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60/04 Arbeitsrecht allgemein;Norm
ASVG §42 Abs3;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Knell und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Novak, Dr. Sulyok und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hackl, über die Beschwerde der T GmbH in V, vertreten durch Dr. Maximilian Hofmaninger, Rechtsanwalt in 4840 Vöcklabruck, Stadtplatz 11, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Oberösterreich vom 4. Jänner 1995, Zl. SV(SanR)-290/8-1994-Ho/Ha, betreffend Beitragsnachverrechnung (mitbeteiligte Partei: Oberösterreichische Gebietskrankenkasse, Gruberstraße 77, 4021 Linz), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Die beschwerdeführende Partei hat dem Bund (Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen) Aufwendungen in der Höhe von S 3.035,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid vom 18. Jänner 1994 verpflichtete die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse die beschwerdeführende Gesellschaft unter Berufung auf die einen Bestandteil des Bescheides bildende Beitragsrechnung vom selben Tag allgemeine Beiträge von S 403.430,70, Sonderbeiträge von S 29.807,-- sowie einen Beitragszuschlag von S 62.700,-- zu bezahlen. Nach der Begründung sei bei der Beitragsprüfung am 25. November 1993 festgestellt worden, dass Pflichtversicherte nicht, unrichtig oder mit einem zu niedrigen Entgelt zur Sozialversicherung gemeldet gewesen seien. Die Namen der Pflichtversicherten und die entsprechenden Zeiträume seien auf der beiliegenden Beitragsrechnung ausgewiesen. Da Meldebestimmungen nicht beachtet worden seien, hätte auch ein Beitragszuschlag vorgeschrieben werden müssen.
Die beschwerdeführende Gesellschaft erhob Einspruch. Sie bestritt im Wesentlichen die gesamte Nachforderung, da diese nicht den tatsächlichen Gegebenheiten des Betriebes entspreche und die Beitragsgrundlagen vom Prüfer unter Hinweis auf andere Betriebe angesetzt worden seien.
Mit dem angefochtenen Bescheid wurde dem Einspruch keine Folge gegeben und der Bescheid der Behörde erster Instanz bestätigt.
Nach der Begründung habe die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse in ihrer Stellungnahme zum Einspruch darauf hingewiesen, dass der Betrieb der beschwerdeführenden Gesellschaft an sieben Tagen in der Woche, jeweils von 11.30 Uhr bis 14.30 Uhr und von 17.30 Uhr bis 23.30 Uhr geöffnet sei; dies ergebe eine wöchentliche Öffnungszeit von 63 Stunden. Am 1. Jänner 1992 sei ein Zweitbetrieb in B. mit den gleichen Betriebszeiten eröffnet worden. In den Lohnkonten der beschwerdeführenden Gesellschaft seien folgende Arbeitszeiten der Dienstnehmer ausgewiesen: 4 Personen mit 40 Stunden wöchentlich, eine Person mit 30 Stunden wöchentlich, 2 Personen mit 25 Stunden wöchentlich, eine Person mit 24 Stunden wöchentlich sowie 2 Personen mit 20 Stunden wöchentlich. Arbeitszeitaufzeichnungen seien nicht geführt worden. Das zuständige Arbeitsinspektorat habe Anfang 1992 die Geschäftsführerin auf die Arbeitszeitaufzeichnungspflicht aufmerksam gemacht, ohne jedoch einen Erfolg zu erzielen; ein Strafverfahren sei anhängig. Bei Kontrollen des Arbeitsinspektorates sei festgestellt worden, dass unter Berücksichtigung von Vorbereitungs- und Aufräumarbeiten die Dienstnehmer weit über die Normalarbeitszeit hinaus beschäftigt würden. Ein Versuch der mitbeteiligten Sozialversicherungsanstalt, mit der Geschäftsführerin in einer Niederschrift die tatsächlichen Arbeitszeiten der Dienstnehmer festzulegen, sei daran gescheitert, dass diese nicht bereit gewesen sei, über die Einsatzzeiten der Dienstnehmer Auskunft zu erteilen. Dies könne auch durch die anwesende Lohnverrechnerin bestätigt werden. Ein Versuch, mit einem der Dienstnehmer die Einsatzzeiten zu ermitteln, sei an Sprachschwierigkeiten gescheitert. Der Betrieb sei vom Prüfer dreimal in der Mittagszeit aufgesucht worden, wobei jedesmal sämtliche Dienstnehmer eingesetzt gewesen seien. Eine Ermittlung beim zuständigen Arbeitsamt betreffend die erteilten Arbeitsbewilligungen habe ergeben, dass für alle Dienstnehmer eine vorgesehene wöchentliche Arbeitszeit von 40 Stunden angegeben worden sei. Auf Grund dieser Feststellungen sei das gebührende Entgelt daher von der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse gemäß § 42 Abs. 3 ASVG ermittelt worden. Dabei sei von einer durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitszeit von 70 Stunden ausgegangen worden (Öffnungszeit: 63 Stunden sowie 7 Stunden Vorbereitungs- und Abschlussarbeiten). Zur Aufrechterhaltung eines Betriebes seien - ohne Berücksichtigung von Urlaub, Feiertagen und Krankenstand - mindestens drei Personen erforderlich. Dies führe zu folgender Berechnungsformel:
70 Stunden x 3 Personen x 2 Betriebe = 420 Stunden. Würde dieser Wert durch 10 Personen geteilt, so ergebe sich eine durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit eines Dienstnehmers von 42 Stunden. Da Arbeitszeitaufzeichnungen gefehlt hätten, seien als Basis für die Ermittlung der durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitszeit eines Dienstnehmers die Öffnungszeiten des Betriebes herangezogen worden.
Dagegen habe die beschwerdeführende Gesellschaft mit Schreiben vom 1. Juli 1994 im Wesentlichen eingewendet, Arbeitszeitaufzeichnungen seien lediglich nach den Bestimmungen des Arbeitszeitgesetzes zu führen. Der Versicherungsträger sei nicht berechtigt, in diese Einsicht zu nehmen. Ein allfälliges Fehlen solcher Aufzeichnungen berechtige daher den Versicherungsträger grundsätzlich nicht, die für das Versicherungsverhältnis maßgebenden Umstände im Schätzungswege festzustellen. Das Ermittlungsverfahren sei auch mangelhaft geführt worden, da die von der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse angewendete Formel nicht berücksichtige, dass zwei Betriebe erst seit 1. Jänner 1992 existierten. Im Übrigen seien die in den Lohnkonten angeführten Beschäftigungszeiten der Arbeitnehmer richtig.
Darauf habe die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse in einer Stellungnahme vom 17. August 1994 erwidert, dass von der beschwerdeführenden Gesellschaft keine Arbeitszeitaufzeichnungen geführt worden seien. Solche Aufzeichnungen seien eine unbedingte Voraussetzung für die Feststellung des gebührenden Entgelts. Die sonstigen vorhandenen Unterlagen der beschwerdeführenden Gesellschaft hätten dazu nicht ausgereicht. Wenn die beschwerdeführende Gesellschaft behaupte, das Ermittlungsverfahren sei mangelhaft geführt worden, weil zwei Betriebe erst seit 1. Jänner 1992 existierten und die Gebietskrankenkasse die Beiträge für den gesamten Zeitraum nach der gleichen Formel ermittelt habe, so sei darauf zu verweisen, dass für die Zeit, in der die beschwerdeführende Gesellschaft nur einen Betrieb geführt habe, die Berechnung auch nur mit der Hälfte der Dienstnehmer erfolgt sei. Gehe man nur von einem Betrieb aus, so ergebe sich nach der von der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse angewendeten Formel eine Arbeitszeit von 210 Stunden (70 Stunden x 3 Personen x einen Betrieb). Werde diese Stundenanzahl durch 5 Personen (ein Betrieb) geteilt, so ergebe sich wiederum eine durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit eines Dienstnehmers von 42 Stunden. Am Arbeitsaufwand ändere sich nichts, unabhängig davon, ob ein Betrieb vorliege oder zwei Betriebe.
Die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse habe ihrer Stellungnahme auch die Berechnungsbögen des Kassenprüfers beigelegt, aus denen die Anzahl der jeweils beschäftigten Dienstnehmer sowie die Einzelheiten der Berechnung ersichtlich gewesen seien. Diese Unterlagen seien der beschwerdeführenden Gesellschaft im Rahmen des Parteiengehörs übermittelt worden.
Diese habe in einer Stellungnahme vom 21. November 1994 im Wesentlichen die Auffassung vertreten, die Sozialversicherungsbeiträge seien vom bezogenen Entgelt zu bemessen. Diese Grundlagen seien der Gebietskrankenkasse zur Verfügung gestanden. Eine Äußerung zu den Berechnungsbögen sei nicht erfolgt.
In der weiteren Folge ihrer Begründung widersprach die belangte Behörde der Auffassung der beschwerdeführenden Gesellschaft, Lohnkonten und sonstige Geschäftsaufzeichnungen genügten zur Feststellung des gebührenden Entgelts. Dies sei nur dann der Fall, wenn die Arbeitszeiten bekannt seien. Für die Bemessung der Beiträge sei nämlich nicht lediglich das im Beitragszeitraum an den pflichtversicherten Dienstnehmer tatsächlich gezahlte Entgelt maßgebend, sondern jenes Entgelt, auf dessen Bezahlung bei Fälligkeit des Beitrages ein Rechtsanspruch bestehe. Der beschwerdeführenden Gesellschaft könne auch nicht gefolgt werden, wenn sie die Auffassung vertrete, dass der Versicherungsträger nicht berechtigt sei, Einsicht in Arbeitszeitaufzeichnungen zu nehmen, zu deren Führung der Arbeitgeber nach den Bestimmungen des Arbeitszeitgesetzes verpflichtet sei. Mangels entsprechender Aufzeichnungen erweise sich die vorliegende Nachverrechnung - ebenso wie die vorangegangene Schätzung - als richtig.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wird.
Auch die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse hat in ihrer Gegenschrift die Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
In der Beschwerde wird zunächst die Auffassung vertreten, alleine das Fehlen von Arbeitszeitaufzeichnungen berechtige noch nicht zur Schätzung. Es stehe nicht einmal fest, dass die übrigen zur Verfügung gestellten Unterlagen, insbesondere Lohnkonten, Geschäftsbücher und sonstige Aufzeichnungen, nicht ausgereicht hätten, um alle Daten für die Versicherungsverhältnisse festzustellen. Ferner hätte auch die Möglichkeit bestanden, die Dienstnehmer über die geleisteten Arbeitszeiten zu befragen. Bei sprachlichen Schwierigkeiten hätte ein Dolmetscher beigezogen werden müssen.
Entgegen der Beschwerdeauffassung ist der Versicherungsträger gemäß § 42 Abs. 3 ASVG berechtigt, die für die Beurteilung der für das Versicherungsverhältnis maßgebenden Umstände auf Grund anderer Ermittlungen oder unter Heranziehung der Daten anderer Versicherungsverhältnisse bei demselben Dienstgeber sowie von Daten gleichartiger oder ähnlicher Betriebe festzustellen, wenn die vom Dienstgeber zur Verfügung gestellten Unterlagen für die Beurteilung dieser Umstände nicht ausreichen.
Nach den unbestrittenen Feststellungen der belangten Behörde war die beschwerdeführende Gesellschaft nicht in der Lage, dem Prüfer der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse Aufzeichnungen über die von ihren Dienstnehmern tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden vorzulegen, obgleich sie gemäß § 26 Abs. 1 des Arbeitszeitgesetzes verpflichtet ist, solche Aufzeichnungen zu führen. Bei dieser Sachlage durfte aber die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse von ihrem Recht zur Schätzung im Sinne des § 42 Abs. 3 ASVG Gebrauch machen (vgl. dazu etwa das Erkenntnis vom 22. Jänner 1991, Zl. 89/08/0279). Es ist nicht rechtswidrig, wenn die mitbeteiligte Partei zu diesem Zweck von den Öffnungszeiten des Betriebes sowie den Daten ähnlicher Betriebe ausgegangen ist, zumal das Gesetz eine solche Vorgangsweise ausdrücklich gestattet. Dass die sonstigen, von der beschwerdeführenden Gesellschaft zur Verfügung gestellten Unterlagen zur Feststellung des gemäß § 49 Abs. 1 ASVG gebührenden Entgeltes nicht geeignet waren, hat die belangte Behörde in der Begründung ihres Bescheides schlüssig dargelegt. Eine Verpflichtung, vor einer Schätzung jedenfalls auch die Dienstnehmer über die geleisteten Arbeitszeiten zu befragen, besteht deshalb nicht, weil die Behörde keine Verpflichtung trifft, zum Zwecke der Rekonstruktion von Aufzeichnungen, die vom Dienstgeber rechtswidrigerweise nicht geführt wurden, ein Ermittlungsverfahren durchzuführen. Das Gesetz erlaubt vielmehr, bei Fehlen solcher Unterlagen sogleich mit Schätzung vorzugehen. Die in diesem Zusammenhang behauptete Verletzung von Verfahrensvorschriften ist daher nicht gegeben.
Wenn die beschwerdeführende Gesellschaft rügt, der Begründung des angefochtenen Bescheides sei nicht zu entnehmen, wie das Ergebnis der Nachverrechnung entstanden sei, insbesondere auf welcher Berechnungsgrundlage die vorgeschriebenen Beiträge ermittelt worden seien, so wird auch damit keine vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifende Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides aufgezeigt. Denn die belangte Behörde durfte auf eine detaillierte Wiedergabe der genauen Rechenvorgänge, die zu der der Beschwerdeführerin vorgeschriebenen Beitragslast geführt haben, schon deshalb verzichten, weil diese im Verwaltungsverfahren die ihr übermittelten Berechnungsbögen hinsichtlich ihrer Richtigkeit nicht durch ein konkretes Vorbringen bestritten hat. Für die belangte Behörde bestand daher im angefochtenen Bescheid keinerlei Veranlassung, sich mit diesbezüglichen Einwänden auseinander zu setzen (vgl. z.B. das Erkenntnis vom 18. Juni 1991, Zl. 90/08/0209).
Auf Grund dieser Erwägungen war die vorliegende Beschwerde daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Die Kostenentscheidung gründet sich im Rahmen des gestellten Begehrens auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 21. Juni 2000
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2000:1995080050.X00Im RIS seit
20.11.2000