RS Vfgh 2017/12/1 G135/2017, V83/2017 ua (V83-84/2017)

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Veröffentlicht am 01.12.2017
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Index

L8000 Raumordnung

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art18 Abs2
B-VG Art140 Abs1 / Präjudizialität
Vlbg RaumplanungsG 1996 §15, §18, §28, §35 Abs2, Abs3
Flächenwidmungsplan der Marktgemeinde Frastanz idF vom 07.02.2012 und vom 26.09.2012
Gesamtbebauungsplan 2012 der Marktgemeinde Frastanz vom 14.03.2013
Vlbg PlanzeichenV, LGBl 50/1996 idF LGBl 49/2011 §2 Abs3

Leitsatz

Keine Verfassungswidrigkeit der Regelungen des Vlbg Raumplanungsgesetzes 1996 über die Bewilligung von Ausnahmen vom Bebauungsplan; unterschiedliche verfahrensrechtliche Bestimmungen zur Änderung des Bebauungsplanes und zur Erlassung einer Ausnahmebewilligung sachlich gerechtfertigt; Gesetzwidrigkeit von Änderungen des Flächenwidmungsplanes der Marktgemeinde Frastanz hinsichtlich der Umwidmung bestimmter Grundstücke für ein Einkaufszentrum mangels Verständigung der betroffenen Grundeigentümer und wegen Widerspruchs der planlichen Darstellung zu den Vorgaben der Planzeichenverordnung; kein Aufleben früherer Widmungen; Aufhebung des Gesamtbebauungsplanes 2012 im selben Umfang mangels bestehender Flächenwidmung

Rechtssatz

Zulässigkeit des von Amts wegen eingeleiteten Verfahrens zur Prüfung des §35 Abs2 Vlbg RaumplanungsG (Vlbg RPG) idF LGBl 43/1999 und LGBl 44/2013 sowie des §35 Abs3 Vlbg RPG idF LGBl 28/2011.

Da den Nachbarn im Verfahren gemäß §35 Vlbg RPG keine Parteistellung zukommt, ist die Frage der Rechtmäßigkeit einer Ausnahmebewilligung gemäß §35 Vlbg RPG im Baubewilligungsverfahren zu prüfen. Das Landesverwaltungsgericht Vorarlberg, das eine entsprechende Prüfung in dem im Anlassfall angefochtenen Erkenntnis unterließ, hätte daher §35 Vlbg RPG in seinem Verfahren anwenden müssen. Diese Bestimmung ist somit präjudiziell.

Präjudizialität auch des Flächenwidmungsplanes der Marktgemeinde Frastanz in der von der Gemeindevertretung am 07.02.2012 und am 26.09.2012 beschlossenen Änderung, soweit er sich auf die Grundstücke Nr 630, 631, 668/1, 668/2, 668/3, 669 und 673, alle KG 92106 Frastanz I, bezieht.

Die in Prüfung gezogenen gesetzlichen Bestimmungen sind einer verfassungskonformen Interpretation zugänglich. Die in §35 Abs2 Vlbg RPG genannten Zielsetzungen (kein Widerspruch zu den Zielen der von den Ausnahmen betroffenen Verordnungen, zu den in §2 RPG genannten Raumplanungszielen, zu einem Landesraumplan und zum räumlichen Entwicklungskonzept) erlauben nicht im beliebigen Umfang eine auf §35 Vlbg RPG gestützte Ausnahme vom Bebauungsplan. Insbesondere die Beachtung der Ziele jener Verordnung, von der die Ausnahme erteilt werden soll, schließt es nämlich aus, eine solche Ausnahme ohne irgendeine qualitative oder quantitative Einschränkung zu erlassen. An die in §35 Abs2 Vlbg RPG genannten Einschränkungen ist auch die Gemeindevertretung bei der Erlassung einer auf §35 Abs3 leg.cit. gestützten Ausnahmebewilligung gebunden, weil Abs3 dieser Bestimmung insofern auf Abs2 verweist. Der Vorarlberger Landesgesetzgeber hat somit den ihm zukommenden rechtspolitischen Gestaltungsspielraum nicht überschritten.

Unterschiedliche Zielsetzungen eines Änderungsverfahrens für einen Bebauungsplan und des Verfahrens zur Erteilung einer Ausnahmebewilligung.

Während ein Bebauungsplan in der Regel nicht bloß für eines bzw einige wenige Grundstücke Bebauungsvorschriften festlegt, kann sich eine Ausnahmebewilligung gemäß §35 Vlbg RPG nur auf ein Grundstück oder einige wenige Grundstücke beziehen, zumal die Erteilung einer Ausnahmebewilligung nach §35 Vlbg RPG einen Antrag des Grundeigentümers erfordert. Im Vorfeld der Erteilung einer Ausnahmebewilligung nach §35 Vlbg RPG hat auch eine "Grundlagenforschung" zu erfolgen, um feststellen zu können, ob die Erteilung einer Ausnahmebewilligung im Hinblick auf die Notwendigkeit der Einhaltung der in §35 Abs2 Vlbg RPG genannten Zielsetzungen zulässig ist. Im Hinblick darauf, dass die Nachbarn im Verfahren über ein Anhörungsrecht verfügen, hat sich die Behörde auch mit etwaigen Stellungnahmen der Nachbarn amtswegig zu befassen und ihre Entscheidung unter Beachtung dieser Stellungnahmen entsprechend zu begründen.

Die unterschiedlichen verfahrensrechtlichen Bestimmungen zur Änderung eines Bebauungsplanes und zur Erlassung einer Ausnahmebewilligung gemäß §35 Vlbg RPG sind sachlich gerechtfertigt.

Aufhebung der am 07.02.2012 beschlossenen Änderung des Flächenwidmungsplanes der Marktgemeinde Frastanz betr eine Teilfläche des Grundstücks Nr 668/1, KG 92106 Frastanz I, (zusätzliche Umwidmung einer Grundfläche von "Freifläche-Freihaltegebiet" in "Baufläche-Mischgebiet" zur Errichtung eines Lkw-Wendeplatzes).

Es erfolgte keine Auflage des Planentwurfes, die Eigentümer von anrainenden Grundstücken wurden vor der Beschlussfassung nicht nachweislich über die beabsichtigte Änderung verständigt.

Jene planliche Darstellung, die einen Teil der am 07.02.2012 von der Gemeindevertretung der Marktgemeinde Frastanz beschlossenen Änderung des Flächenwidmungsplanes bildet, entspricht aus den im Prüfungsbeschluss dargelegten Gründen (Fehlen des Vermerks des Datums des Beschlusses der Gemeindevertretung, der Unterschrift des Bürgermeisters mit Gemeindesiegel und dem Genehmigungsvermerk der Landesregierung) nicht den Vorgaben des §2 Abs3 der PlanzeichenV. Die in Prüfung gezogene Verordnung ist daher auch aus diesem Grund gesetzwidrig.

Aufhebung auch der am 26.09.2012 beschlossenen Änderung des Flächenwidmungsplanes der Marktgemeinde Frastanz hinsichtlich der Umwidmung bestimmter Grundstücke von "Baufläche-Mischgebiet" in "Baufläche Mischgebiet Einkaufszentrum E 3 (...)".

Die Kundmachung der Änderung verweist auf eine "planliche Darstellung der Änderung des Flächenwidmungsplanes, welche einen wesentlichen Bestandteil [der] Verordnung bildet." Der VfGH bleibt bei seiner im Prüfungsbeschluss geäußerten Ansicht, dass es sich hiebei um jene Darstellung handelt, welche sich in dem dem VfGH vorgelegten Verordnungsakt befindet. Diese Darstellung entspricht nicht allen Anforderungen des §2 Abs3 der PlanzeichenV, weil sie keinen Vermerk des Datums des Beschlusses der Gemeindevertretung, keine Unterschrift des Bürgermeisters und keinen Genehmigungsvermerk der Landesregierung aufweist.

Im Vorfeld der Beschlussfassung erfolgte überdies weder eine Planauflage noch eine Verständigung der Eigentümer der von der Änderung umfassten Grundstücke oder von Eigentümern anrainender Grundstücke.

Kein Wiederaufleben frührere Verordnungsbestimmungen. Die Widmung "Baufläche-Mischgebiet" tritt daher nicht wieder in Kraft. Die Widmung als Freifläche-Freihaltegebiet iSd §18 Vlbg RPG setzt den Willen der Gemeinde voraus, durch Nichtwidmung der Fläche diese Widmungskategorie herbeizuführen. Die Aufhebung von Teilen des Flächenwidmungsplanes der Marktgemeinde Frastanz führt daher dazu, dass für diese Flächen überhaupt keine Widmungs- und Nutzungsart festgelegt ist.

Gemäß §28 Abs2 Vlbg RPG darf der Bebauungsplan dem Flächenwidmungsplan nicht widersprechen. Das Bestehen einer Flächenwidmung ist Voraussetzung für die Erlassung eines Bebauungsplanes, um dessen Übereinstimmung mit dem Flächenwidmungsplan beurteilen zu können. Da durch die Aufhebung des Flächenwidmungsplanes der Marktgemeinde Frastanz hinsichtlich der Grundstücke Nr 630, 631, 668/1, 668/2, 668/3, 669 und 673, alle KG 92106 Frastanz I, keine Flächenwidmung mehr besteht, ist auch der Gesamtbebauungsplan 2012 der Marktgemeinde Frastanz, soweit er sich auf diese Grundstücke bezieht, gesetzwidrig.

(Anlassfall E1232/2016, E v 04.12.2017, Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses).

Entscheidungstexte

Schlagworte

Baurecht, Raumordnung, Flächenwidmungsplan, Bebauungsplan, Ausnahmebewilligung, Einkaufszentren, Nachbarrechte, Auslegung verfassungskonforme, Verordnungserlassung, Verordnung Kundmachung, VfGH / Präjudizialität, VfGH / Aufhebung Wirkung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2017:G135.2017

Zuletzt aktualisiert am

21.03.2019
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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