TE Vfgh Erkenntnis 2017/12/13 E2459/2017

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Veröffentlicht am 13.12.2017
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Index

10/07 Verfassungs- und Verwaltungsgerichtsbarkeit

Norm

B-VG Art144 Abs1 / Anlassfall

Leitsatz

Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses im Anlassfall

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in seinen Rechten verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II. Die Stadt Wien ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.856,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I.       Sachverhalt

1.       Mit Straferkenntnis vom 23. Juni 2015 hat der Magistrat der Stadt Wien über den Beschwerdeführer eine Geldstrafe in Höhe von € 60,– (Ersatzfreiheitsstrafe 12 Stunden) verhängt, weil er zu einem näher genannten Zeitpunkt ein näher genanntes Kfz in einer gebührenpflichtigen Kurzparkzone abgestellt habe, ohne das Kfz mit einem gültig entwerteten Parkschein gekennzeichnet oder einen elektronischen Parkschein aktiviert zu haben.

2.       Gegen das am 29. Juni 2015 zugestellte Straferkenntnis langte am 6. Juli 2015 beim Magistrat der Stadt Wien rechtzeitig eine Beschwerde ein.

3.       Mit Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes vom 16. Juni 2017 (dem Beschwerdeführer zugestellt am 22. Juni 2017 und dem Magistrat der Stadt Wien zugestellt am 26. Juni 2017) wurde die Beschwerde als unbegründet abgewiesen. Begründend führt das Bundesfinanzgericht aus, es sei unbestritten, dass der Beschwerdeführer sein Kfz in einer gebührenpflichtigen Kurzparkzone abgestellt habe, ohne die Parkgebühr entrichtet zu haben. Die vom Beschwerdeführer vorgebrachten Bedenken ob der Gesetzmäßigkeit der maßgeblichen Kurzparkzonen-Verordnung und ob der Verfassungsmäßigkeit des §25 Abs2 StVO 1960 teile das Bundesfinanzgericht nicht. Auch das Ausmaß des Verschuldens könne im vorliegenden Fall nicht als geringfügig angesehen werden. Die Strafbemessung sei angemessen.

4.       Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in Rechten wegen Anwendung verfassungswidriger Gesetze sowie wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung (Kurzparkzonenverordnung für den 2. Wiener Gemeindebezirk MA 46-DEF/10391/12) behauptet wird.

5.       Der Magistrat der Stadt Wien hat die Verwaltungs- und Verordnungsakten vorgelegt und eine Äußerung erstattet, in der er dem Beschwerdevorbringen entgegentritt. Die Gerichtsakten wurden vom Bundesfinanzgericht vorgelegt.

II.      Erwägungen

1.       Der Verfassungsgerichtshof hat über die – zulässige – Beschwerde erwogen:

1.1.    Der Verfassungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 27. November 2017, G182/2017 ua., die Wortfolge ", wobei jedoch die Frist gemäß §43 Abs1 VwGVG 24 Monate beträgt" in §24 Abs1 Bundesfinanzgerichtsgesetz, BGBl I Nr 14/2013 idF BGBl I Nr 105/2014, als verfassungswidrig aufgehoben.

1.2.    Gemäß Art140 Abs7 B-VG wirkt die Aufhebung eines Gesetzes auf den Anlassfall zurück. Es ist daher hinsichtlich des Anlassfalles so vorzugehen, als ob die als verfassungswidrig erkannte Norm bereits zum Zeitpunkt der Verwirklichung des der angefochtenen Entscheidung des Verwaltungsgerichtes zugrunde gelegten Tatbestandes nicht mehr der Rechtsordnung angehört hätte.

Dem in Art140 Abs7 B-VG genannten Anlassfall (im engeren Sinn), anlässlich dessen das Gesetzesprüfungsverfahren tatsächlich eingeleitet worden ist, sind all jene Beschwerdefälle gleichzuhalten, die zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im Gesetzesprüfungsverfahren (bei Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung zu Beginn der nichtöffentlichen Beratung) beim Verfassungsgerichtshof bereits anhängig waren (VfSlg 10.616/1985, 11.711/1988). Im – hier allerdings nicht gegebenen – Fall einer Beschwerde gegen eine Entscheidung eines Verwaltungsgerichtes, der ein auf Antrag eingeleitetes Verwaltungsverfahren vorausgegangen ist, muss dieser verfahrenseinleitende Antrag überdies vor Bekanntmachung des dem unter Pkt. II.1.1. genannten Erkenntnis zugrunde liegenden Prüfungsbeschlusses des Verfassungsgerichtshofes eingebracht worden sein (VfSlg 17.687/2005).

1.3.    Die nichtöffentliche Beratung im Gesetzesprüfungsverfahren begann am 27. November 2017. Die vorliegende Beschwerde ist beim Verfassungsgerichtshof am 17. Juli 2017 eingelangt, war also zu Beginn der nichtöffentlichen Beratung schon anhängig; der ihr zugrunde liegende Fall ist somit einem Anlassfall gleichzuhalten.

Das Bundesfinanzgericht wendete bei Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses die als verfassungswidrig aufgehobene Gesetzesbestimmung an. Es ist nach Lage des Falles offenkundig, dass diese Gesetzesanwendung für die Rechtsstellung des Beschwerdeführers nachteilig war. Der Beschwerdeführer wurde somit wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in seinen Rechten verletzt.

Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

2.       Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurde gemäß §19 Abs4 VfGG abgesehen.

3.       Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 240,– enthalten.

Schlagworte

VfGH / Anlassfall

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2017:E2459.2017

Zuletzt aktualisiert am

04.01.2018
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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