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32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht;Norm
BAO §14;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Knell und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Novak, Dr. Sulyok und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hackl, über die Beschwerde der R in S, vertreten durch Dr. Walter Brandt und Dr. Karl Wagner, Rechtsanwälte in 4780 Schärding, Oberer Stadtplatz 9, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Oberösterreich vom 21. April 1995, Zl. SV(SanR)-302/4-1994-Ru/Ma, betreffend Betriebsnachfolgehaftung gemäß § 38 Abs. 2 BSVG (mitbeteiligte Partei: Sozialversicherungsanstalt der Bauern, Ghegastraße 1, 1031 Wien), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit Bescheid vom 10. September 1993 sprach die mitbeteiligte Sozialversicherungsanstalt aus, die Beschwerdeführerin hafte als Betriebsnachfolgerin gemäß § 38 Abs. 2 und 33 Abs. 4 BSVG für Beiträge, Beitragszuschläge und Nebengebühren, die ihr Vorgänger Karl E. zu bezahlen gehabt habe. Danach hafteten für die Zeit vom 1. Dezember 1991 bis 30. November 1992 an Beiträgen samt Beitragszuschlägen und Nebengebühren S 58.619,60 aus.
Begründet wurde diese Entscheidung im Wesentlichen damit, der Beschwerdeführerin sei mit Beschluss des Bezirksgerichtes Schärding vom 13. Dezember 1992 das Eigentumsrecht an der Liegenschaft des Karl E., EZ. 6 der KG L., übertragen worden. Die der Beschwerdeführerin als Betriebsnachfolgerin im Spruch vorgeschriebenen Beiträge seien bisher nicht beglichen worden. Auf ihr Vorbringen, bereits im Jahre 1988 Zahlungen geleistet zu haben, sei zu erwidern, dass diese Zahlungen nicht aus Anlass des Betriebserwerbes erfolgt seien, weshalb sie für eine Betriebsnachfolgehaftung gemäß § 38 Abs. 2 BSVG nicht zu berücksichtigen seien. Die Beschwerdeführerin habe erst im Jahre 1989 Karl E. auf Zuhaltung des Kaufvertrages geklagt; dieses Verfahren sei mit Beschluss des Grundbuchsgerichtes vom 13. Dezember 1992 abgeschlossen worden, sodass dieser Zeitpunkt für die Feststellung der Nachfolgehaftung maßgeblich sei.
Die Beschwerdeführerin erhob Einspruch. Sie brachte im Wesentlichen vor, die Liegenschaft des Karl E. bereits im Jahre 1989 außerbücherlich erworben zu haben. Dabei seien dessen Abgabenrückstände und laufende Sozialversicherungsbeiträge beglichen worden. In der Folge hätte Karl E. auf Zuhaltung des mündlichen Kaufvertrages geklagt werden müssen. Dieser Prozess habe sich über mehrere Jahre erstreckt und sei erst im Herbst 1992 zu Ende gegangen. Danach habe die Beschwerdeführerin im Dezember 1992 ihr Eigentumsrecht an der streitgegenständlichen Liegenschaft einverleiben lassen. Gegen diesen Beschluss habe Karl E. Rechtsmittel erhoben, über die noch nicht endgültig entschieden sei. Zur Herstellung der Lastenfreiheit und zur Abwendung einer eingeleiteten Zwangsversteigerung seien von der Beschwerdeführerin Verbindlichkeiten des Karl E. eingelöst bzw. bezahlt worden. Darunter habe sich auch eine namhafte Forderung der mitbeteiligten Sozialversicherungsanstalt befunden. Die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Haftung seien aber auch deshalb nicht gegeben, weil sich Karl E. weigere, den Hof zu übergeben. Ungeachtet gerichtlicher Urteile bewirtschafte er den Hof weiter, so als ob dieser sein eigener wäre. Er bedrohe und verjage auch die Arbeitskräfte der Beschwerdeführerin. Der Betrieb sei daher noch nicht im Sinne des § 38 Abs. 2 BSVG "übereignet" worden.
Mit dem angefochtenen Bescheid wurde dem Einspruch keine Folge gegeben und der Bescheid der Behörde erster Instanz bestätigt. Nach der Begründung habe der Vater der Beschwerdeführerin am 19. Mai 1989 der mitbeteiligten Sozialversicherungsanstalt mitgeteilt, dass er den Betrieb des Karl E. mit diesem Datum übernehmen werde. Er habe dabei die Übernahme der bis dahin ausständigen Beiträge zugesichert. Mit Schreiben vom 21. Juni 1989 habe er mitgeteilt, dass er die Pfandrechte gemäß § 1422 ABGB ablösen werde. Sein Rechtsvertreter habe mit Schreiben vom 20. Juli 1989 bestätigt, dass die Bezahlung der offenen Beitragsschuld zur Abwendung der drohenden Zwangsversteigerung erfolgt und die Einlösung gemäß § 1422 ABGB zu bewerten sei. Insgesamt seien für den Zeitraum vom 1. April 1986 bis 30. April 1989 gemäß § 1422 ABGB Beitragsschulden des Karl E. in der Höhe von S 178.602,20 beglichen worden. Da der Betrieb des Karl E. zwischenzeitlich infolge seiner Abwesenheit auf Rechnung und Gefahr des Vaters der Beschwerdeführerin geführt worden sei, seien diesem auch (laufende) Beiträge vorgeschrieben worden. Seit 1. Jänner 1990 habe allerdings wieder Karl E. die nach wie vor ihm gehörende Liegenschaft bewirtschaftet, weshalb dieser wieder in die Pflichtversicherung einbezogen worden sei. Mit Beschluss des Bezirksgerichtes Schärding vom 13. Dezember 1992 sei dann das Eigentumsrecht für die Beschwerdeführerin einverleibt worden, weshalb auch ab diesem Tag der Betrieb des Karl E. auf Rechnung und Gefahr der Beschwerdeführerin geführt worden sei.
Die eigenständige Bewirtschaftung durch den Vater der Beschwerdeführerin in Abwesenheit des Karl E. könne mangels Eigentümereigenschaft eine Haftung im Sinne des § 38 Abs. 2 BSVG nicht bewirken. Die vom Vater der Beschwerdeführerin geleisteten Zahlungen beruhten auch auf einer anderen Rechtsgrundlage. Der Einwand, die Übernahme der gegenständlichen Liegenschaft und die Übertragung des Eigentums im Dezember 1992 seien als einheitlicher Vorgang anzusehen, sei vom rechtlichen Standpunkt her nicht haltbar. Der Betrieb sei im Jahre 1989 noch im Eigentum des Karl E. gestanden, jedoch in dessen Abwesenheit vom Vater der Beschwerdeführerin auf dessen Rechnung und Gefahr geführt worden. Da sich die Liegenschaft bis zum Zeitpunkt des Beschlusses des Bezirksgerichtes Schärding vom 13. Dezember 1992 im Eigentum des Karl E. befunden habe, habe eine Betriebsnachfolgehaftung im Sinne des § 38 Abs. 2 BSVG erst ab diesem Zeitpunkt beginnen können. Die Betriebsnachfolgehaftung der Beschwerdeführerin sei daher zu Recht ausgesprochen worden.
Gegen diesen Bescheid hat die Beschwerdeführerin zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof erhoben, der deren Behandlung mit Beschluss vom 26. September 1995, B 1890/95, abgelehnt und dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten hat.
In der auftragsgemäß ergänzten Beschwerde vor dem Verwaltungsgerichtshof wird die Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes beantragt.
Die belangte Behörde hat - ebenso wie die mitbeteiligte Sozialversicherungsanstalt - eine Gegenschrift erstattet, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wird.
Die Beschwerdeführerin hat zur Gegenschrift der mitbeteiligten Partei eine Gegenäußerung erstattet.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Zwischen den Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens ist ausschließlich die Frage strittig, zu welchem Zeitpunkt die Beschwerdeführerin den landwirtschaftlichen Betrieb des Karl E. im Sinne des § 38 Abs. 2 BSVG erworben hat.
Die belangte Behörde vertritt diesbezüglich im Wesentlichen die Auffassung, der maßgebliche Zeitpunkt für die Betriebsübergabe sei der Beschluss des Bezirksgerichtes Schärding vom 13. Dezember 1992, mit welchem die Einverleibung bewilligt worden sei.
In der Beschwerde wird dazu vorgebracht, der Betriebsvorgänger Karl E. habe den gegenständlichen Betrieb am 19. Mai 1989 an die Beschwerdeführerin und deren Vater durch Handschlag verkauft und übergeben. Der Vater der Beschwerdeführerin habe in der Folge bücherlich und nicht bücherlich sichergestellte Forderungen der mitbeteiligten Sozialversicherungsanstalt in der Höhe von S 178.602,20 in seinem und im Namen der Beschwerdeführerin beglichen. Da sich Karl E. in der Folge geweigert habe, einen verbücherungsfähigen Kaufvertrag zu unterfertigen, hätte er auf Zuhaltung des mündlich abgeschlossenen Kaufvertrages geklagt werden müssen. Dieses Verfahren habe mit Urteil des Landesgerichtes Ried vom 8. Juli 1991 geendet, in dem ausdrücklich festgestellt worden sei, dass der mündliche Kaufvertrag vom Mai 1989 rechtswirksam zu Stande gekommen und Karl E. daher verpflichtet sei, in den eingeklagten schriftlichen Kaufvertrag einzuwilligen. Karl E. habe sich nach Klagserhebung widerrechtlich und mit Gewalt wieder in den Besitz seiner im Mai an die Beschwerdeführerin und deren Vater übergebenen Liegenschaft gesetzt, allerdings wieder keine Beiträge bezahlt. Von der Beschwerdeführerin seien in diesem Zusammenhang S 54.094,30 an die mitbeteiligte Sozialversicherungsanstalt bezahlt worden. Die nach jahrelangem Prozess erstrittene Einverleibung ihres Eigentumsrechtes nehme die mitbeteiligte Sozialversicherungsanstalt zum Anlass, die Beschwerdeführerin neuerlich für Beitragsschulden des Betriebsvorgängers in Anspruch zu nehmen. Eine rechtlich einwandfreie Betriebsübereignung im Sinne des § 38 Abs. 2 BSVG sei nach Auffassung der Beschwerdeführerin allerdings bereits im Mai 1989 erfolgt. Die Beschwerdeführerin könne daher nur für Beitragsrückstände haftbar gemacht werden, die in den letzten 12 Monaten vor Mai 1989 entstanden seien. An dieser Rechtslage könne sich nichts dadurch ändern, dass der Betriebsvorgänger Karl E. die Erwerber in rechtswidriger Weise mit Gewalt an der weiteren Bewirtschaftung gehindert und die Führung des Betriebes wieder an sich gerissen habe, bis er schließlich auf dem Klagswege exekutiv von der Betriebsliegenschaft entfernt worden sei.
§ 38 Abs. 2 BSVG in der Fassung der 9. BSVG-Novelle, BGBl. Nr. 113/1986, bestimmt:
"Wird ein Betrieb übereignet, so haftet der Erwerber für Beiträge, die sein Vorgänger zu zahlen gehabt hätte, unbeschadet der fortdauernden Haftung des Vorgängers sowie der Haftung des Betriebsnachfolgers nach § 1409 ABGB unter Bedachtnahme auf § 1409a ABGB und der Haftung des Erwerbers nach § 25 des Handelsgesetzbuches für die Zeit von höchstens 12 Monaten vom Tage des Erwerbes zurück gerechnet. Im Falle einer Anfrage beim Versicherungsträger haftet er jedoch nur mit dem Betrag, der ihm als Rückstand ausgewiesen worden ist."
Mit der Änderung des § 38 Abs. 2 BSVG durch die 9. Novelle erfolgte eine weit gehende Anpassung an die Terminologie des § 14 BAO (vgl. dazu 776 BlgNR 16. GP, S. 11, unter Hinweis auf 774 BlgNR, 16. GP). Bei der Auslegung des § 38 Abs. 2 BSVG ist daher auf die Rechtsprechung zu § 14 BAO zurückzugreifen.
Unter "Übereignung" ist danach die Verschaffung der wirtschaftlichen Verfügungsmacht anzusehen; es kommt nicht auf eine besondere zivilrechtliche Gestaltung an. Maßgebend ist somit der Übergang der wirtschaftlichen Verfügungsmacht vom Vorgänger auf den Erwerber (vgl. z.B. das Erkenntnis vom 24. April 1996, Zl. 94/15/0025, unter Bezugnahme auf Stoll, BAO-Kommentar, S. 164 f.). Die Voraussetzungen einer Haftung treten allerdings nicht schon mit Abschluss des obligatorischen Rechtsgeschäftes über die Veräußerung, sondern erst mit der "Übereignung" ein, also dann, wenn die wesentlichen Grundlagen eines Unternehmens tatsächlich auf den Erwerber übergegangen sind (vgl. dazu Stoll, aaO., S. 164 f.).
Entscheidend dafür ist primär der bedungene Übergabszeitpunkt, subsidiär (d.h., wenn dieser Zeitpunkt nicht vereinbart worden ist) kommt es auf den faktischen Übergabszeitpunkt an (vgl. dazu die Rechtsprechung bzgl. "Rechnung und Gefahr" iS des § 2 Abs. 1 Z. 2 BSVG: z.B. die Erkenntnisse vom 18. Juni 1991, Zl. 90/08/0197, und vom 19. Oktober 1993, Zl. 92/08/0168).
Auf Grund der demnach verfehlten Auffassung, dass ausschließlich der Zeitpunkt des Beschlusses des Bezirksgerichtes Schärding vom 13. September 1992, mit welchem das Eigentumsrecht für die Beschwerdeführerin einverleibt worden sei, maßgeblich sei und ein früherer Zeitpunkt als jener des Eigentumserwerbes nicht in Betracht komme, hat sich die belangte Behörde nicht weiter mit der Gestaltung des nach den Behauptungen der Beschwerdeführerin zunächst mündlich abgeschlossenen Kaufvertrages zwischen Karl E. und der Beschwerdeführerin und der Frage des darin eventuell bedungenen Übergabezeitpunktes auseinander gesetzt.
Der angefochtene Bescheid war daher schon deshalb wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Für die zur Gegenschrift der mitbeteiligten Sozialversicherungsanstalt erstattete Stellungnahme war kein gesonderter Schriftsatzaufwand zuzusprechen; Stempelgebührenersatz entfiel gemäß § 44 BSVG.
Für das fortzusetzende Verfahren sieht sich der Gerichtshof aus Gründen der Verfahrensökonomie zu folgenden Bemerkungen veranlasst:
1. Gegen die Auffassung der Beschwerdeführerin, es sei bereits nach Abschluss des mündlichen Kaufvertrages im Mai 1989 zu einer Betriebsübergabe an sie gekommen, spricht, dass nach Lage der - dem Verwaltungsgerichthof vorliegenden -Verwaltungsakten der Betrieb des Karl E. damals von ihrem Vater auf dessen Rechnung und Gefahr geführt worden ist (vgl. OZlen 93 ff. des Verwaltungsaktes der mitbeteiligten Sozialversicherungsanstalt). Karl E. befand sich zu dieser Zeit in U-Haft bzw. war unauffindbar (vgl. OZlen. 93 und 123). Die Beitragsforderungen gegenüber Karl E. wurden vom Vater der Beschwerdeführerin im eigenen Namen unter ausdrücklicher Berufung auf § 1422 ABGB beglichen (vgl. OZl. 94). Danach kann, wer die Schuld eines anderen, für die er nicht haftet, bezahlt, vom Gläubiger die Abtretung seiner Rechte verlangen.
2. Zum Vorbringen der Beschwerdeführerin, Karl E. habe sich (gemeint wohl: auch noch nach der 1989 erfolgten Übergabe) im Jahre 1993 geweigert, den Hof (neuerlich) zu übergeben, ist darauf zu verweisen, dass es sich bei einer eigenmächtigen Bewirtschaftung um rein faktische, jedoch nicht rechtliche Umstände handeln würde. Sollte es schon vorher zu einer Übereignung - im Sinne der Verschaffung wirtschaftlicher Verfügungsmacht - an die Beschwerdeführerin gekommen sein, dann wäre der Betrieb ab diesem Zeitpunkt (und ungeachtet dessen, dass die Beschwerdeführerin noch nicht Eigentümerin der Liegenschaft gewesen ist) auf Rechnung und Gefahr der Beschwerdeführerin geführt worden. Der eigenmächtig wirtschaftende Karl E. hätte etwaige Erträgnisse des Betriebes an die Beschwerdeführerin herauszugeben. Die Beitragspflicht träfe unmittelbar die Beschwerdeführerin. Für die Frage der Haftung nach § 38 Abs. 2 BSVG wäre das Verhalten des Karl E. allerdings unmaßgeblich (vgl. z.B. das Erkenntnis vom 13. März 1990, Zl. 89/08/0033).
Wien, am 21. Juni 2000
Schlagworte
VwRallg7 ÜbereignungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2000:1995080322.X00Im RIS seit
24.08.2001