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32/02 Steuern vom Einkommen und ErtragNorm
B-VG Art144 Abs1 / AnlassfallLeitsatz
Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses im AnlassfallSpruch
I. Die Beschwerdeführerin ist durch das angefochtene Erkenntnis wegen Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung in ihren Rechten verletzt worden.
Das Erkenntnis wird aufgehoben.
II. Der Bund (Bundesminister für Finanzen) ist schuldig, der Beschwerdeführerin zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.856,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
1. Am 2. März 2017 reichte die Beschwerdeführerin (als Erbin nach dem verstorbenen Steuerpflichtigen) über Aufforderung des Finanzamtes St. Johann Tamsweg Zell am See (berichtigte) Einkommensteuererklärungen für die Jahre 2012 bis 2014 ein und stellte unter einem einen Antrag auf Regelbesteuerung gemäß §30a Abs2 EStG 1988. Im Zusammenhang mit der Besteuerung der Substanzgewinne aus privaten Grundstücksveräußerungen machte die Beschwerdeführerin Kredit- bzw. Beratungskosten in bestimmter Höhe für diese Jahre als Werbungskosten geltend.
1.1. Nach Wiederaufnahme des Verfahrens für das Jahr 2012 wurde die Beschwerdeführerin mit Bescheiden des zuständigen Finanzamtes vom 7. April 2017 für die Jahre 2012 bis 2014 zur Einkommensteuer veranlagt, wobei die im Zusammenhang mit den Grundstücksveräußerungen stehenden, geltend gemachten Werbungskosten nicht anerkannt wurden. Die von der Beschwerdeführerin beantragte Regelbesteuerungsoption (§30a Abs2 EStG 1988) wurde nicht berücksichtigt und die Besteuerung der Einkünfte nach dem besonderen Steuersatz nach §30a Abs1 EStG 1988 vorgenommen.
1.2. Mit Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes vom 31. Oktober 2017 wurde die dagegen erhobene Beschwerde gemäß §279 BAO als unbegründet abgewiesen sowie ausgesprochen, dass die Einkommensteuerbescheide 2012 bis 2014 zu Recht bestünden und eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art133 Abs4 B-VG nicht zulässig sei. Begründend führt das Bundesfinanzgericht im Wesentlichen aus, dass die – von der Beschwerdeführerin als verfassungswidrig erachtete – Bestimmung des §20 Abs2 EStG 1988 idF BGBl I 22/2012 (1. Stabilitätsgesetz 2012) für den Streitzeitraum in Geltung stehe. Auf Grund der Bindung an das in Art18 Abs1 B-VG verankerte Legalitätsprinzip habe das Bundesfinanzgericht das in §20 Abs2 EStG 1988 vorgesehene Abzugsverbot – selbst für den Fall seiner Verfassungswidrigkeit – im Beschwerdefall anzuwenden.
1.3. In der dagegen erhobenen, auf Art144 B-VG gestützten Beschwerde wird die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten sowie in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes (§20 Abs2 EStG 1988) behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt.
2. Der Verfassungsgerichtshof hat über die – zulässige – Beschwerde erwogen:
2.1. Der Verfassungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 30. November 2017, G183/2017, die Wortfolge "oder §30a Abs1" in §20 Abs2 EStG 1988 idF BGBl I 22/2012 als verfassungswidrig aufgehoben.
2.2. Gemäß Art140 Abs7 B-VG wirkt die Aufhebung eines Gesetzes auf den Anlassfall zurück. Es ist daher hinsichtlich des Anlassfalles so vorzugehen, als ob die als verfassungswidrig erkannte Norm bereits zum Zeitpunkt der Verwirklichung des der angefochtenen Entscheidung des Verwaltungsgerichtes zugrunde gelegten Tatbestandes nicht mehr der Rechtsordnung angehört hätte.
Dem in Art140 Abs7 B-VG genannten Anlassfall (im engeren Sinn), anlässlich dessen das Gesetzesprüfungsverfahren tatsächlich eingeleitet worden ist, sind all jene Beschwerdefälle gleichzuhalten, die zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im Gesetzesprüfungsverfahren (bei Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung zu Beginn der nichtöffentlichen Beratung) beim Verfassungsgerichtshof bereits anhängig waren (VfSlg 10.616/1985, 11.711/1988). Im – hier allerdings nicht gegebenen – Fall einer Beschwerde gegen eine Entscheidung eines Verwaltungsgerichtes, der ein auf Antrag eingeleitetes Verwaltungsverfahren vorausgegangen ist, muss dieser verfahrenseinleitende Antrag überdies vor Bekanntmachung des dem unter Pkt. 2.1. genannten Erkenntnis zugrunde liegenden Prüfungsbeschlusses des Verfassungsgerichtshofes eingebracht worden sein (VfSlg 17.687/2005).
2.3. Die nichtöffentliche Beratung im Gesetzesprüfungsverfahren begann am 30. November 2017. Die vorliegende Beschwerde ist beim Verfassungsgerichtshof am 15. November 2017 eingelangt, war also zu Beginn der nichtöffentlichen Beratung schon anhängig; der ihr zugrunde liegende Fall ist somit einem Anlassfall gleichzuhalten.
Das Bundesfinanzgericht wendete bei Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses die als verfassungswidrig aufgehobene Gesetzesbestimmung an. Es ist nach Lage des Falles offenkundig, dass diese Gesetzesanwendung für die Rechtsstellung der Beschwerdeführerin nachteilig war. Die Beschwerdeführerin wurde somit wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt.
Das Erkenntnis ist daher aufzuheben.
3. Diese Entscheidung konnte ohne weiteres Verfahren (§19 Abs3 Z4 VfGG) und ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung (§19 Abs4 VfGG) getroffen werden.
4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 240,– enthalten. Die als "ERV-Einzugsgebühr" geltend gemachten Kosten iHv € 4,20 sind schon deshalb nicht zuzusprechen, weil diese bereits mit dem Pauschalsatz abgegolten sind (vgl. zB VfGH 9.12.2014, B751/2013).
5. Damit erübrigt sich ein Abspruch über den Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.
Schlagworte
VfGH / AnlassfallEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2017:E3939.2017Zuletzt aktualisiert am
05.01.2018