TE Bvwg Erkenntnis 2017/12/27 W182 2174717-1

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Veröffentlicht am 27.12.2017
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Entscheidungsdatum

27.12.2017

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §52
FPG §55

Spruch

W182 2174717-1/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. PFEILER über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, StA. Volksrepublik China, vertreten durch XXXX, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 25.09.2017, Zl. IFA 1092851710/151659267, zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 10 Abs. 1 Z 3, 57 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 idgF, und §§ 52, 55 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1.1. Die Beschwerdeführerin (im Folgenden: BF) ist Staatsangehörige der Volksrepublik China, ist Han-Chinesin, ist ohne religiöses Bekenntnis und stellte am 30.10.2015 im Bundesgebiet einen Antrag auf internationalen Schutz.

In einer Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 31.10.2015 auf Chinesisch brachte die BF zu ihren Fluchtgründen befragt im Wesentlichen vor, dass sie und ihr Vater ein Grundstück in der Größe von 28 MU besitzen würden, welches die Regierung für nur 3.000.- je MU habe enteignen wollen, obwohl der Marktwert ca. 200.000.- je MU betragen habe. Sie seien mit dem Angebot der Regierung nicht einverstanden gewesen, weshalb es zu einem Streit und in der Folge zu einem Handgemenge gekommen sei, wobei die BF mit einer Holzstange auf einen Beamten eingeschlagen habe und dieser ohnmächtig geworden sei und bis dato im Koma liege. Dessen Angehörige hätten ihr nach dem Leben getrachtet und Leute von der Mafia engagiert, welche die BF verfolgt hätten. Deshalb habe sie beschlossen, China zu verlassen; dies sei ihr einziger Fluchtgrund. Im Fall einer Rückkehr wäre sie in Lebensgefahr. Sie stamme aus der Provinz XXXX, habe zwei Jahre die Grundschule besucht und sei als Landwirtin berufstätig gewesen. Sie habe China am 29.10.2015 mit dem Flugzeug verlassen; einen eigenen Reisepass habe sie nie besessen. Ihre Dokumente habe ihr der Schlepper nach der Landung in Wien abgenommen. Die Kosten für die Reise hätten 55.000.- RMB betragen. Im Herkunftsland habe sie keine Familienangehörigen mehr, ihr Vater sei 2013 und ihre Mutter bereits (davor) verstorben. Die BF sei gesund.

In der Einvernahme beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: Bundesamt) am 03.08.2017 gab die BF zu ihren persönlichen Verhältnissen u.a. an, dass sie ledig und gesund sei. Ihr 2015 ausgestellter Reisepass samt Visum für drei Monate sei ihr nach der Landung vom Schlepper weggenommen worden. Dies habe sie nicht bei der Polizei angezeigt, weil sie sich damals noch nicht ausgekannt habe; sie habe auch noch keinen neuen Pass beantragt. Ihr Vater sei 2013 eines natürlichen Todes gestorben. Ihre Mutter sei verstorben, als die BF zwei Jahre alt gewesen sei. Geschwister habe die BF nicht und auch keine Verwandten in China. Sie spreche nur Chinesisch, schreiben habe sie nicht richtig gelernt. Sie spreche ein bisschen Deutsch. Sie habe zwei Jahre die Schule im Herkunftsstaat besucht. Danach sei sie zu Hause gewesen, um ihren Vater zu betreuen und mit ihm die Landwirtschaft zu betreiben. Sie habe ab ihrem 10. Lebensjahr bis zur Ausreise aus China in der Landwirtschaft gearbeitet und damit ihren Lebensunterhalt bestreiten können. Sie würden 28 MU landwirtschaftliche Fläche besitzen; das Land sei umgebaut worden, jetzt hätten sie keinen Besitz mehr. Sie sei in China niemals konkreten persönlichen Verfolgungshandlungen durch private Dritte und/oder heimatliche Behörden bzw. staatliche Stellen auf Grund ihrer politischen Gesinnung, religiöser Glaubenszugehörigkeit, sozialen Stellung oder Volksgruppenzugehörigkeit ausgesetzt gewesen. Zur Aufforderung, ihre Fluchtgründe detailliert zu schildern, gab die BF an: "Wir haben 28 MU Landwirtschaft besessen. Der Staat wollte uns enteignen, um Wohngebäude zu errichten. Die Entschädigung ist ganz verschieden. Manche haben Millionen RMB bekommen und wir haben nur 100.000.- RMB bekommen. Wir waren damit nicht einverstanden. Leider haben wir keine Bekannte in der Behörde, so dass man uns gut ausbezahlen hätte können. Als Personen vom Abrissbüro gekommen sind, wollte ich die Arbeit verhindern. Dazu ist unsere Ernte (Mais) reif, als die Personen mit der Arbeit beginnen wollten. Ich nahm einen großen Stock und schlug auf eine Person ein. Er musste danach immer im Bett liegen. Ich glaube, er ist immer noch im Koma. Seine Familie sucht mich und so habe ich mich entschlossen, China zu verlassen." Unter Vorhalt, dass sie vage und unkonkrete Angaben mache, wurde die BF aufgefordert, die Vorfälle konkret und detailliert zu schildern.

Dazu gab die BF an: "Ich bin seit dem 14. Lebensjahr schon in unserem Haus und auch mein Vater lebte dort seit seiner Kindheit. Wir sind eng verbunden mit dem Haus und der Landwirtschaft. Das Abrissbüro ist mehrmals zu uns gekommen, um uns davon zu überzeugen, von dort weg zu ziehen. Es ist kein Problem, wenn man eine gleichwertige Entschädigung bekommen kann. Das war aber nicht der Fall. Es gab einen großen Unterschied. Eine Familie besaß 5 MU und bekam dafür 1,5 Mio RMB. Unsere Familie hat 28 MU besessen und wir bekamen 110.000.- RMB. Die Behörde ist korrupt." Die Frage, ob der Vorfall bei der Polizei angezeigt worden sei, verneinte die BF und gab dazu an, dass die Polizei auch zur Behörde gehöre. Auf Nachfragen gab sie an, am 01.10.2014 bei höheren Instanzen Einspruch dagegen erhoben zu haben und deswegen 10 Tage im Anhaltezentrum festgehalten worden zu sein. Weiter nachgefragt, erklärte sie, dass die höhere Behörde dann der anderen Behörde Recht gegeben habe. Die Frage, ob ein Haftbefehl gegen sie bestehe, verneinte die BF. Nach dem Tod ihres Vaters habe sie die Landwirtschaft alleine weiter betrieben. Auf die Frage, ob die BF wegen des Vorfalls persönlich verfolgt oder bedroht worden sei, brachte sie vor: "Die Familie XXXX besucht mich immer zu Hause und klopfte an meine Türe. Ich habe mich nicht getraut, die Türe zu öffnen." Nachdem die Frage wiederholt wurde, erklärte die BF: "Bedroht ja. Die Familie XXXX hat gesagt, sie brauchen kein Geld und auch keine Entschuldigung, aber sie wollen mein Leben." Nach dem genauen Wortlaut der Drohung befragt, gab die BF an: "Unser Mann liegt langfristig im Koma. Jetzt gibt es keinen Sinn mehr von Geld oder Eigentum oder Vermögen. Wir wollen deswegen Dein Leben." Aus Angst sei die BF in die Provinz XXXX gefahren und habe dort in einer kleinen Pension gelebt. Obwohl sie die chinesische Schrift nicht kenne, habe sie trotzdem eine Anzeige in der Zeitung lesen und mit dem Schlepper Kontakt aufnehmen können. In XXXX habe sie sich ein Monat aufgehalten, wobei sie dort weder verfolgt noch bedroht worden sei. Insgesamt sei sie drei Mal bedroht worden; zum Vorhalt, dass Mord in China unter strengster Strafe stehe, gab sie an, dass die Familie XXXX schuld sei. Der Vorsitzende der Zentralregierung untersuche "gerade auch diesen Mann", weil er schwer korrumpiert worden sei. Mehr könne sie zu ihren Fluchtgründen nicht angeben. Sie wage nicht, in einer anderen Stadt in China zu leben, weil die Familie XXXX über Macht und Geld verfüge. Zu ihren Befürchtungen bei einer Rückkehr in die VR China befragt, gab die BF an: "Wenn ich in China wäre, würde ich von der Familie XXXX umgebracht werden." Sie sei weder mit dem Gesetz in Konflikt geraten, noch mit den Behörden. In Österreich arbeite sie als Prostituierte. Sie lebe in keiner familienähnlichen Beziehung im Bundesgebiet. Sie habe nie über einen Aufenthaltstitel in Österreich verfügt. Sie sei kein Mitglied in einem Verein oder in einer Organisation. Sie habe keinen Deutschkurs besucht und auch keine Freunde oder Bekannte in Österreich. Sie sei alleine in Österreich, dies sei ihre einzige Lebenschance. Sie werde sicher Steuer bezahlen und einer österreichischen Körperschaft nicht zur Last fallen. Sie wolle hier bleiben.

1.2. Mit dem nunmehr angefochtenen, oben angeführten Bescheid des Bundesamtes wurde der Antrag auf internationalen Schutz der BF gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat VR China (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Gemäß § 57 AsylG wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt und gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG gegen die BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen, wobei gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt wurde, dass die Abschiebung der BF gemäß § 46 FPG in die VR China zulässig sei (Spruchpunkt III.). Weiters wurde unter Spruchpunkt IV. ausgeführt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise der BF gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage. Begründend wurde dazu im Wesentlichen ausgeführt, dass das Vorbringen der BF zu ihren Fluchtgründen widersprüchlich bzw. höchst allgemein, vage und unkonkret und somit nicht glaubwürdig sei. Dazu wurde u.a. argumentiert, dass die BF bereits persönlich unglaubwürdig sei, da sie anfangs behauptetet habe, nicht schreiben zu können, jedoch im weiteren Verlauf der Einvernahme angegeben habe, dass Sie 2 Jahre in die Grundschule gegangen wäre. Sie würde zwar nicht lesen können, hätte jedoch die Anzeige des Schleppers in einer Zeitung wie durch ein Wunder lesen können. Weiters habe sie bereits bei dem Betrag der Entschädigung widersprüchliche Angaben gemacht. Während sie in der Erstbefragung angegeben habe, pro Mu 3.000.- RMB, sprich 84.000.- RMB Entschädigung, bekommen zu haben, habe sie dazu im völligen Widerspruch im Zuge der Einvernahme behauptet, 100.000.- RMB Entschädigung erhalten zu haben. Dieser Widerspruch betreffe den Kern ihres Vorbringens und sei davon auszugehen, dass man sich den Betrag der Entschädigung merken könne und diesen nicht nach zwei Jahren vergesse. Auch habe sie sich zudem während der Einvernahme hinsichtlich des Betrages der angebotenen Entschädigung widersprochen, so seien es anfangs 100.000.- RMB gewesen und sei die Summe auf 110.000.- RMB angewachsen. Ihr Vorbringen, dass die Familie XXXX immer an ihre Tür geklopft habe, stelle keine asylrelevante Verfolgung dar. Widersprüchlich sei auch, dass sie angegeben habe, dieser Familie nie die Tür geöffnet zu haben, jedoch wissen würde, dass diese kein Geld sondern ihr Leben hätte haben wollen. Auch spreche der Umstand, dass sie angegeben habe, nicht mehr zu ihrem Vorbringen sagen zu können, gegen die BF, da ihr Vorbringen einen höchst allgemeinen, vagen und unkonkreten Sachverhalt darstelle. Auch gehe das Bundesamt davon aus, dass die Familie XXXX mit Sicherheit ihre Ausreise verhindert hätte, wenn sie tatsächlich so viel Macht und Geld besitzen würde, wie von der BF angegeben. Zusammengefasst gehe das Bundesamt davon aus, dass ihr Vorbringen zu den Fluchtgründen unglaubwürdig sei.

In der rechtlichen Beurteilung wurde zu Spruchpunkt I. u.a. ausgeführt, dass die BF eine Verfolgung oder eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung in keiner Weise habe glaubhaft machen können, sodass ihr auch keine Verfolgung im Herkunftsstaat drohe. Es bestehe kein Hinweis auf das Vorliegen "außergewöhnlicher Umstände" (lebensbedrohliche Erkrankung oder dergleichen), welche eine Abschiebung im Sinne von Art. 3 EMRK und § 50 FPG unzulässig machen könnte. Auch aus den Feststellungen zur allgemeinen Lage in der VR China finde sich kein Hinweis darauf, dass im gesamten Staatsgebiet eine extreme Gefahrenlage mit besonders exzessiver und unkontrollierter Gewaltanwendung gegenüber der Zivilbevölkerung oder eine unmenschliche Behandlung bewirkende humanitäre Situation im gesamten Staatsgebiet vorliege. Die Versorgung mit Grundnahrungsmitteln und die medizinische Basisversorgung sei in China grundsätzlich gewährleistet. Es sei nicht feststellbar, dass die BF im Fall der Abschiebung in eine aussichtslose Situation geraten würde. Es sei ihr zumutbar sich mit eigener Arbeitsleistung künftig in China ihren Lebensunterhalt zu sichern. Sie beherrsche die Landessprache in China, sei mit den kulturellen Gegebenheiten vertraut, wodurch ein Neubeginn erleichtert würde. Die BF habe in Österreich weder Verwandte noch Familienangehörige. Sie halte sich seit Oktober 2015 im österreichischen Bundesgebiet auf und habe diesen Aufenthalt lediglich durch einen Asylantrag legitimiert. Sie habe keine sozialen Kontakte oder Abhängigkeiten im Bundesgebiet und führe in ihrer Freizeit den Haushalt und koche. Ihre Deutschkenntnisse seien gering. Eine Interessensabwägung nach Art. 8 EMRK falle daher hinsichtlich ihres privaten Interesses an einem Verbleib in Österreich nicht zu ihren Gunsten aus.

Mit Verfahrensanordnung vom 25.09.2017 wurde der BF gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG ein Rechtsberater amtswegig zur Seite gestellt.

1.3. Gegen diesen Bescheid wurde seitens des Vertreters der BF am 24.10.2017 binnen offener Frist Beschwerde erhoben. Darin wurde der gegenständliche Bescheid zur Gänze angefochten und Rechtswidrigkeit seines Inhalts und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der BF für ein Grundstück eine Abgeltung weit unter dem Marktwert (praktische Enteignung) geboten worden sei, worauf es zu einer Auseinandersetzung mit Beamten gekommen sei, wobei die BF einen Beamten verletzt habe und seither von kriminellen Banden und der Familie des Opfers aus Vergeltung verfolgt werde. Die Behörde habe zunächst den entscheidungsrelevanten Sachverhalt unvollständig ermittelt und festgestellt. Die BF habe als einfache Bäuerin in China keine anderen Erwerbsmöglichkeiten als die familiäre Landwirtschaft gehabt. Der BF seien 110.000.- RMB angeboten worden, was einer Enteignung gleich komme. Der BF wäre es nach dem Tod ihres Vaters unmöglich gewesen, ein Auskommen zu finden. Sie sei den Nachstellungen der Opferfamilie schutzlos ausgeliefert. Der völlig unzulässige Eingriff in die Eigentumsrechte der BF sei existenzgefährdend und daher asylrelevant. Die Behörde habe sich mit diesem Aspekt nicht auseinandergesetzt. Die BF sei aktuell bemüht, ihre Sprachkenntnisse zu verbessern, wobei zu bedenken sei, dass sie einen sehr geringen Bildungsgrad aufweise. Sie sei im Bundesgebiet selbsterhaltungsfähig und aus eigenen Mitteln aufrecht krankenversichert und habe einen Freundeskreis. Beantragt wurde ua. eine mündliche Verhandlung.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Aufgrund der der Entscheidung zugrunde liegenden Akten des Bundesamtes sowie des Bundesverwaltungsgerichtes steht nachstehender entscheidungswesentlicher Sachverhalt als erwiesen fest:

Die BF ist Staatsangehörige der Volksrepublik China und Han-Chinesin. Ihre Identität steht nicht fest. Sie reiste im Oktober 2015 unter Verwendung eines für drei Monate gültigen Visums per Flugzeug ins Bundesgebiet ein und stellte am 30.10.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Die BF ist im Wesentlichen gesund, arbeitsfähig und in der Lage, sich ihren notwendigen Unterhalt im Herkunftsland zu sichern.

Die ledige BF hält sich seit etwa zwei Jahren im Bundesgebiet auf und hat hier keine Familienangehörigen oder eine familienähnliche Beziehung. Sie verfügt über keine durch ein Zertifikat nachgewiesenen Deutschkenntnisse. Die BF gehört in Österreich weder einem Verein noch einer sonstigen Organisation an. Sie geht in Österreich einer Erwerbstätigkeit im Rotlichtmilieu nach, bestreitet damit ihren Lebensunterhalt und ist krankenversichert. Sie verfügt über einen Freundeskreis im Bundesgebiet. Sie ist im Bundesgebiet unbescholten.

Das Vorbringen der BF, wegen der Verletzung eines Beamten im Zusammenhang mit einer Enteignung eines Grundstückes im Herkunftsstaat verfolgt zu werden, hat sich als nicht glaubwürdig erwiesen.

1.2. Zur Situation im Herkunftsland wird von den zutreffenden Feststellungen des Bundesamtes im angefochtenen Bescheid ausgegangen. Die Situation im Herkunftsland hat sich seit dem Zeitpunkt der angefochtenen Entscheidung in den gegenständlich relevanten Punkten nicht entscheidungswesentlich verändert, sodass ein neuerlicher Vorhalt im Beschwerdeverfahren unterbleiben konnte.

1. Politische Lage

Die Volksrepublik China ist mit geschätzt 1.367 Milliarden Einwohnern (Stand Juli 2015) der bevölkerungsreichste Staat der Welt, bei einer Fläche von 9.596.960 km² (CIA 11.8.2015).

Sie ist in 22 Provinzen, die fünf Autonomen Regionen der nationalen Minderheiten Tibet, Xinjiang, Innere Mongolei, Ningxia und Guangxi, sowie vier regierungsunmittelbare Städte (Peking, Shanghai, Tianjin, Chongqing) und zwei Sonderverwaltungsregionen (Hongkong, Macau) unterteilt. Nach dem Grundsatz "Ein Land, zwei Systeme", der der chinesisch-britischen "Gemeinsamen Erklärung" von 1984 über den Souveränitätsübergang zugrunde liegt, kann Hongkong für 50 Jahre sein bisheriges Gesellschaftssystem aufrecht erhalten und einen hohen Grad an Autonomie genießen. Nach einem ähnlichen Abkommen wurde Macau am 20. Dezember 1999 von Portugal an die Volksrepublik China zurückgegeben. Die Lösung der Taiwanfrage durch friedliche Wiedervereinigung bleibt eines der Hauptziele chinesischer Politik (AA 4.2015a).

Gemäß ihrer Verfassung ist die Volksrepublik China ein "sozialistischer Staat unter der demokratischen Diktatur des Volkes, der von der Arbeiterklasse geführt wird und auf dem Bündnis der Arbeiter und Bauern beruht" (AA 4.2015a). Die Volksrepublik China ist ein autoritärer Staat, in dem die Kommunistische Partei Chinas (KPCh) verfassungsmäßig die höchste Autorität ist. Beinahe alle hohen Positionen in der Regierung sowie im Sicherheitsapparat werden von Mitgliedern der KPCh inne gehalten (USDOS 25.6.2015). Die KPCh ist somit entscheidender Machtträger. Nach dem Parteistatut wählt der alle fünf Jahre zusammentretende Parteitag das Zentralkomitee (376 Mitglieder), das wiederum das Politbüro (25 Mitglieder) wählt. Ranghöchstes Parteiorgan und engster Führungskern ist der zurzeit siebenköpfige "Ständige Ausschuss" des Politbüros. Dieser gibt die Leitlinien der Politik vor. Die Personalvorschläge für alle diese Gremien werden zuvor im Konsens der Parteiführung erarbeitet (AA 4.2015a, vgl. USDOS 25.6.2015).

An der Spitze der Volksrepublik China steht der Staatspräsident, der gleichzeitig Generalsekretär der KP Chinas und Vorsitzender der Zentralen Militärkommission ist und somit alle entscheidenden Machtpositionen auf sich vereinigt. Der Ministerpräsident leitet den Staatsrat, die eigentliche Regierung. Der Staatsrat fungiert als Exekutive und höchstes Organ der staatlichen Verwaltung. Alle Mitglieder der Exekutive sind gleichzeitig führende Mitglieder der streng hierarchisch gegliederten Parteiführung (Ständiger Ausschuss, Politbüro, Zentralkomitee), wo die eigentliche Strategiebildung und Entscheidungsfindung erfolgt (AA 4.2015a).

Der 3.000 Mitglieder zählende Nationale Volkskongress (NVK) wird durch subnationale Kongresse für fünf Jahre gewählt. Er wählt formell den Staatspräsidenten für fünf Jahre und bestätigt den Premierminister, der vom Präsidenten nominiert wird (FH 28.1.2015a). Der NVK ist formal das höchste Organ der Staatsmacht (AA 4.2015a). Der NVK ist jedoch vor allem eine symbolische Einrichtung. Nur der Ständige Ausschuss trifft sich regelmäßig, der NVK kommt einmal pro Jahr für zwei Wochen zusammen, um die vorgeschlagene Gesetzgebung anzunehmen (FH 28.1.2015a). Eine parlamentarische oder sonstige organisierte Opposition gibt es nicht. Die in der sogenannten Politischen Konsultativkonferenz organisierten acht "demokratischen Parteien" sind unter Führung der KP Chinas zusammengeschlossen; das Gremium hat lediglich eine beratende Funktion (AA 4.2015a). Beim 18. Kongress der KPCh im November 2012 wurde, nach einem Jahrzehnt, ein Führungswechsel vollzogen (AI 23.5.2013). Für die nächsten fünf Jahre wurden ein neues Zentralkomitee, Politbüro und ein neuer Ständiger Ausschuss bestimmt. Xi Jinping wurde zum Generalsekretär der KPCh und zum Leiter der Zentralen Militärkommission gekürt. Mit dem 12. Nationalen Volkskongress im März 2013 gilt dieser Führungswechsel als abgeschlossen. Seitdem ist Xi Jinping auch Präsident Chinas (AA 4.2015a, vgl. FH 28.1.2015a). Er hält damit die drei einflussreichsten Positionen (USDOS 27.2.2014). Die neue Staatsführung soll zehn Jahre im Amt bleiben, wenngleich die Amtszeit offiziell zunächst fünf Jahre beträgt, mit der Möglichkeit zur Verlängerung durch eine zweite, ebenfalls fünfjährige, Amtsperiode (Die Zeit 14.3.2013). Vorrangige Ziele der Regierung sind weitere Entwicklung Chinas und Wahrung der politischen und sozialen Stabilität durch Machterhalt der KPCh. Politische Stabilität gilt als Grundvoraussetzung für wirtschaftliche Reformen. Äußere (u.a. nachlassende Exportkonjunktur) und innere (u.a. alternde Gesellschaft, Umweltschäden, Wohlfahrtsgefälle) Faktoren machen weitere Reformen besonders dringlich (AA 4.2015a).

Die Rolle der Partei in allen Bereichen der Gesellschaft soll gestärkt werden. Gleichzeitig laufen Kampagnen zur inneren Reformierung und Stärkung der Partei. Prioritäten sind Kampf gegen die Korruption und Verschwendung, Abbau des zunehmenden Wohlstandsgefälles, Schaffung nachhaltigeren Wachstums, verstärkte Förderung der Landbevölkerung, Ausbau des Bildungs- und des Gesundheitswesens, Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und insbesondere Umweltschutz und Nahrungsmittelsicherheit. Urbanisierung ist und bleibt Wachstumsmotor, bringt aber gleichzeitig neue soziale Anforderungen und Problemlagen mit sich. Erste Ansätze für die zukünftige Lösung dieser grundlegenden sozialen und ökologischen Entwicklungsprobleme sind sichtbar geworden, haben deren Dimension aber zugleich deutlich aufgezeigt (AA 4.2015a).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (4.2015a): China - Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/China/Innenpolitik_node.html#doc334570bodyText5

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AI - Amnesty International (23.5.2013): Amnesty International Annual Report 2013 - China,

http://www.refworld.org/docid/519f51a96b.html

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CIA The World Factbook (11.8.2015):

https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/ch.html

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FH – Freedom House (28.1.2015a): Freedom in the World 2015 – China, http://www.ecoi.net/local_link/295269/430276_de.html

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USDOS - US Department of State (25.6.2015): Country Reports on Human Rights Practices 2014 – China (includes Tibet, Hong Kong, and Macau), http://www.ecoi.net/local_link/306284/443559_de.html

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Die Zeit (14.3.2013): Xi Jinping ist Chinas neuer Staatschef, www.zeit.de/politik/ausland/2013-03/chinapraesident-xi-jinping

2. Sicherheitslage

Proteste auf lokaler Ebene haben in ganz China stark zugenommen. Sie richten sich vor allem gegen steigende Arbeitslosigkeit und Vorenthaltung von Löhnen, hauptsächlich von Wanderarbeitern. Bei den bäuerlichen Protesten auf dem Land geht es meistens um die (entschädigungslose oder unzureichend entschädigte) Enteignung von Ländereien oder die chemische Verseuchung der Felder durch Industriebetriebe oder Umweltkatastrophen. Die Anzahl sog. "Massenzwischenfälle" soll 2012 bei ca. 200.000 gelegen haben und schnell zunehmen. Massenzwischenfälle sind nach chinesischer Definition nicht genehmigte Demonstrationen und Proteste, an denen sich mehr als 100 Personen beteiligen. Wie verlässlich die genannten Zahlen sind, bleibt offen. Die lokalen Behörden verfolgen in Reaktion zumeist eine Mischstrategie aus engmaschiger Kontrolle, die ein Übergreifen nach außen verhindern soll, gepaart mit einem zumindest partiellen Eingehen auf die Anliegen (AA 15.10.2014). Einer internationalen NGO zufolge wird die Zahl der Proteste auf 30.000 -50.000 pro Jahr geschätzt. Andere Quellen sprechen von einigen 10.000 bis 100.000 jedes Jahr. Wie schon in den vergangenen Jahren fand sich die Ursache der Mehrzahl der Demonstrationen Grundstücksstreitereien, Wohnungsprobleme, Industrie- Umwelt und Arbeitsangelegenheiten, staatliche Korruption, Steuern sowie sonstige wirtschaftliche und soziale Anliegen (USDOS 25.6.2015).

Nach den Massenkundgebungen der Demokratiebewegung in Hongkong ist noch keine Einigung mit den Behörden in Sicht (DW 7.10.2014, vgl. HRW 29.1.2015). Auf dem Höhepunkt der Proteste hatten bis zu 100.000 Menschen in der früheren britischen Kronkolonie für mehr Demokratie demonstriert. Sie verlangen den Rücktritt von Verwaltungschef Leung Chun Ying. Zudem protestieren sie dagegen, dass die Regierung in Peking bei der 2017 anstehenden Wahl eines Nachfolgers nur vorab bestimmte Kandidaten zulassen will (TR 20.10.2014).

Die Proteste waren weitgehend friedlich, im Oktober kam es aber auch zu einigen gewalttätigen Auseinandersetzungen, als Einzelpersonen versuchten, die von den Demonstranten auf mehreren Hauptstraßen errichtet Barrikaden zu beseitigen. Einige Demonstranten behaupteten, dass diese Personen kriminellen Banden angehörigen würden oder auf Geheiß der Zentralregierung tätig wurden und dass die Polizei nicht angemessen darauf reagiert habe. Von der Polizei wurden die Vorfälle untersucht und 19 Personen verhaftet, die mutmaßlich Angriffe auf die Demonstranten verübt haben. Im November konnte die Polizei einen Versuch der Demonstranten, das Regierungsgebäude in Hongkong zu stürmen abwehren (USDOS 15.6.2015).

In Hongkong hat das Parlament nun mit Beratungen über eine umstrittene Wahlreform begonnen. Die Demokratiebewegung sieht eine wesentliche Forderung nicht erfüllt, denn Peking will weiterhin massiv mitbestimmen. Den künftigen Regierungschef soll Hongkong frei wählen dürfen - ausgesucht werden sollen die Kandidaten aber von Peking selbst. Seit 17.6.2015 berät das aus 70 Abgeordneten bestehende Parlament der chinesischen Sonderverwaltungszone über den Wahlmodus des künftigen Regierungs- und Verwaltungschefs. Viele Demokratie-Aktivisten lehnen die Änderungen im Wahlmodus ab. Im Parlament platzierten oppositionelle Abgeordnete Schilder mit Kreuzen als Zeichen ihres Protests gegen die Reformpläne. Vor dem Parlament versammelten sich hunderte Anhänger beider Lager (DW 17.6.2015).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (15.10.2014): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Volksrepublik China

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DW - Deutsche Welle (7.10.2014): Beharren auf Demokratie in Hongkong,

http://www.dw.de/beharren-auf-demokratie-in-hongkong/a-17980006

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DW - Deutsche Welle (17.6.2015): Proteste gegen umstrittene Wahlreform in Hongkong,

http://www.dw.com/de/proteste-gegen-umstrittene-wahlreform-in-hongkong/a-18519571, Zugriff 20.8.2015

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FH – Freedom House (28.1.2015a): Freedom in the World 2015 – China, http://www.ecoi.net/local_link/295269/430276_de.html

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HRW - Human Rights Watch (29.1.2015): World Report 2015 - China, http://www.ecoi.net/local_link/295449/430481_de.html

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TR - Thomson Reuters (20.10.2014): Keine größeren Zusammenstöße bei Protesten in Hongkong,

http://de.reuters.com/article/worldNews/idDEKCN0I90NZ20141020

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USDOS - US Department of State (25.6.2015): Country Reports on Human Rights Practices 2014 – China (includes Tibet, Hong Kong, and Macau), http://www.ecoi.net/local_link/306284/443559_de.html

3. Rechtsschutz/Justizwesen

Eine unabhängige Strafjustiz existiert in China nicht. Strafrichter und Staatsanwälte unterliegen der politischen Kontrolle von staatlichen Stellen und Parteigremien (AA 15.10.2014). Die Kontrolle der Gerichte durch politische Institutionen ist ein verfassungsrechtlich verankertes Prinzip (ÖB 11.2014, vgl. FH 28.1.2015a). Parteipolitisch-rechtliche Ausschüsse überwachen die Tätigkeit der Gerichte auf allen Ebenen und erlauben Parteifunktionären, Urteile und Verurteilungen zu beeinflussen. Die Aufsicht der KPCh zeigt sich besonders in politisch heiklen Fällen (FH 28.1.2015). Die Gerichte sind auf jeder Ebene administrativ und institutionell den jeweiligen Einheiten des Nationalen Volkskongresses verantwortlich, von denen sie laut Verfassung auch errichtet werden. Jedes Gericht verfügt über ein Rechtskomitee, bestehend aus dem Gerichtspräsidenten, dem Vizepräsidenten und dem Leiter jeder Abteilung des Gerichts. Aufgabe ist es, bei "wichtigen und komplizierten Fällen" Anleitung zu geben. Das Problem ist, dass ein Richter, der einen solchen "komplizierten" Fall betreut, vor dem Urteilsspruch an das Rechtskomitee berichten muss. Es kommt daher zu der Situation, dass Personen, die den Prozess nicht gehört haben, Einfluss auf das Urteil nehmen (ÖB 11.2014). Das 3. Plenum des Zentralkomitees hat im November 2013 Beschlüsse zu einer Justizreform verabschiedet. Neben der Abschaffung des Systems der "Umerziehung durch Arbeit" sind Kernthemen Fragen der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, nicht zuletzt im Interesse der Korruptions- und Missbrauchsbekämpfung, der Unabhängigkeit der Strafverfolgungsbehörden und Gerichte und Professionalisierung der Justizarbeit. Die Zahl der Straftaten, die die Todesstrafe nach sich ziehen, sollte reduziert werden. Die durchaus ermutigenden Ansätze einer Verrechtlichung werden allerdings durch den fortbestehenden umfassenden Führungsanspruch der Partei relativiert (AA 15.10.2014). Trotz laufender Reformbemühungen gibt es, vor allem auf unterer Gerichtsebene, noch immer einen Mangel an gut ausgebildeten Richtern, was die unterschiedliche Rechtsqualität zwischen den Gerichten in den großen Städten und den kleineren Städten erklärt (ÖB 11.2014). Ein umfassender Regelungsrahmen unterhalb der gesetzlichen Ebene soll "Fehlverhalten" von Justizbeamten und Staatsanwälten in juristischen Prozessen unterbinden. Das Oberste Volksgericht (OVG) unter seinem als besonders "linientreu" geltenden Präsidenten und die Oberste Staatsanwaltschaft haben in ihren Berichten an den Nationalen Volkskongress im März 2014 in erster Linie gefordert, "Falschurteile" der Gerichte zu verhindern, die Richterschaft an das Verfassungsverbot von Folter und anderen Zwangsmaßnahmen bei Vernehmungen zu erinnern und darauf hinzuweisen, dass Verurteilungen sich nicht allein auf Geständnisse stützen dürfen. Die Regierung widmet sowohl der juristischen Ausbildung als auch der institutionellen Stärkung von Gerichten und Staatsanwaltschaften seit mehreren Jahren große Aufmerksamkeit (AA 15.10.2014).

Am 1.1.2013 trat eine Novelle des chinesischen Strafprozessgesetzes in Kraft. Es handelt sich dabei um die umfassendste Reform des Strafrechts seit 16 Jahren. Neu aufgenommen wurde "die Hochachtung und der Schutz der Menschenrechte". So sind z.B. gemäß Art. 50 Folter und Bedrohung bzw. Anwendung anderer illegaler Methoden zur Beweisermittlung verboten. Gemäß Art. 83 sollen die Familien der Internierten innerhalb von 24 Stunden ab Strafarrest informiert werden, es sei denn es ist nicht möglich. Gemäß Art. 188 tragen Ehepartner, Eltern und Kinder keine Beweispflicht mehr. Die Rechte der Verteidigung wurden in einigen Bereichen gestärkt; so sind Geständnisse, die durch illegale Methoden wie Folter erzwungen werden, ungültig. Beweismittel und Zeugenaussagen, die auf unrechtmäßigem Wege gewonnen wurden, sind vor Gericht unzulässig; Polizeibehörden können Verdächtige nicht mehr zwingen sich selbst zu bezichtigen; dies könnte zu einem Rückgang an Foltervorfällen durch Polizeiorgane führen. Der Schutz jugendlicher Straftäter wird erhöht (ÖB 11.2014, vgl. FH 23.1.2014a, AI 23.5.2013, AA 15.10.2014). Auch der Zeugenschutz wird gestärkt. Chinesische Experten gehen davon aus, dass die Durchsetzung dieser Regeln viele Jahre erfordern wird (AA 15.10.2014).

2014 wurden schrittweise weitere Reformen eingeleitet, darunter die Anordnung an Richter, Entscheidungen über ein öffentliches Onlineportal zugänglich zu machen sowie ein Pilotprojekt in sechs Provinzen um die Aufsicht über Bestellungen und Gehälter auf eine höhere bürokratische Ebene zu verlagern. Beim vierten Parteiplenum im Oktober 2014 standen Rechtsreformen im Mittelpunkt. Die Betonung der Vorherrschaft der Partei über das Rechtssystem und die Ablehnung von Aktionen, die die Unabhängigkeit der Justiz erhöhen würden, wurde jedoch beibehalten. Dies führte zu Skepsis hinsichtlich der tatsächlichen Bedeutung der Reform (FH 28.1.2015a).

Das neue Gesetz sieht allerdings vor, dass "Staatsicherheit gefährdende" Verdächtige an einem "designierten Ort" bis zu 6 Monate unter "Hausarrest" gestellt werden können. Die Familie muss zwar formell innerhalb von 24 Stunden über die Festnahme informiert werden, nicht jedoch über den Grund der Festnahme oder über den Aufenthaltsort. Dieser Aufenthaltsort könnte auch außerhalb offizieller Einrichtungen sein. Rechtsexperten sehen darin eine signifikante Ausweitung der Polizeimacht, denn es ist zu befürchten, dass es an diesen geheimen Orten weiterhin zu Folterhandlungen kommen könnte (ÖB 11.2014, vgl. FH 23.1.2014a, AI 23.5.2013). Das chinesische Strafgesetz hat die früher festgeschriebenen "konterrevolutionären Straftaten" abgeschafft und im Wesentlichen durch Tatbestände der "Straftaten, die die Sicherheit des Staates gefährden" (Art. 102-114 chin. StG) ersetzt. Danach können vor allem Personen bestraft werden, die einen politischen Umsturz/Separatismus anstreben oder das Ansehen der VR China beeinträchtigen. Gerade dieser Teil des Strafgesetzes fällt durch eine Vielzahl unbestimmter Rechtsbegriffe auf (AA 15.10.2014). Der Vorwurf der "Gefährdung der Staatssicherheit" oder des "Terrorismus" sind vage Begriffe, die oft als Vorwand von Maßnahmen gegen Dissidenten verwendet werden; jährlich werden ca. 1.000 Personen wegen des Verdachts auf "Gefährdung der Staatssicherheit" festgehalten (ÖB 11.2014, vgl. FH 23.1.2014a, AI 23.5.2013). Häufig wurden Anklagen wegen "Gefährdung der Staatssicherheit", "Anstiftung zur Untergrabung der Staatsgewalt" oder "Preisgabe von Staatsgeheimnissen" erhoben und langjährige Gefängnisstrafen gegen Personen verhängt, weil sie Internetblogs veröffentlicht oder als sensibel eingestufte Informationen ins Ausland weitergeleitet hatten. Der Staat benutzt somit das Strafrechtssystem dazu, seine Kritiker zu bestrafen (AI 23.5.2013). Prozesse, bei denen die Anklage auf Terrorismus oder "Verrat von "Staatsgeheimnissen" lautet, werden unter Ausschluss der Öffentlichkeit geführt. Was ein Staatsgeheimnis ist, kann nach chinesischer Gesetzeslage auch rückwirkend festgelegt werden. Angeklagte werden in diesen Prozessen weiterhin in erheblichem Umfang bei der Wahrnehmung ihrer Rechte beschränkt. U.a. wird dem Beschuldigten meist nicht erlaubt, einen Verteidiger seiner Wahl zu beauftragen; nur in seltenen Ausnahmefällen wird ihm vom Gericht überhaupt ein Verteidiger bestellt (AA 15.10.2014).

Rechtsanwälte, die in kontroversen Fällen tätig wurden, mussten mit Drangsalierungen und Drohungen seitens der Behörden rechnen, und in einigen Fällen wurde ihnen die weitere berufliche Tätigkeit verboten. Dies hatte zur Konsequenz, dass der Zugang der Bürger zu einem gerechten Gerichtsverfahren sehr stark eingeschränkt war. Verstöße gegen das Recht von Angeklagten auf ein faires Gerichtsverfahren und gegen andere ihrer Rechte waren gängige Praxis, darunter der verwehrte Zugang zu Anwälten und Familienangehörigen, Inhaftierungen über die rechtlich zulässige Zeitdauer hinaus, sowie Folter und Misshandlung in Gewahrsam (AI 23.5.2013; vgl. FH 23.1.2014a).

Die wachsende Anzahl von Bürgerrechtsanwälten war auch 2014 weiterhin mit Beschränkungen und körperlichen Angriffen konfrontiert. Anwälte wurden daran gehindert, ihre Klienten zu sehen, geschlagen und in einigen Fällen sogar festgehalten und gefoltert (FH 28.1.2015a).

Willkürliche Verhaftungen oder Hausarrest ("soft detention") ohne gerichtliche Verfahren kommen häufig vor. Personen werden oft über lange Zeit hinweg in ihrer eigenen Wohnung oder an anderen Orten ohne Zugang zur Außenwelt festgesetzt (AA 15.10.2014).

Der Nationale Volkskongress schaffte Chinas berüchtigtes System der "Umerziehung durch Arbeit" im Dezember 2013 offiziell ab. In der Folge griffen die Behörden ausgiebig auf andere Formen der willkürlichen Inhaftierung zurück, wie z.B. Schulungseinrichtungen für Rechtserziehung, verschiedene Arten der Administrativhaft, geheime "black jails" und rechtswidrigen Hausarrest. Darüber hinaus benutzte die Polizei häufig vage Anklagen wie "Streitsucht und Unruhestiftung" oder "Störung der Ordnung in der Öffentlichkeit", um politisch engagierte Bürger für Zeiträume von bis zu 37 Tagen willkürlich in Haft zu nehmen. KPCh-Mitglieder, die unter Korruptionsverdacht standen, wurden im Rahmen des geheimen Disziplinarsystems shuanggui ("doppelte Festlegung") ohne Zugang zu einem Rechtsbeistand und ihren Familien in Gewahrsam gehalten (AI 25.2.2015, vgl. ÖB 11.2014).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (15.10.2014): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Volksrepublik China

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AI - Amnesty International (23.5.2013): Annual Report 2013 - China, http://www.refworld.org/docid/519f51a96b.html

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AI - Amnesty International (25.2.2015): Amnesty International Report 2014/15 - The State of the World's Human Rights - China, http://www.ecoi.net/local_link/297304/434266_de.html

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FH – Freedom House (23.1.2014a): Freedom in the World 2014 – China, http://www.ecoi.net/local_link/268012/395593_de.html

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FH – Freedom House (28.1.2015a): Freedom in the World 2015 – China, http://www.ecoi.net/local_link/295269/430276_de.html

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HRW - Human Rights Watch (21.1.2014): World Report 2014 - China, http://www.ecoi.net/local_link/267710/395073_de.html

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ÖB Peking (11.2014): Asylländerbericht Volksrepublik China

4. Sicherheitsbehörden

Zivile Behörden behielten die Kontrolle über Militär- und Sicherheitskräfte bei (USDOS 25.6.2015). Die KPCh kontrolliert und leitet die Sicherheitskräfte auf allen Ebenen. 2013 dehnte die Partei ihren Apparat zur "Stabilitätserhaltung", mit dem Recht und Ordnung erhalten werden soll, allerdings auch friedlicher Protest unterdrückt und die Bevölkerung überwacht wird, weiterhin aus (FH 23.1.2014a). Die Zentrale Militärkommission (ZMK) der Partei leitet die Streitkräfte des Landes. Nach dem Gesetz zur Landesverteidigung von 1997 sind die Streitkräfte nicht dem Staatsrat, sondern der Partei unterstellt (AA 4.2015a).

Für die innere Sicherheit sind zuständig: (1) Polizei und Staatsanwaltschaften, die Rechtsverstöße des Normalbürgers verfolgen;

(2) Disziplinar-Kontrollkommission der KPCh, die gegen Verstöße von KP-Mitgliedern einschreitet;

(3) Einheiten des Ministeriums für Verwaltungskontrolle, die fu?r Pflichtverletzungen im Amt zuständig sind (AA 15.10.2014).

Für den Bereich der Gefahrenabwehr ist primär das dem Staatsrat unterstehende Ministerium für Öffentliche Sicherheit (MfÖS) mit seinen Polizeikräften verantwortlich, das daneben auch noch für Strafverfolgung zuständig ist und in Teilbereichen mit nachrichtendienstlichen Mitteln arbeitet. Aufgaben der Polizei sind sowohl die Gefahrenabwehr als auch die Strafverfolgung, bei der ihr u. a. die Anordnung von Administrativhaft als Zwangsmaßnahme zur Verfügung steht. Im Bereich der Strafverfolgung ist sie für die Durchführung von strafrechtlichen Ermittlungsverfahren originär zuständig. Bei Delikten, die von Polizisten aufgrund ihrer Amtsstellung begangen werden können, ermittelt die Staatsanwaltschaft selbst, während sie sonst primär die Tätigkeit der polizeilichen Ermittlungsorgane beaufsichtigt und auf Grundlage deren Empfehlung über die Erhebung der Anklage entscheidet (AA 15.10.2014).

Das Ministerium für Staatssicherheit (MSS) ist u.a. zuständig für die Auslandsaufklärung sowie für die Überwachung von Auslandschinesen und von Organisationen oder Gruppierungen, welche die Sicherheit der VR China beeinträchtigen könnten. Es überwacht die Opposition im eigenen Land, betreibt aber auch Spionageabwehr und beobachtet hierbei vielfach auch die Kontakte zwischen ausländischen Journalisten und chinesischen Bürgern. Darüber hinaus verfügen auch die Streitkräfte über einen eigenen, sorgfältig durchstrukturierten Nachrichtendienst, die 2. Hauptverwaltung im Generalstab, die sich in Konkurrenz zum MSS und MfÖS sieht. Die elektronische Aufklärung wird vornehmlich durch die 3. Hauptverwaltung im Generalstab wahrgenommen. Zudem sind viele Arbeitseinheiten parallel mit der Beschaffung von Informationen bzw. mit Überwachungsaufgaben von in- und ausländischen Bürgern befasst. Vor allem das Internationale Verbindungsbüro unter der politischen

1. Hauptverwaltung des Generalstabs ist zuständig für Informationen aus dem Ausland, für die Entsendung von Agenten in Auslandseinsätze, meist unter diplomatischer "Tarnung", und für die Überwachung des eigenen diplomatischen Personals. Zahlreiche "Think tanks" sind für die Beschaffung von Auslandsinformationen zuständig (AA 15.10.2014).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (15.10.2014): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Volksrepublik China

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AA - Auswärtiges Amt (4.2015a): China - Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/China/Innenpolitik_node.html#doc334570bodyText5

-

Freedom House (23.1.2014a): Freedom in the World 2014 – China, http://www.ecoi.net/local_link/268012/395593_de.html

-

USDOS - US Department of State (25.6.2015): Country Reports on Human Rights Practices 2014 - China, http://www.ecoi.net/local_link/306284/443559_de.html

5. Korruption

Bei der Polizei auf lokaler Ebene ist Korruption weit verbreitet, auch die Justiz wird durch Korruption beeinflusst. Es gibt Strafen für Korruption, doch dieses Gesetz wird nicht konsequent und transparent umgesetzt (USDOS 25.6.2015, vgl. FH 28.1.2015a)

Das Vierte Plenum des 18. Zentralkomitees der KPCh, welches von 20. – 23-10.2014 unter dem Motto "yi fa zhi guo", wörtlich "den Gesetzen entsprechend das Land regieren" tagte, bekräftigte den harten – und weitgehend außerhalb rechtsstaatlicher Verfahren abgewickelten – Anti-Korruptionskampf (ÖB 11.2014).

2014 erreichte eine aggressive Korruptionsbekämpfungskampagne die höchsten Ränge der Partei. Korruption bleibt weit verbreitet, in vielen Fällen auch in stark von der Regierung regulierten Bereichen wie Landnutzungsrechte, Immobilien, Bergbau und Entwicklung der Infrastruktur – die anfällig für Betrug, Bestechung und Schmiergeld sind. Trotz der Bemühungen der Regierung die Korruption zu bekämpfen bleibt diese bestehen. Die Strafverfolgung ist sehr selektiv und undurchsichtig, sodass persönliche Netzwerke und interne Machtkämpfe innerhalb der KPCh die Zielpersonen und Ausgänge beeinflussen. Ein Durchgreifen auf unabhängige Korruptionsbekämpfungsaktivisten und Repressalien gegen ausländische Medien bei Untersuchungen des Einflusses von Bestechung von hochrangigen Beamtenfamilien haben die Effektivität und Legitimität der Kampagne weiter untergraben (FH 28.1.2015a). Im Jahr 2013 langten bei der Zentralen Kommission für Disziplinaruntersuchungen 1,95 Millionen Korruptionsvorwürfe ein,

172.532 Fälle wurden untersucht und 182.038 Disziplinarverfahren verhängt (USDOS 25.6.2015).

Quellen:

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FH – Freedom House (28.1.2015a): Freedom in the World 2015 – China, http://www.ecoi.net/local_link/295269/430276_de.html

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USDOS - US Department of State (25.6.2015): Country Reports on Human Rights Practices 2014 - China, http://www.ecoi.net/local_link/306284/443559_de.html

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ÖB Peking (11.2014): Asylländerbericht Volksrepublik China

6. Allgemeine Menschenrechtslage

Die Menschenrechtslage in China bietet weiterhin ein zwiespältiges und trotz aller Fortschritte im Ergebnis negatives Bild. 2004 wurde der Begriff "Menschenrechte" in die Verfassung aufgenommen, die individuellen Freiräume der Bürger in Wirtschaft und Gesellschaft wurden in den letzten Jahren erheblich erweitert. Andererseits bleiben die Wahrung der inneren Stabilität und der Machterhalt der KPCh oberste Prämisse und rote Linie. Vor diesem Hintergrund geht die chinesische Führung kompromisslos gegen jene vor, die als Bedrohung dieser Prioritäten angesehen werden, wie z. B. regierungskritische Schriftsteller, Blogger, Bürgerrechtsaktivisten, Menschenrechtsanwälte, Petitionäre oder Mitglieder nicht anerkannter Religionsgemeinschaften (Falun Gong, Hauskirchen etc). Nach dem Führungswechsel im März 2013 hat sich das Klima für Menschenrechtsverteidiger und regierungskritische Personen, die politische Reformen fordern, deutlich verschärft. Kritische Intellektuelle, Journalisten und Blogger, die sich zu Themen äußern, die die chinesische Führung als sensibel ansieht, werden unter Druck gesetzt, bedroht und inhaftiert. Zahlreiche Dissidenten und Aktivisten befinden sich wegen kritischer Äußerungen in Haft (AA 15.10.2014).

Politische Opposition ist in der VR China strafbar (Straftatbestand der "Staatsge

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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