Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Grohmann und die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Painsi und Dr. Steger als weitere Richter in der wohnrechtlichen Außerstreitsache der Antragstellerin G*****aktiengesellschaft, *****, vertreten durch die Bartlmä Madl Rechtsanwälte OG in Wien, gegen die Antragsgegner sämtliche Mieter der Stiegen 1 und 3 der Liegenschaft *****, darunter C***** H*****, vertreten durch die Widter Mayrhauser Wolf Rechtsanwälte OG in Wien, wegen § 22 Abs 1 Z 6b WGG über den Revisionsrekurs der Antragstellerin gegen den Sachbeschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 25. Jänner 2017, GZ 39 R 264/16m-8, mit dem der Sachbeschluss des Bezirksgerichts Donaustadt vom 5. September 2016, GZ 8 Msch 11/16g-2, bestätigt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Die Antragstellerin hat die Kosten ihres Revisionsrekurses selbst zu tragen.
Text
Begründung:
Die Antragstellerin ist eine gemeinnützige Bauvereinigung iSd § 1 WGG und hat auf der damals in ihrem Alleineigentum stehenden Liegenschaft EZ ***** KG *****, eine Wohnhausanlage errichtet. Die Wohnhausanlage ist in vier „Stiegen“ untergliedert und umfasst 137 Wohnungen je samt Einlagerungsraum, ein Hausbetreuungszentrum, eine Tiefgarage mit 138 Abstellplätzen sowie diverse Technik- und Allgemeinräume. An sämtlichen Wohnungen wurde mittlerweile – auf Basis eines Nutzwertgutachtens des DI M***** vom 4. 7. 2014 – Wohnungseigentum begründet.
Die Antragstellerin stellte den Antrag, das Gericht möge gemäß §§ 16 Abs 3 und 4 WGG die Nutzwerte der Liegenschaft laut Nutzwertberechnung des DI M***** vom 4. 7. 2014 festsetzen,
Das Erstgericht wies diesen Antrag mit der Begründung ab, die Vorbauten (der Stiegen 2 und 3) seien kein Teil einer Wohnung iSd § 2 Abs 2 WEG und daher entgegen der Nutzwertberechnung des Sachverständigen nicht in die Nutzflächenberechnung einzubeziehen. Darüber hinaus sei es aufgrund des dem WGG immanenten Gleichbehandlungsgrundsatzes nicht möglich, gleichartige Objekte unterschiedlich zu bewerten. Die Vorbauten der Stiegen 2 und 3 könnten somit nicht – wie hier – anders bewertet werden als die völlig gleichartigen Vorbauten der Stiege 4. Schließlich sei aufgrund der zwischenzeitig erfolgten Wohnungseigentumsbegründung und des Umstands, dass ein Teil der Wohnungen nicht mehr im Eigentum der Bauvereinigung stehe, eine Nutzwertfestsetzung nur noch für die dem WGG unterliegenden Wohnungen möglich.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Antragstellerin nicht Folge. Das Erstgericht habe den Antrag im Ergebnis zu Recht abgewiesen, weil die Antragstellerin keinen Anspruch auf Festsetzung der Nutzwerte durch das Gericht habe. Schon vor der Antragstellung sei für die gesamte Liegenschaft Wohnungseigentum begründet und grundbücherlich einverleibt worden. Die Nutzwerte der einzelnen Wohnungen und sonstigen Objekte stünden daher ohnedies fest und könnten bereits dem Grundbuch entnommen werden. Einer gerichtlichen Festsetzung der Nutzwerte nach § 16 Abs 3 und 4 WGG bedürfe es daher nicht mehr, sodass der Antragstellerin das Rechtsschutzinteresse an der Festsetzung der Nutzwerte in einem Verfahren nach § 22 Abs 1 Z 6b WGG fehle. Eine Änderung der Nutzwerte iSd § 9 WEG strebe die Antragstellerin nicht an. Vielmehr begehre sie die Nutzwertfestsetzung aufgrund eben jenes Nutzwertgutachtens, das Grundlage des Wohnungseigentumsvertrags und der Eintragung des Wohnungseigentums sei.
Das Rekursgericht erklärte den ordentlichen Revisionsrekurs für zulässig, weil oberstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage fehle, ob nach grundbücherlicher Einverleibung von Wohnungseigentum die Bauvereinigung noch ein Rechtsschutzbedürfnis an der Festsetzung der Nutzwerte iSd § 16 Abs 4 WGG habe.
Gegen diesen Sachbeschluss des Rekursgerichts richtet sich der Revisionsrekurs der Antragstellerin mit dem Antrag, die Entscheidungen der Vorinstanzen dahin abzuändern, dass die Nutzwerte der Liegenschaft, in eventu die Nutzwerte der Wohnungen der Stiegen 1 und 3 auf der Liegenschaft gemäß § 16 Abs 3 und 4 WGG laut der Nutzwertberechnung des DI M***** vom 4. 7. 2014 festgesetzt werden. Hilfsweise stellt sie einen Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag.
Keiner der Antragsgegner hat sich am Revisionsrekursverfahren beteiligt.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig; er ist aber nicht berechtigt.
1. Das WGG gibt in § 16 Abs 1 die Aufteilung sämtlicher Kosten des Hauses nach dem Verhältnis der Nutzfläche des Miet- oder sonstigen Nutzungsgegenstands zur Nutzfläche aller in Bestand oder sonstige Nutzung gegebenen oder hiezu geeigneten Wohnungen, Wohnräume und sonstigen Räumlichkeiten des Hauses vor. § 16 Abs 3 WGG ermöglicht der Bauvereinigung jedoch, den Anteil des einzelnen Mieters oder Nutzungsberechtigten an den Gesamtkosten abweichend von der Regelung des Abs 1 auch im Verhältnis des Nutzwerts iSd § 2 Abs 8 WEG 2002 des Miet- oder Nutzungsgegenstands zur Summe der Nutzwerte aller Miet- oder sonstigen Nutzungsgegenstände festzulegen (5 Ob 135/14k = RIS-Justiz RS0115312 [T4]). In der Wahl, die Verteilung der Kosten nach Nutzwerten vorzunehmen, ist die Bauvereinigung grundsätzlich frei, wenn nicht eine Vereinbarung mit allen Mietern oder Nutzungsberechtigten entgegensteht (5 Ob 245/15p).
2. Der – für die Aufteilung nach § 16 Abs 3 WGG maßgebliche – Nutzwert ist gemäß § 16 Abs 4 WGG auf Antrag der Bauvereinigung vom Gericht festzusetzen. Über Anträge auf Festsetzung (oder Neufestsetzung des Nutzwerts gemäß § 16 Abs 5 WGG) entscheidet das Gericht im Außerstreitverfahren nach § 22 Abs 4 WGG (§ 22 Abs 1 Z 6b WGG). Dabei sind die §§ 8 bis 10 WEG 2002 anzuwenden (§ 16 Abs 4 Satz 2 WGG). Für die Ermittlung der Nutzwerte sind demnach diese Bestimmungen des WEG 2002 maßgeblich, soferne das WGG keine abweichenden speziellen Regelungen enthält (5 Ob 135/14k).
3. Nach dem Verständnis der Lehre sind dabei (nur) die materiellen Vorschriften des WEG 2002 über die Nutzwertfestsetzung anzuwenden; die Verfahrensbestimmungen würden sich hingegen nach WGG richten. Aufgrund der klaren Anordnung in § 16 Abs 4 Satz 1 WGG seien daher die Nutzwerte zwingend vom Gericht festzusetzen; ein privates Nutzwertgutachten reiche, auch wenn es den Kriterien des § 9 Abs 1 WEG 2002 entspreche, nicht aus (Würth/Zingher/Kovanyi, Miet- und Wohnrecht²³ § 16 WGG Rz 5; Rudnigger in Illedits/Reich-Rohrwig² § 16 WGG Rz 6). Entgegen der Auffassung der Revisionsrekurswerberin wäre damit aber die Frage nicht beantwortet, ob die Aufteilung nach Nutzwerten iSd § 16 Abs 3 WGG auch dann einer gerichtlichen Festsetzung dieser Nutzwerte in einem Verfahren nach den §§ 16 Abs 4, 26 Abs 1 Z 6b WGG bedarf, wenn bereits Wohnungseigentum begründet ist.
4. Durch die mit dem 3. WÄG, BGBl Nr 800/1993, eingeführte Möglichkeit, die Aufteilung nach Nutzwerten vorzunehmen, wollte der Gesetzgeber einen Gleichklang mit dem Förderungsrecht der Länder, aber auch der Aufteilung nach WEG 1975 und WGG herstellen und so eine effizientere Bewirtschaftung der verstärkt zu erwartenden „gemischten Objekte“ ermöglichen (vgl AB 1268 BlgNR 18. GP 4, 8). Dieses Ziel der Ermöglichung einer effizienteren Bewirtschaftung durch Angleichung der Aufteilung nach WEG und WGG verfolgen offensichtlich auch die mit der WRN 2006, BGBl I 2006/124, geschaffenen Bestimmungen der §§ 14e, 14f, 19a und 19d WGG für die Vermietung von Objekten, die im Wohnungseigentum einer Bauvereinigung stehen. Vor dem Hintergrund der nach § 3 Abs 2 WEG 2002 gebotenen Begründung von Wohnungseigentum an der gesamten Liegenschaft und dem Umstand, dass daher bei nachträglicher Wohnungseigentumsbegründung an einer Baulichkeit und dem Abverkauf von Objekten an deren bisherige Mieter in der Regel einige Objekte der Bauvereinigung verbleiben werden, die dann in ihrem Wohnungseigentum stehen und (unter der Voraussetzung des § 20 Abs 1 Satz 1 iVm § 20 Abs 1 Z 2 WGG) weiter nach WGG-Grundsätzen vermietet sind oder nach diesen Grundsätzen neu vermietet werden (vgl RV 1183 BlgNR XXII. GP, 46; Rosifka, Der wohnungsgemeinnützigkeitsrechtliche Teil der Wohnrechtsnovelle 2006, wobl 2006, 314 [321 f]), normieren diese Bestimmungen bei Vermietung von Wohnungseigentumsobjekten durch die Bauvereinigung den Anwendungsvorrang der „wohnungseigentumsrechtlichen Grundsätze“ für die Abrechnung (nur) der eigentlichen Bewirtschaftungskosten. Für Betriebskosten, öffentliche Abgaben und Kosten der Gemeinschaftsanlagen nach § 14 Abs 1 Z 7 WGG sowie Verwaltungskosten nach § 14 Abs 1 Z 6 WGG gilt demnach der in der Eigentümergemeinschaft nach § 32 WEG 2002 anzuwendende Verteilungsschlüssel, wie immer sich dieser zu § 16 WGG verhält (Würth/Zingher/Kovanyi, aaO § 14e WGG Rz 2; Beer/Vospernik in Illedits/Reich-Rohrwig² § 14e WGG Rz 1; Prader, WGG3.0 § 14e Anm 1; ders, Glosse zu 5 Ob 135/14k, immolex 2015/53).
5. Die Anordnung des § 16 Abs 4 WGG ist daher (auch) nach Auffassung des erkennenden Senats teleologisch auf den Fall zu reduzieren, dass noch kein Wohnungseigentum an der Liegenschaft begründet ist. Im Fall des Bestehens von Wohnungseigentum sind die dem Wohnungseigentum zugrunde liegenden Nutzwerte auch für die Aufteilung nach § 16 Abs 3 WGG maßgeblich, ohne dass es der – von der Antragstellerin hier angestrebten – Bestätigung dieser Nutzwerte durch eine eigene gerichtliche Nutzwertfestsetzung nach § 16 Abs 4 WGG bedarf. Eine solche gerichtliche Nutzwertfestsetzung müsste nicht notwendigerweise dem dem Wohnungseigentum zugrunde liegenden Nutzwertgutachten entsprechen, sodass nur dieses Verständnis der Norm seinen dargestellten Zweck der Ermöglichung einer effizienteren Bewirtschaftung durch Angleichung der Aufteilungsschlüssel nach WEG und WGG sichert. Angesichts der Maßgeblichkeit der aus dem Grundbuch ersichtlichen Nutzwerte zieht dieses Ergebnis – entgegen der Behauptung der Revisionsrekurswerberin – keine besondere Rechtsunsicherheit nach sich. Auch deren Argument, in diesen Fällen gehe der mit der Parteistellung im Rahmen der gerichtlichen Nutzwertfestsetzung verbundene Schutz der Mieter verloren, tritt in seiner Bedeutung gegenüber den aufgezeigten systematischen und teleologischen Erwägungen zurück, weil die der Wohnungseigentumsbegründung zugrunde liegende Nutzwertfestsetzung iSd § 9 Abs 1 WEG 2002 nicht in der Disposition der Vertragsparteien liegt. (Auch) der Sachverständige ist bei der Nutzwertermittlung an die materielle Sach- und Rechtslage gebunden, er hat sein Gutachten auf Basis des realen Zustands der Liegenschaft und der Baulichkeiten zu erstatten und von der konkreten Widmung auszugehen (RIS-Justiz RS0082872).
6. Dem Revisionsrekurs der Antragsstellerin kommt daher keine Berechtigung zu. Die Kostenentscheidung beruht auf § 22 Abs 4 WGG iVm § 37 Abs 3 Z 17 MRG.
Textnummer
E120195European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2017:0050OB00107.17X.1120.000Im RIS seit
11.01.2018Zuletzt aktualisiert am
18.06.2018