Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M***** GmbH, *****, vertreten durch Kreissl & Pichler & Walther Rechtsanwälte GmbH in Liezen, gegen die beklagte Partei M***** GmbH, *****, vertreten durch Mag. Franz Doppelhofer, Rechtsanwalt in Graz-Seiersberg, wegen 9.800 EUR sA über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Leoben als Berufungsgericht vom 3. August 2017, GZ 1 R 118/17w-16, womit über Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichts Liezen vom 12. April 2017, GZ 18 C 52/16b-12, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Beklagte ist Gesellschafterin der klagenden Partei. Die klagende Partei wurde mit Gesellschaftsvertrag vom 17. 11. 2015 gegründet. Der Gesellschaftsvertrag enthält unter anderem folgende Bestimmungen:
„Viertens:
Das Stammkapital der Gesellschaft beträgt € 35.000,--.
Die Gesellschaft nimmt das Gründungsprivileg des § 10b GmbHG in Anspruch, wobei das gründungsprivilegierte Stammkapital der Gesellschaft € 10.000,-- beträgt, das von den Gesellschaftern zu den unter Punkt Viertens lit a–e angeführten Beträgen zur Gänze bar zu leisten ist. Die unter Punkt Viertens lit a–e angeführten Stammeinlagen sind jeweils in voller Höhe gründungsprivilegiert.
Hiervon haben als gründungsprivilegierte Stammeinlagen übernommen:
a) H***** GmbH (FN *****) eine Stammeinlage in Höhe von € 5.100,--, auf welche € 5.100,-- bar einbezahlt sind. Dies entspricht 51 % des Unternehmens.
b) Frau B***** L***** eine Stammeinlage in Höhe von € 1.700,--, auf welche € 1.700,-- bar einbezahlt sind. Die entspricht 17 % des Unternehmens.
c) M***** GmbH (FN *****) eine Stammeinlage in Höhe von € 2.800,--, auf welche € 2.800,--
bar einbezahlt sind. Dies entspricht 28 % des Unternehmens.
d) Herr G***** W***** eine Stammeinlage in Höhe von € 200,--, auf welche € 200,-- bar einbezahlt sind. Dies entspricht 2 % des Unternehmens.
[…]
Zehntens: Generalversammlung
[…]
Zu folgenden Geschäften bedarf die Geschäftsführung die Zustimmung der Generalversammlung mit einer ¾-Mehrheit:
a) Satzungsänderungen, Änderung des Gesellschaftsvertrages
b) Kapitalerhöhung und -herabsetzung
c) Auflösen der Gesellschaft
d) Fusionsbeschlüsse
[…]
Dreizehntens: Nachschüsse
Die Gesellschafter können über die Beträge der Stammeinlagen hinaus die Einforderung von weiteren Einzahlungen (Nachschüssen) bis zum Höchstbetrag des Doppelten an der übernommenen Stammeinlage beschließen.
Die Einzahlung der Nachschüsse ist von sämtlichen Gesellschaftern nach Verhältnis ihrer übernommenen Stammeinlagen zu leisten.“
In der außerordentlichen Generalversammlung der Klägerin vom 24. Juni 2016 wurde die Einforderung von Nachschüssen aller Gesellschafter gemäß Pkt. 13. des Gesellschaftsvertrags jeweils in Höhe der übernommenen Stammeinlage beschlossen.
Die klagende Partei begehrt die Zahlung von 9.800 EUR sA. Die Beklagte sei ihre Gesellschafterin und schulde ihr diesen Betrag als Nachschuss.
Die beklagte Partei bestritt das Klagebegehren und beantragte die Klagsabweisung. Der Gesellschaftsvertrag der Klägerin enthalte keine Ermächtigung, Nachschüsse vor der vollständigen Einzahlung der Stammeinlagen einzufordern.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Nachschüsse könnten erst nach Einforderung sämtlicher offener Stammeinlagen gefordert werden. Da seitens der Klägerin eine derartige Einforderung noch nicht erfolgt sei, könne die Klägerin auch noch keine Nachschüsse fordern. Das Klagebegehren sei daher abzuweisen, ohne dass es eines Eingehens auf die Einwendungen der Beklagten bedürfe.
Das Berufungsgericht änderte dieses Urteil im klagsstattgebenden Sinn ab.
Gründungsprivilegierte Gesellschafter müssten während aufrechter Gründungsprivilegierung nur den Teil der gründungsprivilegierten Stammeinlage leisten. Übersteige der Betrag der von einem Gesellschafter übernommenen Stammeinlage den Betrag des gründungsprivilegierten Teils der Stammeinlage, bestehe dennoch keine Pflicht des Gesellschafters, die Differenz zwischen dem gründungsprivilegierten Teil der Stammeinlage und der „herkömmlichen“ Stammeinlage zu leisten. Da die Differenz zu der übernommenen Stammeinlage von 9.800 EUR nicht eingefordert werden könne, komme die bezüglich nicht privilegierter Stammeinlagen vertretene Ansicht, wonach Nachschüsse erst nach Einforderung sämtlicher offener Stammeinlagen verlangt werden könnten, nicht zum Tragen. Die Gesellschafter seien daher nach Punkt 13. des Gesellschaftsvertrags berechtigt, die Einforderung von Nachschüssen zu beschließen. Für einen derartigen Beschluss sei die einfache Mehrheit ausreichend.
Daher sei mit Zwischenurteil der Bestand der Klagsforderung auszusprechen. Über die von der beklagten Partei eingewendete Gegenforderung sei im fortgesetzten Verfahren vom Erstgericht abzusprechen.
Die ordentliche Revision sei zulässig, weil der hier zu beurteilenden Rechtsfrage eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukomme und Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs dazu fehle.
Hiezu hat der Oberste Gerichtshof erwogen:
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht angeführten Grund zulässig; sie ist aber nicht berechtigt.
1.1. Nach § 6 Abs 1 GmbHG muss das Stammkapital der GmbH mindestens 35.000 EUR betragen. Gemäß § 10 Abs 1 GmbHG muss auf jede bar zu leistende Stammeinlage mindestens ein Viertel und müssen auf die bar zu leistenden Einlagen insgesamt mindestens 17.500 EUR eingezahlt sein.
1.2. § 10b GmbHG erlaubt die Inanspruchnahme einer Gründungsprivilegierung: In diesem Fall ist im Gesellschaftsvertrag für jeden Gesellschafter auch die Höhe seiner gründungsprivilegierten Stammeinlage festzusetzen, die nicht höher als die jeweils übernommene Stammeinlage sein darf. Die Summe der gründungsprivilegierten Stammeinlagen muss mindestens 10.000 EUR betragen. Auf die gründungsprivilegierten Stammeinlagen müssen abweichend von § 10 Abs 1 GmbHG insgesamt mindestens 5.000 EUR bar eingezahlt werden. Während aufrechter Gründungsprivilegierung sind die Gesellschafter abweichend von § 63 Abs 1 GmbHG, der die Verpflichtung zur vollen Einzahlung der übernommenen Stammeinlage normiert, nur insoweit zu weiteren Einzahlungen auf die von ihnen übernommenen Stammeinlagen verpflichtet, als die bereits geleisteten Einzahlungen hinter den gründungsprivilegierten Stammeinlagen zurückbleiben. Die Gründungsprivilegierung kann durch eine Änderung des Gesellschaftsvertrags beendet werden, wobei vor Anmeldung der Änderung zum Firmenbuch die Mindesteinzahlungserfordernisse nach § 10 Abs 1 GmbHG zu erfüllen sind. Ansonsten endet die Gründungsprivilegierung spätestens zehn Jahre nach der Eintragung der Gesellschaft im Firmenbuch.
1.3. Dies bedeutet, dass die GmbH zwar einerseits ein Stammkapital von 35.000 EUR hat, gleichzeitig aber gründungsprivilegierte Stammeinlagen von lediglich 10.000 EUR bestehen, wovon nur 5.000 EUR bar eingezahlt sein müssen (van Husen in Straube/Ratka/Rauter, Wiener Kommentar GmbHG § 10b Rz 132, 133, 136).
1.4. Für die vorzeitige Beendigung der Gründungsprivilegierung ist gemäß § 50 Abs 1 GmbHG grundsätzlich eine Mehrheit von drei Vierteln der abgegebenen Stimmen der Gesellschafter erforderlich. Nach verbreiteter Auffassung ist dafür jedoch sogar ein einstimmiger Beschluss der Gesellschafter erforderlich, weil dadurch deren Pflichten vermehrt werden (U. Torggler in U. Torggler, GmbHG § 10b Rz 18 mwN).
2.1. Die §§ 72 bis 74 GmbHG treffen Regelungen über sogenannte „Nachschüsse“. Darunter werden gemäß § 72 Abs 1 GmbHG weitere Einzahlungen der Gesellschafter über den Betrag der Stammeinlagen hinaus verstanden. Die Nachschusspflicht muss bereits im Gesellschaftsvertrag vorgesehen sein; nachträglich könnte sie nur einstimmig eingeführt werden (vgl RIS-Justiz RS0128294). Nachschüsse werden durch einen Gesellschafterbeschluss fällig gestellt (Brugger/Schopper in Straube/Ratka/Rauter, Wiener Kommentar GmbHG § 72 Rz 6), wobei – mangels abweichender Vereinbarung – der Gesellschafterbeschluss mit einfacher Mehrheit gefasst werden kann (Brugger/Schopper aaO § 72 Rz 38; Koppensteiner/Rüffler, GmbHG3 § 72 Rz 10).
2.2. Nachschüsse erhöhen nicht die Stammeinlage und dürfen dementsprechend auch nicht als erhöhtes Stammkapital oder erhöhte Stammeinlage bezeichnet werden (Brugger/Schopper aaO § 72 Rz 7). Dabei handelt es sich um kein Eigenkapital im engeren Sinn; allerdings handelt es sich dabei doch um Eigenmittel, die zwischen Stammeinlagen und Gesellschafterdarlehen eingeordnet werden (näher Brugger/Schopper aaO § 72 Rz 8; Doblhofer-Bachleitner in Gruber/Harrer, GmbHG § 72 Rz 4). Ein wesentlicher Unterschied zum Stammkapital besteht darin, dass gemäß § 74 GmbHG unter bestimmten Voraussetzungen die Rückzahlung von geleisteten Nachschüssen möglich ist.
2.3. Das Verhältnis zwischen Stammeinlagen und der Einforderung von Nachschüssen wird in der Literatur unterschiedlich beurteilt. Nach Brugger/Schopper (aaO § 72 Rz 57) ist die Einforderung von Nachschüssen nicht durch vorherige Volleinzahlung der Stammeinlagen bedingt. Nachschüsse könnten daher zwar erst nach Einforderung sämtlicher offener Stammeinlagen, aber bereits vor der vollständigen Einzahlung der Stammeinlagen eingefordert werden. Aus der Natur der Nachschüsse als subsidiäres Finanzierungsinstrument folge, dass – soweit der Gesellschaftsvertrag nichts anderes vorsehe – zunächst der Rest auf die Stammeinlagen einzufordern sei. Dieselbe Ansicht wird im Ergebnis auch von Koppensteiner/Rüffler (GmbHG3 § 72 Rz 11) vertreten.
2.4. Nach Schönherr (Die Einforderung von Nachschüssen vor vollständiger Einzahlung der Stammeinlagen, ÖJZ 1959, 340) und Reich-Rohrwig (GmbH-Recht 607) ist die Einforderung von Nachschüssen sogar vor der vollständigen Einforderung der Stammeinlagen zulässig.
2.5. Nach einer Entscheidung des Obersten Gerichtshofs aus dem Jahr 1931 ist mangels anderer Regelung im Gesellschaftsvertrag die Einforderung von Nachschüssen erst nach vollständiger Einzahlung der Stammeinlagen zulässig (3 Ob 171/31 AnwZ 1931, 151). Daran ist aus den dargelegten Erwägungen nicht festzuhalten.
3.1. Aus der dargestellten Rechtslage ergibt sich, dass die Gesellschafter während aufrechter Gründungsprivilegierung nur zur Einzahlung der gründungsprivilegierten Stammeinlagen verpflichtet sind. Die Differenz zwischen gründungsprivilegierter Stammeinlage und übernommener Stammeinlage ist also während der Gründungsprivilegierung nicht fällig und kann auch nicht fällig gestellt werden, wenngleich auch bei der gründungsprivilegierten GmbH die gesamten übernommenen Stammeinlagen mit dem wirksamen Abschluss des Gesellschaftsvertrags bereits entstanden sind (Schopper in Straube/Ratka/Rauter, Wiener Kommentar GmbHG § 63 Rz 17/1).
3.2. Ginge man auch bei einer gründungsprivilegierten Gesellschaft davon aus, dass Nachschüsse erst dann eingefordert werden könnten, wenn auch die offenen Stammeinlagen voll eingefordert wurden, würde dies im Ergebnis bedeuten, dass während einer aufrechten Gründungsprivilegierung niemals Nachschüsse eingefordert werden könnten. Dies würde dazu führen, dass die Gesellschaft während der Gründungsprivilegierung weder die Differenz zwischen gründungsprivilegierter und übernommener Stammeinlage (vgl § 10b Abs 4 GmbHG) noch eine im Gesellschaftsvertrag vorgesehene Nachschusspflicht einfordern könnte. Der gründungsprivilegierten GmbH bliebe dann – neben einer Fremdfinanzierung etwa über einen Bankkredit – nur die Möglichkeit einer Kapitalerhöhung, die aber im Stadium der Gründungsprivilegierung gleichfalls Probleme aufwirft (dazu van Husen in Straube/Ratka/Rauter, Wiener Kommentar GmbHG § 10b Rz 219 ff). Gegen diese Lösung spricht zudem, dass mit der Einführung der Gründungsprivilegierung gerade Unternehmensgründern die Startphase erleichtert werden sollte (ErläutRV 24 BlgNR 25. GP 27 ff).
3.3. Die dargestellte herrschende Rechtsansicht, wonach vor der Einforderung von Nachschüssen zunächst die offenen Stammeinlagen einzufordern sind, trifft daher nur für solche Stammeinlagen zu, die auch tatsächlich eingefordert werden können. Für übernommene Stammeinlagen, die die gründungsprivilegierten Stammeinlagen übersteigen, trifft dies jedoch gemäß § 10b Abs 4 GmbHG während der Gründungsprivilegierung nicht zu. Die gründungsprivilegierte Gesellschaft muss demnach nur die gründungsprivilegierten Stammeinlagen voll einfordern, bevor sie eine Nachschusspflicht durchsetzen kann. Im vorliegenden Fall sind die gründungsprivilegierten Stammeinlagen jedoch ohnedies voll eingezahlt.
3.4. Zum selben Ergebnis gelangte man, wenn man mit den weitergehenden Auffassungen von Schönherr und Reich-Rohrwig die Einforderung von Nachschüssen sogar vor der Einforderung der Stammeinlagen für zulässig erachtet.
4.1. Soweit die Beklagte auf dem Standpunkt steht, von ihr könnte nur ein Nachschuss in Höhe der von ihr übernommenen gründungsprivilegierten Stammeinlage von 2.800 EUR verlangt werden, nimmt sie offensichtlich auf § 72 Abs 2 GmbHG Bezug, wonach die Nachschusspflicht „auf einen nach dem Verhältnis der Stammeinlagen bestimmten Betrag“ beschränkt sein müsse. Dies bedeutet, dass die Satzung zum Schutz der Gesellschafter eine Limitierung der Nachschusspflicht vorsehen muss, wobei in der Regel ein Vielfaches der Stammeinlage vorgesehen wird (Brugger/Schopper aaO § 72 Rz 21). Im vorliegenden Fall ist die Nachschusspflicht mit dem Doppelten der „übernommenen Stammeinlage“ limitiert.
4.2. Der Wortlaut des § 10b GmbHG, der zwischen „übernommener Stammeinlage“ und „gründungsprivilegierter Stammeinlage“ unterscheidet, zeigt, dass mit „übernommener Stammeinlage“ der volle Betrag und nicht der aufgrund der Gründungsprivilegierung reduzierte gemeint ist. Bei einem Stammkapital von 35.000 EUR und einem Anteil der Beklagten an der Gesellschaft von 28 % beträgt die „übernommene Stammeinlage“ daher 9.800 EUR. Nachdem ein „Nachschuss in Höhe der übernommenen Stammeinlage“ beschlossen wurde, beläuft sich die Verpflichtung der Beklagten auf diesen Betrag.
5. Zusammenfassend erweist sich das Urteil des Berufungsgerichts daher als frei von Rechtsirrtum, sodass der unbegründeten Revision ein Erfolg zu versagen war.
6. Eine Kostenentscheidung hatte zu entfallen, weil das Berufungsgericht die Fassung der Kostenentscheidung dem Erstgericht vorbehalten hat.
Textnummer
E120230European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2017:0060OB00194.17Y.1121.000Im RIS seit
05.01.2018Zuletzt aktualisiert am
22.06.2018