TE Bvwg Erkenntnis 2017/12/21 W139 2131853-1

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Veröffentlicht am 21.12.2017
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Entscheidungsdatum

21.12.2017

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §34 Abs2
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W139 2131853-1/11E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Kristina HOFER als Einzelrichterin über die Beschwerde vonXXXX, geb. XXXX, StA. Afghanistan, gesetzlich vertreten durch die Mutter XXXX, diese vertreten durch die ARGE Rechtsberatung – Diakonie und Volkshilfe, Wattgasse 48/3. Stock, 1170 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 12.07.2016, Zl. 1087576903-151365204, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs 1 iVm § 34 Abs 2 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die minderjährige Beschwerdeführerin, eine afghanische Staatsangehörige, reiste gemeinsam mit ihrer Mutter (Zl. W139 2131869-1), ihrem Vater (Zl. W139 2131863-1), ihrem minderjährigen Bruder (Zl. W139 2131872-1) sowie mit dem minderjährigen Bruder ihres Vaters (Zl. W139 2131855-1) und mit dem damals minderjährigen Cousin ihres Vaters (Zl. W139 2131867-1) illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 16.09.2015, gesetzlich vertreten durch ihre Mutter, einen Antrag auf internationalen Schutz. Die jüngere Schwester der Beschwerdeführerin (Zl. W139 2131864-1) wurde am 07.12.2015 in Österreich geboren; auch für sie wurde ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

2. Für die polizeiliche Erstbefragung und die Einvernahme vor der belangten Behörde wird auf den Verfahrensgang der Mutter der Beschwerdeführerin (Zl. W139 2131869-1) verwiesen. Im Akt der Beschwerdeführerin befinden sich keine eigenen Einvernahmeprotokolle.

3. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 12.07.2016 wies die belangte Behörde sowohl den Antrag der Beschwerdeführerin auf Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) als auch jenen auf Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) ab. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die Beschwerdeführerin eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 2 Z 2 FPG erlassen. Es wurde gemäß § 52 Abs 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise der Beschwerdeführerin 2 Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.).

Die belangte Behörde führte begründend im Wesentlichen aus, das Vorbringen der Eltern der Beschwerdeführerin, worauf auch ihr Grund für die Ausreise basieren solle, sei nicht glaubwürdig gewesen, weshalb auch nicht glaubhaft sei, dass die angegebenen Gründe Auswirkungen auf die Beschwerdeführerin haben könnten. Die gesetzliche Vertreterin der Beschwerdeführerin habe für sie keine persönlichen Fluchtgründe angegeben. Im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan könnten die Eltern der Beschwerdeführerin den Lebensunterhalt der Familie in Kabul bestreiten. Da auch den Familienangehörigen der Beschwerdeführerin weder der Status des Asylberechtigten noch des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden sei, komme für die Beschwerdeführerin eine Zuerkennung aufgrund des Familienverfahrens nicht in Betracht. Die Rückkehrentscheidung gemäß Spruchpunkt III. wurde mit einer zu Lasten der Beschwerdeführerin ausgehenden Interessenabwägung nach Art 8 Abs 2 EMRK begründet.

4. Mit Schreiben vom 21.07.2016 erhob die Beschwerdeführerin durch ihre gesetzliche Vertretung – fristgerecht – Beschwerde gegen den obgenannten Bescheid. Sie beantragte die Zuerkennung des Status der Asylberechtigten, in eventu der subsidiär Schutzberechtigten, in eventu die Rückkehrentscheidung für auf Dauer unzulässig zu erklären und einen Aufenthaltstitel aus Gründen des Art 8 EMRK zu erteilen, in eventu die Zurückverweisung, sowie eine mündliche Verhandlung. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Mutter der Beschwerdeführerin sei in Afghanistan wegen der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der westlich orientierten Frauen bzw der Frauen, die ein selbstbestimmtes Leben führen, Verfolgung ausgesetzt. Auch die Beschwerdeführerin gelte als westlich orientiertes Mädchen und sei somit asylrelevanter Verfolgungsgefahr ausgesetzt. Sie gehe in den Kindergarten und ihre Mutter habe den Wunsch nach Bildung für sich selbst und die Kinder. Die Sicherheitslage in Kabul sei prekär und dort bestünden entgegen der Annahme der Behörde keine sozialen und familiären Anknüpfungspunkte, weshalb zumindest der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen wäre.

5. Mit Schreiben vom 03.10.2016 wurde ergänzend zur westlichen Orientierung der Mutter der Beschwerdeführerin Stellung genommen.

6. Am 04.10.2017 (fortgesetzt am 09.11.2017) fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, bei welcher die Eltern der Beschwerdeführerin einvernommen wurden. Die belangte Behörde blieb der Verhandlung entschuldigt fern. In der mündlichen Verhandlung wurde eine weitere Stellungnahme vom 03.10.2017 vorgelegt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen (Sachverhalt):

Die minderjährige Beschwerdeführerin führt den Namen XXXX. Sie ist Staatsangehörige von Afghanistan, gehört der Volksgruppe der Hazara an. Ihre Muttersprache ist Dari. Die Beschwerdeführerin ist die Tochter von XXXX und XXXX, die ebenfalls afghanische Staatsangehörige sind. Am 16.09.2015 stellte sie, gesetzlich vertreten durch ihre Mutter, den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Mit Erkenntnis vom heutigen Tag wurde der Beschwerde der Mutter der Beschwerdeführerin stattgegeben und ihr der Status der Asylberechtigten nach § 3 Abs 1 AsylG 2005 zuerkannt (BVwG 20.12.2017, W139 2131869-1/14E).

Diese Feststellungen ergeben sich aus den jeweiligen Verfahrensakten.

2. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Eine derartige Regelung wird in den einschlägigen Normen (VwGVG, BFA-VG, AsylG 2005) nicht getroffen und es liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte (mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes) ist durch das VwGVG geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art 130 Abs 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte (siehe insbesondere § 1 BFA-VG).

Gemäß § 7 Abs 1 Z 1 BFA-VG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.

Gemäß § 28 Abs 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

Gemäß § 28 Abs 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art 130 Abs 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

2.1. Zu A):

Aufgrund der Ermittlungsergebnisse war davon auszugehen, dass die Mutter der Beschwerdeführerin angesichts ihrer auf ein selbstbestimmtes Leben gerichteten Einstellung ("westliche Gesinnung") als Frau in ihrem Herkunftsstaat Eingriffe asylrelevanter Intensität mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten hat, weswegen sie sich aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung iSd GFK außerhalb Afghanistans befindet und im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren (siehe BVwG 20.12.2017, W139 2131869-1/14E). Das Vorliegen eines der in Art 1 Abschnitt C oder F GFK genannten Endigungs- und Ausschlussgründe ist nicht hervorgekommen.

Gemäß § 2 Abs 1 Z 22 AsylG 2005 ist "Familienangehöriger", wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylwerbers oder eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Ehe bei Ehegatten bereits vor der Einreise des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten bestanden hat, sowie der gesetzliche Vertreter der Person, der internationaler Schutz zuerkannt worden ist, wenn diese minderjährig und nicht verheiratet ist, sofern dieses rechtserhebliche Verhältnis bereits im Herkunftsland bestanden hat; dies gilt weiters auch für eingetragene Partner, sofern die eingetragene Partnerschaft bereits vor der Einreise des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten bestanden hat.

Da die Beschwerdeführerin, Tochter der Beschwerdeführerin zu Zl. W139 2131869-1, im Zeitpunkt der Antragstellung minderjährig und ledig war, ist sie als Familienangehörige im Sinne des AsylG 2005 zu betrachten.

Gemäß § 34 Abs 2 iVm. Abs 5 AsylG 2005 hat das Bundesverwaltungsgericht auf Grund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen den Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn

1. dieser nicht straffällig geworden ist und

3. gegen den Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (§ 7 AsylG 2005).

Im vorliegenden Fall wurde der Mutter der Beschwerdeführerin gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt und gemäß § 3 Abs 5 AsylG 2005 festgestellt, dass ihr damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt. Die Beschwerdeführerin ist nicht straffällig geworden. Gegen die Mutter der Beschwerdeführerin ist kein Asylaberkennungsverfahren anhängig. Der Beschwerdeführerin ist daher nach § 34 Abs 4 AsylG 2005 der gleiche Schutzumfang, dh der Status der Asylberechtigten nach § 3 Abs 1 AsylG 2005, zuzuerkennen, ohne dass allfällige eigene Fluchtgründe zu beurteilen waren (vgl dazu auch Feßl/Holzschuster, Asylgesetz 2005 [2006], 499).

Gemäß § 3 Abs 5 AsylG 2005 ist die Entscheidung, mit der Fremden von Amts wegen oder auf Grund eines Antrages auf internationalen Schutz der Status eines Asylberechtigten zuerkannt wird, mit der Feststellung zu verbinden, dass dem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass der gegenständliche Antrag auf internationalen Schutz am 16.09.2015, somit vor dem 15.11.2015 gestellt wurde, wodurch insbesondere § 2 Abs 1 Z 15 und § 3 Abs 4 AsylG 2005 idF des Bundesgesetzes BGBl. I 24/2016 ("Asyl auf Zeit") gemäß § 75 Abs 24 leg. cit. im konkreten Fall keine Anwendung finden.

2.2. Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Zur unproblematischen Anwendung des § 34 AsylG 2005 auch im Zusammenhang mit dem Begriff des Familienangehörigen gemäß § 2 Abs 1 Z 22 AsylG 2005 im Familienverfahren siehe etwa VwGH 26.06.2007, 2007/20/0281; 09.04.2008, 2008/19/0205; 25.11.2009, 2007/01/1153; 24.03.2011, 2008/23/1338; 06.09.2012, 2010/18/0398 ua.

Schlagworte

Asylgewährung von Familienangehörigen, Familienverfahren

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2017:W139.2131853.1.00

Zuletzt aktualisiert am

09.01.2018
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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