TE OGH 2017/11/29 8ObS6/17s

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Veröffentlicht am 29.11.2017
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Prof. Dr. Spenling als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Tarmann-Prentner und den Hofrat Hon.-Prof. Dr. Brenn als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Ulrike Hammerschmidt und Helmut Frick in der Sozialrechtssache der klagenden Partei F***** M*****, vertreten durch Dr. Wolfgang Miller, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei IEF Service GmbH, Geschäftsstelle Wien, 1150 Wien, Linke Wienzeile 246, vertreten durch die Finanzprokuratur, 1010 Wien, Singerstraße 17–19, wegen 3.578 EUR sA (Insolvenz-Entgelt), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 25. Jänner 2017, GZ 10 Rs 64/16d-10, mit dem das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 11. April 2016, GZ 33 Cgs 25/16g-6, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden einschließlich der Kostenentscheidung dahin abgeändert, dass die Entscheidung zu lauten hat:

„Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei 3.578 EUR samt Anhang an Insolvenz-Entgelt zu bezahlen, wird abgewiesen.

Die klagende Partei hat ihre Kosten des Verfahrens aller Instanzen selbst zu tragen.“

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war vom 15. 4. 2013 bis 9. 5. 2015 bei der späteren Insolvenzschuldnerin, einer Bäckerei, als Betriebsleiter und gewerberechtlicher Geschäftsführer beschäftigt. Das Dienstverhältnis endete durch berechtigten vorzeitigen Austritt nach der am 5. 5. 2015 erfolgten Insolvenzeröffnung.

Nach § 11 Abs 3 des auf das Dienstverhältnis anzuwendenden Kollektivvertrags für Angestellte im Bäckereigewerbe wird das 14. Monatsgehalt (Urlaubszuschuss) „bei Antritt eines Urlaubes fällig. Werden im Kalenderjahr mehrere Urlaubsteile konsumiert, so wird es bei Antritt des längeren Urlaubsteiles, bei gleichen Urlaubsteilen mit Antritt des ersten Urlaubsteiles fällig. Wird ein Urlaub, auf den bereits Anspruch besteht, in einem Kalenderjahr nicht angetreten bzw verbraucht, ist der für dieses Kalenderjahr noch zustehende Urlaubszuschuss mit der Abrechnung für Dezember auszubezahlen.

Der Kläger konsumierte vom 18. 8. bis 22. 8. 2014 und vom 27. 12. 2014 bis 4. 1. 2015 Erholungsurlaub. Beim Dienstgeber bestand die von § 11 Abs 3 KV abweichende Übung, den Urlaubszuschuss für alle Arbeitnehmer, auch den Kläger, jeweils zur Hälfte im Juli und September eines jeden Jahres abzurechnen. Dem Kläger wurde im Jahr 2014 der so abgerechnete Urlaubszuschuss aber trotz mündlicher Urgenzen nicht bezahlt.

Die Beklagte lehnte den Anspruch des Klägers auf Insolvenz-Entgelt für den Urlaubszuschuss 2014 mit Bescheid ab, weil diese Sonderzahlung bereits mit Urlaubsantritt im August 2014 und damit außerhalb der Sechsmonatsfrist gemäß § 3a Abs 1 IESG fällig geworden und nicht qualifiziert geltend gemacht worden sei.

In der gegen diesen Bescheid erhobenen Klage wird vorgebracht, der Kläger habe im Jahr 2014 nur offenen Urlaub aus dem Vorjahr verbraucht; die Fälligkeit des Urlaubszuschusses für das Jahr 2014 sei dadurch erst mit der Dezemberabrechnung dieses Jahres und damit innerhalb des gesicherten Zeitraums fällig geworden.

Die Beklagte wandte ein, der Urlaubszuschuss für 2014 sei bereits mit Antritt des längeren in diesem Jahr gelegenen Urlaubsteils, also jenem vom 18. 8. bis 22. 8. 2014, fällig geworden. Darüber hinaus habe der Dienstgeber des Klägers den Urlaubszuschuss von sich aus bereits im Juli und September abgerechnet und damit fällig gestellt.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Nach § 11 Abs 3 KV sei der Urlaubszuschuss für 2014 erst mit der Dezemberabrechnung 2014 fällig geworden, weil der Kläger den in diesem Jahr entstandenen Urlaub nicht konsumiert habe. Eine Vereinbarung über eine abweichende frühere Fälligkeit des Urlaubszuschusses sei zwischen den Streitteilen weder ausdrücklich noch schlüssig zustandegekommen. Offenkundig habe sich die Schuldnerin mit der Abrechnung des Urlaubszuschusses zu fixen Zeitpunkten die Lohnverrechnung erleichtern wollen, ohne dass daraus auf einen Verpflichtungswillen zu schließen sei oder eine Zustimmung des Klägers vorliege.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Es teilte die Rechtsauffassung des Erstgerichts, dass die Fälligkeitsregelung des § 11 Abs 3 KV nur den im laufenden Kalenderjahr entstandenen und konsumierten Urlaub betreffe, wogegen der Verbrauch eines Urlaubsrests aus Vorjahren, in denen der Urlaubszuschuss bereits gezahlt worden sei, die Fälligkeit bei Urlaubsantritt im laufenden Jahr nicht auslösen könnte. Auch die von der Schuldnerin gepflogene Abrechnungsmethode ändere an der Fälligkeit nichts, weil sie sich insgesamt nicht günstiger als die Kollektivvertragsregelung auswirke und eine allfällige Vereinbarung darüber unwirksam wäre.

Das Berufungsgericht erklärte die ordentliche Revision für zulässig, weil die Frage der Fälligkeit der Sonderzahlungen aufgrund eines Kollektivvertrags im Zusammenhang mit dem Anspruch auf Insolvenz-Entgelt (§ 3a Abs 1 IESG) eine Rechtsfrage sei, deren Bedeutung über den Einzelfall hinausgehe und höchstgerichtliche Rechtsprechung dazu, soweit überschaubar, fehle.

Rechtliche Beurteilung

Die vom Kläger beantwortete Revision der Beklagten ist aus den vom Berufungsgericht dargelegten Gründen zulässig. Die Revision ist auch berechtigt.

1. Vorauszuschicken ist, dass es sich beim Urlaubszuschuss nach dem KV (so wie bei der Weihnachtsremuneration) um eine Sonderzahlung handelt, die einen laufenden Entgeltbestandteil des jeweiligen Kalenderjahres bildet („13. und 14. Gehalt“).

Das Berufungsgericht hat mit seiner Entscheidungsbegründung, dass es eine Ungleichbehandlung darstellen würde, wenn der Arbeitnehmer, der seinen Jahresurlaub des Vorjahres erst im Folgejahr konsumiert, dafür einen Urlaubszuschuss auf Grundlage des höheren Lohns für das Folgejahr erhielte, das Wesen dieser Sonderzahlung verkannt. Das Gleiche gilt auch für das Argument, die Bezahlung des Urlaubszuschusses in den Vorjahren rechtfertige es, dass trotz tatsächlichen Urlaubskonsums im Folgekalenderjahr der laufende Urlaubszuschuss erst mit der nächsten Dezemberabrechnung fällig werde, wenn es sich um Resturlaub aus Vorjahren handle.

Die Herstellung einer inhaltlichen Verknüpfung des Urlaubszuschusses, einer pro Kalenderjahr gebührenden Sonderzahlung, mit dem in jedem Urlaubsjahr entstehenden Urlaubsanspruch durch die Vorinstanzen entbehrt einer Grundlage.

Nach § 11 Abs 3 KV besteht die einzige Verknüpfung der Sonderzahlung mit einem tatsächlichen Urlaubskonsum darin, dass ein Urlaubsantritt innerhalb des Kalenderjahres die Fälligkeit der Sonderzahlung auslöst.

Für die Höhe des Urlaubszuschusses ist es entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts irrelevant, ob der Angestellte im betreffenden Kalenderjahr Urlaub konsumiert hat oder, wenn ja, aus welchem Urlaubsjahr der Anspruch stammte. Die Sonderzahlung gebührt immer in der für das laufende Jahr maßgeblichen Höhe. Eine „Ungleichbehandlung“ von Arbeitnehmern, die alten Urlaub konsumieren, gegenüber solchen, die den Urlaub des laufenden Jahres verbrauchen, findet dadurch nicht statt.

Die vom Berufungsgericht zitierte Entscheidung 8 ObS 28/07m betrifft eine hier überhaupt nicht einschlägige Fragestellung.

2. Die Revision führt ins Treffen, der offensichtliche Sinn der Fälligkeitsregelung des § 11 Abs 3 KV sei es, den Angestellten den Urlaubszuschuss des jeweiligen Kalenderjahres bei Antritt eines (längeren) Urlaubs zur Verfügung zu stellen; nur wenn es im Kalenderjahr zu keinem Urlaubsantritt komme, trete die Fälligkeit der Sonderzahlung erst zum Jahresende ein.

Diese Auffassung ist schlüssig. Es ist weder mit dem Wortlaut der Fälligkeitsregelung („bei Antritt eines Urlaubs“) noch mit ihrem Zweck vereinbar, denjenigen Angestellten, die im laufenden Kalenderjahr noch Urlaub aus einem früheren Urlaubsjahr offen haben und verbrauchen, den Urlaubszuschuss bei Antritt vorzuenthalten. Die Frage, ob die in den Vorjahren fällig gewordenen Sonderzahlungen bereits bezahlt wurden, hat damit nichts zu tun.

Auf Grundlage dieses Verständnisses des § 11 Abs 3 KV wurde der Urlaubszuschuss des Klägers danach tatsächlich am 18. 8. 2014 mit Antritt des ersten, längeren Urlaubsteils fällig. Darauf, ob die im Betrieb übliche Abrechnung des Urlaubszuschusses mit den Gehältern für Juli bzw September 2014 im Fall des Klägers zu einer (anteilig) noch früheren Fälligkeit geführt hat, kommt es bei diesem Ergebnis nicht mehr an.

Mangels rechtzeitiger qualifizierter Geltend-machung ist der eingeklagte Anspruch nach § 3a Abs 1 IESG nicht gesichert.

Der Revision der Beklagten war daher Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 77 Abs 1 Z 2 ASGG. Es wäre Sache des Klägers gewesen, Umstände darzulegen, die einen Kostenzuspruch nach Billigkeit aufgrund dieser Gesetzesstelle rechtfertigen können (RIS-Justiz RS0085829). Dies ist hier nicht erfolgt; solche Umstände sind dem Akt auch nicht zu entnehmen.

Textnummer

E120294

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2017:008OBS00006.17S.1129.000

Im RIS seit

11.01.2018

Zuletzt aktualisiert am

25.06.2018
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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