RS Vfgh 1979/12/7 G106/78

JUSLINE Rechtssatz

Veröffentlicht am 07.12.1979
beobachten
merken

Index

Keine Angabe

Norm

ASchG §24
ASchG §31
ASchG §31 Abs2 litp
ASchG §33 Abs1
ASchG §33 Abs7
Bundes-Verfassungsgesetz Art18, B-VG Art18
Bundes-Verfassungsgesetz Art139, B-VG Art139

Beachte

Metadatenquelle: DVD Recht compact, Verlag Österreich, Wien 2014

Rechtssatz

1. Den Anträgen des VwGH wird keine Folge gegeben. 2. § 31 Abs. 2 lit. p und der erste Satz des § 33 Abs. 7 des Bundesgesetzes über den Schutz des Lebens, der Gesundheit und der Sittlichkeit der Arbeitnehmer (Arbeitnehmerschutzgesetz) , BGBl. 234/1972, i. d. F. BGBl. 144/1974, werden nicht als verfassungswidrig aufgehoben.

1.) Auszugehen ist von der im Erk. Slg. 3207/1957 entwickelten, im Erk. Slg. 4037/1961 vertieften und seither festgehaltenen, aus dem rechtsstaatlichen Gebot des {Bundes-Verfassungsgesetz Art 18, Art. 18 B-VG} abzuleitenden Rechtsprechung des VfGH, daß die Rechtsordnung dem einzelnen die Möglichkeit geben muß, sich dem Rechte gemäß zu verhalten und den Unrechtsgehalt seines Handelns oder Unterlassens eindeutig zu erkennen, die Freiheitssphäre vom Gebiet des Unerlaubten also durch eine deutliche Grenzziehung zu scheiden hat. Wie der Gerichtshof aber gleichfalls wiederholt ausgesprochen hat, macht die Notwendigkeit, eine andere Vorschrift sinngemäß anzuwenden, die Regelung ebensowenig unbestimmt (vgl. z. B. Slg. 6355/1971) wie die Technik der sogenannten Blankettstrafnorm (Slg. 6896/1972) . § 31 ANSchG , dessen sinngemäße Anwendung § 33 Abs. 7 anordnet, enthält nun eine größere Anzahl im einzelnen umschriebener und auf andere Bestimmungen des ANSchG Bezug nehmender Straftatbestände und die ihnen jeweils zugeordnete Rechtsfolge. Eine dem rechtsstaatlichen Gebot widersprechende Unbestimmtheit könnte daher vorliegen, wenn entweder die Umschreibung des strafbaren Verhaltens im einzelnen Tatbestand undeutlich wäre oder das Verhältnis der Tatbestände zueinander nicht geklärt werden könne und schließlich, wenn der Inhalt der Tatbestände, für deren Handhabung durch § 33 Abs. 7 auf § 31 verwiesen wird, die Art der sinngemäßen Anwendung in Schwebe ließe. Ein Vorwurf der Undeutlichkeit bei der Umschreibung des strafbaren Verhaltens ist den vorliegenden Bedenken lediglich hinsichtlich der generalklauselartigen Vorschrift des § 31 Abs. 2 lit. p ANSchG zu entnehmen. Daß die Tatbestände des Abs. 2 lit. h und des Abs. 3 lit. b und e für sich betrachtet eindeutig sind, ist nicht in Zweifel gezogen. Auf den ersten Blick ist nur nicht erkennbar, in welchem Verhältnis diese Tatbestände zur Generalklausel des Abs. 2 lit. p stehen. Die in lit. p genannten Verordnungen dienen nämlich der näheren Bestimmung der in den §§ 3 bis 23 ANSchG festgelegten Anforderungen, Maßnahmen und Verpflichtungen. Jener Gebote und Verbote also, deren Mißachtung bereits in besonderen Tatbeständen unter Strafe gestellt ist. Ein und dasselbe Verhalten könnte also dem einschlägigen (aber insoweit allgemeineren) Tatbestand des Abs. 2 lit. a bis lit. o oder des Abs. 3 lit. a bis lit. c (d und e kommen nicht in Betracht, weil sie Verstöße gegen andere Vorschriften, nämlich die §§ 27 und 29 ahnden) und zugleich dem (insoweit spezielleren) des Abs. 2 lit. p unterstellt werden; damit scheint offengelassen, ob durch dieses Verhalten ein oder zwei Tatbestände erfüllt werden, und die Wahl zwischen verschieden hohen Strafdrohungen (des Abs. 2 und Abs. 3) freizustehen. Durch diese Unklarheit und durch den Umstand, daß die übergeleiteten Normen in den Gesetzesrang erhoben wurden, während die genannte Generalklausel des Abs. 2 lit. p (neben den Bedingungen, Auflagen und Aufträgen) nur Verordnungen im Auge hat, scheint auch der Inhalt des § 33 Abs. 7 ANSchG zweifelhaft zu sein.

2.) Das Verhältnis des Abs. 2 lit. p zu den übrigen Straftatbeständen der Abs. 2 und 3 läßt sich indessen leicht klären.

a) Aus der systematischen Stellung der lit. p in Abs. 2 und dem rechtslogischen Verhältnis der Verordnungen (Bedingungen, Auflagen und Aufträge) zu den von den übrigen Tatbeständen angezogenen Gesetzesbestimmungen ist ohne weiteres zu schließen, daß lit. p den übrigen Tatbeständen gegenüber nachrangig ist. Soweit also die in Betracht kommende Verordnung lediglich ein bereits durch lit. a bis lit. o unter Strafe gestelltes Verhalten näher bestimmt, wird durch ein ihren Bestimmungen widersprechendes Verhalten allein der einschlägige Straftatbestand der lit. a bis lit. o erfüllt. Werden also z. B. die durch eine (gesetzmäßige) Verordnung nach Gestaltung und Anzahl festgelegten Waschgelegenheiten oder Aborte nicht zur Verfügung gestellt, ist dies nach Abs. 2 lit. h strafbar - ein Ergebnis, das auch ohne eine Vorschrift mit dem Inhalt der lit. p eintreten muß.

Betrifft die Verordnung hingegen die Gestaltung von Arbeitsräumen und sonstigen Betriebsräumen und Arbeitsstellen (§ 3) , von Ausgängen und Verkehrswegen (§ 4) oder von Betriebseinrichtungen, sonstigen mechanischen Einrichtungen und Betriebsmitteln (§ 5) oder sonstige im § 31 Abs. 2 oder 3 nicht unmittelbar unter Strafe gestellte Verhaltensweisen (wie etwa die Unterlassung von Brandschutzmaßnahmen nach § 12) , so kommt eine Bestrafung nur wegen der Übertretung der Verordnung nach lit. p in Betracht. Ein Vergleich der Straftatbestände mit den sehr allgemeinen Anordnungen des Gesetzes zeigt nämlich, daß in vielen Fällen eine nähere Bestimmung des im Gesetz nur vage umschriebenen Verhaltens für notwendig erachtet wurde, um es unter Strafe stellen zu können. So sind beispielsweise die Verletzungen der §§ 3 bis 5 oder 12 überhaupt nicht mit Strafe bedroht, im Hinblick auf die in § 6 geregelten Arbeitsvorgänge und Arbeitsverfahren, Arbeitsplätze und Lagerungen wird kraft Gesetzes allein nur bestraft, wer trotz Untersagung bestimmte Arbeitsstoffe verwendet oder bestimmte Arbeitsverfahren anwendet (§ 6 Abs. 2) oder zu besonders gefährlichen Arbeiten Arbeitnehmer heranzieht, die die erforderliche Eignung sowie die notwendigen Fachkenntnisse und Berufserfahrungen nicht besitzen (§ 6 Abs. 4) oder nachweisen können (§ 6 Abs. 5; vgl. § 31 Abs. 2 lit. a und b) , und das Gebot entsprechend umsichtiger Absicherung des Verkehres in Betrieben (§ 7) wird vom Gesetz zunächst nur erfaßt, soweit Arbeitnehmer ohne Lenkerausweis herangezogen oder ihnen bei Zweifel an der Lenkfähigkeit das Lenken nicht untersagt wird (vgl. § 31 Abs. 2 lit. c) . In solchen, aber auch nur in solchen Fällen kann bei Übertretung durch Verordnung näher bestimmter Gebote oder Verbote (allein) § 31 Abs. 2 lit. p zur Bestrafung herangezogen werden.

b) Von diesem Verständnis des § 31 Abs. 2 ausgehend wird auch das Verhältnis dessen lit. p zu den Tatbeständen des Abs. 3 des § 31 klar: Nur soweit die Verordnung eine in Abs. 3 unter (gelindere) Strafe gestellte Pflicht näher beschreibt, ist ein Zuwiderhandeln nach dem in Betracht kommenden Tatbestand des Abs. 3 zu bestrafen, weil es diesen der lit. p des Abs. 2 gegenüber vorrangigen Tatbestand erfüllt. So ist beispielsweise die mangelnde Vorsorge für entsprechende Aufenthaltsmöglichkeiten während der Arbeitspausen (Abs. 3 lit. c) auch dann nach dem milderen Strafsatz zu ahnden, wenn eine Verordnung nähere Bestimmungen hierüber enthält.

Bei Anwendung der Straftatbestände ist daher nur zu prüfen, ob das Verhalten einen schon im Gesetz (unter Berücksichtigung seiner allfälligen Konkretisierung durch die Verordnung) für strafbar erklärten Tatbestand erfüllt; ist dies der Fall, so ist die betreffende Strafe (§ 31 Abs. 2 oder 3) verwirkt, ist es nicht der Fall, erfolgt die Bestrafung nach Abs. 2 lit. p. Insgesamt ist also nur eine Auslegung jener (speziellen) Tatbestände nötig, deren Bestimmtheit an sich weder vom VwGH noch vom VfGH bezweifelt wurde.

3.) Der VfGH kann aber auch nicht finden, daß eine sinngemäße Anwendung des § 31 in Anbetracht des Inhaltes der durch § 33 Abs. 1 ANSchG im Gesetzesrang übergeleiteten Vorschriften zu unbestimmten Ergebnissen führt.

a) Maßgebend ist der aus § 33 Abs. 1 hervorleuchtende Zweck der Überleitung: Die Vorschriften sollen bis zur Neuregelung des betroffenen Gebietes durch eine auf Grund von Bestimmungen des ANSchG erlassenen Verordnung im bisherigen Umfang in Geltung bleiben, ohne daß es zu einem Widerspruch zwischen dem (neuen) Gesetz und der (alten) Verordnung kommt. Ob daraus schon folgt, daß im Falle einer Übereinstimmung zwischen dem ANSchG und der alten Vorschrift jene des ANSchG vorgeht (wie die Bundesregierung meint) , kann dahingestellt bleiben, weil diese Frage mit der Bestimmtheit der Strafvorschrift nichts zu tun hat. Es ist nämlich offenkundig bedeutungslos, ob die auf einen in § 31 umschriebenen Tatbestand (z. B. Abs. 3 lit. e) gestützte Bestrafung mit dem weiteren Hinweis auf Bestimmungen des ANSchG (z. B. § 29) oder auf die - gemäß der Prämisse - inhaltlich gleiche übergeleitete Bestimmung erfolgt (z. B. § 109 Dienstnehmerschutzverordnung) . Weichen aber die übergeleiteten Vorschriften von der entsprechenden Regelung des ANSchG ab (und das wird wegen verschiedenartiger Formulierungen die Regel sein) , so sind für ihren Anwendungsbereich die übergeleiteten Vorschriften zu beachten. Soweit dann die nach ihrem Tatbild in Betracht kommende Strafnorm des § 31 auf andere Vorschriften des ANSchG verweist, tritt an Stelle dieser Verweisung jene auf die abweichende, in der betreffenden Angelegenheit höhere oder niedrigere oder bloß andere Anforderungen stellende übergeleitete Vorschrift. Deren Weitergeltung als Gesetz soll es gerade ermöglichen, die (neuen) Tatbestände des § 31 mit dem etwa abweichenden Inhalt der parallelen Bestimmungen der übergeleiteten Vorschrift zu füllen. Ein Unterschied besteht nur darin, daß eine von den Bestimmungen des Gesetzes nicht gedeckte, innerhalb des Straftatbestandes die Anforderungen konkretisierende neue Verordnung gesetzwidrig wäre und im Verfahren nach {Bundes-Verfassungsgesetz Art 139, Art. 139 B-VG} beseitigt werden könnte, während die im Gesetzesrang übergeleitete Verordnung dem ANSchG widersteht. Die inhaltliche Einordnung der Materie in einen der Tatbestände des § 31 Abs. 2 und 3 (Abs. 2 lit. p vorläufig ausgenommen) ist vom formellen Rang der Vorschrift im Stufenbau der Rechtsordnung unabhängig. Der Anwendungsvorgang ist derselbe.

b) Von der formellen Einordnung der Verordnung muß aber offenkundig auch bei Anwendung des Abs. 2 lit. p abgesehen werden. Regelt die übergeleitete Vorschrift eine von den übrigen (inhaltlich offenen) Tatbeständen des § 31 nicht erfaßte Verhaltensweise, so darf die Anwendung des Abs. 2 lit. p nicht etwa deshalb unterbleiben, weil es sich nicht um eine Verordnung gemäß § 24 ANSchG, sondern um ein Gesetz handelt. Es würden nämlich sonst Verhaltensweisen, die eine (neue) Verordnung unter Strafsanktion fordern könnte, nicht strafbar sein, nur weil die (alte) Vorschrift im Gesetzesrang steht. Das widerspräche augenscheinlich dem Ziel der in § 33 Abs. 7 ANSchG angeordneten "sinngemäßen" Anwendung des § 31.

Demnach ist die Übertretung aller Bestimmungen übergeleiteter Verordnungen, die nicht einem anderen Straftatbestand des Abs. 2 oder 3 des § 31 zu unterstellen sind, ebenso nach Abs. 2 lit. p zu bestrafen, wie jede Konkretisierung des neuen Gesetzes durch Verordnung in einer nicht sonst schon im § 31 erfaßten Angelegenheit.

Entscheidungstexte

  • G106/78
    Entscheidungstext VfGH Keine Angabe 07.12.1979 G106/78

Schlagworte

Arbeitnehmerschutz Dienstnehmerschutz Verfassungsgerichtshof Art. 140 B-VG Sachentscheidung Einzelfälle

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1979:G106.1979

Zuletzt aktualisiert am

17.04.2018
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten