TE Dok 2016/10/18 W12-DK/07/15

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Veröffentlicht am 18.10.2016
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Norm

BDG 1979 §118 Abs1 Z1 zweiter Halbsatz

Schlagworte

Sexuelle Belästigung; Freispruch

Text

Die Disziplinarkommission beim Bundesministerium für Finanzen hat durch MR Dr. Gottfried Nowak als Senatsvorsitzenden sowie ADir Ingrid Steiner und ADir Franz Weninger als weitere Mitglieder des Disziplinarsenates VII nach der am 18. Oktober 2016 in Anwesenheit der Disziplinaranwältin MR Dr. Gerda Minarik und des Beschuldigten NN sowie seines Verteidigers RA Mag. Helmut Hohl durchgeführten mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

NN

ehem. Verteildienst bei automatischen Verteilanlagen im Briefzentrum XX

wird von den Vorwürfen, er habe

1.       sich anlässlich eines gemeinsamen Dienstes vor Weihnachten 2014 während des „Abräumens“ einer Maschine knapp hinter seine Arbeitskollegin Frau C gestellt und von hinten in ihre Hose gegriffen, wobei er C am weiblichen Geschlechtsteil berührte und sie dadurch sexuell belästigt,

2.       während eines Nachtdienstes im Jänner 2015 neuerlich C aufgesucht und – obwohl er aufgrund des unter Punkt 1 geschilderten Vorfalles bereits wusste, dass jeder Körperkontakt von Frau C unerwünscht war – ihr von vorne in die Hose gegriffen und sie dadurch sexuell belästigt,

3.       im Nachtdienst vom 14. auf den 15. Juni 2015 um ca. 2:00 Uhr C neuerlich belästigt, indem er sich, während sie in einer Arbeitspause am Rand eines Tisches saß, knapp vor ihrem Gesicht zwischen ihre Beine stellte und

4.       in der Zeit zwischen Jänner 2015 und Juni 2015 mehrmals C auf das Gesäß geschlagen. 

und dadurch die Pflichten eines Beamten gemäß § 8 Abs. 2 Bundes-Gleichbehandlungsgesetz, BGBl.Nr. 100/1993 i.d.g.F. sowie die Dienstpflichten eines Beamten nach dem Beamten-Dienstrechtsgesetz 1979, nämlich

seinen Arbeitskollegen mit Achtung zu begegnen und zu einem guten Funktionieren der dienstlichen Zusammenarbeit beizutragen und dabei Verhaltensweisen oder das Schaffen von Arbeitsbedingungen zu unterlassen, die deren menschliche Würde verletzen oder dies bezwecken oder sonst diskriminierend sind (§ 43a BDG 1979)

und

in seinem gesamten Verhalten auf das Vertrauen der Allgemeinheit in die sachliche Wahrnehmung seiner dienstlichen Aufgaben Bedacht zu nehmen (§ 43 Abs. 2 BDG 1979),

schuldhaft verletzt und dadurch Dienstpflichtverletzungen im Sinne des § 91 BDG 1979 begangen,

gemäß § 126 Abs. 2 in Verbindung mit § 118 Abs. 1 Z 1 zweiter Halbsatz BDG 1979

f r e i g e s p r o c h e n.

Verfahrenskosten sind keine angefallen.

B e g r ü n d u n g

NN steht seit 1983 im Postdienst und wurde im Briefzentrum XX im Verteildienst mit automatischen Verteilanlagen verwendet. Mit 1. April 1987 wurde er zum Beamten ernannt.

NN meldete sich mit 24. Juni 2015 krank und wurde seitens der Dienstbehörde mit Schreiben vom 1. Juli 2015 vorerst zum Dienst nicht mehr zugelassen. Der Beschuldigte wurde aus Gründen einer dauernden Dienstunfähigkeit mit Wirkung 31. August 2016 in den dauernden Ruhestand versetzt. Sein Monatsbruttopensionsbezug beträgt EUR …

Der Beschuldigte ist verheiratet und hat keine Sorgepflichten. Für zwei offene Kredite leiste er monatliche Rückzahlungsraten von EUR 400,-- bis 500,--. Der aushaftende Kreditbetrag beträgt derzeit insgesamt ca. EUR 50.000,--.

Zum Sachverhalt:

Dem Beschuldigten wird vorgeworfen, durch die im Spruch des Einleitungsbeschlusses vom 17. November 2015 dargestellten körperlichen Übergriffe und unangemessenen und unangebrachten Handlungen gegenüber einer Kollegin, ein positives und konstruktives Betriebsklima in der Dienststelle in extremer Weise beeinträchtigt zu haben.

Schon aufgrund der Fürsorgepflicht ist der Dienstgeber von einem dringenden Handlungsbedarf ausgegangen und war gezwungen, den für den Betriebsfrieden abträglichen und für die Kollegin nicht mehr zumutbaren Zustand zu beenden. Aus diesem Grund wurde der Beschuldigte seit 1. Juli 2015 nicht mehr zum Dienst zugelassen.

Zur Überprüfung des Vorliegens strafrechtlich relevanter Tatbestände, hat die Disziplinarkommission am 30. November 2015 eine Sachverhaltsdarstellung an die Staatsanwaltschaft W übermittelt.

Laut Mitteilung der Staatsanwaltschaft W vom 5. August 2016 wurden die Ermittlungen am 30. März 2016 eingestellt, da gemäß § 190 Abs. 2 Strafprozessordnung (StPO) kein tatsächlicher Grund zur weiteren Verfolgung bestand.

Der Beschuldigte hat in der mündlichen Verhandlung am 18. Oktober 2016 die im Einleitungsbeschluss vom 17. November 2015 dargestellten Vorwürfe entschieden in Abrede gestellt. Er gab in der mündlichen Verhandlung an, dass er diese Handlungen nicht gemacht habe, sich keiner Schuld bewusst sei und keine Handlungen gesetzt habe, die seiner Meinung nach, missverständlich gewesen sind. Er sei pensioniert worden, da er körperlich nicht mehr in der Lage gewesen sei, die dienstlichen Aufgaben zu erfüllen.

Der Verteidiger brachte vor, dass Frau C an schweren psychischen Problemen, wie einer paranoiden Schizophrenie, leide und ihr mit 31. Oktober 2016 eine einvernehmliche Auflösung des Dienstverhältnisses angeboten worden sei. Überdies habe sie auch andere Kollegen beschuldigt, sie sexuell belästigt zu heben.

Zur objektiven Tatseite der dem Beschuldigten in Anschuldigungspunkt 3. des Einleitungsbeschlusses vorgeworfenen Handlungen ist festzuhalten, dass es aufgrund der Unterlagen und der Aussagen der betroffenen Arbeitskollegin C sowie der Tatzeugin M gegenüber Vorgesetzten und Sicherheitsorganen hinsichtlich der im Anschuldigungspunkt 3. des Einleitungsbeschlusses vom 17. November 2015 wiedergegebenen Vorwürfe, durchaus nachvollziehbar erscheint, dass der Beschuldigte ein unangemessenes und unangebrachtes Verhalten an den Tag gelegt hat.

Durch Einholung eines fachärztlichen Sachverständigengutachtens von Dr. E, Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie vom 30. November 2015 samt ergänzender Stellungnahme vom 7. Oktober 2016 sollte unter anderem festgestellt werden, ob die Schuldfähigkeit des Beschuldigten zum Tatzeitpunkt gegeben oder gegebenenfalls eingeschränkt war sowie ob oder inwieweit das inkriminierte Verhalten auf eine psychische Erkrankung oder auf sonstige krankhafte Faktoren zurückzuführen war.

Demnach bestand beim Beschuldigten eine depressive Störung bei zugrundeliegender Persönlichkeitsstörung, Affektlabilität und Impulskontrollstörung, unterlegt mit einer Unterbeschulung. Überdies zeigte sich eine längerfristige, ca. drei Jahre bestehende chronische Belastung am Arbeitsplatz im Sinne einer psychischen Überlastung in der Gruppe infolge kultureller und psychosozialer Differenzen, einhergehend mit erhöhter Impulsivität, sowie herabgesetzten Brems- und Steuerungsmechanismen. Auf die genannten Faktoren sei das disziplinargegenständliche Verhalten zurückzuführen. In einer das Gutachten ergänzenden Stellungnahme vom 7. Oktober 2016 wird festgehalten, dass zum Tatzeitraum aufgrund der im Gutachten vom 30. November 2015 angeführten psychischen Alteration, der Beschuldigte „zwar in der Lage war das Unrecht seiner Tat einzusehen, jedoch nicht nach dieser Einsicht zu handeln.“

Der Sachverhalt ergibt sich aufgrund der Ergebnisse der mündlichen Verhandlung vom 18. Oktober 2016, der Disziplinaranzeige des Personalamtes W vom 30. Oktober 2015, der Mitteilung der Staatsanwaltschaft W vom 5. August 2016 über die Einstellung des Ermittlungsverfahrens vom 30. März 2016 samt Zeugenvernehmungen und polizeilichem Abschlussbericht vom 29. Februar 2016, des fachärztlichen Sachverständigengutachtens vom 30. November 2015 samt ergänzender Stellungnahme vom 7. Oktober 2016 sowie der SAP-Ausdrucke.

Voraussetzung für die disziplinäre Verantwortlichkeit ist die Zurechnungsfähigkeit (Schuldfähigkeit) des Täters im Zeitraum der Tathandlungen. Der Beamte muss demnach wegen einer schweren psychischen Störung bzw. Erkrankung unfähig sein, das Unrecht seiner Handlungen einzusehen oder, wie im vorliegenden Fall, nach dieser Einsicht zu handeln. Dabei handelt es sich bei der „Diskretionsfähigkeit“ um die Fähigkeit, das Unrecht der Tat einzusehen, bei der „Dispositionsfähigkeit“ um die Fähigkeit, dieser Einsicht entsprechend zu handeln.

In der gegenständlichen Disziplinarangelegenheit wurde im vorliegenden fachärztlichen Gutachten vom 30. November 2015 samt ergänzender Stellungnahme vom 7. Oktober 2016 schlüssig und nachvollziehbar festgehalten, dass zum Zeitpunkt der verfahrensgegenständlichen Handlungen die Dispositionsfähigkeit, demnach die Schuldfähigkeit des Beschuldigten, nicht gegeben war. Das vorliegende Gutachten enthält unter anderem eine Anamnese, eine Darstellung der subjektiven Beschwerden des Beschuldigten sowie einen detaillierten objektiven Befund als Ergebnis einer entsprechenden ärztlichen Untersuchung.

Aufgrund der Ergebnisse des fachärztlichen Gutachtens kann daher ohne Zweifel davon ausgegangen werden, dass beim Beschuldigten im Tatzeitraum aufgrund der psychischen Erkrankung eine Unzurechnungsfähigkeit bewirkt wurde, sodass die ihm vorgeworfenen Dienstpflichtverletzungen nicht – als gemäß § 91 BDG 1979 verschuldet – subjektiv zurechenbar sind.

Überdies muss in diesem Zusammenhang nochmals darauf verwiesen werden, dass sich aufgrund der Ermittlungen der Staatsanwaltschaft W sowie der von ihr beauftragten Sicherheitsbehörden keinerlei Hinweise auf ein strafrechtlich relevantes Verhalten des Beschuldigten ergaben bzw. kein Nachweis dafür erbracht werden konnte und aus diesem Grund die Ermittlungen eingestellt wurden.

Aus den oben genannten Gründen war daher bezüglich aller Spruchpunkte ein Freispruch nach § 118 Abs. 1 Z 1 zweiter Halbsatz BDG 1979 auszusprechen.

Zuletzt aktualisiert am

10.01.2018
Quelle: Disziplinarkommissionen, Disziplinaroberkommission, Berufungskommission Dok, https://www.ris.bka.gv.at/Dok
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