TE Vfgh Erkenntnis 2017/12/1 G135/2017, V83/2017 ua (V83-84/2017)

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 01.12.2017
beobachten
merken

Index

L8000 Raumordnung

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art18 Abs2
B-VG Art140 Abs1 / Präjudizialität
Vlbg RaumplanungsG 1996 §15, §18, §28, §35 Abs2, Abs3
Flächenwidmungsplan der Marktgemeinde Frastanz idF vom 07.02.2012 und vom 26.09.2012
Gesamtbebauungsplan 2012 der Marktgemeinde Frastanz vom 14.03.2013
Vlbg PlanzeichenV, LGBl 50/1996 idF LGBl 49/2011 §2 Abs3

Leitsatz

Keine Verfassungswidrigkeit der Regelungen des Vlbg Raumplanungsgesetzes 1996 über die Bewilligung von Ausnahmen vom Bebauungsplan; unterschiedliche verfahrensrechtliche Bestimmungen zur Änderung des Bebauungsplanes und zur Erlassung einer Ausnahmebewilligung sachlich gerechtfertigt; Gesetzwidrigkeit von Änderungen des Flächenwidmungsplanes der Marktgemeinde Frastanz hinsichtlich der Umwidmung bestimmter Grundstücke für ein Einkaufszentrum mangels Verständigung der betroffenen Grundeigentümer und wegen Widerspruchs der planlichen Darstellung zu den Vorgaben der Planzeichenverordnung; kein Aufleben früherer Widmungen; Aufhebung des Gesamtbebauungsplanes 2012 im selben Umfang mangels bestehender Flächenwidmung

Spruch

I. 1. §35 Abs2 des Vorarlberger Raumplanungsgesetzes, LGBl Nr 39/1996, in der Fassung LGBl Nr 43/1999, war nicht verfassungswidrig.

2. §35 Abs2 des Vorarlberger Raumplanungsgesetzes, LGBl Nr 39/1996, in der Fassung LGBl Nr 44/2013, sowie §35 Abs3 des Vorarlberger Raumplanungsgesetzes, LGBl Nr 39/1996, in der Fassung LGBl Nr 28/2011, werden nicht als verfassungswidrig aufgehoben.

II. 1. Der Flächenwidmungsplan der Marktgemeinde Frastanz in der von der Gemeindevertretung der Marktgemeinde Frastanz am 7. Februar 2012 beschlossenen Fassung, aufsichtsbehördlich mit Bescheid der Vorarlberger Landesregierung vom 13. März 2012 genehmigt und durch Anschlag an der Amtstafel der Marktgemeinde Frastanz vom 4. April 2012 bis 3. Mai 2012 kundgemacht, und in der von der Gemeindevertretung der Marktgemeinde Frastanz am 26. September 2012 beschlossenen Fassung, aufsichtsbehördlich mit Bescheid der Vorarlberger Landesregierung vom 18. Oktober 2012 genehmigt und durch Anschlag an der Amtstafel der Marktgemeinde Frastanz vom 21. November 2012 bis 2. Jänner 2013 kundgemacht, soweit sich der Flächenwidmungsplan auf die Grundstücke Nr 630, 631, 668/1, 668/2, 668/3, 669 und 673, alle KG 92106 Frastanz I, bezieht, wird als gesetzwidrig aufgehoben.

2. Die Verordnung der Gemeindevertretung der Marktgemeinde Frastanz über die Erlassung des neuen Gesamtbebauungsplans 2012 für Frastanz, beschlossen von der Gemeindevertretung der Marktgemeinde Frastanz am 14. März 2013, aufsichtsbehördlich genehmigt mit Bescheid der Vorarlberger Landesregierung vom 23. Mai 2013, kundgemacht durch Anschlag an der Amtstafel der Marktgemeinde Frastanz vom 10. Juni 2013 bis 15. Juli 2013, soweit sich die Verordnung auf die Grundstücke Nr 630, 631, 668/1, 668/2, 668/3, 669 und 673, alle KG 92106 Frastanz I, bezieht, wird als gesetzwidrig aufgehoben.

3. Die Vorarlberger Landesregierung ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Landesgesetzblatt für Vorarlberg verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe

I.       Anlassverfahren, Prüfungsbeschluss und Vorverfahren

1.       Beim Verfassungsgerichtshof ist zur Zahl E1232/2016 eine auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde anhängig, der folgender Sachverhalt zugrunde liegt:

1.1.    Die beteiligte Partei im Beschwerdeverfahren vor dem Verfassungsgerichtshof plant auf den (Bau-)Grundstücken Nr 630, 631, 668/1, 668/2, 668/3, 669 und 673, alle KG 92106 Frastanz I, die Errichtung eines Einkaufszentrums. Die Erstbeschwerdeführerin des Ausgangsverfahrens ist Eigentümerin der Grundstücke Nr 667 und .981, beide KG 92106 Frastanz I, welche unmittelbar an die Baugrundstücke angrenzen. Der Zweitbeschwerdeführer, die Drittbeschwerdeführerin und der Viertbeschwerdeführer des Ausgangsverfahrens sind Miteigentümer der Grundstücke Nr 622/2, 629, 632 und .693, alle KG 92106 Frastanz I, welche durch eine Straße von den Baugrundstücken getrennt sind. Die Fünftbeschwerdeführerin des Ausgangsverfahrens ist Eigentümerin der Grundstücke Nr 635/2 und .887, beide KG 92106 Frastanz I, welche ebenfalls durch eine Straße von den Baugrundstücken getrennt sind.

1.2.    Im Vorfeld der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses wurde der Flächenwidmungsplan der Marktgemeinde Frastanz wiederholt geändert:

1.2.1.  Mit Schreiben vom 14. September 2011 teilte die Marktgemeinde Frastanz den Beschwerdeführern mit, es sei geplant, Teile der Grundstücke Nr 630, 631, 668/1, 668/2, 668/3, 669 und 673, alle KG 92106 Frastanz I, von "Freihaltegebiet-Freifläche" in "Baufläche-Mischgebiet" umzuwidmen. In weiterer Folge gaben sowohl die Zweit- bis ViertbeschwerdeführerInnen als auch die Fünftbeschwerdeführerin eine Stellungnahme ab, in der sie sich mit näherer Begründung gegen die geplante Umwidmung aussprachen.

In ihrer Sitzung vom 21. September 2011 beschloss die Gemeindevertretung der Marktgemeinde Frastanz eine Umwidmung im Bereich der Grundstücke Nr 630, 631 und 669 sowie von Teilflächen der Grundstücke Nr 668/1, 668/2, 668/3 und 673, alle KG 92106 Frastanz I, von "Freifläche-Freihaltegebiet" in "Baufläche-Mischgebiet" (hiebei handelt es sich um eine Gesamtfläche von ca. 4.800 m²).

Mit Bescheid vom 28. November 2011 erteilte die Vorarlberger Landesregierung die aufsichtsbehördliche Genehmigung für die von der Gemeindevertretung der Marktgemeinde Frastanz am 21. September 2011 beschlossene Änderung des Flächenwidmungsplanes. Die Änderung wurde von 12. Dezember 2011 bis 18. Jänner 2012 durch Anschlag an der Amtstafel der Marktgemeinde Frastanz kundgemacht.

1.2.2.  In ihrer Sitzung vom 7. Februar 2012 beschloss die Gemeindevertretung der Marktgemeinde Frastanz die Umwidmung einer zusätzlichen Fläche von ca. 119 m² auf dem Grundstück Nr 668/1, KG 92106 Frastanz I, von "Freifläche-Freihaltegebiet" in "Baufläche-Mischgebiet", nachdem die beteiligte Partei mit Schreiben vom 19. Dezember 2011 einen entsprechenden "Antrag" auf Vornahme der zusätzlichen Umwidmung zur Errichtung eines Lkw-Wendeplatzes einbracht hatte. Aus den vorgelegten Verordnungsakten ist weder ersichtlich, dass eine Auflage der geplanten Änderung des Flächenwidmungsplanes erfolgt ist, noch dass die beschwerdeführenden Parteien (als Eigentümer anrainender Grundstücke) nachweislich von der geplanten Änderung verständigt wurden. Mit Bescheid vom 13. März 2012 erteilte die Vorarlberger Landesregierung die aufsichtsbehördliche Genehmigung für die am 7. Februar 2012 von der Gemeindevertretung der Marktgemeinde Frastanz beschlossene Umwidmung, wobei die Genehmigung (offenbar auf Grund eines Versehens) für eine Fläche von 129 m² – statt 119 m² – erteilt wurde. Die Kundmachung erfolgte an der Amtstafel der Marktgemeinde Frastanz von 4. April 2012 bis 3. Mai 2012.

1.2.3.  Mit Schreiben vom 15. November 2011 regte die Marktgemeinde Frastanz bei der Vorarlberger Landesregierung eine Änderung des Landesraumplanes dahingehend an, dass im Bereich jener Flächen (Grundstücke Nr 630, 631, 668/1, 668/2, 668/3, 669 und 673, alle KG 92106 Frastanz I), deren Umwidmung von "Freifläche-Freihaltegebiet" in "Baufläche-Mischgebiet" in der Sitzung der Gemeindevertretung am 21. September 2011 beschlossen worden war, die Widmung einer besonderen Fläche für die Errichtung eines Einkaufszentrums mit einem Höchstmaß an Verkaufsfläche von 1.700 m² für sonstige Waren im Sinne des §15 Abs1 lita Z2 Vorarlberger Raumplanungsgesetz, LGBl 39/1996 ("Vbg. RPG"), ohne Beschränkung auf eine Maximalverkaufsfläche für Lebensmittel, für zulässig erklärt werde. Nach Erstellung eines entsprechenden Erläuterungsberichtes der Vorarlberger Landesregierung erfolgte (unter anderem an der Amtstafel der Marktgemeinde Frastanz) die Kundmachung eines Entwurfes einer Verordnung der Vorarlberger Landesregierung über die Zulässigerklärung einer besonderen Fläche für ein Einkaufszentrum im Bereich der Grundstücke Nr 630, 631, 668/1, 668/2, 668/3, 669 und 673, alle KG 92106 Frastanz I. Mit LGBl 47/2012, kundgemacht am 21. Juni 2012, erließ die Vorarlberger Landesregierung die Verordnung über die Zulässigerklärung der Widmung einer besonderen Fläche für ein Einkaufszentrum in Frastanz. Diese Verordnung lautet aus-zugsweise:

"[…]

Auf Grund der §§6 Abs1 und 15 Abs1 des Raumplanungsgesetzes, LGBl Nr 39/1996, in der Fassung LGBl Nr 43/1999 und Nr 23/2006, wird verordnet: Im Bereich der Liegenschaften GST-NRN 630, 631 und 669 sowie von Teilflächen der GST-NRN 668/1, 668/2, 668/3 und 673, GB Frastanz, die innerhalb der im Lageplan des Amtes der Vorarlberger Landesregierung, Zl. VIIa-421.84, vom 6.6.2012 […], in schwarzer Farbe ersichtlich gemachten Grenzen liegen, wird die Widmung einer besonderen Fläche für die Errichtung eines Einkaufszentrums mit einem Höchstausmaß der Verkaufsfläche von 1.300 m² für sonstige Waren (§15 Abs1 lita Z2 RPG), hievon maximal 1.000 m² Verkaufsfläche für Lebensmittel, für zulässig erklärt. Die Widmung wird von der Erlassung einer Verordnung über das Mindestmaß der baulichen Nutzung abhängig gemacht. Das Mindestmaß wird wie folgt festgelegt: Mindestgeschosszahl 2, wobei ein Geschoss keine geringere Geschossfläche als 80 % der Geschossfläche des größten Geschosses aufweisen darf, um als ganzes Geschoss gezählt zu werden. Geschosse sind als tatsächliche Geschosse unabhängig vom Niveau und von der Geschosshöhe zu verstehen.

[…]."

Diese Verordnung der Vorarlberger Landesregierung umfasst jene Flächen, die mit Beschluss der Gemeindevertretung der Marktgemeinde Frastanz vom 21. September 2011 von "Freifläche-Freihaltegebiet" in "Baufläche-Mischgebiet" umgewidmet worden waren.

1.2.4.  Im Hinblick auf die mit LGBl 47/2012 kundgemachte Verordnung der Vorarlberger Landesregierung beschloss die Gemeindevertretung der Marktgemeinde Frastanz am 5. September 2012 die Änderung des zu diesem Zeitpunkt in Geltung stehenden Gesamtbebauungsplans der Marktgemeinde Frastanz. Dieser wurde insoweit geändert, als für die Grundstücke Nr 630, 631, 668/1, 668/2, 668/3, 669 und 673, alle KG 92106 Frastanz I, eine Mindestgeschoßzahl von zwei festgelegt wurde. Überdies wurde verordnet, dass ein Geschoß keine geringere Geschoßfläche als 80 % der Geschoßfläche des größten Geschoßes aufweisen dürfe, um als ganzes Geschoß gezählt zu werden und dass Geschoße als tatsächliche Geschoße unabhängig vom Niveau und von der Geschoßhöhe zu verstehen seien. Diese am 5. September 2012 beschlossene Änderung des Gesamtbebauungsplanes der Marktgemeinde Frastanz wurde vom 6. September 2012 bis 6. Oktober 2012 durch Anschlag an der Amtstafel der Marktgemeinde Frastanz kundgemacht.

1.2.5.  In ihrer Sitzung vom 26. September 2012 beschloss die Gemeindevertretung der Marktgemeinde Frastanz die Änderung der Flächenwidmung im Bereich der Grundstücke Nr 630, 631 und 669 sowie von Teilflächen der Grundstücke Nr 668/1, 668/2, 668/3 und 673, alle KG 92106 Frastanz I, von "Baufläche-Mischgebiet" in "Baufläche Mischgebiet Einkaufszentrum E3 (Gesamtverkaufs-fläche 1.300 m², Waren gemäß §15 Abs1 lita Z2 Vbg. RPG, hievon maximal 1.000 m² für Lebensmittel)". Aus den vorgelegten Verordnungsakten ist weder ersichtlich, dass eine Auflage der geplanten Änderungen des Flächenwidmungsplanes erfolgt ist, noch dass die beschwerdeführenden Parteien (als Eigentümer anrainender Grundstücke) nachweislich von der geplanten Änderung verständigt wurden. Mit Bescheid vom 18. Oktober 2012 erteilte die Vorarlberger Landesregierung die aufsichtsbehördliche Genehmigung für die am 26. September 2012 beschlossene Änderung des Flächenwidmungsplanes. Vom 21. November 2012 bis 2. Jänner 2013 wurde die Änderung an der Amtstafel der Marktgemeinde Frastanz kundgemacht.

1.3.    Das baurechtliche Verfahren zur Erteilung der Bewilligung des verfahrensgegenständlichen Einkaufszentrums, das Verfahren zur Erlassung eines neuen Gesamtbebauungsplanes 2012 und die Verfahren zur Erteilung einer Ausnahmebewilligung vom Gesamtbebauungsplan 2012 der Marktgemeinde Frastanz sind wie folgt abgelaufen:

1.3.1.  In ihrer Sitzung vom 7. November 2012 beschloss die Gemeindevertretung der Marktgemeinde Frastanz einen Entwurf für einen (neuen) Gesamtbebauungsplan 2012 für das Gemeindegebiet von Frastanz. Dieser Entwurf wurde im Zeitraum vom 19. November 2012 bis einschließlich 19. Dezember 2012 zur allgemeinen Einsicht aufgelegt. In ihrer Sitzung vom 14. März 2013 beschloss die Gemeindevertretung der Marktgemeinde Frastanz die Erlassung des Gesamtbebauungsplans 2012 der Marktgemeinde Frastanz entsprechend dem am 7. November 2012 beschlossenen Entwurf. Mit Bescheid vom 23. Mai 2013 erteilte die Vorarlberger Landesregierung die aufsichtsbehördliche Genehmigung für den Gesamtbebauungsplan 2012 der Marktgemeinde Frastanz; die Kundmachung des Bebauungsplanes erfolgte durch Anschlag an der Amtstafel der Marktgemeinde Frastanz vom 10. Juni 2013 bis 15. Juli 2013. Jene Grundstücke, auf denen das von der beteiligten Partei geplante Einkaufszentrum errichtet werden soll, sind im Gesamtbebauungsplan 2012 der Marktgemeinde Frastanz als Bebauungszone BM 2 (ältere zentrumsnahe Siedlungsgebiete) ausgewiesen. In der Bebauungszone BM 2 sind die maximale Geschoßzahl mit 3, die maximale Baunutzungszahl (BNZ) mit 60 und die maximale mittlere Traufenhöhe mit 8,50 m festgelegt.

1.3.2.  Mit Spruchpunkt I. des Bescheides vom 29. Mai 2013 erteilte die Bezirkshauptmannschaft Feldkirch der beteiligten Partei die baurechtliche Bewilligung zur Errichtung eines Einkaufszentrums auf den Grundstücken Nr 630, 631, 668/1, 668/2, 668/3, 669 und 673, alle KG 92106 Frastanz I. Gegen diesen Bescheid erhoben unter anderem die im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof beschwerdeführenden Parteien Berufung an den Unabhängigen Verwaltungs-senat des Landes Vorarlberg. Mit Bescheid vom 20. November 2013 gab der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Vorarlberg der Berufung Folge und änderte den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Feldkirch vom 29. Mai 2013 dahingehend ab, dass der Antrag der beteiligten Partei auf Erteilung der baurechtlichen Bewilligung zur Errichtung eines Einkaufszentrums auf den oben genannten Grundstücken abgewiesen wurde. Begründend führte der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Vorarlberg im Wesentlichen aus, dass das beantragte Vorhaben dem (mittlerweile in Kraft getretenen) Gesamtbebauungs-plan 2012 der Marktgemeinde Frastanz widerspreche. Der Gesamtbebauungs-plan 2012 sehe eine maximale mittlere Traufenhöhe von 8,50 m vor, die mittlere Traufenhöhe des zur Baubewilligung beantragten Vorhabens betrage jedoch 9,55 m.

1.3.3.  Mit Bescheid vom 13. Dezember 2013 erteilte die Gemeindevertretung der Marktgemeinde Frastanz der beteiligten Partei gestützt auf §35 Abs2 und 3 Vbg. RPG eine Ausnahmebewilligung vom Gesamtbebauungsplan 2012 der Marktgemeinde Frastanz für die Grundstücke Nr 630, 631, 668/1, 668/2, 668/3, 669 und 673, alle KG 92106 Frastanz I. Abweichend von den Bestimmungen des Punktes 2.1. des Gesamtbebauungsplans 2012 der Marktgemeinde Frastanz darf die beteiligte Partei auf Grund des Ausnahmebewilligungsbescheides hinsichtlich der genannten Grundstücke die Höchstgeschoßzahl von 3 auf 4,5, die Baumassenzahl von 180 auf 505 sowie die maximale mittlere Gebäudehöhe beim Flach- und Pultdach von 8,50 m auf 9,37 m erhöhen.

Mit weiterem Bescheid vom 29. Juni 2015 erteilte der Gemeindevorstand der Marktgemeinde Frastanz der beteiligten Partei eine zusätzliche, auf §35 Abs2 Vbg. RPG gestützte Ausnahmebewilligung vom Gesamtbebauungsplan 2012 der Marktgemeinde Frastanz. Diesem Ausnahmebewilligungsbescheid zufolge darf abweichend von Punkt 2.1. des Gesamtbebauungsplans 2012 der Marktgemein-de Frastanz auf den Baugrundstücken die maximale mittlere Traufenhöhe von 8,50 m auf maximal 10,20 m erhöht werden.

1.3.4.  Mit Eingabe vom 7. Jänner 2014 beantragte die im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof beteiligte Partei neuerlich die Erteilung einer baurechtlichen Bewilligung zur Errichtung eines Einkaufszentrums auf den Grundstücken Nr 630, 631, 668/1, 668/2, 668/3, 669 und 673, alle KG 92106 Frastanz I. Mit Bescheid vom 21. Juli 2015 erteilte die Bezirkshauptmannschaft Feldkirch der beteiligten Partei – unter Vorschreibung einer Vielzahl von Nebenbestimmungen – die baurechtliche Bewilligung zur Errichtung eines Einkaufszentrums auf den genannten Grundstücken.

Gegen diesen Bescheid erhoben die im Ausgangsverfahren beschwerdeführenden Parteien fristgerecht Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht Vorarlberg.

1.3.5.  Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Landesverwaltungsgericht Vorarlberg die Beschwerde als unbegründet ab. Nach Darstellung des Verfahrensgangs, des Sachverhalts und der maßgeblichen Rechtsgrundlagen führte das Landesverwaltungsgericht in seiner rechtlichen Beurteilung aus, dass der angefochtene Bescheid die beschwerdeführenden Parteien nicht in ihrem Recht gemäß §4 Abs4 Vorarlberger Baugesetz, LGBl 52/2001 ("Vbg. BauG"), verletze, weil es durch das bewilligte Bauvorhaben zu keiner Gefährdung der Grundstücke der Beschwerdeführer durch Wasser, Abwasser und Oberflächenwasser komme. Auch führe der Betrieb des Einkaufszentrums – wie sich aus dem eingeholten lufthygienischen Gutachten ergebe – zu keiner Belästigung der Beschwerdeführer durch Gerüche. Die durch Verkehrsabgase zu erwartende Zusatzbelastung durch Kohlenmonoxid, Stickstoffoxide und Feinstaub sei hinsichtlich der lufthygienischen Wirkungskriterien als "irrelevant" einzustufen. Aus dem eingeholten lichttechnischen Gutachten sei ersichtlich, dass bei einer planmäßigen Ausführung keine Auswirkungen durch Blendwirkungen oder Beeinträchtigungen der Nachbarschaft durch Licht zu erwarten seien. Von einer das ortsübliche Ausmaß übersteigenden Belästigung oder Gefährdung iSd §8 Vbg. BauG durch Abgase, Staub, Geruch sowie Blend- und Spiegelwirkung durch Beleuchtung sei in Bezug auf die Beschwerdeführer nicht auszugehen. Auch habe das Ermittlungsverfahren ergeben, dass es zu keiner das ortsübliche Ausmaß übersteigenden Belästigung oder Gefährdung der Beschwerdeführer durch Lärm komme. Entgegen dem Beschwerdevorbringen sei das Bauvorhaben so projektiert, dass es die Vorschriften des Vorarlberger Baugesetzes über die Mindestabstände und Abstandsflächen einhalte.

Dem Beschwerdevorbringen, wonach das geplante Einkaufszentrum dem Gesamtbebauungsplan 2012 der Marktgemeinde Frastanz widerspreche, könne nicht gefolgt werden. Die Beschwerdeführer des Ausgangsverfahrens seien gemäß §26 Abs1 lite Vbg. BauG berechtigt, im Baubewilligungsverfahren einzuwenden, dass die Festlegungen des Bebauungsplans über die Baugrenze, die Baulinie und die Höhe des Bauwerks nicht eingehalten würden, weil das geplante Gebäude nicht mehr als zwanzig Meter von ihren Grundstücken entfernt sei. Hinsichtlich des von den Beschwerdeführern behaupteten Widerspruchs zum Gesamtbebauungsplan 2012 sei auf die gemäß §35 Vbg. RPG erteilten Ausnahmen zu verweisen, die nach Auffassung des Landesverwaltungsgerichtes Vorarlberg rechtmäßig erteilt worden seien. Den Beschwerdeführern des Ausgangsverfahrens komme kein Mitspracherecht betreffend die Einhaltung des Flächenwidmungsplans und die Ausnahmebewilligungen über die Baumassenzahl und die Geschosszahl zu. Im Übrigen habe das Ermittlungsverfahren ergeben, dass die Vorgaben des Gesamtbebauungsplanes in Verbindung mit den beiden Ausnahmebescheiden vom 13. Dezember 2013 und vom 29. Juni 2015 eingehalten wurden.

Anschließend führte das Landesverwaltungsgericht Vorarlberg aus, dass sich seit Erlassung des Bescheides des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Vorarlberg vom 20. November 2013 die Rechtslage (wesentlich) geändert habe, weshalb – entgegen dem Beschwerdevorbringen – keine entschiedene Rechtssache hinsichtlich des von der beteiligten Partei projektierten Bauvorhabens vorliege. Abschließend legte das Landesverwaltungsgericht Vorarlberg mit näherer Begründung dar, dass es gegen die präjudiziellen Verordnungen der Gemeindevertretung der Marktgemeinde Frastanz und gegen die Verordnung der Vorarlberger Landesregierung über die Zulässigkeit der Widmung einer besonderen Fläche für ein Einkaufszentrum in Frastanz, LGBl 47/2012, keine Bedenken hege.

1.4.    Bei der Behandlung der gegen diese Entscheidung gerichteten Beschwerde sind im Verfassungsgerichtshof zunächst Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit des §35 Abs2 Vorarlberger Raumplanungsgesetz, LGBl 39/1996, idF LGBl 43/1999, und idF LGBl 44/2013, sowie des §35 Abs3 Vorarlberger Raumplanungsgesetz, LGBl 39/1996, idF LGBl 28/2011, entstanden. Der Verfassungsgerichtshof hat daher am 28. Juni 2017 beschlossen, diese Gesetzesbestimmungen von Amts wegen auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfen.

Der Verfassungsgerichtshof legte seine Bedenken, die ihn zur Einleitung des Gesetzesprüfungsverfahrens bestimmten, in seinem Prüfungsbeschluss wie folgt dar:

" [...]

2.1. Mit Bescheid vom 13. Dezember 2013 erteilte die Gemeindevertretung der Marktgemeinde Frastanz der beteiligten Partei gemäß §35 Abs2 Vbg. RPG, LGBl 39/1996, idF LGBl 43/1999, und §35 Abs3 Vbg. RPG, LGBl 39/1996, idF LGBl 28/2011, eine Ausnahmebewilligung vom Gesamtbebauungsplan 2012 der Marktgemeinde Frastanz für die Grundstücke Nr 630, 631, 668/1, 668/2, 668/3, 669 und 673, alle KG 92106 Frastanz I. Abweichend von den Bestimmungen des Punktes 2.1. des Gesamtbebauungsplanes 2012 der Marktgemeinde Frastanz darf die beteiligte Partei auf Grund des angeführten Ausnahmebewilligungsbescheides hinsichtlich der genannten Grundstücke die Höchstgeschoßzahl von 3 auf 4,5, die Baumassenzahl von 180 auf 505 sowie die maximale mittlere Gebäu-dehöhe beim Flach- und Pultdach von 8,50 m auf 9,37 m erhöhen. Mit Bescheid vom 29. Juni 2015 erteilte der Gemeindevorstand der Marktgemeinde Frastanz der beteiligten Partei gemäß §35 Abs2 Vbg. RPG, LGBl 39/1996, idF LGBl 44/2013, eine weitere Ausnahmebewilligung vom Gesamtbebauungsplan 2012 der Marktgemeinde Frastanz für die Grundstücke Nr 630, 631, 668/1, 668/2, 668/3, 669 und 673, alle KG 92106 Frastanz I. Abweichend von den Bestimmungen des Punktes 2.1. des Gesamtbebauungsplanes 2012 der Marktgemeinde Frastanz darf die beteiligte Partei auf Grund dieses Ausnahmebewilligungsbescheides hinsichtlich der genannten Grundstücke die maximale mittlere Traufenhöhe von 8,50 m auf maximal 10,20 m erhöhen.

2.2. §35 Abs2 und 3 Vbg. RPG sehen vor, dass auf Antrag des Grundeigentümers entweder der Gemeindevorstand oder die Gemeindevertretung Ausnahmen vom Bebauungsplan erteilen können, soweit diese den Zielen des Bebauungsplanes, den in §2 Vbg. RPG genannten Raumplanungszielen, einem Landesraumplan und dem räumlichen Entwicklungskonzept nicht entgegenstehen. In einem derartigen Verfahren zur Erteilung einer Ausnahmebewilligung sind die Nachbarn vor Erteilung der Ausnahmebewilligung zu hören, sie verfügen in diesem Verfahren aber nach vorläufiger Auffassung des Verfassungsgerichtshofes über keine Parteistellung (vgl. auch VwGH 23.9.2010, 2010/06/0164).

Das Verfahren zur Erteilung einer auf §35 Vbg. RPG gestützten Ausnahmebewilligung ist ein separat vom Baubewilligungsverfahren zu führendes Einparteienverfahren, das insoweit mit einem Verfahren zur Erlassung eines die Bebauungsgrundlagen festlegenden Bescheides vergleichbar ist. Auch in einem solchen Verfahren haben die Nachbarn keine Parteistellung.

Der Verwaltungsgerichtshof vertritt in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, dass ein die Bebauungsgrundlagen festlegender Bescheid gegenüber den Nachbarn keine Bindungswirkung entfaltet, sofern sie im entsprechenden Verfahren keine Parteistellung hatten. Der Nachbar kann daher erst im Bauverfahren Einwendungen hinsichtlich der schon im Bebauungsgrundlagenbescheid festgelegten Bebauungsgrundlagen erheben, soweit er nach der jeweiligen Bauordnung insofern subjektive Rechte besitzt (vgl. VwGH 22.1.1998, 97/06/0255; 23.2.2001, 99/06/0080; 20.6.2002, 2000/06/0085).

Diese Überlegung scheint nach vorläufiger Auffassung des Verfassungsgerichts-hofes auch auf eine gemäß §35 Vbg. RPG erteilte Ausnahmebewilligung über-tragbar, zumal Nachbarn gemäß §26 Abs1 lite Vbg. BauG im Bauverfahren die Einhaltung der Festlegungen des Bebauungsplanes über die Baugrenze, die Baulinie und die Höhe des Bauwerks geltend machen können, soweit das Bau-werk nicht mehr als 20 Meter von ihrem Grundstück entfernt ist. Das Landes-verwaltungsgericht Vorarlberg war daher auf Grund der Einwendungen der beschwerdeführenden Parteien in seinem Verfahren – nicht nur innerhalb der den Nachbarn im Baubewilligungsverfahren zukommenden subjektiv-öffentlichen Rechte – zur Prüfung verpflichtet, ob die beiden gemäß §35 Vbg. RPG erteilten Ausnahmebewilligungen vom Gesamtbebauungsplan 2012 zu Recht erteilt worden waren. Bei der Prüfung, ob die Ausnahmen zu Recht erteilt wurden, hätte das Landesverwaltungsgericht Vorarlberg somit §35 Vbg. RPG anzuwenden gehabt. Aus diesem Grund dürfte diese Bestimmung auch im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof präjudiziell sein.

2.3. Der Verfassungsgerichtshof hat das Bedenken, dass §35 Abs2 Vbg. RPG idF LGBl 43/1999 und §35 Abs3 Vbg. RPG idF LGBl 28/2011 gegen den Gleichheitssatz verstoßen könnten:

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes setzt der Gleichheitssatz dem Gesetzgeber insofern inhaltliche Schranken, als er verbietet, unsachliche, durch tatsächliche Unterschiede nicht begründbare Differenzierungen und eine unsachliche Gleichbehandlung von Ungleichem (vgl. VfSlg 17.315/2004, 17.500/2005) sowie sachlich nicht begründbare Regelungen zu schaffen (vgl. VfSlg 14.039/1995, 16.407/2001; VfGH 2.7.2016, G235/2015). Innerhalb dieser Schranken ist es dem Gesetzgeber jedoch von Verfassungs wegen nicht verwehrt, seine politischen Zielvorstellungen auf die ihm geeignet erscheinende Art zu verfolgen (vgl. VfSlg 13.576/1993, 13.743/1994, 15.737/2000, 16.504/2002).

§35 Abs2 Vbg. RPG ermächtigt den Gemeindevorstand auf Antrag des Grundeigentümers Ausnahmen von einem Bebauungsplan (einer Verordnung über das Maß der baulichen Nutzung, einer Verordnung über die Art der Bebauung, einer Verordnung über den Wohnungsflächenanteil, einer Verordnung über das Höchstausmaß der Geschoßfläche für Ferienwohnungen und einer Verordnung über die Mindest- und Höchstzahl von Einstell- und Abstellplätzen) zu bewilligen. Für die Erteilung einer derartigen Bewilligung ist nach §35 Abs3 leg.cit. die Gemeindevertretung zuständig, wenn die Ausnahme ein näher festgelegtes Ausmaß überschreitet. Aus einer Zusammenschau dieser beiden Absätze ergibt sich, dass die Erteilung einer derartigen Ausnahmebewilligung keiner Beschränkung unterliegen dürfte, womit es der Gemeindevertretung – gestützt auf §35 Abs3 Vbg. RPG – nach vorläufiger Auffassung des Verfassungsgerichtshofes möglich sein dürfte, Ausnahmen von den erwähnten Verordnungen in beliebigem Umfang zu erteilen.

Diese – nicht nur auf geringfügige Abweichungen von den Verordnungen eingeschränkte – Berechtigung ist nach vorläufiger Auffassung des Verfassungsgerichtshofes sachlich nicht gerechtfertigt: Die Erlassung oder Änderung eines Bebauungsplanes folgt einem in §§29 ff. Vbg. RPG genau festgelegten Verfahren, in dem es einer öffentliche Auflage des Entwurfes, Möglichkeiten zur Stellungnahme für betroffene Personen, einer entsprechenden Grundlagenforschung und Interessenabwägung und – jedenfalls – einer aufsichtsbehördlichen Genehmigung durch die Landesregierung bedarf. Selbiges gilt gemäß §36 Vbg. RPG auch für die Verordnungen gemäß §§31 bis 34 Vbg. RPG, von denen gemäß §35 leg.cit. eine entsprechende Ausnahmebewilligung erteilt werden kann. Die Erteilung der aufsichtsbehördlichen Genehmigung durch die Landesregierung ist eine Voraussetzung für die Wirksamkeit des Bebauungsplanes bzw. der übrigen erwähnten Verordnungen.

§35 Vbg. RPG sieht lediglich ein Anhörungsrecht der Nachbarn vor, enthält darüber hinaus aber keine mit §§28 ff. Vbg. RPG vergleichbaren verfahrensrechtlichen Bestimmungen. Insbesondere bedarf es weder einer Grundlagenforschung noch der Vornahme einer entsprechenden Interessenabwägung. Ferner ist auch nicht vorgesehen, dass ein Ausnahmebescheid gemäß §35 Vbg. RPG einer aufsichtsbehördlichen Genehmigung der Landesregierung bedarf.

Der Verfassungsgerichtshof vermag vorläufig keine sachliche Rechtfertigung zu erkennen, aus welchem Grund die Erteilung weitreichender Ausnahmen von einem Bebauungsplan oder von sonstigen Verordnungen gemäß §§31 bis 34 Vbg. RPG, wie sie §35 leg.cit. ermöglicht, nicht der Einhaltung vergleichbarer Verfahrensregelungen bedarf wie die Erlassung der Verordnungen selbst, zumal die ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes im Raumplanungs-recht die Bedeutung der Einhaltung verfahrensrechtlicher Regelungen bei der Erlassung von Raumplänen betont (vgl. zB VfSlg 11.029/1986, 14.698/1996, 18.596/2008, 19.344/2011).

Hinzu tritt, dass ein Bebauungsplan gemäß §30 Abs1 Vbg. RPG nur aus wichtigen Gründen geändert werden darf und er bei Änderung der maßgeblichen Rechtslage oder bei einer wesentlichen Änderung der für eine zweckmäßige Bebauung bedeutsamen Verhältnisse zu ändern ist. Es wird daher im Zuge des Gesetzesprüfungsverfahrens zu klären sein, ob eine auf §35 Abs2 und 3 Vbg. RPG gestützte Ausnahme von einem Bebauungsplan gleichfalls nur aus wichtigen Gründen im Sinne des §30 Abs1 Vbg. RPG zulässig ist.

Im Rahmen des Gesetzesprüfungsverfahrens wird überdies zu klären sein, ob die hiemit in Prüfung gezogenen Bestimmungen des §35 Abs2 und 3 Vbg. RPG – entgegen der vorläufigen Annahme des Verfassungsgerichtshofes – so auszulegen sind, dass der Gemeindevorstand oder die Gemeindevertretung im Hinblick auf die in §35 Abs2 Vbg. RPG genannten Zielsetzungen und den systematischen Zusammenhang dieser beiden Absätze Ausnahmen nicht im beliebigen Umfang von einem Bebauungsplan oder den Vorgaben einer anderen der in §35 Abs2 leg.cit. genannten Verordnungen bewilligen dürfen.

2.4. Der Verfassungsgerichtshof geht daher vorläufig davon aus, dass der Vorarlberger Landesgesetzgeber den ihm zukommenden rechtspolitischen Gestaltungsspielraum insoweit überschritten hat und §35 Abs2 Vbg. RPG idF LGBl 43/1999 und §35 Abs3 Vbg. RPG idF LGBl 28/2011 verfassungswidrig sein dürften. Da §35 Abs2 Vbg. RPG mit der Novelle LGBl 44/2013 durch die Einfügung der Worte 'mit Bescheid' nur geringfügig geändert wurde, dürften die eben dargelegten Bedenken auch auf §35 Abs2 leg.cit. idF LGBl 44/2013 zutreffen.

[…]."

1.5.    Bei der Behandlung der gegen die oben dargestellte Entscheidung des Landesverwaltungsgerichtes Vorarlberg gerichteten Beschwerde sind im Verfassungsgerichtshof ferner Bedenken ob der Gesetzmäßigkeit der folgenden Verordnungen entstanden:

Flächenwidmungsplan der Marktgemeinde Frastanz in der von der Gemeindevertretung der Marktgemeinde Frastanz am 7. Februar 2012 beschlossenen Fassung, aufsichtsbehördlich mit Bescheid der Vorarlberger Landesregierung vom 13. März 2012 genehmigt und durch Anschlag an der Amtstafel der Marktgemeinde Frastanz vom 4. April 2012 bis 3. Mai 2012 kundgemacht, und in der von der Gemeindevertretung der Marktgemeinde Frastanz am 26. September 2012 beschlossenen Fassung, aufsichtsbehördlich mit Bescheid der Vorarlberger Landesregierung vom 18. Oktober 2012 genehmigt und durch Anschlag an der Amtstafel der Marktgemeinde Frastanz vom 21. November 2012 bis 2. Jänner 2013 kundgemacht, soweit sich der Flächenwidmungsplan auf die Grundstücke Nr 630, 631, 668/1, 668/2, 668/3, 669 und 673, alle KG 92106 Frastanz I, bezieht.

Verordnung der Gemeindevertretung der Marktgemeinde Frastanz über die Erlassung des neuen Gesamtbebauungsplans 2012 für Frastanz, beschlossen von der Gemeindevertretung der Marktgemeinde Frastanz am 14. März 2013, aufsichtsbehördlich genehmigt mit Bescheid der Vorarlberger Landesregierung vom 23. Mai 2013, kundgemacht durch Anschlag an der Amtstafel der Marktgemein-de Frastanz von 10. Juni 2013 bis 15. Juli 2013, soweit sich die Verordnung auf die Grundstücke Nr 630, 631, 668/1, 668/2, 668/3, 669 und 673, alle KG 92106 Frastanz I, bezieht.

Der Verfassungsgerichtshof beschloss daher am 28. Juni 2017, diese Verordnungen von Amts wegen auf ihre Gesetzmäßigkeit zu prüfen.

Der Verfassungsgerichtshof legte seine Bedenken, die ihn zur Einleitung der Verordnungsprüfungsverfahren bestimmt haben, in seinem Prüfungsbeschluss wie folgt dar:

"[…]

3.1.1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes kommt der Einhaltung der Vorschriften des Raumplanungsrechts, welche das Verfahren zur Erlassung eines Raumplanes regeln, zentrale Bedeutung zu (vgl. zB VfSlg 11.029/1986, 14.698/1996, 18.596/2008, 19.344/2011); insbesondere stellt das Unterlassen der Verständigung der betroffenen Grundeigentümer einen wesentlichen Mangel des Verfahrens zur Erlassung eines Flächenwidmungsplanes dar, weil die Verständigung das Mitspracherecht der von der Planung betroffenen Grundeigentümer sicherstellt (vgl. VfSlg 12.785/1991, 16.991/2003). Hält der Verordnungsgeber die vom Gesetzgeber vorgegebene Vorgehensweise zur Erlassung der Verordnung nicht ein, ist eine solche Verordnung als gesetzwidrig aufzuheben.

3.1.2. Mit der am 7. Februar 2012 von der Gemeindevertretung der Marktgemeinde Frastanz beschlossenen Änderung des Flächenwidmungsplanes der Marktgemeinde Frastanz wurde eine Teilfläche im Umfang von ca. 119 m² des Grundstückes Nr 668/1, KG 92106 Frastanz I, von 'Freiland' in 'Baufläche-Mischgebiet' umgewidmet, um auf dieser Fläche die Errichtung eines Lkw-Umkehrplatzes zu ermöglichen. (Die in weiterer Folge vorgenommene, am 26. September 2012 von der Gemeindevertretung der Marktgemeinde Frastanz beschlossene Änderung des Flächenwidmungsplanes bezieht sich nicht auf diese Teilfläche.)

§23 Abs3 Vbg. RPG sieht grundsätzlich vor, dass auch bei der Änderung des Flächenwidmungsplanes eine Auflage des Planentwurfes zu erfolgen hat. Eine derartige Planauflage ist nur dann nicht erforderlich, 'wenn die Eigentümer von Grundstücken, auf die sich die Änderung des Flächenwidmungsplanes bezieht, und von anrainenden Grundstücken vor der Beschlussfassung nachweislich über die beabsichtigte Änderung verständigt werden und ihnen eine angemessene Frist zur Stellungnahme eingeräumt wird.'

Aus den vorgelegten Verordnungsakten ergibt sich hinsichtlich der am 7. Februar 2012 von der Gemeindevertretung der Marktgemeinde Frastanz beschlossenen Änderung des Flächenwidmungsplanes der Marktgemeinde Frastanz folgendes Bild: Mit Eingabe vom 19. Dezember 2011 regte die beteiligte Partei bei der Marktgemeinde Frastanz an, die in Rede stehende Fläche von 'Freifläche-Freihaltegebiet' in 'Straßenfläche' oder 'Baufläche-Mischgebiet' umzuwidmen. In seiner Sitzung vom 26. Jänner 2012 beschloss der Planungsausschuss der Marktgemeinde Frastanz der Gemeindevertretung die Umwidmung von ca. 119 m² auf dem Grundstück Nr 668/1, KG 92106 Frastanz I, zu empfehlen. In ihrer Sitzung vom 7. Februar 2012 beschloss die Gemeindevertretung der Marktgemeinde Frastanz die entsprechende Änderung des Flächenwidmungsplanes, welche – nach Erteilung der aufsichtsbehördlichen Genehmigung – vom 4. April 2012 bis 3. Mai 2012 durch Anschlag an der Amtstafel der Marktgemeinde Frastanz kundgemacht wurde. Aus den dem Verfassungsgerichtshof von der Marktgemeinde Frastanz vorgelegten Verordnungsakten ist weder zu erkennen, dass eine Planauflage hinsichtlich der geplanten Änderungen erfolgt ist, noch dass die Eigentümer anrainender Grundstücke von der beabsichtigten Änderung verständigt wurden. Aus diesem Grund geht der Verfassungsgerichtshof vorläufig davon aus, dass die am 7. Februar 2012 von der Gemeindevertretung der Marktgemeinde Frastanz beschlossene Änderung des Flächenwidmungsplanes der Marktgemeinde Frastanz nicht entsprechend den verfahrensrechtlichen Vorgaben des §23 Abs3 Vbg. RPG erfolgt ist und daher gesetzwidrig sein dürfte.

3.1.3. Nichts anderes dürfte hinsichtlich der am 26. September 2012 von der Gemeindevertretung der Marktgemeinde Frastanz beschlossenen Änderung des Flächenwidmungsplanes gelten:

Auch hinsichtlich dieser Änderung des Flächenwidmungsplanes der Marktgemeinde Frastanz finden sich in den Verordnungsakten keine Verständigungen der Eigentümer der anrainenden Grundstücke oder Hinweise auf eine vor der Beschlussfassung erfolgte Planauflage, weshalb der Verfassungsgerichtshof vorläufig davon ausgeht, dass auch die am 26. September 2012 von der Gemeindevertretung der Marktgemeinde Frastanz beschlossene Änderung des Flächenwidmungsplanes der Marktgemeinde Frastanz entgegen den Vorgaben des §23 Abs3 Vbg. RPG zustande gekommen sein dürfte.

3.1.4. Der Verfassungsgerichtshof hat zur Rechtslage nach dem Vorarlberger Raumplanungsgesetz bereits festgehalten, dass auch ein Verstoß der Kundmachung eines Flächenwidmungsplanes gegen die Vorgaben der Verordnung der Vorarlberger Landesregierung über die Form der Flächenwidmungs- und Bebauungspläne, LGBl 50/1996 ('Planzeichenverordnung'), die im vorliegenden Fall in der Fassung LGBl 49/2011 maßgeblich ist, zur Rechtswidrigkeit des Flächenwidmungsplanes führt (VfSlg 19.890/2014).

Der Verfassungsgerichtshof geht vorläufig davon aus, dass sowohl die am 7. Februar 2012 als auch die am 29. September 2012 beschlossenen Änderungen des Flächenwidmungsplanes der Marktgemeinde Frastanz diesen Anforderungen in mehrfacher Hinsicht nicht entsprechen:

3.1.4.1. In der vom 4. April 2012 bis 3. Mai 2012 erfolgten Kundmachung der am 7. Februar 2012 von der Gemeindevertretung der Marktgemeinde Frastanz beschlossenen Änderung des Flächenwidmungsplanes der Marktgemeinde Frastanz wird unter Punkt 1. die 'Umwidmung einer Teilfläche der GST-NR 668/1 aus GB 92106 Frastanz I von Freifläche Freihaltegebiet in Baufläche Mischgebiet' verordnet. Die Kundmachung verweist weiters auf eine planliche Darstellung der Änderung des Flächenwidmungsplanes, die 'einen wesentlichen Bestandteil dieser Verordnung bildet'. Ferner wird in der Kundmachung darauf hingewiesen, dass die planliche Darstellung im Marktgemeindeamt Frastanz (Bauamt) während der Amtsstunden zur allgemeinen Einsicht aufgelegt ist. Der Verfassungsgerichtshof geht vorläufig davon aus, dass sich die Kundmachung auf die im Verordnungsakt befindliche planliche Darstellung bezieht.

Auch eine Änderung des Flächenwidmungsplanes hat gemäß §4 Planzeichenverordnung die in §2 Abs3 Planzeichenverordnung aufgelisteten Angaben zu enthalten.

Diesem Erfordernis dürfte die in dem dem Verfassungsgerichtshof vorgelegten Verordnungsakt befindliche planliche Darstellung der am 7. Februar 2012 von der Gemeindevertretung der Marktgemeinde Frastanz beschlossenen Änderung des Flächenwidmungsplanes der Marktgemeinde Frastanz nicht entsprechen. Dieser mangelt es nach vorläufiger Auffassung des Verfassungsgerichtshofes an dem Vermerk des Datums des Beschlusses der Gemeindevertretung, der Unterschrift des Bürgermeisters mit Gemeindesiegel und dem Genehmigungsvermerk der Landesregierung.

3.1.4.2. Die vom 21. November 2012 bis 2. Jänner 2013 erfolgte Kundmachung der am 26. September 2012 von der Gemeindevertretung der Marktgemeinde Frastanz beschlossenen Änderung des Flächenwidmungsplanes der Marktgemeinde Frastanz verweist ebenfalls auf eine 'planliche Darstellung der Änderung des Flächenwidmungsplanes, welche einen wesentlichen Bestandteil [der] Verordnung bildet'. Auch in dieser Kundmachung wird darauf hingewiesen, dass die planliche Darstellung im Marktgemeindeamt Frastanz (Bauamt) während der Amtsstunden zur allgemeinen Einsicht aufgelegt ist. Der Verfassungsgerichtshof geht vorläufig davon aus, dass es sich bei dieser planlichen Darstellung um jene Darstellung handelt, welche sich in dem dem Verfassungsgerichtshof vorgelegten Verordnungsakt befindet. Diese Darstellung dürfte auch nicht alle Anforderungen des §2 Abs3 Planzeichenverordnung erfüllen, weil diese keinen Vermerk des Datums des Beschlusses der Gemeindevertretung, keine Unterschrift des Bürgermeisters mit Gemeindesiegel und keinen Genehmigungsvermerk der Landes-regierung aufweist.

3.1.4.3. Der Verfassungsgerichtshof geht daher vorläufig davon aus, dass die Plandarstellungen, auf die sich nach vorläufiger Auffassung des Verfassungsgerichtshofes die vom 4. April 2012 bis 3. Mai 2012 (betreffend den Beschluss vom 7. Februar 2012 über die Änderung des Flächenwidmungsplanes) und vom 21. November 2012 bis 2. Jänner 2013 (betreffend den Beschluss vom 26. September 2012 über die Änderung des Flächenwidmungsplanes) erfolgten Kundmachungen beziehen, nicht den Vorgaben des §2 Abs3 Planzeichenverordnung entsprechen, weshalb die am 7. Februar 2012 und am 26. September 2012 beschlossenen Änderungen des Flächenwidmungsplanes der Marktgemeinde Frastanz auch aus diesem Grund gesetzwidrig sein dürften.

3.2. Zu den Bedenken hinsichtlich des Gesamtbebauungsplanes 2012 der Marktgemeinde Frastanz:

3.2.1. Wie bereits ausgeführt (vgl. oben Punkt 2.2. der Erwägungen), hatte das Landesverwaltungsgericht Vorarlberg auch zu beurteilen, ob die auf §35 Vbg. RPG gestützten Bewilligungen von Ausnahmen vom Gesamtbebauungsplan 2012 der Marktgemeinde Frastanz zu Recht erteilt wurden. Bei dieser Beurteilung hatte das Landesverwaltungsgericht Vorarlberg jedenfalls auch den Gesamtbebauungsplan 2012 der Marktgemeinde Frastanz anzuwenden, weshalb dieser im vorliegenden Fall präjudizell sein dürfte.

3.2.2. Der Verfassungsgerichtshof geht vorläufig davon aus, dass bei Zutreffen der Bedenken gegen den Flächenwidmungsplan der Marktgemeinde Frastanz der Gesamtbebauungsplan 2012 der Marktgemeinde Frastanz, soweit sich dieser auf die Grundstücke Nr 630, 631, 668/1, 668/2, 668/3, 669 und 673, alle KG 92106 Frastanz I, bezieht, gesetzwidrig sein könnte: Gemäß §18 Abs1 Vbg. RPG sind alle Flächen, die nicht als Bauflächen, Bauerwartungsflächen oder Verkehrsflächen gewidmet sind, Freiflächen. Dies träfe infolge einer etwaigen Aufhebung des Flächenwidmungsplanes der Marktgemeinde Frastanz im oben dargelegten Umfang durch den Verfassungsgerichtshof nach vorläufiger Auffassung des Verfassungsgerichtshofes auf die Grundstücke Nr 630, 631 und 669 sowie auf Teilflächen der Grundstücke Nr 668/1, 668/2, 668/3 und 673, alle KG 92106 Frastanz I, zu. Die Errichtung von Gebäuden auf als Freifläche gewidmeten Flächen ist nur innerhalb der engen Grenzen des §18 Abs3 bis 5 Vbg. RPG zulässig. Eben diesen Festlegungen scheint der Gesamtbebauungsplan 2012, soweit er sich auf die genannten Grundstücke bezieht, nicht zu entsprechen.

Der Verfassungsgerichtshof geht daher vorläufig davon aus, dass der Gesamtbebauungsplan 2012 der Marktgemeinde Frastanz, soweit er sich auf die Grundstücke Nr 630, 631, 668/1, 668/2, 668/3, 669 und 673, alle KG 92106 Frastanz I, bezieht, gesetzwidrig sein dürfte.

[…]."

2.       Die Vorarlberger Landesregierung erstattete eine Äußerung, in der sie den im Prüfungsbeschluss dargelegten Bedenken wie folgt entgegentritt (ohne die Hervorhebungen im Original):

"[…]

I. Zu den Bedenken des Verfassungsgerichtshofes die Verfassungsmäßigkeit des §35 Abs2 und 3 RPG betreffend

I.1. Die Bedenken des Verfassungsgerichtshofes gründen sich darauf, dass sich aus der Zusammenschau von §35 Abs2 und 3 RPG ergibt, dass die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung keiner Beschränkung unterliegen dürfte, womit es der Gemeindevertretung — gestützt auf §35 Abs3 RPG — nach vorläufiger Auffassung des Verfassungsgerichtshofes möglich sein dürfte, Ausnahmen von den erwähnten Verordnungen in beliebigem Umfang zu erteilen. Diese — nicht nur auf geringfügige Abweichungen von den Verordnungen eingeschränkte — Berechtigung ist nach vorläufiger Auffassung des Verfassungsgerichtshofes sachlich nicht gerechtfertigt.

Die Erlassung bzw. Änderung eines Bebauungsplanes unterliegt einem in §§29 ff RPG genau festgelegten Verfahren. §35 RPG sieht dagegen lediglich ein Anhörungsrecht der Nachbarn vor und enthält darüber hinaus keine mit dem Änderungsverfahren vergleichbaren verfahrensrechtlichen Bestimmungen. Insbesondere bedarf es weder einer Grundlagenforschung noch der Vornahme einer entsprechenden Interessenabwägung. Auch eine aufsichtsbehördliche Genehmigung ist nicht vorgesehen.

Der Verfassungsgerichtshof vermag vorläufig keine sachliche Rechtfertigung zu erkennen, aus welchem Grund die Erteilung weitreichender Ausnahmen nicht der Einhaltung vergleichbarer Verfahrensregelungen bedarf wie die Erlassung der Verordnung selbst, zumal die ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes im Raumplanungsrecht die Bedeutung der Einhaltung verfahrensrechtlicher Regelungen bei der Erlassung von Raumplänen betont.

Hinzu tritt, dass ein Bebauungsplan gemäß §30 Abs1 RPG nur aus wichtigen Gründen geändert werden darf. Nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofes wird im Zuge des Gesetzesprüfungsverfahrens daher zu klären sein, ob eine auf §35 Abs2 und 3 RPG gestützte Ausnahme von einem Bebauungsplan gleichfalls nur aus wichtigen Gründen iSd §30 Abs1 RPG zulässig ist. Überdies wird zu klären sein, ob §35 Abs2 und 3 RPG — entgegen der vorläufigen Annahme des Verfassungsgerichtshofes — so auszulegen ist, dass im Hinblick auf die in §35 Abs2 genannten Zielsetzungen Ausnahmen nicht im beliebigen Umfang bewilligt werden dürfen.

I.2. Vorauszuschicken ist, dass die gesetzlich vorgesehene Möglichkeit einer Aus-nahmebewilligung — bei ausreichender Determinierung und Wahrung sonstiger besonderer verfassungsrechtlicher Schranken — verfassungsrechtlich grundsätzlich unbedenklich ist. Wie der Verfassungsgerichtshof zu §19 Abs1 des Salzburger Raumordnungsgesetzes 1968 ausführt (vgl. VfSlg 6550/1971), 'widerspricht es weder dem Rechtsstaatsprinzip noch einer sonstigen Vorschrift der Verfassung, wenn es ein Gesetz ermöglicht, daß durch Bescheid Ausnahmen von einem gesetzlichen Gebot oder Verbot bewilligt werden. Selbstverständlich ist der Gesetzgeber dabei gebunden, das Verhalten der den Ausnahmebescheid erlassenden Behörde zu determinieren (Art18 Abs1 B-VG) bzw. — wenn er die Ausnahmeerteilung dem Ermessen der Behörde überlässt — den Sinn, in dem das Ermessen zu handhaben ist, dem Gesetz entnehmbar zu machen (Art130 Abs2 B-VG); außerdem ist der Gesetzgeber gebunden, den Gleichheitssatz zu beachten. Der Gesetzgeber ist aber durch keine Vorschrift der Verfassung gebunden, die Regelung etwa so zutreffen, dass die Wirksamkeit des gesetzlichen Gebotes oder Verbotes durch die Bewilligung von Ausnahmen in einem bestimmten Umfang unberührt bleiben muß.' Diese Ausführungen gelten in gleicher Weise auch für die gesetzlich vorgesehene Ausnahmemöglichkeit von Bestimmungen einer Verordnung (vgl. dazu auch Aichlreiter, Österreichisches Verordnungsrecht, Bd. 2 [1988], S. 1195 ff.).

Die Möglichkeit, Ausnahmen von Landesraumplänen, Flächenwidmungsplänen und Bebauungsplänen zu bewilligen, wurde im Raumplanungsgesetz durch die Novelle LGBl Nr 34/1996 eingeführt.

Der §31c Abs2 RPG idF LGBl Nr 34/1996 lautete wie folgt:

'(2) Der Gemeindevorstand kann auf Antrag des Grundeigentümers Ausnahmen von den Bestimmungen der §§26 und 30 bis 31b bewilligen, wenn sie den im §2 genannten Raumplanungszielen, einem Landesraumplan und dem räumlichen Entwicklungskonzept nicht entgegenstehen. Vor Erteilung der Bewilligung sind die Nachbarn (§2 liti des Baugesetzes) zu hören.'

Die Erläuternden Bemerkungen zu §31c RPG idF LGBl Nr 34/1996 (RV Beilage 8/1996 des XXVI. Vorarlberger Landtages) führen zur Möglichkeit der Bewilligung von Ausnahmen von Bebauungsplänen Folgendes aus:

'Vergleichbar der Regelung für Landesraumpläne und Flächenwidmungspläne sollen auch für die Bebauungsvorschriften (Bebauungspläne nach §26 oder Einzelfestlegungen nach den §§30 bis 31b) für einzelne Vorhaben Ausnahmen erteilt werden können. Kriterien dieser Ausnahmebewilligung als planliche Ermessensentscheidung sind die im §2 genannten Raumplanungsziele, allfällige überörtliche Festlegungen in einem Landesraumplan und die Vorgaben des räumlichen Entwicklungskonzeptes, wenn die Gemeinde ein solches erlassen hat. Diese für die Praxis bedeutsame Regelung trägt dem Verfassungsgerichtshoferkenntnis vom 2.3.1992, VfSlg 13.009/1992, Rechnung. Im erwähnten Erkenntnis hat der Verfassungsgerichtshof eine in der Verordnung (Bebauungsplan) normierte Ausnahmemöglichkeit für die Baubehörde für gesetzwidrig erkannt, weil eine entsprechende gesetzliche Grundlage für eine solche Verordnungsbestimmung nicht vorgelegen hat. Hinsichtlich der Auswirkungen der Ausnahmebewilligung auf die Zulässigkeit von Bauvorhaben wird auf die Erläuterungen zu §20 Abs2 verwiesen. Für das Verfahren sowie hinsichtlich der Anhörung der Nachbarn gelten die Bestimmungen der Verwaltungsverfahrensgesetze. Den Nachbarn ist ein Stellungnahmerecht eingeräumt, sie haben jedoch keine Parteistellung.'

Durch die Raumplanungsgesetznovelle LGBl Nr 43/1999 wurde der nunmehrige §35 Abs2 RPG novelliert und ausdrücklich festgelegt, dass die Ausnahmebewilligung im behördlichen Ermessen liegt. Dies stellte eine Reaktion auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 15.10.1998, Zl. 98/06/0083, dar, wonach die Erteilung einer Ausnahmebewilligung bei Vorliegen der tatbestandsmäßigen Voraussetzungen nicht im Ermessen der Behörde liege, sondern ein Rechtsanspruch auf Erteilung der Ausnahmebewilligung bestehe.

Da dieses Erkenntnis dem Willen des Gesetzgebers widersprach, der die Bewilligung von Ausnahmen von Landesraumplänen, Flächenwidmungsplänen sowie von Bebauungsvorschriften als 'planliche Ermessensentscheidung' konstruieren wollte (vgl. RV Beilage 8/1996 des XXVI. Vorarlberger Landtages, S. 28), wurde der §35 Abs2 RPG wie folgt geändert:

'(2) Der Gemeindevorstand kann auf Antrag des Grundeigentümers Ausnahmen von auf der Grundlage der §§28 und 31 bis 34 ergangenen Verordnungen bewilligen, wenn sie den Zielen der von den Ausnahmen betroffenen Verordnungen, den im §2 genannten Raumplanungszielen, einem Landesraumplan und dem räumlichen Entwicklungskonzept nicht entgegenstehen. Die Bewilligung liegt im behördlichen Ermessen. Vor Erteilung der Bewilligung sind die Nachbarn (§2 Baugesetz) zu hören.'

Im allgemeinen Teil der Erläuternden Bemerkungen zur Raumplanungsgesetznovelle LGBl Nr 43/1999 (SA Beilage 32/1999 des XXVI. Vorarlberger Landtages) ist festgehalten, dass Ausnahmen (nach §35 Abs2 RPG) nur dann am Platz sind, wenn besondere, von der Partei angeführte oder aus ihrem Vorbringen im Zusammenhang mit der jeweils gegebenen Situation erkennbare, raumplanungsrechtlich relevante Gründe dafür sprechen. In den Erläuternden Bemerkungen ist zu §35 Abs2 RPG Folgendes ausgeführt:

'Wie die Bewilligung von Ausnahmen vom Flächenwidmungsplan soll auch die Bewilligung von Ausnahmen von Bebauungsvorschriften (Bebauungspläne nach §28 oder Einzelfestlegungen nach den §§31 bis 34) im planerischen Ermessen der Behörde liegen (s. unter ,Allgemeines' des Antrages). Kriterien für die Ermessensentscheidung sind nicht nur die im §2 genannten Raumplanungsziele und Vorgaben aus einem Landesraumplan oder einem räumlichen Entwicklungskonzept, sondern auch die konkreten Ziele der von der Ausnahme betroffenen Verordnung (also z.B. die durch einen Bebauungsplan geschützten Interessen des Landschafts- und Ortsbildes).'

Durch die Raumplanungsgesetznovelle LGBl Nr 28/2011 wurde schließlich folgender §35 Abs3 RPG eingefügt:

'(3) Für die Bewilligung von Ausnahmen ist abweichend von Abs2 die Ge-meindevertretung zuständig, wenn eine Ausnahme folgendes Ausmaß überschreitet:

a) bei Festlegungen des Maßes der baulichen Nutzung im Sinne des §31 Abs2 lita, b oder c: 25 % der Bemessungszahl;

b) jede Erhöhung der festgelegten Zahl der oberirdischen Geschosse (§31 Abs2 litd), ausgenommen ein zusätzliches Geschoss bei Hanglage;

c) bei Festlegung des Wohnungsflächenanteils im Verhältnis zu anderen Nutzungen: 25 % des Wohnungsflächenanteils;

d) bei Festlegung einer Baulinie oder einer Baugrenze: 25% des jeweiligen Abstandes zwischen der Baulinie oder der Baugrenze und der Nachbargrenze; oder

e) bei Festlegung der Höhe des Bauwerks: 25% der Höhe.'

In den Erläuternden Bemerkungen zu §35 Abs3 RPG (RV Beilage 32/2011 des XXIX. Vorarlberger Landtages) wird dazu u.a. ausgeführt:

'Festzuhalten ist, dass sowohl der Gemeindevorstand als auch die Gemeindevertretung eine Ausnahme immer nur dann bewilligen dürfen, wenn die Voraussetzungen nach §35 Abs2 RPG erfüllt sind.'

I.3. Aus dem oben Gesagten folgt, dass eine Ausnahmebewilligung gemäß §35 Abs2 und 3 RPG nur aufgrund eines Antrages des Grundeigentümers für ein bestimmtes Bauvorhaben erteilt werden kann; das zusätzliche Vorliegen eines wichtigen Grundes iSd §30 Abs1 RPG ist anders als für eine Änderung des Bebauungsplanes dagegen nicht erforderlich. Ohne Vorliegen eines entsprechenden Antrages ist die Erteilung einer Ausnahmebewilligung von Vornherein ausgeschlossen.

Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten