TE OGH 2017/10/25 8ObA17/17h

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Veröffentlicht am 25.10.2017
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Der Oberste Gerichtshof hat in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Spenling als Vorsitzenden und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Tarmann-Prentner und Dr. Weixelbraun-Mohr sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Martina Rosenmayr-Khoshideh und ADir. Gabriele Svirak als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache des Antragstellers Österreichischer Gewerkschaftsbund, *****, vertreten durch Freimüller/Obereder/Pilz, RechtsanwältInnenGmbH in Wien, gegen den Antragsgegner Wirtschaftskammer Österreich Fachverband des G*****, über den gemäß § 54 Abs 2 ASGG gestellten Antrag auf Feststellung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Antrag, der Oberste Gerichtshof möge feststellen, dass bei jeder Unterschreitung der im Kollektivvertrag für Arbeiter im Hotel- und Gastgewerbe in der Fassung 2014 vorgesehenen Mindestruhedauer von zehn Stunden ein 100%iger Zuschlag zu bezahlen ist, wenn für das Ausmaß der Unterschreitung keine Ersatzruhe, im Sinn von bezahlter, aber nicht gearbeiteter Arbeitszeit, gewährt worden ist, wird abgewiesen.

Text

Begründung:

Antragsteller und Antragsgegner sind kollektivvertragsfähige Körperschaften (RIS-Justiz RS0051126; RS0051182).

Der Antragsteller begehrte die im Spruch wiedergegebene Feststellung gemäß § 54 Abs 2 ASGG.

Der Antrag beziehe sich auf alle Arbeitnehmer der H***** GmbH, die als „Stewards on train“ beschäftigt (gewesen) seien. Diesen Arbeitnehmern werde weder die Einhaltung der täglichen noch der wöchentlichen Ruhezeit ermöglicht. Zur Untermauerung dieser Behauptung enthält der Antrag eine tabellarische Auflistung von Diensten eines ausgewählten Arbeitnehmers, aus der abgeleitet wird, dass dieser Arbeitnehmer in einem Zeitraum von etwas mehr als einem halben Jahr an 85 Stunden gearbeitet habe, obwohl die schon verkürzte Ruhezeit einzuhalten gewesen wäre.

Gegenstand des Antrags sei die Frage, ob die Betroffenen einen Geldanspruch in der Höhe eines 100%igen Zuschlags für jene Stunden haben, die sie unter Missachtung der täglichen Mindestruhezeit zu leisten haben.

Gemäß § 12 Abs 1 AZG sei den Arbeitnehmern eine ununterbrochene Ruhezeit von mindestens elf Stunden zu gewähren; der Kollektivvertrag könne diese Ruhezeit auf mindestens acht Stunden verkürzen, wobei derartige Verkürzungen innerhalb der nächsten zehn Kalendertage durch entsprechende Verlängerung einer anderen Ruhezeit auszugleichen seien. Eine Verkürzung auf weniger als zehn Stunden sei nach § 12 Abs 2 AZG idF vor BGBl I 2015/152 nur dann zulässig, wenn der Kollektivvertrag weitere Maßnahmen zur Sicherstellung der Erholung der Mitarbeiter vorsehe; eine finanzielle Abgeltung sei im AZG nicht vorgesehen.

Im Kollektivvertrag für ArbeiterInnen im Hotel- und Gastgewerbe in der im Jahr 2014 geltenden Fassung (im Folgenden: KV alt) hätten die Kollektivvertragsparteien von der ihnen durch das Gesetz eingeräumten Regelungsermächtigung Gebrauch gemacht: Der KV alt habe in seinem Pkt 2 lit g die Regelung enthalten, dass die tägliche Ruhezeit auf zehn Stunden verkürzt werden könne, sofern diese Verkürzung innerhalb eines Zeitraums von zehn Kalendertagen durch entsprechende Verlängerung einer anderen täglichen oder wöchentlichen Ruhezeit ausgeglichen wird. Sei ein solcher Ausgleich nicht möglich, sei ein 100%iger Lohnzuschlag vorgesehen; der Anspruch auf Ruhezeit bleibe im vollen Ausmaß aufrecht. Für die betroffenen Arbeitnehmer sei die Ruhezeit jedoch immer wieder in unzulässiger Weise unter die absolute Untergrenze von zehn Stunden verkürzt worden. Ein derartiger Fall sei weder vom Gesetzgeber noch von den Kollektivvertragsparteien bedacht worden. Der KV alt sei daher lückenhaft, weil er für eine derartige unzulässige Unterschreitung der Untergrenze der Ruhezeit keine Sanktion vorsehe. Nach dem KV alt sei der Arbeitgeber dazu angehalten, den Versuch zu unternehmen, die Dienstpläne so zu gestalten, dass die Ruhezeiten eingehalten werden können. Ansonsten werde die während der verkürzten Ruhezeit geleistete Arbeitszeit teurer. Die Regelungslücke im KV alt sei daher so zu füllen, dass bei Unterschreitung der verkürzten Ruhezeit unter zehn Stunden in jedem Fall für die während der Ruhezeitverkürzung geleisteten Stunden ein 100%iger Lohnzuschlag zu bezahlen sei, unabhängig davon, ob diese Verkürzung in der Folge ausgeglichen werden könne. Diese Ergänzung des KV sei auch als Abschreckung gegen unzulässige Ruhezeitverkürzungen geboten.

Der Antragsgegner beantragte, den Feststellungsantrag zurückzuweisen, hilfsweise abzuweisen.

Dem Antrag seien nur die Arbeitszeitaufzeichnungen eines einzigen Mitarbeiters beigelegt; daher sei fraglich, ob die Rechtsfrage für mindestens drei Arbeitnehmer von Bedeutung sei. Im Übrigen sei es richtig, dass in den vom Antragsteller beschriebenen Fällen die Ruhezeit von zehn Stunden unterschritten worden sei; in allen Fällen habe aber – dem Kollektivvertrag entsprechend – ein Ausgleich innerhalb von zehn Kalendertagen stattgefunden. Auch die Antragsgegnerin bezieht sich zur Untermauerung dieser Behauptung auf eine Tabelle, die ebenfalls den im Antrag genannten Arbeitnehmer betrifft, in der aber weitere Angaben über größere Zeiträume zum behaupteten Ausgleich der Ruhezeitverkürzungen im jeweiligen Beobachtungszeitraum enthalten sind.

Für Verkürzungen der Ruhezeiten auf weniger als zehn Stunden ordne der KV alt keinen finanziellen Ausgleich an, sondern es sei ein Lohnzuschlag nur für den Fall vorgesehen, dass innerhalb von zehn Kalendertagen keine Ersatzruhe gewährt werden könne. Die zeitgerechte Gewährung von Ersatzruhe sei zur Sicherstellung der Erholung der Arbeitnehmer besser geeignet als ein höheres Entgelt. Eine planwidrige Regelungslücke des KV alt liege daher nicht vor. Der vom Antragsteller angestrebte Zuschlag in jedem Fall einer Ruhezeitverkürzung auf unter zehn Stunden komme einer Strafzahlung des Arbeitgebers an den Dienstnehmer gleich; dies sei auch aus systematischen Gründen abzulehnen. Der Arbeitgeber habe dem genannten Mitarbeiter regelmäßig längere Freizeitblöcke zur Erholung gewährt, wodurch das Kriterium der „intensiven Ausgleichsmaßnahme“ iSd § 12 AZG erfüllt worden sei.

Der Oberste Gerichtshof hat zum Feststellungsantrag Folgendes erwogen:

Rechtliche Beurteilung

1. Gemäß § 54 Abs 2 ASGG können kollektivvertragsfähige Körperschaften der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer im Rahmen ihres Wirkungsbereichs gegen eine kollektivvertragsfähige Körperschaft der Arbeitnehmer bzw der Arbeitgeber beim Obersten Gerichtshof einen Antrag auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens von Rechten oder Rechtsverhältnissen anbringen, die einen von namentlich bestimmten Personen unabhängigen Sachverhalt betreffen. Der Antrag muss eine Rechtsfrage des materiellen Rechts auf dem Gebiet der Arbeitsrechtssachen nach § 50 ASGG zum Gegenstand haben, die für mindestens drei Arbeitgeber oder Arbeitnehmer von Bedeutung ist.

2. Gemäß § 54 Abs 4 ASGG hat der Oberste Gerichtshof über den Feststellungsantrag auf der Grundlage des darin angegebenen Sachverhalts zu entscheiden (RIS-Justiz RS0085712). Der Antragsgegner kann gegen den vom Antragsteller behaupteten Sachverhalt im Tatsachenbereich daher nichts vorbringen, sondern ist auf rechtliche Argumente beschränkt (RIS-Justiz RS0109384 [T2]).

Nach dem somit für die Behandlung des Antrags allein maßgeblichen Tatsachenvorbringen des Antragstellers sind mehr als drei Arbeitnehmer von der im Antrag genannten Rechtsfrage betroffen. Diese Behauptung ist ohne weitere Prüfung der Entscheidung zugrunde zu legen.

3. Feststellungsanträge nach § 54 Abs 2 ASGG sind nach dem Vorbild des § 228 ZPO gestaltet. Nach dieser Bestimmung kann das Bestehen oder Nichtbestehen von Rechten oder Rechtsverhältnissen mit Feststellungsklage dann geltend gemacht werden, wenn ein rechtliches Interesse an der Feststellung besteht (9 ObA 150/03d; 8 ObA 14/13m uva).

Ist zwischen den Parteien des Verfahrens kein Recht oder Rechtsverhältnis strittig, so fehlt es damit am rechtlichen Interesse (vgl RIS-Justiz RS0109383; RS0117528; 8 ObA 14/13m uva).

Feststellungsanträge zur Klärung abstrakter Rechtsfragen, denen bloß theoretische Bedeutung zukommt, erfüllen die Voraussetzungen eines rechtlichen Interesses auch im Rahmen eines Feststellungsantrags nach § 54 Abs 2 ASGG nicht, weil abstrakte Rechtsfragen grundsätzlich nicht feststellungsfähig sind (RIS-Justiz RS0109383).

Ist nach den Ausführungen des Antragstellers, nach der Aktenlage oder nach den Erklärungen des Antragsgegners kein Feststellungsinteresse des Antragstellers gegeben, ist der Feststellungsantrag abzuweisen (RIS-Justiz RS0117528; 8 ObA 14/13m).

4. Im hier zu beurteilenden Fall ist ein rechtliches Interesse des Antragstellers an der von ihm begehrten Feststellung weder aus seinen Antragsbehauptungen noch aus der Äußerung des Antragsgegners abzuleiten:

Die vom Antragsteller begehrte Feststellung hat folgenden Wortlaut (Hervorhebung durch den Obersten Gerichtshof):

Der Oberste Gerichtshof möge feststellen, dass bei jeder Unterschreitung der im Kollektivvertrag für Arbeiter im Hotel- und Gastgewerbe in der Fassung 2014 vorgesehenen Mindestruhedauer von zehn Stunden ein 100%iger Zuschlag zu bezahlen ist, wenn für das Ausmaß der Unterschreitung keine Ersatzruhe, im Sinn von bezahlter, aber nicht gearbeiteter Arbeitszeit, gewährt worden ist.

Die begehrte Feststellung betrifft damit ausschließlich Ruhezeitunterschreitungen, die nicht durch Gewährung von Ersatzruhe ausgeglichen wurden.

Der Antrag enthält aber kein Vorbringen, aus dem erschlossen werden kann, dass die behaupteten Ruhezeitunterschreitungen nicht ausgeglichen wurden. Das gesamte Antragsvorbringen beschäftigt sich mit der Tatsache und dem Ausmaß der einzelnen Unterschreitungen; zur Frage ihres allfälligen Ausgleichs fehlt hingegen jedes Vorbringen. Eine schlüssige Behauptung, dass sich der den Gegenstand des Antrags bildende Sachverhalt (nicht durch Ersatzruhe ausgeglichene Ruhezeitunterschreitungen) tatsächlich überhaupt zugetragen hat, fehlt somit. Die im Antrag enthaltene Tabelle, in der die Dienstzeiten eines konkreten Arbeitnehmers dargestellt werden, ändert daran nichts, da auch diese Tabelle nur die Dienste mit Ruhezeitunterschreitungen enthält, aber keine Angaben über die dazwischen liegenden Zeiträume, sodass auch daraus nicht hervorgeht, dass ein Ausgleich der Ruhezeitunterschreitungen unterblieben ist.

Dem Antrag angeschlossene Urkunden (hier: mehrseitige, weder kommentierte, noch erläuterte Ausdrucke über „Effektivzeiten“) können fehlendes Vorbringen von vornherein nicht ersetzen (RIS-Justiz RS0037915), sodass es nicht darauf ankommt, dass unklar ist, was daraus erschließbar sein soll.

Die Antragsgegnerin behauptet demgegenüber, – insbesondere auch anhand der von ihr übermittelten Tabelle – dass sämtliche Ruhezeitunterschreitungen (des vom Antragsteller genannten Arbeitnehmers) durch die fristgerechte Gewährung von Ersatzruhe ausgeglichen worden seien. Nun trifft es zwar zu, dass auf Tatsachenbehauptungen der Antragsgegnerin, die vom Antragsvorbringen abweichen oder über dieses hinausgehen, nicht Bedacht genommen werden kann. Bedacht zu nehmen ist aber darauf, ob sie den im Antrag geltend gemachten (Feststellungs-)Anspruch bestreitet. Dies ist aber aus ihren Einwänden insoweit nicht zu erkennen, als ihren Behauptungen nicht zu entnehmen ist, dass sie den Anspruch auf eine finanzielle Abgeltung unzulässiger Ruhezeitunterschreitungen, die nicht durch Ersatzruhe abgegolten wurden, bestreitet (bzw bestreiten würde). Nur solche (nicht durch Ersatzruhe abgegoltene) Ruhezeitunterschreitungen sind aber Gegenstand des Feststellungsantrags.

5. Zusammenfassend ist daher davon auszugehen, dass weder dem insoweit unschlüssigen Antragsvorbringen noch den Behauptungen der Antragsgegnerin zu entnehmen ist, dass der den Gegenstand der begehrten Feststellung bildende Antrag einen Sachverhalt betrifft, der sich tatsächlich zugetragen hat, noch, dass der geltend gemachte Anspruch überhaupt strittig ist (bzw wäre).

Da somit kein Feststellungsinteresse erkennbar ist, ist der Antrag abzuweisen.

Schlagworte

1 Generalabonnement,11 Arbeitsrechtssachen

Textnummer

E120293

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2017:008OBA00017.17H.1025.000

Im RIS seit

11.01.2018

Zuletzt aktualisiert am

11.01.2018
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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