TE Bvwg Erkenntnis 2017/12/21 W123 2151280-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 21.12.2017
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Entscheidungsdatum

21.12.2017

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §52
FPG §55

Spruch

W123 2151280-1/13E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Michael ETLINGER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, StA Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 24.02.2017, Zahl: 1072174002 - 150621172/BMI-BFA_SBG_AST_01_TEAM_03, zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 10 Abs. 1 Z. 3, 55, 57 AsylG 2005 idgF, § 9 BFA-VG idgF und §§ 52, 55 FPG idgF als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger der Volksgruppe der Paschtunen, reiste illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 07.06.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Im Rahmen der am selben Tag durch ein Organ der Landespolizeidirektion Niederösterreich durchgeführten Erstbefragung gab der Beschwerdeführer zu seinem Fluchtgrund an, dass seine Brüder für die Amerikaner in einer Organisation gearbeitet hätten. Deshalb hätten "wir" Probleme mit den Taliban gehabt, seien von ihnen bedroht und verfolgt worden. Die Taliban hätten den Vater und zwei Brüder des Beschwerdeführers verschleppt.

3. Am 29.11.2016 erfolgte die Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA). Die Niederschrift lautet auszugsweise:

"LA: Wie war Ihre letzte Adresse in Afghanistan?

VP: Provinz Laghman, Distrikt XXXX, Dorf XXXX.

LA: Wohnt Ihre Familie noch in Afghanistan?

VP: Meine Familie lebt nicht mehr in dem Dorf, ich gehe davon aus, dass sie in Kabul wohnen. Ich habe keinen Kontakt mehr zu ihnen.

LA: Warum gehen Sie davon aus, dass die Familie in Kabul lebt?

VP: Wir flüchteten gemeinsam nach Kabul und deshalb sage ich, dass sie immer noch in Kabul leben.

LA: Sonst noch jemand in der Provinz Laghman, Distrikt: XXXX, Dorf:

XXXX?

VP: Mein Onkel wohnt immer noch in dem Dorf, er gehört zu den Taliban. Ich habe auch andere Verwandte in anderen Gebieten in Afghanistan. Meine Tante wohnt in Jalalabad, mein Onkel mütterlicherseits und ein Onkel mütterlicherseits. Ein Onkel von mir wohnt in Österreich mit Frau und Kindern.

[ ]

LA: Haben Ihre Brüder jetzt bei Ihrer Ausreise bei den Amerikanern gearbeitet oder sind Sie mit ihnen ausgereist?

VP: Bei meiner Ausreise arbeiteten meine Brüder noch bei den Amerikanern, aber ich bin mit einem anderen Bruder ausgereist. Er heißt XXXX.

[ ]

LA: Was haben Sie in Afghanistan gearbeitet?

VP: Ich habe auf dem Feld mit meinem Vater gearbeitet, auch in einem Lebensmittelgeschäft, ein kleines, eigenes Lebensmittelgeschäft.

LA: Wem gehört das Lebensmittelgeschäft?

VP: Das gehörte meinem Vater, er hat es mir überlassen.

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LA: Was waren alle Ihre genauen zeitlich aktuellen und konkreten Gründe, dass Sie Afghanistan verlassen mussten und auch nicht nach Afghanistan zurückkönnen. Bitte schildern Sie nur die Fluchtgründe im Detail.

VP: Beginn der freien Erzählung.

[ ]

Es gab eine langjährige Feindschaft unserer Familie zwischen meinen Eltern und dem Bruder meines Vaters. Mein Onkel gehörte zu den Taliban. Am Anfang waren es Grundstücksstreitigkeiten. Als mein Bruder und ich erwachsen wurden, ungefähr 15-16 Jahre alt, wollte mein Onkel, dass wir uns den Taliban anschließen. Mein Onkel sagte auch, dass die älteren Brüder von mir ihre Arbeit bei den Amerikanern aufgeben sollen und mit den Taliban arbeiten müssen.

Unsere Familie ist den Aufforderungen des Onkels nicht nachgekommen. Meine älteren Brüder gaben die Arbeit nicht auf und wir haben uns auch nicht den Taliban angeschlossen. Daraufhin haben die Taliban unser Haus angegriffen und sie nahmen meinen Vater und zwei Brüder von mir mit. Der Rest der Familie, also meine Mutter und meine Schwester und meine Brüder konnten nach Kabul gehen. Ich blieb drei Nächte in Kabul und dann bin ich mit einem Bruder von mir geflüchtet. Das war meine Geschichte, es handelt sich hauptsächlich um die Taliban, dass sie uns drohten.

[ ]

LA: Was haben Ihre Brüder bei den Amerikanern gearbeitet?

VP: Ein Bruder von mir hat am Flughafen gearbeitet und den Amerikanern geholfen, Sachen aus dem Flugzeug zu laden. Der andere hat in einem Büro gearbeitet, aber ich weiß nicht wo. Die älteren sagen nicht viel den kleineren in der Familie.

LA: Bei welchem Flughafen?

VP: In Kabul beim Karzai Flughafen.

LA: Arbeitet Ihr Bruder noch an dem Flughafen?

VP: Ich habe keinen Kontakt, ich glaube Sie sind geflüchtet.

LA: Gemeinsam mit Ihnen?

VP: Nein, als ich hier ankam, habe ich mit meiner Mutter Kontakt aufgenommen und Sie sagten Mir, dass meine Brüder geflüchtet sind.

LA: Was haben die Ausreisegründe Ihrer Brüder mit ihnen zu tun?

VP: Die Taliban haben gewollt, dass meine Brüder die Arbeit aufgeben und von mir wollten sie, dass ich mich Ihnen anschließe. Mein Vater hat das aber abgelehnt.

LA: Haben die Taliban Ihnen persönlich gedroht oder über den Vater?

VP: ich wurde über meinen Vater bedroht, aber mein Vater wurde auch nicht direkt bedroht, aber Sie hatten ihre Leute.

LA: Sie haben doch angegeben, Ihr Vater und die zwei Brüder wurden von den Taliban verschleppt?

VP: Ja. Es handelt sich um den Angriff der Taliban. Man erkennt die Taliban nicht sofort. Die Leute in dem Dorf sind nicht bewaffnet aber trotzdem arbeiten Sie für die Taliban.

LA: Wurden Sie persönlich bedroht?

VP: Nein.

[ ]

LA: Ihre Mutter und die Geschwister sind also noch in Afghanistan?

VP: Ja, die leben in Afghanistan, vor einem Jahr hatte ich noch Kontakt und deshalb weiß ich das Sie noch in Afghanistan sind. Die Frauen können nicht arbeiten und kein Geld verdienen.

[ ]

LA: Welche Schulausbildung und Berufsausbildung haben Sie genossen?

VP: ich bin nicht in die Schule gegangen und habe auf dem Feld gearbeitet und habe das kleine Geschäft geführt.

LA: Wie konnten sie dann das kleine Geschäft führen mathematisches Grundwissen?

VP: Ich kann z.b. Geld zählen und ich kenne mich mit dem Geld aus und mit den Preisen.

LA: Sie hatten also eine Grundausbildung als Verkäufer?

VP: Nein.

LA: Das Geschäft führen konnten Sie aber?

VP: Ja."

4. Mit dem angefochtenen Bescheid des BFA wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß §§ 57, 55 AsylG nicht erteilt. Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.).

Im Rahmen der Beweiswürdigung führte das BFA aus, dass sich bezüglich des Beschwerdeführers keine Hinweise auf das Vorliegen einer individuell besonders herausragenden Stellung innerhalb der afghanischen Gesellschaft gefunden hätten. Der Beschwerdeführer sei persönlich niemals bedroht worden. Die Bedrohung des Beschwerdeführers habe nur über den Vater stattgefunden, der ebenfalls nicht persönlich bedroht worden sei. Ferner lautet die Beweiswürdigung auszugsweise:

Zweitens:

Die Verfolgung Ihrer Brüder, die nach ihren Aussagen für die Amerikaner arbeiten, ist nicht nachvollziehbar.

Bei einem Bruder wussten Sie nicht, wo und was er arbeitet. Sie konnten lediglich aussagen, dass er in einem Büro arbeitet.

Wenn selbst Sie als Bruder nicht sein Betätigungsfeld wussten ist es nicht nachvollziehbar, warum die Taliban aus ganz Afghanistan in Wegen diesem Betätigungsfeld verfolgen sollten. Bei dem zweiten Bruder gaben Sie an, dass er als Gepäckträger am Internationalen Flughafen in Kabul arbeitet. Er soll Amerikanern dabei geholfen haben, das Gepäck aus den Flugzeugen zu laden.

Warum ein Mitarbeiter am Flughafen an der untersten Beschäftigungsebene zum Zielpunkt der Taliban in ganz Afghanistan sein soll ist für das Bundesamt nicht nachvollziehbar und unglaubwürdig.

Zusätzlich haben Sie ausgesagt, dass Ihre Brüder bei Ihrer Ausreise noch dieser Arbeit nachgingen. Das bedeutet, dass Sie wegen der Arbeit Ihrer Brüder ausreisen mussten aber die Brüder noch der Arbeit in Kabul nachgehen konnten und nicht verfolgt werden.

Dieser Kontext entbehrt jeder verständlichen Logik.

Zudem hat die angebliche Verfolgung Ihres Bruders keinen Bezug zu Ihrer Person, da Ihr Bruder in Kabul arbeitete und Sie sich zu diesem Zeitpunkt noch in Ihrer Heimat Gemeinde befanden.

5. Am 15.03.2017 erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde gegen den Bescheid des BFA im vollen Umfang. Der Beschwerdeführer habe wegen seiner politischen Gesinnung, mit den Taliban nicht kooperieren zu wollen, seinen Herkunftsstaat verlassen. Der Beschwerdeführer habe sein Vorbringen lebensnah und sehr ausführlich gestaltet und über die drohende Verfolgung und Erlebnisse in Afghanistan frei gesprochen. Dem Beschwerdeführer stehe zudem keine innerstaatliche Fluchtalternative offen.

6. Am 24.02.2017 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung statt. Die Niederschrift lautet auszugsweise:

"R: Welche Familienangehörige haben Sie in Afghanistan und wo leben diese?

BF: Zum Zeitpunkt meiner Ausreise ist meine Familie nach Kabul gegangen. Mein Bruder und ich sind aus Afghanistan geflüchtet. Wir wurden auf dem Fluchtweg getrennt. Seit meiner Flucht habe ich keinen Kontakt zu meiner Familie. Ich weiß daher nicht, wo sie sich derzeit aufhalten.

R: Wer von Ihrer Familie hat zum Zeitpunkt Ihrer Flucht in Kabul gelebt?

BF: Meine Mutter, meine sechs Schwestern und sechs Brüder sind in Kabul geblieben. Mein Bruder XXXX und ich sind aus Afghanistan geflüchtet.

[ ]

R: Was machen Sie für einen Fluchtgrund geltend?

BF: Zwischen meinem Vater und meinem Onkel väterlicherseits bestehen Probleme wegen dem Grundstückes. Mein Onkel ist bei den Taliban. Er verlangte von uns, dass meine beiden Brüder, die für die Amerikaner arbeiten, ihre Arbeit verlassen und mein Bruder XXXX und ich für die Taliban arbeiten. Mein Vater war damit aber nicht einverstanden. Mein Vater hat ihm erklärt, dass ihr weg der falsche ist und er nicht wollen würde, dass seine Söhne diesen Weg gehen.

[ ]

R: Wie lange haben die beiden Brüder diese Arbeit ausgeführt?

BF: Ich weiß nicht wann genau meine Brüder mit der Arbeit begonnen haben. Sie haben aber bis zu ihrer Flucht gearbeitet. Dazwischen bekamen wir die Schwierigkeiten und sind nach Kabul gefahren. Nach meiner Flucht aus Afghanistan haben meine Brüder weitergearbeitet. Erst als ich in XXXX war, habe ich von ihrer Flucht aus Afghanistan erfahren.

[ ]

R: Wusste Ihr Onkel bzw. die anderen Taliban, die Ihr Haus angegriffen haben, wo Ihre beiden Brüder arbeiten bzw. wo sie in Kabul gelebt haben?

BF: Von der Tätigkeit meiner Brüder wussten sie. Vor allem weil es mein Onkel war und der Onkel erfährt so etwas. Ich glaube nicht, dass sie gewusst haben, wo sie gewohnt haben.

R: Das heißt, Ihre beiden Brüder, die für die Regierung bzw. Amerikaner gearbeitet haben, befanden sich zum Zeitpunkt Ihrer Flucht nicht in Gefahr?

BF: Der Grund für die ganzen Schwierigkeiten war unter anderem die Arbeit meiner beiden Brüder. Als ich aus Afghanistan geflüchtet bin, waren sie nicht unmittelbar bedroht. Ich gehe aber davon aus, dass sie Schwierigkeiten bekommen haben, weil sie geflüchtet sind.

[ ]

R: Wo lebt Ihr Onkel, mit dem Sie die Schwierigkeiten gehabt haben, derzeit?

BF: In der Provinz Laghman. Er ist bei den Taliban. Ich nehme an, dass er nicht in die Stadt kommen kann, weil er Probleme mit den Behörden befürchte.

R: Welche Stadt meinen Sie?

BF: Ich meine alle Städte, er könnte nur versteckt und unbewaffnet reisen.

R: Weiß Ihr Onkel väterlicherseits, wo Ihre restlichen Onkeln und Tanten mütterlicherseits wohnen?

BF: Das weiß ich nicht."

7. Am 20.12.2017 erstattete der Beschwerdeführer eine Stellungnahme und brachte vor, dass er gleich mehrere der von UNHCR identifizierten Risikoprofile erfülle. Dem Beschwerdeführer drohe landesweit Verfolgung durch die Taliban, womit aber eine IFA nicht in Betracht komme. Der Beschwerdeführer habe sein ganzes Leben bis zur Ausreise aus Afghanistan in seiner Heimatprovinz Laghman verbracht und nie andere Provinzen kennengelernt. Er habe auch keinerlei tragfähiges Unterstützungsnetz in Afghanistan. In eventu wäre dem Beschwerdeführer zumindest der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, da sich die Lage in Afghanistan dermaßen verschärft habe, dass eine Rückkehrmöglichkeit generell in Frage zu stellen sei.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen (Sachverhalt):

1.1. Zur Person und zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist ein Staatsangehöriger Afghanistans und gehört der Volksgruppe der Paschtunen an. Der Beschwerdeführer ist in der Provinz Laghman geboren und aufgewachsen. Der Beschwerdeführer hat nicht die Schule besucht. Der Beschwerdeführer hat bei seinem Vater in der Landwirtschaft gearbeitet und selbst ein kleines Lebensmittelgeschäft, das dem Vater gehört hat, geführt. Zwei ältere Brüder des Beschwerdeführers haben am Flughafen in Kabul gearbeitet. Der älteste Bruder war mit Aus- und Beladetätigkeiten beschäftigt, der zweitälteste arbeitete in einem Büro. Keiner der beiden war in einer Führungsposition tätig. Zum Zeitpunkt der Flucht des Beschwerdeführers aus Afghanistan lebten seine Mutter, sechs Schwestern und sechs Brüder in Kabul, darunter jene beiden, die am Flughafen gearbeitet haben. Ferner leben ein Onkel mütterlicherseits in Kunduz, eine Tante mütterlicherseits in Kabul sowie ein Onkel mütterlicherseits in Laghman.

Ein Onkel mütterlicherseits des Beschwerdeführers lebt mit seiner Familie in Graz. Der Beschwerdeführer empfängt seitens dieses Onkels keine finanzielle Unterstützung. Der Beschwerdeführer verfügt über ein ÖSD-Zertifikat A2. Der Beschwerdeführer arbeitet freiwillig für die Gemeinde, hat jedoch in Österreich noch nicht entgeltlich gearbeitet und verfügt über keine Einstellungszusage eines Dienstgebers. Der Beschwerdeführer ist nicht Mitglied in einem Verein. Der Beschwerdeführer ist gesund, ledig und unbescholten.

Der Beschwerdeführer war nie politisch tätig und gehörte nie einer politischen Partei an. Er ist in Afghanistan weder vorbestraft noch war er inhaftiert.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer in Afghanistan aufgrund seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit verfolgt werden würde. Nicht festgestellt werden kann, dass seitens der Taliban ein besonderes Interesse an der Person des Beschwerdeführers besteht bzw. bestehen könnte.

Es kann nicht festgestellt werden, dass dem Beschwerdeführer im Falle der Rückkehr in die Stadt Kabul ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen würde. Der Beschwerdeführer kann insbesondere mit der Unterstützung durch seine paschtunische Solidaritätsgemeinschaft rechnen, womit ihm aber der Aufbau einer Existenzgrundlage in Kabul möglich ist. Seine Existenz könnte er dort – zumindest anfänglich – mit Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten sichern. Er ist auch in der Lage, in Kabul eine einfache Unterkunft zu finden. Der Beschwerdeführer hat zunächst auch die Möglichkeit, finanzielle Unterstützung in Form der Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen. Ferner ist anzunehmen, dass der Beschwerdeführer zumindest von einem Teil seiner Familienangehörigen finanzielle Hilfe erwarten kann.

Der Beschwerdeführer kann die Stadt Kabul von Österreich aus sicher mit dem Flugzeug erreichen.

1.2. Zum Herkunftsstaat:

1.2.1. Auszug Staatendokumentation (Stand 02.03.2017 inklusive integrierter Kurzinformation vom 25.09.2017)

"Green Zone" in Kabul

Kabul hatte zwar niemals eine formelle "Green Zone"; dennoch hat sich das Zentrum der afghanischen Hauptstadt, gekennzeichnet von bewaffneten Kontrollpunkten und Sicherheitswänden, immer mehr in eine militärische Zone verwandelt (Reuters 6.8.2017).

Eine Erweiterung der sogenannten Green Zone ist geplant; damit wird Verbündeten der NATO und der US-Amerikaner ermöglicht, auch weiterhin in der Hauptstadt Kabul zu bleiben ohne dabei Risiken ausgesetzt zu sein. Kabul City Compound – auch bekannt als das ehemalige Hauptquartier der amerikanischen Spezialkräfte, wird sich ebenso innerhalb der Green Zone befinden. Die Zone soll hinkünftig vom Rest der Stadt getrennt sein, indem ein Netzwerk an Kontrollpunkten durch Polizei, Militär und privaten Sicherheitsfirmen geschaffen wird. Die Erweiterung ist ein großes öffentliches Projekt, das in den nächsten zwei Jahren das Zentrum der Stadt umgestalten soll; auch sollen fast alle westlichen Botschaften, wichtige Ministerien, sowie das Hauptquartier der NATO und des US-amerikanischen Militärs in dieser geschützten Zone sein. Derzeit pendeln tagtäglich tausende Afghaninnen und Afghanen durch diese Zone zu Schulen und Arbeitsplätzen (NYT 16.9.2017).

Nach einer Reihe von Selbstmordattentaten, die hunderte Opfer gefordert haben, erhöhte die afghanische Regierung die Sicherheit in der zentralen Region der Hauptstadt Kabul – dieser Bereich ist Sitz ausländischer Botschaften und Regierungsgebäude. Die Sicherheit in diesem diplomatischen Bereich ist höchste Priorität, da, laut amtierenden Polizeichef von Kabul, das größte Bedrohungsniveau in dieser Gegend verortet ist und eine bessere Sicherheit benötigt wird. Die neuen Maßnahmen sehen 27 neue Kontrollpunkte vor, die an 42 Straßen errichtet werden. Eingesetzt werden mobile Röntgengeräte, Spürhunde und Sicherheitskameras. Außerdem werden 9 weitere Straßen teilweise gesperrt, während die restlichen sechs Straßen für Autos ganz gesperrt werden. 1.200 Polizist/innen werden in diesem Bereich den Dienst verrichten, inklusive spezieller Patrouillen auf Motorrädern. Diese Maßnahmen sollen in den nächsten sechs Monaten schrittweise umgesetzt werden (Reuters 6.8.2017).

Eine erweiterter Bereich, die sogenannte "Blue Zone" soll ebenso errichtet werden, die den Großteil des Stadtzentrums beinhalten soll – in diesem Bereich werden strenge Bewegungseinschränkungen, speziell für Lastwagen, gelten. Lastwagen werden an einem speziellen externen Kontrollpunkt untersucht. Um in die Zone zu gelangen, müssen sie über die Hauptstraße (die auch zum Flughafen führt) zufahren (BBC 6.8.2017; vgl. Reuters 6.8.2017).

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Hauptstadt Kabul

Kabul wird immer wieder von Attentaten erschüttert (DW 31.5.2017):

Am 31.5.2017 kamen bei einem Selbstmordattentat im hochgesicherten Diplomatenviertel Kabuls mehr als 150 Menschen ums Leben und mindestens 300 weitere wurden schwer verletzt als ein Selbstmordattentäter einen Sprengstoff beladenen Tanklaster mitten im Diplomatenviertel in die Luft sprengte (FAZ 6.6.2017; vgl. auch:

al-Jazeera 31.5.2017; The Guardian 31.5.2017; BBC 31.5.2017; UN News Centre 31.5.2017). Bedeutend ist der Angriffsort auch deswegen, da dieser als der sicherste und belebteste Teil der afghanischen Hauptstadt gilt. Kabul war in den Wochen vor diesem Anschlag relativ ruhig (al-Jazeera 31.5.2017).

Zunächst übernahm keine Gruppe Verantwortung für diesen Angriff; ein Talibansprecher verlautbarte nicht für diesen Vorfall verantwortlich zu sein (al-Jazeera 31.5.2017). Der afghanische Geheimdienst (NDS) macht das Haqqani-Netzwerk für diesen Vorfall verantwortlich (The Guardian 2.6.2017; vgl. auch: Fars News 7.6.2017); schlussendlich bekannte sich der Islamische Staat dazu (Fars News 7.6.2017).

Nach dem Anschlag im Diplomatenviertel in Kabul haben rund 1.000 Menschen, für mehr Sicherheit im Land und eine Verbesserung der Sicherheit in Kabul demonstriert (FAZ 2.6.2017). Bei dieser Demonstration kam es zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen den Demonstranten und den Sicherheitskräften (The Guardian 2.6.2017); dabei wurden mindestens sieben Menschen getötet und zahlreiche verletzt (FAZ 2.6.2017).

Auf der Trauerfeier für einen getöteten Demonstranten– den Sohn des stellvertretenden Senatspräsidenten – kam es am 3.6.2017 erneut zu einem Angriff, bei dem mindestens 20 Menschen getötet und 119 weitere verletzt worden waren. Polizeiberichten zufolge, waren während des Begräbnisses drei Bomben in schneller Folge explodiert (FAZ 3.6.2017; vgl. auch: The Guardian 3.6.2017); die Selbstmordattentäter waren als Trauergäste verkleidet (The Guardian 3.6.2017). Hochrangige Regierungsvertreter, unter anderem auch Regierungsgeschäftsführer Abdullah Abdullah, hatten an der Trauerfeier teilgenommen (FAZ 3.6.2017; vgl. auch: The Guardian 3.6.2017).

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Kabul

Die Provinzhauptstadt von Kabul und gleichzeitig Hauptstadt von Afghanistan ist Kabul Stadt. Die Provinz Kabul grenzt im Nordwesten an die Provinz Parwan, im Nordosten an Kapisa, im Osten an Laghman, Nangarhar im Südosten, Logar im Süden und (Maidan) Wardak im Südwesten. Kabul ist mit den Provinzen Kandahar, Herat und Mazar durch die sogenannte Ringstraße und mit Peshawar in Pakistan durch die Kabul-Torkham Autobahn verbunden. Die Stadt hat 22 Stadtgemeinden und 14 administrative Einheiten (Pajhwok o.D.z). Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 4.523.718 geschätzt (CSO 2016)

Distrikt Kabul

Gewalt gegen Einzelpersonen

21

Bewaffnete Konfrontationen und Luftangriffe

18

Selbstmordattentate, IED-Explosionen und andere Explosionen

50

Wirksame Einsätze von Sicherheitskräften

31

Vorfälle ohne Bezug auf den Konflikt

28

Andere Vorfälle

3

Insgesamt

151

(EASO 11.2016)

Im Zeitraum 1.9.2015 – 31.5.2016 wurden im Distrikt Kabul 151 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (EASO 11.2016).

Provinz Kabul

Gewalt gegen Einzelpersonen

5

Bewaffnete Konfrontationen und Luftangriffe

89

Selbstmordattentate, IED-Explosionen und andere Explosionen

30

Wirksame Einsätze von Sicherheitskräften

36

Vorfälle ohne Bezug auf den Konflikt

1

Andere Vorfälle

0

Insgesamt

161

(EASO 11.2016)

Im Zeitraum 1.9.2015. – 31.5.2016 wurden in der gesamten Provinz Kabul 161 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (EASO 11.2016).

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Transitrouten, Provinzhauptstädte und fast alle Distriktzentren (USDOD 12.2015). Aufständischengruppen planen oft Angriffe auf Gebäude und Individuen mit afghanischem und amerikanischem Hintergrund: afghanische und US-amerikanische Regierungseinrichtungen, ausländische Vertretungen, militärische Einrichtungen, gewerbliche Einrichtungen, Büros von Nichtregierungsorganisation, Restaurants, Hotels und Gästehäuser, Flughäfen und Bildungszentren (Khaama Press 13.1.2017). Nach einem Zeitraum länger andauernder relativer Ruhe in der Hauptstadt, explodierte im Jänner 2017 in der Nähe des afghanischen Parlaments eine Bombe; bei diesem Angriff starben mehr als 30 Menschen (DW 10.1.2017). Die Taliban bekannten sich zu diesem Vorfall und gaben an, hochrangige Beamte des Geheimdienstes wären ihr Ziel gewesen (BBC News 10.1.2017).

In der Provinz Kabul finden regelmäßig militärische Operationen statt (Afghanistan Times 8.2.2017; Khaama Press 10.1.2017; Tolonews 4.1.2017a; Bakhtar News 29.6.2016). Taliban Kommandanten der Provinz Kabul wurden getötet (Afghan Spirit 18.7.2016). Zusammenstößen zwischen Taliban und Sicherheitskräften finden statt (Tolonews 4.1.2017a).

Regierungsfeindliche Aufständische greifen regelmäßig religiöse Orte, wie z.B. Moscheen, an. In den letzten Monaten haben eine Anzahl von Angriffen, gezielt gegen schiitische Muslime, in Hauptstädten, wie Kabul und Herat stattgefunden (Khaama Press 2.1.2017; vgl. auch: UNAMA 6.2.2017).

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Laghman

Die Provinz Laghman liegt inmitten der Hindu Kush Berge. Sie ist in sechs administrative Einheiten, inklusive der Provinzhauptstadt Mehtar Lam, eingeteilt: Alishing, Alingar, Dawlat Shah, Qargayi und Bad Pukh (Pajhwok o.D.f). Laghman grenzt an die Provinzen Nangarhar, Kunar, Nuristan und Kapisa (Pajhwok 14.8.2016). Etwa 58% der Bevölkerung sind Pashtunen, 21% Tadschiken, und 21% sind Stämme der Pashai (Pajhwok o.d.f). Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf

452.922 geschätzt (CSO 2016).

Ein Teil der wirtschaftlich wichtigen Autobahn geht durch die Provinz Laghman, denn sie liegt strategisch günstig auf dem Weg nach Kabul (Pajhwok 14.8.2016). Ein Dutzend Aufbauprojekte wurden in der Provinz eingeleitet. Ihre Fertigstellung wird elementare Probleme lösen. Wohlfahrtsprojekte im Wert von 100 Millionen Afghanis wurden in den letzten Monaten initiiert - die meisten dieser Projekte sind bereits abgeschlossen; nebenbei laufen noch weitere 145 Projekte in der Provinzhauptstadt und anderen Distrikten (Pajhwok 12.9.2016).

Im Zeitraum 1.9.2015 – 31.5.2016 wurden in der Provinz Laghman 852 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (EASO 11.2016).

Sicherheitsoperationen in der Provinz Nangarhar sind eine Ursache für Unsicherheit in Laghman. Aus Nangarhar von den Sicherheitskräften vertriebene Aufständische sickern von Nangarhar nach Laghman ein, und stellen dort einen Unsicherheitsfaktor dar (Pajhwok 14.8.2016). Taliban und andere Aufständische operieren in einer Anzahl von abgelegenen Distrikten in der Provinz und führen dort Angriffe aus (Pajhwok 2.8.2016; vgl. auch: Khaama Press 22.2.2016; Khaama Press 17.10.2016).

In der Provinz werden militärische Operationen durchgeführt, um bestimmte Gegenden von Aufständischen zu befreien (Kabul Tribune 7.12.2016; Pajhwok 14.8.2016). Zusammenstöße zwischen Sicherheitskräften und Aufständischen finden statt (Pajhwok 21.11.2016; Pajhwok 16.8.2016; Khaama Press 7.8.2016); manchmal wurden hochrangige Talibanführer dabei getötet (Khaama Press 22.11.2016). Luftangriffe werden durchgeführt (Khaama Press 22.11.2016; Khaama Press 21.11.2016).

Im Rahmen des Programms "Abrüstung von illegalen bewaffneten Gruppierungen" [Disarmament of Illegal Armed Groups (DIAG)] wurde eine Anzahl an Waffen den Beamten übergeben (Pajhwok 16.11.2016).

In Laghman befindet sich eine internationale Militärbase (Forward Operating Base Gamberi) (Reuters 10.2.2017; vgl. auch: Reuters 15.4.2016).

[ ]

Erhaltungskosten in Kabul

Die monatlichen Lebenshaltungskosten in Kabul, für eine Person sind abhängig von den Ausgaben und liegen durchschnittlich zwischen 150-250 USD pro Person. Diese Zahlen beziehen sich nur auf Kleidung, Nahrung und Transport, die Unterbringung (Miete) ist dabei nicht berücksichtigt. Die Haus- oder Wohnungsmiete hängt von der Lage ab. Die Unterbringung im Zentrum der Stadt beträgt für eine Ein-Zimmer Wohnung (Bad und Küche) beginnend von 6.000 AFA (88 USD) bis zu 10.000 AFD (146 USD) pro Monat (IOM 22.4.2016). In Kabul sowie im Umland und auch anderen Städten stehen eine große Anzahl an Häusern und Wohnungen zur Verfügung. Die Kosten in Kabul City sind jedoch höher als in den Vororten oder auch anderen Provinzen. Private Immobilienhändler bieten Informationen zu Mietpreisen für Häuser, Apartments etc. an. Rückkehrer können bis zur 2 Wochen im IOM Empfangszentrum in Jangalak untergebracht werden (IOM 2016).

Auszüge aus dem Bankensystem in Afghanistan

Nach einer Zeit mit begrenzten Bankdienstleistungen, entstehen im Finanzsektor in Afghanistan schnell mehr und mehr kommerzielle Banken und Leistungen. Die kommerziellen Angebote der Zentralbank gehen mit steigender Kapazität des Finanzsektors zurück. Es ist einfach in Afghanistan ein Bankkonto zu eröffnen. Die Bank wird nach folgendem fragen: Tazkira/ (Personalausweis/Pass); 2 Passfotos und AFA 1,000 bis 5,000 als Mindestkapital für das Bankkonto (IOM 2016).

Bis heute sind mehr als ein Dutzend Banken im Land aktiv:

Afghanistan International Bank, Azizi Bank, Arian Bank, Alfalah Bank Ltd., Bank-E-Millie Afghan, BRAC Afghanistan Bank, Development Bank of Afghanistan, Export Promotion Bank, Habib Bank of Pakistan, Kabul Bank, National Bank of Pakistan, Pashtany Bank, Punjab National Bank - India, The First Microfinance Bank, Ghazanfar Bank, Maiwand Bank, Bakhtar Bank. Zu deren Leistungen zählen: Internationaler Geldtransfer via SWIFT (Society For World Wide Interbank Funds Transfer), inländische Geldtransfers in Afghanistan, diverse Kreditprodukte und andere Handelsleistungen, sowie Sparen und Girokonten (IOM 2016).

Internationaler Geldtransfer via SWIFT ist seit 2003 über die Zentralbank verfügbar. Auch kommerzielle Banken bieten derzeit internationalen Geldtransfer an, manche nutzen eigene Möglichkeiten, andere greifen auf die Ressourcen der Zentralbank zurück. Die Zentralbank kann die Nachfrage des Bankensektors nach Bargeld in afghanischer Währung sowie in US Dollar bedienen. Um Geld nach Afghanistan zu überweisen, müssen die Betroffenen ein Konto in Afghanistan haben. Die Zentralbank beabsichtigt, sich vom kommerziellen Bankgeschäft zurückzuziehen, da die kommerziellen Banken ihre Tätigkeiten in Afghanistan ausbauen. Die Zentralbank kann Überweisungen und andere Bankdienstleistungen in den Provinzen in ganz Afghanistan gewährleisten (IOM 2016). Geldtransferanbieter wie Western Union sind ebenfalls weit verbreitet (IOM 2016; vgl. auch: Western Union Holdings, Inc 2016 und Azizi Bank 2014).

1.2.2. Auszug BVwG vom 04.04.2017, W197 2109210-1/22E:

Paschtunen

Es existieren keine zuverlässigen statistischen Angaben zu den Völkerschaften Afghanistans und zu den Sprecherzahlen der verschiedenen Sprachen. Es lässt sich nur vermuten, dass ca. die Hälfte der Bevölkerung zu den Paschtunen zu rechnen sind. Paschtunen siedeln in einem halbmondförmigen Gürtel, der sich von Nordwest-Afghanistan über den gesamten Süden und die Gebiete östlich von Kabul bis in den Nordwesten Pakistans erstreckt. Kleinere Gruppen sind über das gesamte Land verstreut, auch im Norden des Landes, wo Paschtunen Ende des 19. Jahrhunderts speziell angesiedelt wurden und sich seitdem auch selbst angesiedelt haben. (Vgl. Tapper, Nancy [1983] und Schetter, Conrad [2003] S. 228 ff.) Sie werden dort als n?qelin ‚Übersiedler‘ bezeichnet.

Die Eigenbezeichnung lautet je nach Region und Dialekt pashtun oder pakhtun. Ihre Sprache bezeichnen sie dementsprechend als pashto oder pakhto. Die in der Literatur ebenfalls anzu-treffende Bezeichnung pathan ist eine Fremdbezeichnung, die im südasiatischen Raum ver-breitet ist und über die Vermittlung britischer Kolonisatoren Eingang ins Englische gefunden hat. Vertreter anderer Völkerschaften in Afghanistan bezeichnen die Paschtunen oft als afgh?n oder augh?n ‚Afghane‘, in den letzten Jahren vermehrt auch als pashtozab?n ‚Paschto- Sprecher‘. Eine solche Gleichsetzung von ‚Afghane‘ und ‚Paschtune‘ ist wichtig für das Selbstverständnis der Paschtunen als staatstragende oder zumindest namensgebende Völkerschaft Afghanistans. Die in der Verfassung postulierte Bedeutung von ‚Afghane‘ als Staatsbürger Afghanistans entspricht also nicht immer dem tatsächlichen Sprachgebrauch.

Grundlage des paschtunischen Selbstverständnisses sind ihre genealogischen Überlieferungen und die darauf beruhende Stammesstruktur. Der Überlieferung nach sehen sich alle Paschtunen als Nachfahren eines gewissen Qais, der zu Lebzeiten des Propheten Muhammad gelebt und nach der Konvertierung zum Islam den Namen Abdurraschid angenommen haben soll. Seine drei Söhne und ein Adoptivsohn wurden zu Begründern von vier großen Stammesverbänden. Ihre Söhne und Enkel wurden zu Ahnen von Stämmen und Unterstämmen, deren Nachfahren wiederum untergeordnete Stammlinienverbände gründeten usw. Entscheidendes Merkmal der paschtunischen Stammesstruktur ist, dass die Abstammung nur über die väterliche Linie (patrilinear) geführt wird. Je nach Zahl der zurückverfolgten Generationen lassen sich Deszendenzverbände unterschiedlicher Größe unterscheiden. Letztlich weiß jeder heute lebende Paschtune mehr oder weniger genau, wie sein eigener Verband in diesem auf patrilinearer Abstammung beruhenden Stammessystem der Paschtunen zu verorten ist, obgleich einzelne Aspekte der Genealogie strittig sein mögen. Entspre-chende Kenntnisse werden in schriftlich festgehaltenen Stammbäumen (shajara) bewahrt und weitergegeben. Diese Stammesstruktur ist dynamisch, denn mit jeder neuen Generation entstehen neue Untergruppen, deren männliche Mitglieder selbst einmal weitere Unter-gruppen begründen (Zur paschtunischen Stammesstruktur vgl. Steul, Willy [1981] S. 28 ff. und Anderson, Jon W. [1979] S. 223 ff.). Im Alltag ist die wichtigste Einheit ein Verband, der auf Paschto zumeist als kahol bezeichnet wird und sich in etwa als Clan verstehen lässt. Der gemeinsame Vorfahre einer solchen Gruppe lebte in der Regel vor sechs bis acht Generationen. Auf dieser Ebene der Stammesstruktur werden die meisten Fragen des Alltags geregelt: Es werden Ehen arrangiert, die Menschen helfen einander in der Landwirtschaft oder beim Hausbau, Landstreitigkeiten werden ausgefochten und geschlichtet. Dies ist ebenso eine wichtige Ebene für die politische Meinungsbildung. Größere Stammlinienverbände heißen qabila oder t?yifa (Stamm), taber (Unterstamm), zai oder khel bzw. plarina oder psha/pkha (Clanverbände). Sie sind meistens keine unilokalen Gebilde, sondern ihre Mitglieder können weit verstreut leben. Die Paschtunen sind die einzige ethnische Gruppe in Afghanistan, die über eine so stark ausgeprägte Stammesstruktur mit einer allumfassenden genealogischen Tradition verfügt, in der theoretisch jedes heute lebende Mitglied seine Herkunft von einem legendären Ahnen aller Paschtunen herleiten und die entsprechenden Verbindungsglieder benennen kann. Vergleichbare Stammesstrukturen sind auch bei anderen ethnischen Gruppen vorhanden, aber sie weisen nicht die genealogische Tiefe der paschtunischen Stammesstruktur auf.

Große paschtunische Stammesverbände in Afghanistan sind die Ghilzai (Eigentlich bezeichnen die Namensformen mit der Endung -zai einen Singular und als Stammesname wäre bes-ser die auf -zi endende Pluralform angebracht, also hier Ghilzi. Die Formen auf –zai haben sich in der Literatur aber als Stammesnamen etabliert und sollen deshalb auch hier verwendet werden) mit den Untergruppen der Tokhi, Hotaki, Sulaimankhel, Alikhel u.a., die Durrani mit den Untergruppen der Alikozai, Acakzai, Popalzai, Barakzai u.a. sowie die Yusufzai mit den Untergruppen der Momand, Afridi, Shinwari, Waziri, Safi, Mangal u.a.

Eng mit der Stammesstruktur verbunden ist ein komplexes System von Wertvorstellungen und Verhaltensrichtlinien, die häufig unter dem Namen Pashtunwali zusammengefasst wer-den und die besagen, dass es für einen Paschtunen nicht ausreicht, Paschto zu sprechen, sondern dass man auch ‚Paschto machen‘, also die Regeln dieses Ehren-und Verhaltenskodexes befolgen muss. (Siehe hierzu Steul, Willy [1981], Anderson, Jon W. [1979] und Rzehak, Lutz [2011]).

Die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Stammlinienverband bedeutet viele Verpflichtungen, aber auch Rechte, weshalb sich solche Verbände als Solidaritätsgruppen verstehen las-sen. Wenn zwei Paschtunen sich zum ersten Mal begegnen, kann es sein, dass sie zuerst Mi-nuten lang über ihre Stammeszugehörigkeit sprechen. Wenn sie auf irgendeiner Ebene gemeinsame Vorfahren entdecken, kann es sein, dass aus einer Zufallsbekanntschaft schnell eine Beziehung mit weitreichenden Verpflichtungen und Hilfsangeboten wird.

Die Sprache Paschto ist ein wichtiges, aber letzten Endes kein ausreichendes Kriterium, um als Paschtune zu gelten. In einigen Gegenden Afghanistans haben Paschtunen das Paschto schon lange aufgegeben und sprechen Dari als ihre Erstsprache. In der Stadt Herat sind überhaupt keine Paschto-sprachigen Paschtunen mehr zu finden. Dort benutzen alle Paschtunen den lokalen Dialekt des Dari als Erstsprache. Dari-sprachige Paschtunen sind ebenso in ländlichen Teilen der Provinz Herat (hier werden Paschtunen unabhängig von ihrer jeweiligen Sprache nach ihrer Wirtschaftsweise als m?ld?r ‚Viehzüchter‘ oder ku?i ‚Noma-den‘ bezeichnet, auf einer höheren Ebene als augh?n ‚Paschtunen‘), in der Provinz Nimroz, in Teilen der Provinz Uruzgan, in der Provinz Balch, im Westen der Provinz Nangarhar sowie in der Stadt Kabul zu finden. Weder ihre Nachbarn noch andere Paschtunen hegen Zweifel daran, dass es sich bei diesen Gruppen um Paschtunen handelt. Sie mögen für manche als ‚schlechte Paschtunen‘ gelten, weil sie die Sprache ihrer Vorfahren aufgegeben haben, aber sie gelten dennoch als Paschtunen. Stammesstruktur und ein Verhalten nach dem Ehrenkodex sind für die Einordnung wichtiger als das alleinige Kriterium der Sprache.

In Südwest-Afghanistan gibt es paschtunische Gruppen, die als Erstsprache Belutschi sprechen, und belutschische Gruppen, die als Erstsprache Paschto sprechen. Sie fühlen sich trotz der sprachlichen Verschiedenheit gemeinsamen Stämmen zugehörig, die je nach dem als paschtunische oder belutschische Stämme gelten. Solche Mischgruppen werden als augh?n-bal?ch ‚Paschtunen-Belutschen‘ bezeichnet.

Traditionell waren die Paschtunen nomadisierende oder halbnomadische Viehzüchter, Ackerbauern und Händler. Seit langer Zeit sind sie in Städten ansässig geworden, wo sie verschiedensten Tätigkeiten nachgehen. Paschtunische Stämme waren stets die militärische Stütze des afghanischen Königshauses und wurden dafür mit einigen Privilegien (Steuervergünstigungen, weitgehende Autonomie in inneren Angelegenheiten u.a.) versehen.

Quelle:

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BFA (Hrsg.), Dossier der Staatendokumentation AfPak. Grundlagen der Stammes- & Clanstruktur (2016), http://www.ecoi.net/file_upload/90_1470057716_afgh-stammes-und-clanstruktur-onlineversion-2016-07.pdf (abgerufen am 19.12.2016).

Auf Grund kultureller Bedingungen sind die Aufnahme und die Chancen außerhalb des eigenen Familien- bzw. Stammesverbandes vor allem in größeren Städten realistisch.

Quelle:

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Deutsches Auswärtiges Amt – Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan vom 19.10.2016,

http://www.ecoi.net/file_upload/4598_1478857553_3-deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-islamischen-republik-afghanistan-19-10-2016.pdf (abgerufen am 19.12.2016).

2. Beweiswürdigung:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben mittels Durchführung einer öffentlich mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht, durch Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben des Beschwerdeführers vor dieser und den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, des bekämpften Bescheides und des Beschwerdeschriftsatzes sowie in die vom Beschwerdeführer vorgelegten Urkunden.

2.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Die Feststellungen zu Identität, Sprachkenntnissen, Herkunft und Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers gründen sich auf seine diesbezüglich gleichbleibenden und daher glaubhaften Angaben vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, der belangten Behörde, in dem Beschwerdeschriftsatz und in der öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht. Es ist im Verfahren nichts hervorgekommen, das Zweifel an der Richtigkeit dieser Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers aufkommen lässt.

2.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Das Bundesverwaltungsgericht schließt sich der Beweiswürdigung des BFA an, wonach das Vorbringen des Beschwerdeführers nicht ausreicht, um Asylrelevanz zu erreichen:

Einleitend ist festzuhalten, dass der Beschwerdeführer nicht imstande war, dem Bundesverwaltungsgericht zumindest ungefähre Zeitangaben über wesentliche Ereignisse zu nennen (vgl. Seite 6 des Verhandlungsprotokolls, arg. "R: Wann hatten Sie das erste Mal Probleme mit Ihrem Onkel? Wann die Probleme mit meinem Onkel genau begonnen haben kann ich nicht angeben. Mein Onkel hatte jedes Mal mit meinem Vater gesprochen. Wir waren sehr jung. Mein Vater hat darüber nur mit meiner Mutter gesprochen." [ ] bzw. Seite 8 des Verhandlungsprotokolls, arg. "R: Nochmals zu ungefähren Zeitangaben:

Wie lange vor Ihrer Flucht hat Ihr Onkel Ihre Familie erstmals aufgefordert, dass sie sich den Taliban anschließen sollen? BF: Das weiß ich nicht. Das war aber vor langer Zeit. [ ] R: Wie lange ungefähr vor dem 27.04.2015 war der von Ihnen geschilderte Vorfall, auf dem Feld? BF: Ich kann nicht angeben wie viel Zeit dazwischen vergangen ist. Diese Vorfälle liegen schon mehrere Jahre zurück." [ ]). Dies ist insofern bemerkenswert, als der Beschwerdeführer jenen Tag, an dem das Haus der Familie des Beschwerdeführers angegriffen worden sein soll, exakt (27.04.2015) benennen konnte. Auch wenn der Beschwerdeführer über keine Schulbildung verfügt, war er doch imstande, das Lebensmittelgeschäft seines Vaters (selbstständig) zu führen. Vor diesem Hintergrund ist es aber nicht nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführer nicht einmal grobe zeitliche Angaben benennen kann. Aber selbst unter der Annahme, dass sich die geschilderten Vorfälle (insbesondere der Angriff auf das Haus des Beschwerdeführers) tatsächlich so zugetragen hätten, wie vom Beschwerdeführer geschildert, liegt kein asylrelevanter Verfolgungsgrund vor:

Die behaupteten Ereignisse sollen sich alle in der Heimatprovinz des Beschwerdeführers, Laghman, ereignet haben und liegen schon mehrere Jahre zurück. Vor dem BFA brachte der Beschwerdeführer (zusammenfassend) vor, dass der Onkel des Beschwerdeführers und die Taliban gewollt hätten, dass die zwei Brüder des Beschwerdeführers ihre Arbeit aufgeben würden und vom Beschwerdeführer verlangt hätten, dass er sich den Taliban anschließe. Dieses Fluchtvorbringen wurde vom Beschwerdeführer im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht im Wesentlichen bestätigt. Folgte man aber diesen Angaben, dann wären die beiden Brüder des Beschwerdeführers, die für die Amerikaner und die Regierung gearbeitet haben sollen, im Zeitpunkt der Flucht des Beschwerdeführers mindestens ebenso einer konkreten Gefährdungssituation ausgesetzt gewesen. Warum dann aber lediglich der Beschwerdeführer aus Afghanistan flüchten musste und seine Brüder im Zeitpunkt der Ausreise des Beschwerdeführers weiterarbeiten konnten, erschließt sich für das Bundesverwaltungsgericht nicht (siehe dazu bereits die plausible Beweiswürdigung des BFA). Zwar hat der Beschwerdeführer erstmals in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht vorgebracht, dass die beiden Brüder, die für die Amerikaner und die Regierung gearbeitet hätten, nunmehr ebenfalls Afghanistan verlassen hätten. Dieses nunmehrige Vorbringen erscheint dem Bundesverwaltungsgericht aber weniger glaubhaft, da kein plausibler Grund ersichtlich erscheint, warum die beiden Brüder des Beschwerdeführers nicht zu einem viel früheren Zeitpunkt bereits aus Afghanistan geflohen wären.

Abgesehen davon ist – nach den Ausführungen des Beschwerdeführers – der Beschwerdeführer gemeinsam mit seiner Familie – nach der Bedrohung durch seinen Onkel bzw. den Taliban – in die Stadt Kabul geflüchtet, womit sie aber den Bedrohungen seitens des Onkels und der Taliban entkommen konnten. In der Einvernahme vor dem BFA ist der Beschwerdeführer selbst davon ausgegangen, dass sich seine Familie nach wie vor in Kabul aufhält. Zwar hat der Beschwerdeführer sowohl vor dem BFA, als auch vor dem Bundesverwaltungsgericht angegeben, dass er seit seiner Flucht mit seiner Familie keinen Kontakt mehr gehabt habe. Der Beschwerdeführer konnte aber auch kein glaubhaftes Vorbringen dahingehend tätigen, dass nunmehr seine gesamte Familie (mit Ausnahme der zwei Brüder, die für die Amerikaner gearbeitet hätten), nicht mehr in der Stadt Kabul leben würden. Dem Beschwerdeführer steht somit eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul offen (vgl. dazu ausführlich noch unten, 3., rechtliche Beurteilung). Jener Onkel, der den Beschwerdeführer bedroht haben soll, lebt nach wie vor in der Provinz Laghman. Nach den Ausführungen des Beschwerdeführers ist nicht davon auszugehen, dass der Onkel bzw. die Taliban vom Wohnort seiner Brüder erfahren haben bzw. dass der Onkel weiß, wo sich die restlichen Onkeln und Tanten mütterlicherseits in Afghanistan aufhalten (vgl. Seite 9 des Verhandlungsprotokolls, arg. "R: Wusste Ihr Onkel bzw. die anderen Taliban, die Ihr Haus angegriffen haben, wo Ihre beiden Brüder arbeiten bzw. wo sie in Kabul gelebt haben?

BF: Von der Tätigkeit meiner Brüder wussten sie. Vor allem weil es mein Onkel war und der Onkel erfährt so etwas. Ich glaube nicht, dass sie gewusst haben, wo sie gewohnt haben." bzw. Seite 11 des Verhandlungsprotokolls, arg. "R: Weiß Ihr Onkel väterlicherseits, wo Ihre restlichen Onkeln und Tanten mütterlicherseits wohnen? BF: Das weiß ich nicht."). Zudem bestünde auch gar nicht die Gefahr, dass der Onkel nach dem Beschwerdeführer in Kabul suchen könnte, hat der Beschwerdeführer vor dem Bundesverwaltungsgericht doch selbst ausgesagt, dass sein Onkel nicht in die Stadt kommen kann, weil er Probleme mit den Behörden befürchte.

Der Beschwerdeführer war weder Mitglied einer politischen Partei, noch hat er für die Regierung gearbeitet. Der Beschw

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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