6 StVO den Vorrang des aus seiner Sicht von rechts auf der Landesstraße herannahenden Erstbeklagten verletzte.

Die Vorinstanzen stellten noch folgenden Sachverhalt fest:

Die Unfallstelle liegt im Freilandgebiet, im Bereich der Unfallstelle gilt auf der Landesstraße eine erlaubte Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h. Die Landesstraße verläuft in Fahrtrichtung des Erstbeklagten gesehen von M***** kommend in Richtung W*****. Sie beschreibt in Annäherung an die Unfallstelle eine starke Rechtskurve, diese endet etwa 70 Meter vor der Fixlinie (Beginn des Einmündungstrichters der Zufahrt zur Firma B*****). In der Folge verläuft die Straße über etwa 150 Meter geradlinig, dann folgt eine leichte Rechtskurve. Die Straße hat eine Asphaltbreite von 6,2 Meter, in der Fahrbahnmitte ist vorerst eine Leitlinienmarkierung vorhanden. 92,5 Meter vor der Fixlinie beginnt dann in der Fahrbahnmitte eine Sperrlinie. Diese endet 10,5 Meter vor der Fixlinie, ist also insgesamt 82 Meter lang. 23,5 Meter vor ihrem Ende ist die Sperrlinie über 8 Meter kurz unterbrochen (2 kurze Leitlinien), damit man hier, in Richtung M***** fahrend, nach links in eine Feldzufahrt einfahren kann. Nach der Sperrlinie ist eine Leitlinienmarkierung vorhanden, wobei sich zwischen den Leitlinien nur kurze Abstände befinden.

Der Erstbeklagte war am Unfalltag auf der Landesstraße von M***** kommend in Richtung W***** unterwegs. Er fuhr hinter einem anderen Pkw nach, der mit etwa 70 km/h fuhr, und begann in dem Bereich, ab dem freie Sicht nach vorne besteht, einen Überholvorgang. Der Spurwechsel wurde etwa im Bereich des Beginns der Sperrlinie, also 92,5 Meter vor der Fixlinie, durchgeführt. Der Erstbeklagte beschleunigte während des Überholens und erreichte eine Geschwindigkeit von jedenfalls 105 km/h, die er auch bei der Kollision einhielt. Da die Erkennbarkeit des Einfahrens des Erstklägers für den Erstbeklagten nur bei 0,4 bis 0,5 Sekunden lag, war für eine Abwehrhandlung des Erstbeklagten keine Möglichkeit mehr gegeben.

Der Erstbeklagte hätte die Kollision vermeiden können, wenn er nicht vor dem Ende der Sperrlinie überholt hätte. Bei einem Überholbeginn nach dem Ende der Sperrlinie wäre bis zur Kollisionsstelle nur ein Seitenversatz von weniger als einem Meter möglich gewesen, damit wäre es zu keiner Berührung mit dem erst teilweise in die Fahrbahn eingefahrenen Pkw des Erstklägers gekommen. Wenn der Erstbeklagte bei Erkennbarkeit des einfahrenden Fahrzeugs nur die erlaubte Geschwindigkeit von 70 km/h anstatt der gefahrenen 105 km/h eingehalten hätte, wäre der Unfall auch nicht verhinderbar gewesen. Dass dadurch ein geringerer Schaden eingetreten wäre, kann nicht festgestellt werden. Durch das in diesem Fall etwas spätere Ankommen des Fahrzeugs des Erstbeklagten an der Unfallstelle wäre das Fahrzeug des Erstklägers dann schon etwas weiter in die Landesstraße eingefahren gewesen und es hätte eine größere Überdeckung gegeben, sodass mit zumindest etwa gleichen Schäden gerechnet werden müsste. Allerdings wäre bei Einhaltung der erlaubten Geschwindigkeit von 70 km/h ein Überholen gar nicht möglich gewesen, da das Fahrzeug vor dem Beklagtenfahrzeug bereits vor Beginn des Überholvorgangs mit einer Geschwindkeit von an die 70 km/h gefahren war.

Die Vorinstanzen maßen dem Erstbeklagten ein Mitverschulden zu, weil er entgegen § 9 Abs 1 StVO die Sperrlinie überfahren und entgegen § 20 Abs 1 StVO die höchstzulässige Geschwindigkeit von 70 km/h um 50 % überschritten habe. Das Erstgericht ergänzte, diese Geschwindigkeitsüberschreitung sei dem Erstbeklagten vorwerfbar, weil er bei Einhaltung der zulässigen Geschwindigkeit, also bei rechtmäßigem Alternativverhalten, gar kein Überholmanöver durchführen hätte können.

Die Vorinstanzen hielten eine Verschuldensteilung von 3 : 1 zugunsten des Erstklägers für angemessen.

Das Berufungsgericht ließ nachträglich gemäß § 508 Abs 3 ZPO auf Antrag der Beklagten die Revision im Wesentlichen deshalb zu, weil es sich mit dem von den Beklagten erhobenen Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens nicht befasst habe.

Die Beklagten vertreten in ihrer Revision die Ansicht, auch bei rechtmäßigem Alternativverhalten des Erstbeklagten wären zumindest die gleichen Unfallfolgen eingetreten, weshalb die Beklagten nicht hafteten: Der Erstbeklagte hätte schon 12 Meter vor der Kollisionsposition, wo die Sperrlinie geendet habe, auf den linken Fahrstreifen fahren dürfen. Die überhöhte Geschwindigkeit habe sich nicht schadenskausal oder schadensvergrößernd ausgewirkt, weil bei Einhaltung der erlaubten Geschwindigkeit durch das spätere Ankommen des Fahrzeugs des Erstbeklagten der Pkw des Erstklägers bis zur Kollision schon weiter in die Landesstraße eingefahren gewesen wäre und somit wegen der größeren Überdeckung beider Fahrzeuge der Schaden zumindest gleich hoch gewesen wäre.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht zulässig, weil die Revisionswerber mit den dargestellten Ausführungen das Wesen des Einwands des rechtmäßigen Alternativverhaltens verkennen.

Bei der Frage des

rechtmäßigen Alternativverhaltens geht es darum, ob ein rechtswidrig handelnder Täter selbst dann für den verursachten Schaden zu haften hat, wenn er denselben Nachteil auch durch ein

rechtmäßiges Verhalten herbeigeführt hätte. Es kommt zu einer Haftungsfreistellung des rechtswidrig handelnden Täters, wenn er denselben Nachteil auch durch ein

rechtmäßiges Verhalten herbeigeführt hätte (RIS-Justiz RS0111706).

Zunächst geht schon der Einwand des Endens der Sperrlinie vor der Kollisionsstelle fehl, weil nach den Feststellungen der Zusammenstoß unterblieben wäre, wenn der Erstbeklagte nicht vor dem Ende der Sperrlinie überholt hätte.

Vor allem aber können die beiden Verstöße des Erstbeklagten (Überfahren der Sperrlinie, überhöhte Geschwindigkeit) nicht isoliert voneinander beurteilt werden, sondern es ist entsprechend der zitierten Rechtsprechung das in jeder Weise rechtmäßige Verhalten zugrundezulegen. Wie schon das Erstgericht zutreffend ausgeführt hat, hätte der Erstbeklagte das Überholmanöver überhaupt unterlassen müssen, weil dieses ohne Überschreiten der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h angesichts des vor dem Erstbeklagten mit einer Geschwindigkeit von etwa 70 km/h fahrenden Pkw gar nicht möglich gewesen wäre.

Dass diesfalls der Schaden eingetreten wäre, behaupten aber auch die Beklagten nicht. Das ist auch nach den Feststellungen auszuschließen.

Abgesehen vom Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens bekämpfen die Beklagten die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts nicht. Auf die Frage, ob unter zutreffender Zurechnung der Verstöße des Erstbeklagten als Mitverschulden auf Beklagtenseite die Verschuldensteilung der Vorinstanzen angemessen ist, ist daher nicht einzugehen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO. Der Erstkläger hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen. Der Streitgenossenzuschlag beträgt nur 15 %, weil die Ansprüche des Zweitklägers und des Drittklägers nicht Gegenstand des Teilurteils des Erstgerichts sowie des Rechtsmittelverfahrens waren.

Schlagworte

;Gruppe: Verkehrsrecht,Verkehrsopfergesetz;

Textnummer

E120330

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2017:0020OB00182.17D.1128.000

Im RIS seit

12.01.2018

Zuletzt aktualisiert am

12.01.2018
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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