TE Dok 2016/10/18 W09-DK/07/16

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Veröffentlicht am 18.10.2016
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Norm

BDG 1979 §44 Abs1
BDG 1979 §43 Abs2
BDG1979 §118 Abs1 Z1 zweiter Halbsatz

Schlagworte

Missachtung von Kassen- und Verrechnungsvorschriften; Weisungsverstöße; Freispruch

Text

Die Disziplinarkommission beim Bundesministerium für Finanzen hat durch MR Dr. Gottfried Nowak als Senatsvorsitzenden sowie ADir Ingrid Steiner und ADir Franz Weninger als weitere Mitglieder des Disziplinarsenates VII nach der am 22. März 2017 in Anwesenheit der Disziplinaranwältin MR Dr. Gerda Minarik, des Beschuldigten NN und seines Verteidigers RA Mag. Helmut Hohl durchgeführten mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

NN

Universalschalterbediensteter der Postfiliale XX, derzeit suspendiert

wird von den Vorwürfen, er habe als Universalschalterbediensteter der Postfiliale XX

1.       am 18. Mai 2016 um ca. 13:45 Uhr einen Kassenabgang in der Höhe von EUR 42,94 zwar festgestellt, aber nicht in der Abrechnung ausgewiesen und anlässlich der Abmeldung bei seinem Schalter, die Stückzahlen des Bargeldbestandes dahingehend manipuliert, dass der Kassenabgang in der Höhe von EUR 42,94 nicht ersichtlich wurde und damit unter Missachtung der Bestimmungen des Handbuches BLV, Bargeldbewirtschaftung und Verrechnung nicht den tatsächlich vorhandenen Bargeldbestand ausgewiesen,

2.       seit dem Jahr 2014 in einer Vielzahl von derzeit nicht mehr näher feststellbaren Fällen, Kassenabgänge und Kassenüberschüsse in unbekannter Höhe, nicht wie in den Bestimmungen des Handbuches BLV, Bargeldbewirtschaftung und Verrechnung vorgeschrieben, ausgewiesen, sondern die Kassa jeweils dadurch stimmig gemacht, indem er festgestellte Kassenabgänge zwar ersetzte, jedoch Kassenüberschüsse aus der Kasse entnahm und sich unrechtmäßig aneignete

und dadurch die Dienstpflichten eines Beamten nach dem Beamten-Dienstrechtsgesetz 1979, nämlich

seine Vorgesetzten zu unterstützen und ihre Weisungen, soweit verfassungsgesetzlich nichts anderes bestimmt ist, zu befolgen (§ 44 Abs. 1 BDG 1979)

sowie

in seinem gesamten Verhalten auf das Vertrauen der Allgemeinheit in die sachliche Wahrnehmung seiner dienstlichen Aufgaben Bedacht zu nehmen (§ 43 Abs. 2 BDG 1979),

schuldhaft verletzt und dadurch Dienstpflichtverletzungen im Sinne des § 91 BDG 1979 begangen,

gemäß § 126 Abs. 2 in Verbindung mit § 118 Abs. 1 Z 1 zweiter Halbsatz BDG 1979

f r e i g e s p r o c h e n.

Verfahrenskosten sind keine angefallen.

B e g r ü n d u n g

NN steht seit 1988 im Postdienst und wird als Universalschalterbediensteter bei der Postfiliale XX verwendet. Mit 1. April 1992 wurde er zum Beamten ernannt.

Der Beschuldigte ist ledig und hat keine Sorgepflichten. Sein Monatsbruttoeinkommen beträgt ungekürzt EUR ... Für einen aushaftenden Privatkredit leistet der Beschuldigte monatliche Rückzahlungsraten in der Höhe von EUR 500,--. Er hat kein zusätzliches Einkommen.

Der Beschuldigte hat am 13. Februar 2017 beantragt, ihn aus gesundheitlichen Gründen in den Ruhestand zu versetzen.

Mit ha. Bescheid vom 17. Juni 2016, W 5/7-DK-VII/16, wurde NN vom Dienst suspendiert.

Zum Sachverhalt:

NN wurde bis zu seiner Suspendierung als Universalschalterbediensteter der Postfiliale XX verwendet.

Zu den Vorwürfen im Einzelnen:

Laut Bericht der Geldrevision der Österreichischen Post AG vom 19. Mai 2016 wurde anlässlich einer unvermuteten Kassenprüfung am Morgen des 19. Mai 2016 festgestellt, dass in der Kassa des NN ein Geldbetrag in der Höhe von EUR 42,94 fehlte. Am Vortag habe er jedoch seine Kassa, ohne einen Kassenabgang ordnungsgemäß auszuweisen, abgeschlossen. Ebenso wurde festgestellt, dass die angeführten Stückelungsangaben im Bargeldbestand nicht mit der Realität übereinstimmten.

Niederschriftlich dazu von Organen des Erhebungsdienstes der Österreichischen Post AG befragt, gab NN am 19. Mai 2016 an, am Vortag bei der Abmeldung den Kassenabgang zwar festgestellt, aber nicht ausgewiesen zu haben, sondern die Kassa dadurch stimmig gemacht zu haben, indem er die Stückelung im Bargeldbestand dem Sollbestand anpasste. So habe er am 18. Mai 2016 bei Abmeldung seiner Kassa um ca. 13:45 Uhr einen Kassenabgang von ca. EUR 50,-- festgestellt. Trotzdem habe er keine Fehlersuche gemacht und weder Bargeld noch Belege kontrolliert. Auf dem Abmeldebon habe er die Stückzahlen angepasst. Nach der Abmeldung habe er das Bargeld in seinen Tresor versperrt und sich um 14:00 Uhr beim Großkundenschalter angemeldet. Nach der Beendigung seines Dienstes beim Großkundenschalter habe er die Stückelung vom ersten Abmeldebon (um ca. 13:45 Uhr) eins zu eins übernommen.

Auf diesen festgestellten Kassenabgang angesprochen, gab der Beschuldigte an, dass er seine Kassa erst am nächsten Tag überprüfen wollte.

Anlässlich der durchgeführten niederschriftlichen Einvernahme gab NN überdies an, im Rahmen seiner dienstlichen Tätigkeiten als Universalschalterdienst in der Postfiliale XX, seine Kassa seit 2014 dahingehend zu „manipulieren“, dass er weder Kassenabgänge noch Kassenüberschüsse ordnungsgemäß ausweisen würde. Aufgrund privater Geldsorgen habe er etwaige Kassenüberschüsse an sich genommen. Bei Kassenabgängen habe er diese nicht ausgewiesen, sondern mit seinem privaten Geld sofort ersetzt. Er könne heute nicht mehr sagen, wie oft er die Kassa angepasst habe und um welche Beträge es sich seit 2014 gehandelt habe.

Überdies hat der Beschuldigte anlässlich seiner Befragung auf seinen „oftmaligen Alkoholkonsum“ hingewiesen und um Hilfestellung sowie Unterstützung ersucht.

Aufgrund des Ersuchens, ergänzende Ermittlungen durchzuführen, wurde seitens des Filialnetzmanagements am 14. Oktober 2016 mitgeteilt, dass es beim Beschuldigten weder bei Kassenprüfungen noch hinsichtlich Nachforschungen oder Kundenreklamationen Auffälligkeiten gab. Lediglich an einem Arbeitstag seien Anzeichen einer Alkoholisierung festgestellt worden. Weitere diesbezügliche Auffälligkeiten oder ein allfälliger Alkoholkonsum im Dienst wurden nicht wahrgenommen.

Festgehalten wird, dass über den Beschuldigten bereits mit Erkenntnis der Disziplinarkommission vom 10. Juli 2014 die Disziplinarstrafe der Geldbuße in der Höhe von EUR 400,-- wegen einer Kassenmanipulation – das Ausbessern des Geldbetrages auf einer P.S.K.-Anweisung und das Nichtausweisen einer Kassendifferenz – rechtskräftig verhängt wurde.

Zur objektiven Tatseite der dem Beschuldigten vorgeworfenen Handlungen ist festzuhalten, dass aufgrund der Unterlagen und der Beschuldigtenverantwortung davon auszugehen ist, dass er die ihm vorgeworfenen Handlungen begangen hat.

Diese Handlungen wurden vom Beschuldigten grundsätzlich nicht bestritten. Die Ursache dieser Fehlleistungen lägen laut Aussagen des Beschuldigten in der mündlichen Verhandlung am 22. März 2017 in erster Linie in seinen psychischen Beeinträchtigungen. So gab der Beschuldigte in der mündlichen Verhandlung an, dass er schon seit drei bis vier Jahren mit seiner dienstlichen Tätigkeit am Schalter „sehr überfordert war und damit nicht klar gekommen“ sei. Überdies habe er in dieser Zeit auch große private Probleme mit seinen kranken Eltern gehabt. Es war ihm zum Teil bewusst, dass er „Pflichtverletzungen mache und Weisungen nicht einhalte“.

Durch Einholung eines fachärztlichen Sachverständigengutachtens von Dr. E, Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie vom 16. November 2016, eingelangt bei der Disziplinarkommission am 20. März 2017, sollte festgestellt werden, ob und inwieweit die Schuldfähigkeit des Beschuldigten zum Tatzeitpunkt eingeschränkt war sowie ob oder inwieweit das inkriminierte Verhalten auf eine psychische Erkrankung oder auf sonstige krankhafte Faktoren zurückzuführen war.

Demnach wurden beim Beschuldigten eine „Anpassungsstörung bei zugrundeliegender Persönlichkeitsentwicklungsstörung, einhergehend mit mäßig mentalem Defizit in letzter Zeit rezidivierend depressive Episoden bei v.a. Mehrbelastung im familiären Umfeld“ festgestellt. Darüber hinaus bestehe gelegentlich ein riskanter Gebrauch von Alkohol.

Aufgrund dieser Diagnose sei aus fachspezifischer Sicht hinsichtlich der Malversationsneigung während des verhandlungsgegenständlichen Tatzeitraumes davon auszugehen, dass „infolge mangelnder Überblicksgewinnung und Steuerungsdefizite aufgrund der o.a. mentalen reduzierten Ressourcen der Beschuldigte zwar fähig war das Unrecht seiner Tat einzusehen, jedoch nicht in der Lage war, nach dieser Einsicht zu handeln.“

Überdies konstatiert ein vom Verteidiger vorgelegtes Gutachten des Universitätsdozenten Dr. G vom 6. Dezember 2016 beim Beschuldigten eine „depressive Erkrankung“ und damit verbundene „hochgradige Konzentrationsschwierigkeiten“, die als Ursache seiner „zahlreichen Fehler“ anzusehen sei.

Der Sachverhalt ergibt sich aufgrund der Ergebnisse der mündlichen Verhandlung vom 22. März 2017, der Disziplinaranzeige des Personalamtes Wien vom 22. September 2016, der niederschriftlichen Einvernahme von NN vom 19. Mai 2016, der Berichte der Geldrevision aus den Jahren 2014 bis 2016, des Berichtes des Filialmanagements vom 13. Oktober 2016, des fachärztlichen Sachverständigengutachtens vom 16. November 2016, des fachärztlichen Gutachtens vom 6. Dezember 2016 und der SAP-Ausdrucke.

Voraussetzung für die disziplinäre Verantwortlichkeit ist die Zurechnungsfähigkeit (Schuldfähigkeit) des Täters zur Zeit der Tat. Der Beamte muss demnach wegen einer schweren psychischen Störung bzw. Erkrankung unfähig sein, das Unrecht seiner Handlungen einzusehen oder, wie im vorliegenden Fall, nach dieser Einsicht zu handeln (Diskretionsfähigkeit ist die Fähigkeit, das Unrecht der Tat einzusehen; Dispositionsfähigkeit ist die Fähigkeit, dieser Einsicht entsprechend zu handeln).

In der gegenständlichen Disziplinarangelegenheit wurde im vorliegenden fachärztlichen Gutachten vom 16. November 2016 unmissverständlich festgestellt, dass zum Zeitpunkt der verfahrensgegenständlichen Handlungen der Beschuldigte „zwar fähig war das Unrecht seiner Tat einzusehen“ (Diskretionsfähigkeit), „jedoch nicht in der Lage war, nach dieser Einsicht zu handeln“ (Dispositionsfähigkeit). Demnach war beim Beschuldigten im Tatzeitraum keine Schuldfähigkeit gegeben.

Es kann daher ohne Zweifel davon ausgegangen werden, dass beim Beschuldigten im Tatzeitraum aufgrund der psychischen Erkrankung eine Unzurechnungsfähigkeit bewirkt wurde, sodass die ihm vorgeworfenen Dienstpflichtverletzungen nicht – als gemäß § 91 BDG 1979 verschuldet – subjektiv zurechenbar sind.

Aus diesem Grund war daher bezüglich aller Spruchpunkte ein Freispruch nach § 118 Abs. 1 Z 1 zweiter Halbsatz BDG 1979 auszusprechen.

Zuletzt aktualisiert am

10.01.2018
Quelle: Disziplinarkommissionen, Disziplinaroberkommission, Berufungskommission Dok, https://www.ris.bka.gv.at/Dok
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