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E6J;Norm
61997CJ0437 Evangelischer Krankenhausverein Wien VORAB;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Meinl und die Hofräte Dr. Steiner und Dr. Fellner als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Valenta, über die Beschwerde der Z in W, vertreten durch die Nemetz & Nemetz, Rechtsanwalts-KEG, Wien III, Uchatiusgasse 4, gegen den Bescheid der Abgabenberufungskommission Wien vom 22. Juni 1999, Zl. MD-VfR-P30/98, betreffend Haftung für Getränkesteuer für die Zeit von Jänner bis November 1995, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Die Stadt Wien hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Auf dem für die "Benjamin Habib GmbH in Liquidation" geführten Abgabenkonto haftete für die Zeit von Jänner bis November 1995 u. a. an Getränkesteuer zuzüglich Mahn- und Pfändungsgebühr ein Betrag von S 20.643,-- aus. Da dieser Betrag auch beim Geschäftsführer dieser Gesellschaft nicht einbringlich gemacht werden konnte, ersuchte die MA 6-Rechnungsamt am 18. August 1997 die MA 4-Referat 7, um die Überprüfung der Möglichkeit einer Inanspruchnahme der Beschwerdeführerin als Verpächterin.
Dazu findet sich in den Verwaltungsakten ein in Form eines Gedächtnisprotokolles festgehaltener, am 7. Mai 1993 abgeschlossener Pachtvertrag, mit dem die Beschwerdeführerin als Verpächterin das am Standort Wien 1, Nibelungengasse 1, in der Betriebsform eines Espressos betriebene Gast- und Schankgewerbe an Jean Benjamin, beginnend mit 11. Mai 1993 auf die Dauer von 10 Jahren verpachtete.
Punkt XV. dieses Vertrages lautet:
"Der Pächter ist nicht berechtigt, das vertragsgegenständliche Unternehmen unterzuverpachten oder auf andere tatsächliche oder rechtliche Weise ganz oder teilweise, entgeltlich oder unentgeltlich Dritten zum Betrieb zu überlassen."
Über Aufforderung der MA 4/7 vom 10. Oktober 1997 teilte der Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin der Abgabenbehörde erster Instanz am 20. November 1997 mit, das Unternehmen sei an Jean Benjamin verpachtet worden. Die Beschwerdeführerin habe erst durch das Schreiben der Abgabenbehörde erfahren, dass das Unternehmen von einer "Benjamin Habib GmbH" betrieben worden sein soll.
Der Pachtvertrag sei wegen Pachtzinsrückständen per 20. Dezember 1995 aufgelöst und der im Wege eines Versäumungsurteils (vom 30. Jänner 1996, 48 C 632/95 P des BG Innere Stadt Wien) erwirkte Räumungstitel sei am 15. Mai 1996 zwangsweise vollzogen worden. Die Beschwerdeführerin habe einen Anspruch auf Pachtzins immer nur gegen Jean Benjamin gehabt.
Mit Eingabe vom 18. Februar 1998 legte der Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin Kopien der Zahlungsbelege betreffend die elf letzten Pachtzinszahlungen vor und wies darauf hin, seine (im 82. Lebensjahr stehende) Mandantin habe erst durch das Schreiben der Abgabenbehörde Kenntnis davon genommen, dass die Pachtzinszahlungen ab Februar 1995 durch eine "Benjamin GmbH" erfolgt seien. Über eine Rechtsbeziehung zwischen Jean Benjamin und der Benjamin GmbH sei die Beschwerdeführerin nicht informiert.
Die Zahlungsbelege nennen alle als Auftraggeber (Einzahler) die "Benjamin GmbH", und zwar einmal ohne Adresse, einmal mit der Adresse "1010 Wien PIZZERIA FRIEDRICHSTRASSE 8", dreimal mit der Angabe "1010 Wien" bzw. "Wien I" und in den übrigen Fällen mit der Adresse "Friedrichstraße 8, 1010 Wien".
Daraufhin erließ die Abgabenbehörde erster Instanz am 7. April 1998 gegen die Beschwerdeführerin, gestützt auf § 4 des Wiener GetränkesteuerG 1992 und §§ 2 und 5 der WAO einen Haftungsbescheid, womit sie die Beschwerdeführerin betreffend den Zeitraum 1.1. bis 30.11.1995 für die im Betrieb in Wien I, Friedrichstraße 8, entstandene Getränkesteuer der ehemaligen Pächterin, der "Benjamin Habib GesmbH i. Liqu." im Betrag von S 20.643,-- zur Haftung heranzog.
Die Abgabenbehörde erster Instanz ging dabei davon aus, es seien im Haftungszeitraum sämtliche Zahlungen von der Gesellschaft und nicht vom formellen Pächter bezahlt worden, sodass der Beschwerdeführerin das tatsächliche Pachtverhältnis bekannt gewesen sein musste und sie dieses zugelassen und daraus den wirtschaftlichen Nutzen gezogen habe. Es sei daher iS des § 19 WAO von einem Bestandverhältnis zwischen der Beschwerdeführerin und der genannten Gesellschaft auszugehen. Die Abgabenansprüche resultierten aus einer anerkannten Revision vom 13. März 1996 und hätten bei der Primärschuldnerin nicht einbringlich gemacht werden können.
Gegen diesen Bescheid berief die Beschwerdeführerin, wobei sie u. a. Folgendes vorbrachte:
Der 1916 geborenen Beschwerdeführerin könne die Bezeichnung auf den Zahlungsbelegen nicht angelastet werden. Als Einzahler scheine überdies eine "Benjamin GesmbH", nicht jedoch eine "Benjamin Habib GesmbH". Der Pachtvertrag sei nur mit Jean Benjamin abgeschlossen worden. Nur dieser sei Vertragspartner der Beschwerdeführerin gewesen.
Mit Berufungsvorentscheidung der Abgabenbehörde erster Instanz wurde der angefochtene Bescheid dahin aufrechterhalten, dass statt "Benjamin Habib GmbH i. L." die Bezeichnung "Benjamin GmbH i. L."
in den Bescheid aufgenommen wurde. Im Übrigen wurde die Berufung als unbegründet abgewiesen. In der Begründung wurde dazu auf einen eingeholten (historischen) Firmenbuchauszug verwiesen. Auch die Berufungsvorentscheidung warf der Beschwerdeführerin vor, sie habe das tatsächliche Bestandverhältnis "zugelassen".
Daraufhin beantragte die Beschwerdeführer ohne weitere Begründung die Vorlage der Berufung an die Abgabenbehörde zweiter Instanz.
Die belangte Behörde wies die Berufung als unbegründet ab, wobei sie auch den Namen der Pächterin mit "Benjamin GmbH i. L."
bezeichnete.
In der Sache ging die belangte Behörde davon aus, die Beschwerdeführerin habe während des gesamten, in Rede stehenden Zeitraumes den Pachtschilling von der Primärschuldnerin (Benjamin GmbH i. L.) unbeanstandet angenommen, wodurch es zu einer konkludenten Vertragsanpassung bzw. -änderung des zunächst mit Jean Benjamin als Pächter abgeschlossenen Pachtvertrages dahingehend gekommen sei, dass in der Folge die Primärschuldnerin als Vertragspartner akzeptiert worden sei. Das hohe Alter der Beschwerdeführerin sei kein ausreichendes Indiz gegen die Annahme, dass der Beschwerdeführerin die Fähigkeit zur konkludenten Änderung des Bestandvertrages gemangelt hätte.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die ursprünglich an den Verfassungsgerichtshof erhobene und von diesem nach Ablehnung ihrer Behandlung antragsgemäß an den Verwaltungsgerichtshof abgetretene Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften. Die Beschwerdeführerin erachtet sich in ihrem Recht verletzt, nicht als Verpächterin für eine Getränkesteuerschuld der Benjamin GmbH i. L. haftbar gemacht zu werden, an die sie ihr Unternehmen gar nicht verpachtet habe.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt wird.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Entsteht die Steuerpflicht in einem Pachtbetrieb, so haftet nach § 4 des Gesetzes über die Besteuerung von Speiseeis und Getränken im Gebiete (Wiener Getränkesteuergesetz 1992) der Verpächter für die Steuerbeträge, die auf die seit dem Beginn des letzten vor der Beendigung der Betriebsführung durch den Pächter liegenden Kalenderjahres entfallen, mit bestimmten in diesem Gesetz angeführten Einschränkungen.
Was zunächst die Frage betrifft, ob der Beschwerdeführerin das Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften vom 9. März 2000 in der Rechtssache C-437/97 zum Erfolg verhelfen kann, ist auf Folgendes hinzuweisen. Nach dem zitierten Urteil kann sich niemand auf Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 92/12 berufen, um Ansprüche betreffend Abgaben wie die Steuer auf alkoholische Getränke, die vor Erlass des zitierten Urteiles entrichtet wurden oder fällig geworden ist, geltend zu machen, es sei denn, er hätte vor diesem Urteil Klage erhoben oder einen entsprechenden Rechtsbehelf eingelegt.
Im Hinblick darauf, dass sich die Beschwerdeführerin sowohl in ihren Eingaben und Rechtsmitteln im Verwaltungsverfahren als auch in der Beschwerde ausschließlich gegen ihre Heranziehung zur Haftung (und zwar mit dem Argument, sie habe nur an eine physische Person namens Jean Benjamin verpachtet und nicht an eine GmbH) zur Wehr gesetzt hat, ist davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerin gegen den Getränkesteueranspruch an sich nie etwas unternommen hat. Aus der Bestimmung des § 193 WAO, wonach der Haftungspflichtige unbeschadet der Einbringung einer Berufung gegen den Haftungsbescheid auch gegen den Bescheid über den Abgabenanspruch berufen bzw. bei Selbstbemessungsabgaben eine Berichtigung der Abgabenerklärung einbringen kann, ergibt sich - ebenso wie aus dem Vorbild dieser Bestimmung, dem § 248 BAO - dass das Verfahren hinsichtlich der Haftung und jenes hinsichtlich des Abgabenanspruches durchwegs getrennt ist. Demzufolge ist auch eine Verbindung der Verfahren über Berufungen gegen solche Bescheide nicht zulässig (vgl. Ritz, BAO-Kommentar2, 596, und die dort angeführte Rechtsprechung). Da der Abgabenanspruch nur in jenen Fällen durch das oben zitierte Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften berührt ist, in denen gegen diesen Anspruch eine Klage erhoben oder ein Rechtsbehelf (in Fällen einer Selbstbemessungsabgabe im Wege einer Berichtigung der Abgabenerklärung) eingelegt worden ist, folgt auch aus der grundsätzlichen Akzessorietät der Haftungsschuld nicht, dass sich die Beschwerdeführerin als Haftungsschuldnerin im Verfahren über die Inanspruchnahme der Haftungssschuld auf das zitierte Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften berufen kann (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 11. Mai 2000, 2000/16/0347).
Dennoch erweist sich der angefochtene Bescheid im Ergebnis als rechtswidrig, weil die belangte Behörde übersehen hat, dass sich der Pachtvertrag, dessen konkludenten Übergang auf die "Benjamin GmbH i. L." sie als Haftungsgrund angenommen hat, auf ein am Standort 1010 Wien, Nibelungengasse 1, in der Betriebsform eines Espressos betriebenes Gast- und Schankgewerbe bezog, nicht jedoch auf den sowohl im erstinstanzlichen Haftungsbescheid als auch im Bescheid der belangten Behörde genannten, in Wien I, Friedrichstraße 8, gelegenen Betrieb (laut den Zahlungsbelegen offenbar eine Pizzeria?), in dem die Getränkesteuerschuld entstanden ist.
Für die Annahme eines diesen Betrieb betreffenden Pachtvertrages, den die Beschwerdeführerin zunächst mit der physischen Person Jean Benjamin geschlossen hätte und der dann konkludent durch unbeanstandete Entgegennahme des Pachtzinses während längerer Zeit auf die "Benjamin i. L." übertragen worden wäre (was zivilrechtlich denkbar ist; vgl. z.B. Würth in Rummel, ABGB I2 Rz 4 zu §§ 1092 bis 1094 ABGB mwN) bietet das vorliegende Verfahren nicht den geringsten Anhaltspunkt. Diesbezüglich ist jedenfalls der Sachverhalt ergänzungsbedürftig, weshalb der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b VwGG aufzuheben ist.
Für das fortzusetzende Verfahren wird die belangte Behörde zu beachten haben, dass gemäß § 863 Abs. 1 ABGB für die Annahme konkludenter Erklärungen (und damit auch für einen konkludenten Wechsel des Vertragspartners) ein strenger Maßstab anzulegen und das Vorliegen zweifelsfreier Situationen (arg: "kein vernünftiger Grund, daran zu zweifeln") zu verlangen ist (vgl. Rummel in Rummel, aaO, Rz 14, Abs. 1 zu § 863 ABGB). Ebenso wird die belangte Behörde die Möglichkeit im Auge zu behalten haben, dass es zwischen dem Pächter Jean Benjamin und der Benjamin GmbH zu einer (im vorliegenden Fall zwar vertraglich verbotenen, aber dessenungeachtet zwischen den Parteien wirksamen) Unterverpachtung gekommen sein könnte, in welchem Fall dann nach der hg. Judikatur eine Haftung des Verpächters für die Getränkesteuerschuld des Unterpächters (Afterpächters) nicht in Frage kommt (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 25. Mai 2000, Zl. 2000/16/0239, und die dort zitierte hg. Vorjudikatur).
Mit Rücksicht auf die durch die zitierte hg. Judikatur klargestellte Rechtslage konnte die Entscheidung in einem gemäß § 12 Abs. 2 Z. 2 VwGG gebildeten Senat getroffen werden.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. 416/1994.
Wien, am 19. Juni 2000
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2000:2000160265.X00Im RIS seit
21.12.2000Zuletzt aktualisiert am
11.11.2011