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20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB);Norm
ABGB §268;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn und die Hofräte Dr. Mairinger und Mag. Straßegger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Kratschmayr, über die Revision der D J in I, vertreten durch Mag. Christine Schneider, Rechtsanwältin in 6020 Innsbruck, Maria-Theresien-Straße 38, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes vom 7. August 2015, Zl. RV/3100195/2015, betreffend Familienbeihilfe (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Finanzamt Innsbruck), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Den Antrag der Revisionswerberin vom 10. Oktober 2013 auf (Weiter-) gewährung der Familienbeihilfe und des Erhöhungsbetrages für sich selbst ab 1. September 2013 wegen erheblicher Behinderung wies das Finanzamt Innsbruck mit Bescheid vom 17. Oktober 2013 mit der Begründung ab, dass laut Gutachten des Bundessozialamtes vom 4. September 2013 die dauernde Erwerbsunfähigkeit nicht vor Vollendung des 21. Lebensjahres eingetreten sei. Ein Anspruch auf Familienbeihilfe und in weiterer Folge auf erhöhte Familienbeihilfe bestehe deshalb nicht.
2 Mit Beschluss des BG Innsbruck vom 2. Mai 2014 wurde für die Revisionswerberin gemäß § 268 ABGB eine Sachwalterin bestellt. Der Wirkungskreis umfasst unter anderem die Vertretung der Revisionswerberin vor Ämtern, Gerichten, Behörden und Sozialversicherungsträgern.
3 Einen neuerlichen von der Sachwalterin gestellten Antrag vom 2. Juni 2014 wies Finanzamt unter Hinweis auf den Abweisungsbescheid vom 17. Oktober 2013 mit der gleichen Begründung ab dem Zeitraum September 2013 mit Bescheid vom 23. September 2014 wiederum ab.
4 Die dagegen erhobene Bescheidbeschwerde vom 21. Oktober 2014 wies das Finanzamt mit Berufungsvorentscheidung vom 4. Dezember 2014 als unbegründet ab.
5 Auf Grund des daraufhin gestellten Vorlageantrages änderte das Bundesfinanzgericht mit dem angefochtenen Erkenntnis den Bescheid des Finanzamtes vom 23. September 2014 dahingehend ab, dass der am 2. Juni 2014 beim Finanzamt eingelangte Antrag auf Zuerkennung der Familienbeihilfe und Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe als unzulässig zurückgewiesen wird. Weiters sprach das Gericht aus, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig sei.
6 Begründend wurde ausgeführt, dass der Bescheid des Finanzamtes vom 17. Oktober 2013 unangefochten in Rechtskraft erwachsen und seither eine Änderung der rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse nicht eingetreten sei, weshalb in ein und derselben Sache die Abgabenbehörde bereits einmal rechtskräftig entschieden habe und der Antrag vom 2. Juni 2014 wegen res iudicata zurückzuweisen gewesen sei.
7 Die dagegen erhobene außerordentliche Revision legte das Bundesfinanzgericht unter Anschluss der Akten des Verfahrens dem Verwaltungsgerichtshof vor.
8 Der Verwaltungsgerichtshof leitete das Vorverfahren ein (§ 36 VwGG); das Finanzamt Innsbruck brachte eine Revisionsbeantwortung mit dem Antrag ein, die Revision kostenpflichtig abzuweisen.
9 Die Revisionswerberin erachtet sich u.a. im Recht auf inhaltliche Entscheidung über ihre Beschwerde verletzt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
10 Gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
11 Gemäß § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes nicht gebunden und hat er die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
12 Die Revisionswerberin trägt zur Zulässigkeit ihrer Revision vor, entgegen näher zitierter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sei das Bundesfinanzgericht von einer res judicata ausgegangen, wenngleich die Revisionswerberin zum Zeitpunkt ihrer Antragstellung bereits handlungsbzw geschäftsunfähig gewesen sei und der "Vorbescheid" damit gar keine Wirkung habe entfalten können.
13 Die Revision ist zulässig und berechtigt.
14 Gemäß § 79 BAO gelten für die Rechts- und Handlungsfähigkeit die Bestimmungen des bürgerlichen Rechtes. Demnach sind Prozesshandlungen eines nicht Prozessfähigen unwirksam. Bescheidzustellungen an Prozessunfähige sind unwirksam (vgl. Ritz, BAO6, Tz 19 zu § 79, mwN). Für die Frage der Wirksamkeit einer Zustellung kommt es darauf an, ob der Empfänger handlungsfähig war, und nicht darauf, ob für ihn bereits ein Sachwalter bestellt worden ist (vgl. VwGH 27.2.2006, 2004/05/0326 bis 0331).
15 Die Revisionswerber wandte - wie sich aus den vorgelegten Akten ergibt - in der Verhandlung vor dem Bundesfinanzgericht (AS 79) bei der Erörterung der Frage, ob über den gleichen Antrag bereits mit Bescheid vom 17. Oktober 2013 abgesprochen wurde und damit res iudicata vorliege, ein, dass "bei Eintritt der Rechtskraft des Bescheides die Voraussetzungen für ein Besachwalterung bereits vorgelegen hätten und es nur auf den psychischen und geistigen Zustand der Beschwerdeführerin zurückzuführen ist, dass dagegen kein Rechtsmittel ergriffen worden ist." Dieses Vorbringen kann vernünftiger Weise nur dahingehend verstanden werden, dass der genannte Bescheid nicht in Rechtskraft habe erwachsen können, weil es der Revisionswerberin bereits im Zeitpunkt der Zustellung des Bescheides an der Prozessfähigkeit gefehlt habe. Damit liegt aber auch - entgegen dem Vorbringen in der Revisionsbeantwortung und worauf auch das fehlende Vorbringen im Verfahrenshilfeantrag hindeutete - keine unzulässige Neuerung vor dem Verwaltungsgerichtshof (§ 41 VwGG) vor.
16 Daher hätte sich das Bundesfinanzgericht mit dem Einwand der Revisionswerberin auseinandersetzen und Feststellungen darüber treffen müssen, ob es der Revisionswerberin bereits bei der Zustellung des Bescheides vom 17. Oktober 2013 an der Prozessfähigkeit mangelte. Dadurch, dass dies unterblieb, wurde das angefochtene Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet. Dieses war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
17 Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-AufwErsV.
Wien, am 21. November 2017
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2017:RA2015160099.L00Im RIS seit
05.01.2018Zuletzt aktualisiert am
15.02.2018