TE Bvwg Erkenntnis 2017/11/27 W264 2165264-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 27.11.2017
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Entscheidungsdatum

27.11.2017

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs2
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W264 2165254-1/7E

W264 2165264-1/7E

W264 2165261-1/7E

W264 2165257-1/7E

W264 2165259-1/7E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Tanja KOENIG-LACKNER als Einzelrichterin über die Beschwerde der Zweitbeschwerdeführerin XXXX , geb. XXXX (BF2), Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29.6.2017, Zahl: 1091296105-151567974, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 22.11.2017 zu Recht erkannt:

A) Der Beschwerde wird stattgegeben und der Zweitbeschwerdeführerin

XXXX gemäß § 3 Abs 1 Asylgesetz 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Tanja KOENIG-LACKNER als Einzelrichterin über die Beschwerde des Erstbeschwerdeführers XXXX , geb. XXXX (BF1), StA. Afghanistan, vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, vom 29.6.2017, Zahl:

1091295903-151567869, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am CERN 20.11.2017 zu Recht erkannt:

A) Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs 1 AsylG

2005 iVm

§ 34 Abs 2 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs 5 AslyG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Tanja KOENIG-LACKNER als Einzelrichterin über die Beschwerde der Drittbeschwerdeführerin XXXX , geb. XXXX (BF3), Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch ihre gesetzliche Vertretung Mutter XXXX , diese vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29.6.2017,

Zahl: 1091296606-151567995, nach Durchführung einer mündlichen

Verhandlung am 22.11.2017 zu Recht erkannt:

A) Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs 1 AsylG

2005 iVm § 34 Abs 2 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs 5 AslyG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Tanja KOENIG-LACKNER als Einzelrichterin über die Beschwerde des Viertbeschwerdeführers XXXX ,

geb. XXXX (BF4), StA. Afghanistan, vertreten durch die Vertretung Mutter XXXX , diese vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29.6.2017, Zahl: 1091297407-151568016, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 22.11.2017 zu Recht erkannt:

A) Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs 1 AsylG

2005 iVm

§ 34 Abs 2 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs 5 AslyG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Tanja KOENIG-LACKNER als Einzelrichterin über die Beschwerde der Fünftbeschwerdeführerin XXXX ,

geb. XXXX (BF5), StA. Afghanistan, vertreten durch die Vertretung Mutter XXXX , diese vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, vom 29.6.2017, Zahl: 1091297603-151568059, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 22.11.2017 zu Recht erkannt:

A) Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs 1 AsylG

2005 iVm § 34 Abs 2 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs 5 AslyG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Zur leichteren Nachvollziehbarkeit wird festgehalten, dass die Abkürzungen BF1 bis BF5 im Folgenden – zur leichteren Lesbarkeit dieser Entscheidung – beibehalten werden.

1. Die BF2 und der BF1 reisten gemeinsam mit ihren minderjährigen Kindern BF3 bis BF5 unrechtmäßig und schlepperunterstützt in das österreichische Bundesgebiet ein und stellten am 16.10.2015 für sich und die minderjährigen Kinder BF3 bis BF5 Anträge auf internationalen Schutz.

2. Der BF1 gab bei der Erstbefragung vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Landespolizeidirektion Niederösterreich an, aus Afghanistan aus der Provinz Herat zu stammen, nämlich aus dem Distrikt Anjil, aus dem Dorf XXXX . Die letzten zwölf Jahre vor seiner illegalen Einreise in das Bundesgebiet hätte er mit seiner Familie im Iran in Karaj, XXXX , gelebt. Er gab an, dass sie illegal im Iran aufhaltig gewesen wären und die Kinder nicht in die Schule geduscht hätten. Er wolle, dass seine Kinder eine gute Ausbildung erhalten und habe er in seiner Heimat fände und könne dorthin nicht mehr zurück.

Am 24.5.2017 gab der BF1 vor der belangten Behörde an, dass er gesund wäre und keine Medikamente nehme, der Volksgruppe der Tadschicken angehöre und zwei Jahre die Koranschule in Afghanistan besucht habe. Die Muttersprache sei darin, Farsi wäre besser als die Muttersprache und als vom neunten Lebensjahr bis zum 17. Lebensjahr ausgeübten Beruf gab er "Landwirt" an. Für seine Kinder gelten dieselben Fluchtgründe wie für ihn. Als Grund für das Verlassen des Herkunftsstaates gab er an, dass es im Sommer 2000 in Afghanistan zu einer Grundstücksstreitigkeit mit einer Familie im Dorf, mit welcher es immer Probleme gegeben habe, gekommen wäre. Diese Familie hätte behauptet, dass das Feld der Familie des BF1 ihnen gehören würde. Im damaligen Zeitpunkt sei er der Verlobte seiner heutigen Ehefrau gewesen und sei er mit seinem Schwiegervater und seinem Schwager auf dem Feld beschäftigt gewesen. An einem Tag wären vier Brüder aus der besagten Familie mit Schlagstöcken bewaffnet auf dieses Feld gekommen. Aus diesem Quartett hätte einer dem Schwiegervater einen so heftigen Schlag gegen den Hinterkopf verpasst, dass dieser bewusstlos zu Boden fiel. Sodann hätten die Täter dreimal auf den Oberschenkel des Schwiegervaters eingestochen und ebenso den BF1 am Körper verletzt, nämlich hinter dem Ohr und an der rechten und an der linken Hand. Der Schwerverletzte Schwiegervater sei ins Krankenhaus gebracht worden, wo der Tod festgestellt worden sei. Am folgenden Tage hätte die Familie des BF1 Anzeige erstattet und drei dieser vier Brüder aus der streitbaren Familie seien festgenommen worden. Der vierte Täter aber hätte die Polizisten im Dorf bestochen, so dass die Polizei nach zehn Tagen der Auffassung gewesen sei, dass eine familiäre Streitigkeit vorliegt und die Polizei hierfür nicht zuständig wäre. Die Polizei hätte gemeint, dass dieses Problem unter den beiden Familien mithilfe des Dorfältesten abzuklären wäre. Die Polizei hätte die festgenommenen Brüder auf freien Fuß gesetzt und nach einer Sitzung im Dorf wäre der Lösungsvorschlag unterbreitet worden, dass die beiden Familien jeweils eine Frau mit einem Mann der anderen Familie verheiraten sollten, so dass infolge künftiger Verwandtschaft die Probleme gelöst wären. Der damals mit der BF2 verlobte BF1 hätte auf seine Verlobte (BF2) verzichten müssen und wäre diese Lösung für die Familie der gegenständlichen Beschwerdeführer nicht zufriedenstellend gewesen, da sie in diesem Fall sowohl das Grundstück als auch der BF1 seine Verlobte (BF2) verloren hätten. Das streitgegenständliche Grundstück wäre als Feld die Einnahmequelle der Familie gewesen und seine Familie daher nicht gewillt gewesen, dieses aufzugeben. Zwischenzeitig hätte die streitbare Familie sowohl dieses Feld als auch das Haus der Familie an sich genommen. Die BF2 wäre sehr traurig gewesen und hätte gesagt, dass sie nicht in Mörder ihres Vaters heiraten wolle und nach einer Besprechung im Kreise der Familie wurde beschlossen, Afghanistan in Richtung Iran zu verlassen, was zwei Tage später auch erfolgte. Der BF1 sei mit der BF2, der Mutter der BF2 und dem Schwager in den Iran geflüchtet.

Im Iran hätten die Beschwerdeführer sehr wenig bis gar keine Rechte besessen: Die Kinder hätten nicht in die Schule gehen gedurft und sei es nicht möglich gewesen, legal zu arbeiten. Ständig hätte die Gefahr bestanden, von der iranischen Polizei erwischt und nach Afghanistan abgeschoben zu werden. So sei es dem BF1 auch ein paar Mal ergangen, aber hätte er Bestechungsgeld bezahlt und sich somit freigekauft. Im Jahr 2015 hätte der Iran sehr viele Afghanen nach Syrien geschickt, um dort zu kämpfen und hätten diese illegalen Afghanen von der iranischen Behörde hierfür lukrative Angebote bekommen in Form von finanzieller Unterstützung für die Familie und legaler Aufenthalt im Iran. Die meisten Afghanen wären aber nie zurückgekehrt, da sie ihr Leben im Krieg lassen mussten. Aus diesem Grunde sei der BF1 in großer Angst gewesen.

Eine Rückkehr nach Afghanistan wäre den Beschwerdeführern nicht möglich, da die streitbare Familie Freunde und Bekannte in Afghanistan habe und daher die Beschwerdeführer finden könnte und wurde zudem auf die sehr schlechte Sicherheitslage hingewiesen und auf den Umstand, dass der BF1 seine Verlobte nicht hätte verlieren wollen. Er könne auf gar keinen Fall zurück, da er in Herat nach wie vor diese Probleme habe und in Kabul oder anderswo würde er Probleme mit Paschtunen oder Sunniten bekommen, da er Schiit sei. Er habe in Afghanistan niemanden mehr und kenne sich dort nicht aus.

3. Im Rahmen der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab BF2 für sich und die von ihr vertretenen minderjährigen BF3 bis BF5 zu ihren Fluchtgründen zusammengefasst an, dass sie eine gute Ausbildung für ihre Kinder wolle und hier bleiben wolle. Im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan befürchte sie, dass sie ihren Kindern keine Zukunft bieten könnten. Vor der belangten Behörde am vierten 20.5.2017 gab die Beschwerdeführerin an, seit dem Tod ihres Vaters an psychischen Problemen zu leiden und dies betreffend bereits im Iran in Behandlung gewesen zu sein. Im Iran hätte sie Beruhigungstabletten und Schlaftabletten erhalten und hätte sie in Österreich Medikamente erhalten, die ihr wirklich helfen. In der Früh nehme sie eine Tablette gegen Depressionen und am Abend nehme sie eine Schlaftablette. Für ihre Kinder würden die selben Fluchtgründe gelten wie für sie. Sie sei Analphabetin, aus der Volksgruppe der Tadschiken und hätte den Beruf einer Hausfrau ausgeübt. Sie beziehe sich voll und ganz auf die Fluchtgründe ihres Mannes, sie selbst habe keine eigenen. Nach Afghanistan könnten sie nicht zurückkehren, so die BF2, da die Feinde dort ihren Vater umgebracht hätten und sie Angst habe, dasselbe Schicksal zu erleiden. Nun habe sie zwei Töchter, welche in Lebensgefahr wären und sie habe Angst, dass die Töchter misshandelt werden. Das Leben hier in Österreich sei ruhig und ganz anders als in Afghanistan, hier könne sie sogar Radfahren, ihre Tochter besuche die Schule und fühlen sich sehr wohl.

4. Mit den nunmehr bekämpften Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurde den BF1 bis BF5 jeweils gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 der Antrag auf internationalen Schutz vom 18.8.2015 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen und dem BF1 gemäß § 8 Abs 1 AsylG 2005 bzw den BF2 bis BF5 jeweils gemäß § 8 Abs 1 iVm § § 34 Abs 3 AsylG 2005 der Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan bis zum 28.6.2018 erteilt.

5. Gegen diese Bescheide brachten die BF1 bis BF5 vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich das Rechtsmittel der Beschwerde ein.

In dieser werden – zusammengefasst – die Bescheide der belangten Behörde bekämpft und wird begründet, dass die Heimat aus wohl begründeter Furcht vor Verfolgung durch private Akteure aufgrund der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe und mangels Fähigkeit des Heimatstaates, Schutz vor dieser Verfolgung zu bieten, verlassen worden wäre. Die Fluchtgründe wären von Asyl Relevanz und würden die Gewährung des Asylstatus im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention rechtfertigen. Hinsichtlich Gründe für das Verlassen des Heimatstaates würde auf die bisher im Verfahren vorgebrachten Schilderungen hingewiesen. Der Entschluss Afghanistan zu verlassen und sich dem Risiko, als illegale Personen im Iran erwischt zu werden, auszusetzen, wäre gefasst worden, um der Blutrache zu entgehen und wurde im Hinblick auf die BF2 vorgebracht, dass die Länder Feststellungen bestätigen würden, dass die Lage der Frau in Afghanistan in allgemeinen gefährlich wäre und wird auf die in Afghanistan übliche Praxis des Frauentausches als Konfliktschlichtung hingewiesen. Die Gefahr, welche dem BF1 und seiner Gattin BF2 aufgrund des von Ihnen geschilderten Vorfalls drohe, hätte die belangte Behörde nicht berücksichtigt und liege im gegenständlichen Fall eine asylrelevante Verfolgung aufgrund einer Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe vor, da es endgültig zu einer Blutfehde gekommen sei und die Beschwerdeführer die Folgen der familiären Auseinandersetzung tragen müssten. Bei der Beurteilung von familiärer Gewalt sei nach der Rechtsprechung des EGMR und des VwGH auf die Effektivität von Gewaltsschutzgesetzen abzustellen sei eine Prognose, inwiefern ein Schutz gegen häusliche oder intrafamiliäre Gewalt künftiger Weise erwartet werden könne, zu erstellen (Putzer, Asylrecht, Wien2011, RZ 91 mwN).

Weiters wurde iZm Blutfehde und Blutrache auf einen Bericht des Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 26.2.2009 verwiesen und auf § 18 Abs. 1 AsylG 2005, wonach die Behörde in allen Stadien des Verfahrens amtswegig darauf hinzuwirken habe, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht und lückenhafte Angaben vervollständigt und Beweismittel für diese Angaben bezeichnet, ergänzt oder überhaupt gegeben werden. Diesen Anforderungen hätte die belangte Behörde nicht genügt und damit das Verfahren durch Mangelhaftigkeit belastet die getroffenen Länderfeststellungen wären unvollständig, dass sie sich kaum mit dem konkreten Flucht Vorbringen befassen würden. Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurde – zum Zwecke dafür, dass die Fluchtgründe noch einmal vor unabhängigen Richtern persönlich und unmittelbar geschildert werden können – begehrt und beantragt, die Bescheide dahingehend zu beheben, dass den Beschwerdeführern Asyl gewährt werde, in eventu die angefochtenen Bescheide zur Gänze zu beheben und an die belangte Behörde zurückzuverweisen.

6. Die belangte Behörde legte die bezughabenden Akte dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor und langten diese am 24.7.2017 ein.

7. Am 22.11.2017 wurde vor dem Bundesverwaltungsgericht die öffentliche mündliche Verhandlung durchgeführt, an welcher ein Dolmetscher für die Sprache Dari teilnahm sowie ein Vertreter des Verein Menschenrechte Österreich. Mit der Ladung zur öffentlichen mündlichen Verhandlung wurde der Länderbericht der Staatendokumentation vom 25.9.2017 übermittelt.

8. Die Beschwerdeführer BF1 und BF2 wurden vor dem Bundesverwaltungsgericht in der öffentlichen mündlichen Verhandlung nach dem Hinweis auf die Mitwirkungspflicht nach § 15 AsylG 2005 und das Aussageverweigerungsrecht befragt.

Die BF2 brachte im Wesentlichen auf Befragen nach seinen Fluchtgründen bei jenen vor der belangten Behörde vorgebrachten Fluchtgründen. Sie ergänzte, dass sie sich in psychotherapeutische Behandlung begeben hätte und Medikamente nimmt. Zu dem fluchtauslösenden Ereignis brachte sie vor, dass sie als Schlichtung infolge Mädchentausch an die streitbare Familie verheiratet hätte werden sollen. Sie hätte im damaligen Alter von 14 Jahren einen 40-45 Jahre alten Mann aus dieser Familie, welcher bereits verheiratet gewesen wäre und mehrere Kinder gehabt hätte, ehelichen sollen. Sie brachte unter Tränen vor, dass sie in diesem Fall zu Dienerinnen geworden wäre, versklavt, verheiratet als zweite Ehefrau. Sie brachte vor: "Was habe ich verbrochen, was ist meine Schuld gewesen als eine Frau".

Wieder unter Tränen schilderte sie betreffend ihren zunächst als Fluchtort gewählten Aufenthaltsort Iran, dass ihren Kindern dort der Schulbesuch nicht erlaubt gewesen wäre und sie nicht gewollt hätte, dass ihre Tochter Analphabetin bleibt, wie sie es eine ist. Sie selbst habe in Afghanistan keine Schule besucht und wäre es Frauen in Afghanistan nicht erlaubt, zu Schule zu gehen, Frauen müssten nur zu Hause sein und den Haushalt führen. Sie habe in Afghanistan als Frau nicht das Recht gehabt, nach draußen zu gehen. Frauen hätten kein Recht dazu, in die Öffentlichkeit zu gehen. Sie brachte vor, dass es ihr beiden Vernehmungen im bisherigen Verfahren psychisch nicht sehr gut gegangen wäre und dass es ihr heute besser gehe zu Hause in Afghanistan habe sie sich immer zu Hause aufgehalten, ebenso im Iran. In Österreich dürften Frauen in die Schule gehen und habe sie als Frau in Afghanistan keine Wünsche hinsichtlich Ausbildung gehabt, weil es nicht möglich gewesen wäre. Aber in Österreich habe sie die Wünsche, Ausbildungen zu machen, nämlich zunächst die deutsche Sprache besser zu erlernen und danach ihren Hauptschulabschluss zu machen sie lieber die Schneiderei in Österreich hätten die Frauenrechte auf ihre Freiheiten und könnten sich frei bewegen, auch in der Öffentlichkeit. In Österreich gehe sie einkaufen und bringe die Kinder zu Schule, man könne hier viel unternehmen. Sie habe sich trotz des jungen Alters ihrer kleinsten Tochter für einen Deutschkurs angemeldet und werde einen solchen besuchen, nachdem die jüngste Tochter in den Kindergarten aufgenommen wird. Sie wolle in Österreich nicht immer zu Hause sitzen, sondern sich in der Öffentlichkeit bewegen. Im Falle der Rückkehr nach Afghanistan fügte sie um das Leben ihrer Tochter, dass diese dasselbe Schicksal erfahren könnte, welches die BF2 in Afghanistan erlebt hätte. Sie würde ihre Tochter fürchten.

Auf Befragen, was sie sagen würde, wenn ihre Tochter einmal nach Hause kommt mit einem Mann und den Eltern sagt, diesen wolle sie heiraten, gab sie an sie sollen machen was sie wollen [Anm: es gibt zwei Töchter: BF3 und BF5]. Die BF2 werde dies respektieren, es wäre kein Problem, wenn dieser Mann ein Österreicher wäre und kein Moslem, ihre Töchter sollten selbst entscheiden. Mit ihrem nunmehrigen Erscheinungsbild könne sie sich nie in Afghanistan frei bewegen, so die ohne Kopfbedeckung, in Blue Jeans und Shirt mit Swarovski-Steinen verzierten Shirt, auftretende BF2.

Der BF1 gab vor dem Bundesverwaltungsgericht zu den Fluchtgründen befragt im Wesentlichen an, was er bereits im bisherigen Verfahren ausführte und zeigte dem Gericht angeblich bei einem Angriff durch Mitglieder der streitbaren Familie erlittene Schnittverletzungen hinter dem linken Ohr, am Handrücken der rechten Hand und an der linken Hand. Der BF1 der der führte aus, dass der behauptete Mord an seinem Schwiegervater, dem Vater der BF2, trotz Anzeige an die Polizei, von dieser nicht weiter verfolgt worden wäre, da diese nach behaupteter erfolgter Bestechung durch die andere Familie, behauptet hätte, dass es sich um eine Privatangelegenheit handle.

Er brachte vor, im Iran als Maler tätig gewesen zu sein und wäre seine Tochter XXXX , die BF3, an einer Schule im Iran trotz Erreichen des Schulalters nicht aufgenommen worden, in Ermangelung des legalen Aufenthaltsstatus. Im Iran hätte man ihnen gesagt, dass die Beschwerdeführer nicht sagen sollten, dass ihr Haus in der Nähe der Schule wäre, denn ihr Haus und ihr Zuhause wären in Afghanistan. Der BF1 bestätigte, dass seine Gattin BF2 im Iran als Hausfrau tätig gewesen sei und dass die Kinder die gleichen Fluchtgründe wie BF1 und BF2 hätten. Ein anderer Fluchtgrund wäre seine Tochter, welche zu einer Erwachsenen heranwächst. Der BF1 gab an, dass sie Angst um sie hätten, dass ihr anstelle der BF2 durch die streitbare Familie Zwangsverheiratung drohe zum Zwecke der Streitschlichtung.

Sowohl der BF1 als auch die BF2 gaben an, in Afghanistan die aufgrund ihrer Volksgruppenzugehörigkeit verfolgt oder bedroht worden zu sein, auch nicht aufgrund der Religion und keine Probleme mit der Polizei, den Behörden oder Gerichten gehabt zu haben.

Auf Befragen, ob es Äußerungen zum Länderbericht gebe, brachte der Rechtsvertreter vor, dass trotz Bemühungen durch die afghanische Regierung Frauen nach wie vor gesellschaftlicher Diskriminierung ausgesetzt seien und dies vor allem für Frauen, welche aus dem Exil im Iran oder Europa zurückkehren, gelte. Im gegenständlichen Fall habe die Familie 15 Jahre im Iran gelebt und alle drei Kinder wären im Iran geboren und bislang nie in Afghanistan gewesen. Die Familie habe in Afghanistan keine sozialen oder familiären Anknüpfungspunkte und versuche sich in Österreich zu integrieren.

Vorgelegt wurden eine Teilnahmebestätigung betreffend den BF1 betreffend Werte- und Orientierungskurs vom 18.9.2017,

Schulbesuchsbestätigung betreffend die BF3 vom 7.11.2017,

Schulbesuchsbestätigung betreffend den BF4 vom 7.11.2017, Kursbestätigung betreffend den BF1 der Caritas Flüchtlingshilfe betreffend Deutsch-Kurs A1.2. vom 9.8.2017, Anmeldung zum Startpaket Eurasya vom Simon 20.9.2017 betreffend den BF1, Informationsblatt des ÖIF betreffend den BF1, Integrationserklärung betreffend die BF2 vom 15.11.2017 in deutscher Sprache und in der Sprache Farsi.

9. Im betreffend die BF2 vorgelegten Fremdakt der belangten Behörde liegen folgende Dokumente ein:

* Kursbestätigung der Caritas Flüchtlingshilfe über "Deutsch als Fremdsprache (Lesen & Schreiben)" vom 7.3.2017

* Teilnahmebestätigung am Kurs "Spracherwerb mit Freiwilligen" in der Zeit vom 1.9.2016 bis 10.5.2017

* Rückmeldung der XXXX , Abgeordnete zum Vorarlberger Landtag, vom 12.5.2017, worin diese als Leiterin der XXXX angibt, dass die BF2 eine selbstständige und lernbereite Frau ist und sehr zu einem guten Miteinander in dem doch sehr männlich ausgelasteten Haus XXXX , in dem rund 30 AsylwerberInnen untergebracht waren, beitrage. Sie habe bereits in mehreren Projekten ihre Hilfe selbstständig angeboten wäre auch jederzeit für ehrenamtliches Engagement zu gewinnen, sie wird beschrieben als sehr bemüht im Erlernen der deutschen Sprache und warte leider bereits sehr lange auf die nächste Möglichkeit eines Deutschkurses und werde dabei ehrenamtlich begleitet.

* Rückmeldung der XXXX vom 10.5.2017, ehrenamtliche Deutsch-Begleiterin im Haus XXXX . Demnach bemühe sich die BF2 sehr, die deutsche Sprache zu erlernen und nehme regelmäßig an Deutschkursen teilen, obwohl es für sie mühsam wäre, da sie in Afghanistan keine Schulbildung erhalten habe.

* Anonyme Bestätigung vom 12.5.2017, wonach die BF2 im Rahmen des Projekts "Miteinander der Generationen und Kulturen" im Hause dieser Person bei Bügelarbeiten helfen würde und das sehr gewissenhaft und zuvorkommend

* Teilnahmebestätigung der Gemeinde XXXX , "Miteinander der Generationen und Kulturen" vom 12.5.2017, wonach die BF2 beim Projekt mitwirkt und sie im Rahmen der Nachbarschaftshilfe tätig war und als sehr fleißig, hilfsbereit und zuvorkommend beschrieben wird. Das Projekt wird damit beschrieben, dass AsylwerberInnen kleine Hilfstätigkeiten zur Förderung des Miteinanders der Generationen und Kulturen übernehmen, etwa einfache Arbeiten in Haus und Garten, Übernahme von Botengängen etc.

* Urkunde über Besuch der BF2 eines Fahrradkurses für Frauen betreffend Kursinhalte Verkehrssicherheit, Verkehrsregeln, Fahrradtechnik, sicheres aufsteigen und absteigen, Gleichgewichtsgefühl, fahren im Parcours und im Straßenverkehr.

* Ärztlicher Bericht Dris. XXXX , Facharzt für Psychiatrie und Neurologie, vom 3.5.2017, mit der Diagnose "Anpassungsstörung mit verlängerter depressiver Reaktion, basierend auf einer posttraumatischen Belastungssituation, ICD-10 F43.21"

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Das Bundesverwaltungsgericht trifft aufgrund des glaubhaft gemachten

Sachverhaltes folgende Feststellungen:

Zu den Beschwerdeführern wird festgestellt:

1.1. Die BF1 (geb. XXXX ), BF2 (geb. XXXX ), BF3 (geb. XXXX ), BF4 (geb. XXXX ), und BF5 (geb XXXX ) sind Staatsangehörige von Afghanistan mit der Volksgruppenzugehörigkeit "Tadschiken". Sie gehören der schiitischen Glaubensrichtung des Islam an. Der BF1 ist mit der BF2 verheiratet. Die BF3 bis BF5 sind unmündige Minderjährige und sind die im Iran geborenen Kinder des BF1 und der BF2.

BF1 und BF2 reisten gemeinsam mit den unmündigen Minderjährigen BF3 bis BF5 unrechtmäßig in das Bundesgebiet ein, wo sie am 16.10.2015 die Anträge auf internationalen Schutz stellten.

1.2. Die BF2 und der BF1 lebten in ihrem Herkunftsstaat Afghanistan als Angehörige der Volksgruppe Tadschiken bis zur Ausreise in den Iran in Afghanistan in der Provinz Herat.

Der BF2 ( XXXX ) war in Afghanistan die Schulbildung verwehrt. Sie war in Afghanistan Gegenstand eines von einer anderen Familie vorgeschlagenen Paktes zur Streitschlichtung zwischen dieser Familie und ihrer Familie und hätte diese Streitschlichtung so ausgesehen, dass die BF2 einen Mann aus der anderen Familie hätte ehelichen und damit zu dessen Zweitfrau werden sollen.

Die Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht ergab, dass die BF2 eine selbständige Frau ist, welche sich in ihrer Wertehaltung und Lebensweise an dem in Europa mehrheitlich gelebten Frauen- und Gesellschaftsbild (selbstbestimmt leben zu wollen) orientiert. Die BF2 war bisher Bundesgebiet bemüht, trotz ihrer Anpassungsstörung mit verlängerter depressiver Reaktion, basierend auf einer posttraumatischen Belastungssituation bemüht war, sich aktiv in der österreichischen Gesellschaft einzubringen (Projekt "Miteinander der Generationen und Kulturen".

Sie kleidet und frisiert sich nach westlicher Mode.

Sie lebt nicht mehr nach der konservativ-afghanischen Tradition und lehnt die Umstände und Lebensverhältnisse für Frauen in Afghanistan sowie die dort an den Tag gelegten Usancen wie zB Streitschlichtung durch Übergabe einer Frau ab. Sie zeigt sich auch unglücklich über das Schicksal, in Afghanistan Gegenstand eines solchen vorgeschlagenen Paktes geworden zu sein und befürchtet sie, dass auch ihre heranwachsende Tochter Gegenstand einer solchen in Afghanistan verbreiteten Methode zur Streitschlichtung werden könnte. Es liegt ihr sehr daran, jenen Lebensstil, den sie in Österreich führt, in ihrem künftigen Leben fortzuführen, da sie künftig – was ihr in ihrem Herkunftsstaat verwehrt war – einen Schulabschluss erreichen möchte. Die BF2 kann bereits Deutschkenntnisse aufweisen.

Diese Einstellung der Zweitbeschwerdeführerin steht im Widerspruch zu den nach den Länderfeststellungen im Herkunftsstaat bestehenden traditionalistisch-religiös geprägten gesellschaftlichen Auffassungen hinsichtlich Auftreten in der Öffentlichkeit und Bewegungsfreiheit der Frau.

Es liegen keine Gründe vor, nach denen die BF1 von der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten auszuschließen wäre.

1.3. Die BF1 bis BF5 leben in Österreich von der Grundversorgung und sind in Österreich strafrechtlich unbescholten.

1.4. Zur Situation in Afghanistan wird festgestellt:

Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 2.3.2017, zuletzt aktualisiert am 25.9.2017, Schreibfehler teilweise korrigiert):

Politische Lage:

Nach dem Sturz des Taliban-Regimes im Jahr 2001 wurde eine neue Verfassung erarbeitet (IDEA o.D.) und im Jahre 2004 angenommen (Staatendokumentation des BFA 7.2016; vgl. auch: IDEA o.D.). Sie basiert auf der Verfassung aus dem Jahre 1964. Bei Ratifizierung sah diese Verfassung vor, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürger Afghanistans, Mann und Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA Staatendokumentation des BFA 3.2014; vgl. Max Planck Institute 27.01.2004).

Die Innenpolitik ist seit der Einigung zwischen den Stichwahlkandidaten der Präsidentschaftswahl auf eine Regierung der Nationalen Einheit (RNE) von mühsamen Konsolidierungsbemühungen geprägt. Nach langwierigen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Lagern der Regierung unter Führung von Präsident Ashraf Ghani und dem Regierungsvorsitzenden (Chief Executive Officer, CEO) Abdullah Abdullah sind kurz vor dem Warschauer NATO-Gipfel im Juli 2016 schließlich alle Ministerämter besetzt worden (AA 9.2016). Das bestehende Parlament bleibt erhalten (CRS 12.01.2017), nachdem die für Oktober 2016 angekündigten Parlamentswahlen wegen bisher ausstehender Wahlrechtsreformen nicht am geplanten Termin abgehalten werden konnten (AA 9.2016; vgl. CRS 12.01.2017).

Parlament und Parlamentswahlen:

Generell leidet die Legislative unter einem kaum entwickelten Parteiensystem und mangelnder Rechenschaft der Parlamentarier gegenüber ihren Wähler/innen. Seit Mitte 2015 ist die Legislaturperiode des Parlamentes abgelaufen. Seine fortgesetzte Arbeit unter Ausbleiben von Neuwahlen sorgt für stetig wachsende Kritik (AA 9.2016). Im Jänner 2017 verlautbarte das Büro von CEO Abdullah Abdullah, dass Parlaments- und Bezirksratswahlen im nächsten Jahr abgehalten werden (Pajhwok 19.01.2017).

Die afghanische Nationalversammlung besteht aus dem Unterhaus, Wolesi Jirga, und dem Oberhaus, Meshrano Jirga, auch Ältestenrat oder Senat genannt. Das Unterhaus hat 249 Sitze, die sich proportional zur Bevölkerungszahl auf die 34 Provinzen verteilen. Verfassungsgemäß sind für Frauen 68 Sitze und für die Minderheit der Kutschi 10 Sitze im Unterhaus reserviert (USDOS 13.04.2016 vgl. auch: CRS 12.01.2017).

Das Oberhaus umfasst 102 Sitze. Zwei Drittel von diesen werden von den gewählten Provinzräten vergeben. Das verbleibende Drittel, wovon 50% mit Frauen besetzt werden müssen, vergibt der Präsident selbst. Zwei der vom Präsidenten zu vergebenden Sitze sind verfassungsgemäß für die Kutschi-Minderheit und zwei weitere für Behinderte bestimmt. Die verfassungsmäßigen Quoten gewährleisten einen Frauenanteil von 25% im Parlament und über 30% in den Provinzräten. Ein Sitz im Oberhaus ist für einen Sikh- oder Hindu-Repräsentanten reserviert (USDOS 13.04.2016).

Die Rolle des Zweikammern-Parlaments bleibt trotz mitunter erheblichem Selbstbewusstsein der Parlamentarier begrenzt. Zwar beweisen die Abgeordneten mit der kritischen Anhörung und auch Abänderung von Gesetzentwürfen in teils wichtigen Punkten, dass das Parlament grundsätzlich funktionsfähig ist. Zugleich nutzt das Parlament seine verfassungsmäßigen Rechte, um die Regierungsarbeit destruktiv zu behindern, deren Personalvorschläge zum Teil über längere Zeiträume zu blockieren und sich Zugeständnisse teuer abkaufen zu lassen. Insbesondere das Unterhaus spielt hier eine unrühmliche Rolle und hat sich dadurch sowohl die RNE als auch die Zivilgesellschaft zum Gegner gemacht (AA 9.2016).

Parteien:

Der Terminus Partei umfasst gegenwärtig eine Reihe von Organisationen mit sehr unterschiedlichen organisatorischen und politischen Hintergründen. Trotzdem existieren Ähnlichkeiten in ihrer Arbeitsweise. Einigen von ihnen war es möglich, die Exekutive und Legislative der Regierung zu beeinflussen (USIP 3.2015).

Die afghanische Parteienlandschaft ist mit über 50 registrierten Parteien stark zersplittert. Die meisten dieser Gruppierungen erscheinen jedoch mehr als Machtvehikel ihrer Führungsfiguren denn als politisch-programmatisch gefestigte Parteien. Ethnischer Proporz, persönliche Beziehungen und ad hoc geformte Koalitionen genießen traditionell mehr Einfluss als politische Organisationen. Die Schwäche des sich noch entwickelnden Parteiensystems ist auf fehlende strukturelle Elemente (wie z.B. ein Parteienfinanzierungsgesetz) zurückzuführen sowie auf eine allgemeine Skepsis der Bevölkerung und der Medien. Reformversuche sind im Gange, werden aber durch die unterschiedlichen Interessenlagen immer wieder gestört, etwa durch das Unterhaus selbst (AA 9.2016).

Im Jahr 2009 wurde ein neues Parteiengesetz eingeführt, das von allen Parteien verlangte, sich neu zu registrieren, und zum Ziel hatte, ihre Anzahl zu reduzieren. Anstatt wie zuvor die Unterschrift von 700 Mitgliedern müssen sie nun 10.000 Unterschriften aus allen Provinzen erbringen. Diese Bedingung reduzierte tatsächlich die Zahl der offiziell registrierten Parteien von mehr als 100 auf 63, trug aber anscheinend nur wenig zur Konsolidierung des Parteiensystems bei (USIP 3.2015).

Unter der neuen Verfassung haben sich seit 2001 zuvor islamistisch-militärische Fraktionen, kommunistische Organisationen, ethno-nationalistische Gruppen und zivilgesellschaftliche Gruppen zu politischen Parteien gewandelt. Sie repräsentieren einen vielgestaltigen Querschnitt der politischen Landschaft und haben sich in den letzten Jahren zu Institutionen entwickelt. Keine von ihnen ist eine weltanschauliche Organisation oder ein Mobilmacher von Wähler/innen, wie es Parteien in reiferen Demokratien sind (USIP 3.2015). Eine Diskriminierung oder Strafverfolgung aufgrund exilpolitischer Aktivitäten nach Rückkehr aus dem Ausland ist nicht anzunehmen. Auch einige Führungsfiguren der RNE sind aus dem Exil zurückgekehrt, um Ämter bis hin zum Ministerrang zu übernehmen. Präsident Ashraf Ghani verbrachte selbst die Zeit der Bürgerkriege und der Taliban-Herrschaft in den 1990er Jahren weitgehend im pakistanischen und US-amerikanischen Exil (AA 9.2016).

Friedens- und Versöhnungsprozess:

Im afghanischen Friedens- und Versöhnungsprozess gibt es weiterhin keine greifbaren Fortschritte. Die von der RNE sofort nach Amtsantritt konsequent auf den Weg gebrachte Annäherung an Pakistan stagniert, seit die afghanische Regierung Pakistan der Mitwirkung an mehreren schweren Sicherheitsvorfällen in Afghanistan beschuldigte. Im Juli 2015 kam es erstmals zu direkten Vorgesprächen zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban über einen Friedensprozess, die aber nach der Enthüllung des jahrelang verschleierten Todes des Taliban-Führers Mullah Omar bereits nach der ersten Runde wieder eingestellt wurden. Die Reintegration versöhnungswilliger Aufständischer bleibt weiter hinter den Erwartungen zurück, auch wenn bis heute angeblich ca. 10.000 ehemalige Taliban über das "Afghanistan Peace and Reintegration Program" in die Gesellschaft reintegriert wurden (AA 9.2016).

Hezb-e Islami Gulbuddin (HIG):

Nach zweijährigen Verhandlungen (Die Zeit 22.09.2016) unterzeichneten im September 2016 Vertreter der afghanischen Regierung und der Hezb-e Islami ein Abkommen (CRS 12.01.2017), das der Hezb-e Islami Immunität für "vergangene politische und militärische" Taten zusichert. Dafür verpflichtet sich die Gruppe, alle militärischen Aktivitäten einzustellen (DW 29.09.2016). Einen Tag nach Unterzeichnung des Friedensabkommens zwischen der Hezb-e Islami und der Regierung erklärte erstere in einer Stellungnahme eine Waffenruhe (The Express Tribune 30.09.2016). Das Abkommen beinhaltet unter anderem die Möglichkeit eines Regierungspostens für Hekmatyar; auch soll sich die afghanische Regierung bemühen, internationale Sanktionen gegen Hekmatyar aufheben zu lassen (CRS 12.01.2017). Sobald internationale Sanktionen aufgehoben sind, wird von Hekmatyar erwartet, nach 20 Jahren aus dem Exil nach Afghanistan zurückkehren. Im Jahr 2003 war Hekmatyar von den USA zum "internationalen Terroristen" erklärt worden (NYT 29.09.2016). Schlussendlich wurden im Februar 2017 die Sanktionen gegen Hekmatyar von den Vereinten Nationen aufgehoben (BBC News 04.02.2017).

Sicherheitslage:

Die Sicherheitslage ist beeinträchtigt durch eine tief verwurzelte militante Opposition. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, Transitrouten, Provinzhauptstädte und den Großteil der Distriktzentren. Die afghanischen Sicherheitskräfte zeigten Entschlossenheit und steigerten auch weiterhin ihre Leistungsfähigkeit im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand. Die Taliban kämpften weiterhin um Distriktzentren, bedrohten Provinzhauptstädte und eroberten landesweit kurzfristig Hauptkommunikationsrouten; speziell in Gegenden von Bedeutung wie z.B. Kunduz City und der Provinz Helmand (USDOD 12.2016). Zu Jahresende haben die afghanischen Sicherheitskräfte (ANDSF) Aufständische in Gegenden von Helmand, Uruzgan, Kandahar, Kunduz, Laghman, Zabul, Wardak und Faryab bekämpft (SIGAR 30.01.2017).

In den letzten zwei Jahren hatten die Taliban kurzzeitig Fortschritte gemacht, wie z.B. in Helmand und Kunduz, nachdem die ISAF-Truppen die Sicherheitsverantwortung den afghanischen Sicherheits- und Verteidigungskräften (ANDSF) übergeben hatten. Die Taliban nutzen die Schwächen der ANDSF aus, wann immer sie Gelegenheit dazu haben. Der IS (Islamischer Staat) ist eine neue Form des Terrors im Namen des Islam, ähnlich der al-Qaida, auf zahlenmäßig niedrigerem Niveau, aber mit einem deutlich brutaleren Vorgehen. Die Gruppierung operierte ursprünglich im Osten entlang der afghanisch-pakistanischen Grenze und erscheint Einzelberichten zufolge auch im Nordosten und Nordwesten des Landes (Lokaler Sicherheitsberater in Afghanistan 17.02.2017).

INSO beziffert die Gesamtzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle in Afghanistan im Jahr 2016 mit 28.838 (INSO 2017).

Mit Stand September 2016 schätzt die Unterstützungsmission der NATO, dass die Taliban rund 10% der Bevölkerung beeinflussen oder kontrollieren. Die afghanischen Verteidigungsstreitkräfte (ANDSF) waren im Allgemeinen in der Lage, große Bevölkerungszentren zu beschützen. Sie hielten die Taliban davon ab, Kontrolle in bestimmten Gegenden über einen längeren Zeitraum zu halten und reagierten auf Talibanangriffe. Den Taliban hingegen gelang es, ländliche Gegenden einzunehmen; sie kehrten in Gegenden zurück, die von den ANDSF bereits befreit worden waren und in denen die ANDSF ihre Präsenz nicht halten konnten. Sie führten außerdem Angriffe durch, um das öffentliche Vertrauen in die Sicherheitskräfte der Regierung und deren Fähigkeit, für Schutz zu sorgen, zu untergraben (USDOD 12.2016). Berichten zufolge hat sich die Anzahl direkter Schussangriffe der Taliban gegen Mitglieder der afghanischen Nationalarmee (ANA) und afghanischen Nationalpolizei (ANP) erhöht (SIGAR 30.01.2017).

Einem Bericht des U.S. amerikanischen Pentagons zufolge haben die afghanischen Sicherheitskräfte Fortschritte gemacht, wenn auch keine dauerhaften (USDOD 12.2016). Laut Innenministerium wurden im Jahr 2016 im Zuge von militärischen Operationen – ausgeführt durch die Polizei und das Militär – landesweit mehr als 18.500 feindliche Kämpfer getötet und weitere 12.000 verletzt. Die afghanischen Sicherheitskräfte versprachen, sie würden auch während des harten Winters gegen die Taliban und den Islamischen Staat vorgehen (VOA 05.01.2017).

Obwohl die afghanischen Sicherheitskräfte alle Provinzhauptstädte sichern konnten, wurden sie von den Taliban landesweit herausgefordert: Intensive bewaffnete Zusammenstöße zwischen den Taliban und afghanischen Sicherheitskräften verschlechterten die Sicherheitslage im Berichtszeitraum (16.08. – 17.11.2016) (UN GASC 13.12.2016; vgl. auch: SCR 30.11.2016). Den afghanischen Sicherheitskräften gelang es im August 2016, mehrere große Talibanangriffe auf verschiedene Provinzhauptstädte zu vereiteln und verlorenes Territorium rasch wieder zurückzuerobern (USDOD 12.2016).

Kontrolle von Distrikten und Regionen:

Den Aufständischen misslangen acht Versuche, die Provinzhauptstadt einzunehmen; den Rebellen war es möglich, Territorium einzunehmen. High-profile Angriffe hielten an. Im vierten Quartal 2016 waren 2,5 Millionen Menschen unter direktem Einfluss der Taliban, während es im dritten Quartal noch 2,9 Millionen waren (SIGAR 30.01.2017).

Laut einem Sicherheitsbericht für das vierte Quartal sind 57,2% der 407 Distrikte unter Regierungskontrolle bzw. –einfluss; dies deutet einen Rückgang von 6,2% gegenüber dem dritten Quartal an: Zu jenem Zeitpunkt waren 233 Distrikte unter Regierungskontrolle, 51 Distrikte waren unter Kontrolle der Rebellen und 133 Distrikte waren umkämpft. Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten unter Rebelleneinfluss oder -kontrolle waren: Uruzgan mit fünf von sechs Distrikten und Helmand mit acht von 14 Distrikten. Regionen, in denen Rebellen den größten Einfluss oder Kontrolle haben, konzentrieren sich auf den Nordosten in Helmand, Nordwesten von Kandahar und die Grenzregion der beiden Provinzen (Kandahar und Helmand), sowie Uruzgan und das nordwestliche Zabul (SIGAR 30.01.2017).

Rebellengruppen:

Regierungsfeindliche Elemente versuchten weiterhin, durch Bedrohungen, Entführungen und gezielte Tötungen ihren Einfluss zu verstärken. Im Berichtszeitraum wurden 183 Mordanschläge registriert, davon sind 27 gescheitert. Dies bedeutet einen Rückgang von 32% gegenüber dem Vergleichszeitraum im Jahr 2015 (UN GASC 13.12.2016). Rebellengruppen, inklusive hochrangiger Führer der Taliban und des Haqqani Netzwerkes, behielten ihre Rückzugsgebiete auf pakistanischem Territorium (USDOD 12.2016).

Afghanistan ist mit einer Bedrohung durch militante Opposition und extremistische Netzwerken konfrontiert; zu diesen zählen die Taliban, das Haqqani Netzwerk und in geringerem Maße al-Qaida und andere Rebellengruppen und extremistische Gruppierungen. Die Vereinigten Staaten von Amerika unterstützen eine von Afghanen geführte und ausgehandelte Konfliktresolution in Afghanistan – gemeinsam mit internationalen Partnern sollen die Rahmenbedingungen für einen friedlichen politischen Vergleich zwischen afghanischer Regierung und Rebellengruppen geschaffen werden (USDOD 12.2016).

Zwangsrekrutierungen durch die Taliban, Milizen, Warlords oder kriminelle Banden sind nicht auszuschließen. Konkrete Fälle kommen jedoch aus Furcht vor Konsequenzen für die Rekrutierten oder ihre Familien kaum an die Öffentlichkeit (AA 9.2016).

Taliban und ihre Offensive:

Die afghanischen Sicherheitskräfte behielten die Kontrolle über große Ballungsräume und reagierten rasch auf jegliche Gebietsgewinne der Taliban (USDOD 12.2016). Die Taliban erhöhten das Operationstempo im Herbst 2016, indem sie Druck auf die Provinzhauptstädte von Helmand, Uruzgan, Farah und Kunduz ausübten sowie die Regierungskontrolle in Schlüsseldistrikten beeinträchtigten und versuchten, Versorgungsrouten zu unterbrechen (UN GASC 13.12.2016). Die Taliban verweigern einen politischen Dialog mit der Regierung (SCR 12.2016).

Die Taliban haben die Ziele ihrer Offensive "Operation Omari" im Jahr 2016 verfehlt (USDOD 12.2016). Ihr Ziel waren großangelegte Offensiven gegen Regierungsstützpunkte, unterstützt durch Selbstmordattentate und Angriffe von Aufständischen, um die vom Westen unterstützte Regierung zu vertreiben (Reuters 12.04.2016). Gebietsgewinne der Taliban waren nicht dauerhaft, nachdem die ANDSF immer wieder die Distriktzentren und Bevölkerungsgegenden innerhalb eines Tages zurückerobern konnte. Die Taliban haben ihre lokalen und temporären Erfolge ausgenutzt, indem sie diese als große strategische Veränderungen in sozialen Medien und in anderen öffentlichen Informationskampagnen verlautbarten (USDOD 12.2016). Zusätzlich zum bewaffneten Konflikt zwischen den afghanischen Sicherheitskräften und den Taliban kämpften die Taliban gegen den ISIL-KP (Islamischer Staat in der Provinz Khorasan) (UN GASC 13.12.2016).

Der derzeitige Talibanführer Mullah Haibatullah Akhundzada hat im Jänner 2017 16 Schattengouverneure in Afghanistan ersetzt, um seinen Einfluss über den Aufstand zu stärken. Aufgrund interner Unstimmigkeiten und Überläufern zu feindlichen Gruppierungen, wie dem Islamischen Staat, waren die afghanischen Taliban geschwächt. Hochrangige Quellen der Taliban waren der Meinung, die neu ernannten Gouverneure würden den Talibanführer stärken, dennoch gab es keine Veränderung in Helmand. Die südliche Provinz – größtenteils unter Talibankontrolle – liefert der Gruppe den Großteil der finanziellen Unterstützung durch Opium. Behauptet wird, Akhundzada hätte nicht den gleichen Einfluss über Helmand wie einst Mansour (Reuters 27.01.2017).

Im Mai 2016 wurde der Talibanführer Mullah Akhtar Mohammad Mansour durch eine US-Drohne in der Provinz Balochistan in Pakistan getötet (BBC News 22.05.2016; vgl. auch: The National 13.01.2017). Zum Nachfolger wurde Mullah Haibatullah Akhundzada ernannt – ein ehemaliger islamischer Rechtsgelehrter – der bis zu diesem Zeitpunkt als einer der Stellvertreter diente (Reuters 25.05.2016; vgl. auch:

The National 13.01.2017). Dieser ernannte als Stellvertreter Sirajuddin Haqqani, den Sohn des Führers des Haqqani-Netzwerkes (The National 13.01.2017), und Mullah Yaqoub, Sohn des Talibangründers Mullah Omar (DW 25.05.2016).

Haqqani-Netzwerk:

Das Haqqani-Netzwerk ist eine sunnitische Rebellengruppe, die durch Jalaluddin Haqqani gegründet wurde. Sirajuddin Haqqani, Sohn des Jalaluddin, führt das Tagesgeschäft gemeinsam mit seinen engsten Verwandten (NCTC o.D.). Sirajuddin Haqqani wurde zum Stellvertreter des Talibanführers Mullah Haibatullah Akhundzada ernannt (The National 13.01.2017).

Das Netzwerk ist ein Verbündeter der Taliban – dennoch ist es kein Teil der Kernbewegung (CRS 26.05.2016). Das Netzwerk ist mit anderen terroristischen Organisationen in der Region, inklusive al-Qaida und den Taliban, verbündet (Khaama Press 16.10.2014). Die Stärke des Haqqani-Netzwerks wird auf 3.000 Kämpfer geschätzt (CRS 12.01.2017). Das Netzwerk ist hauptsächlich in Nordwaziristan (Pakistan) zu verorten und führt grenzübergreifende Operationen nach Ostafghanistan und Kabul durch (NCTC o.D.).

Das Haqqani-Netzwerk ist fähig – speziell in der Stadt Kabul –,Operationen durchzuführen; es finanziert sich durch legale und illegale Geschäfte in den Gegenden Afghanistans, in denen es eine Präsenz hat, aber auch in Pakistan und im Persischen Golf. Das Netzwerk führt vermehrt Entführungen aus – wahrscheinlich, um sich zu finanzieren und seine Wichtigkeit zu stärken (CRS 12.01.2017).

Kommandanten des Haqqani Netzwerk sagten zu Journalist/innen, das Netzwerk sei bereit, eine politische Vereinbarung mit der afghanischen Regierung zu treffen, sofern sich die Taliban dazu entschließen würden, eine solche Vereinbarung einzugehen (CRS 12.01.2017).

Al-Qaida:

Laut US-amerikanischen Beamten war die Präsenz von al-Qaida in den Jahren 2001 bis 2015 minimal (weniger als 100 Kämpfer); al-Qaida fungierte als Unterstützer für Rebellengruppen (CRS 12.01.2017). Im Jahr 2015 entdeckten und zerstörten die afghanischen Sicherheitskräfte gemeinsam mit US-Spezialkräften ein Camp der al-Quaida in der Provinz Kandahar (CRS 12.01.2017; vgl. auch: FP 02.11.2015); dabei wurden 160 Kämpfer getötet (FP 02.11.2015). Diese Entdeckung deutet darauf hin, dass al-Qaida die Präsenz in Afghanistan vergrößert hat. US-amerikanische Kommandanten bezifferten die Zahl der Kämpfer in Afghanistan mit 100-300, während die afghanischen Behörden die Zahl der Kämpfer auf 300-500 schätzten (CRS 12.01.2017). Im Dezember 2015 wurde berichtet, dass al-Qaida sich primär auf den Osten und Nordosten konzentrierte und nicht, wie ursprünglich von US-amerikanischer Seite angenommen, nur auf Nordostafghanistan (LWJ 16.04.2016).

Hezb-e Islami Gulbuddin (HIG):

Siehe oben unter "Friedens- und Versöhnungsprozess".

IS/ISIS/ISIL/ISKP/ISIL-K/Daesh – Islamischer Staat:

Seit dem Jahr 2014 hat die Terrorgruppe Islamischer Staat (IS) eine kleine Präsenz in Afghanistan etabliert (RAND 28.11.2016). Die Führer des IS nennen diese Provinz Wilayat Khorasan – in Anlehnung an die historische Region, die Teile des Irans, Zentralasien, Afghanistan und Pakistan beinhaltete (RAND 28.11.2016; vgl. auch:

MEI 5.2016). Anfangs wuchs der IS schnell (MEI 5.2016). Der IS trat im Jahr 2014 in zwei getrennten Regionen in Afghanistan auf: in den östlichsten Regionen Nangarhars, an der AfPak-Grenze und im Distrikt Kajaki in der Provinz Helmand (USIP 03.11.2016).

Trotz Bemühungen, seine Macht und seinen Einfluss in der Region zu vergrößern, kontrolliert der IS nahezu kein Territorium außer kleineren Gegenden wie z.B. die Distrikte Deh Bala, Achin und Naziyan in der östlichen Provinz Nangarhar (RAND 28.11.2016; vgl. auch: USIP 03.11.2016). Zwar kämpfte der IS hart in Afghanistan, um Fuß zu fassen, die Gruppe wird von den Ansäßigen jedoch großteils als fremde Kraft gesehen (MEI 5.2016). Nur eine Handvoll Angriffe führte der IS in der Region durch. Es gelang ihm nicht, sich die Unterstützung der Ansäßigen zu sichern; auch hatte er mit schwacher Führung zu kämpfen (RAND 28.11.2016). Der IS hatte mit Verlusten zu kämpfen (MEI 5.2016). Unterstützt von internationalen Militärkräften führten die afghanischen Sicherheitskräfte regelmäßig Luft- und Bodenoperationen gegen den IS in den Provinzen Nangarhar und Kunar durch – dies verkleinerte die Präsenz der Gruppe in beiden Provinzen. Eine kleinere Präsenz des IS existiert in Nuristan (UN GASC 13.12.2016).

Auch wenn die Gruppierung weiterhin interne Streitigkeiten der Taliban ausnützt, um die Präsenz zu halten, ist sie mit einem harten Kampf konfrontiert, um permanenter Bestandteil komplexer afghanischer Stammes- und Militärstrukturen zu werden. Anhaltender Druck durch US-amerikanische Luftangriffe haben weiterhin die Möglichkeiten des IS in Afghanistan untergraben; auch wird der IS weiterhin davon abgehalten, seinen eigenen Bereich in Afghanistan einzunehmen (MEI 5.2016). Laut US-amerikanischem Außenministerium hat der IS keinen sicherheitsrelevanten Einfluss außerhalb von isolierten Provinzen in Ostafghanistan (SIGAR 30.10.2017).

Unterstützt von internationalen Militärkräften führten die afghanischen Sicherheitskräfte regelmäßig Luft- und Bodenoperationen gegen den IS in den Provinzen Nangarhar und Kunar durch – dies verkleinerte die Präsenz der Gruppe in beiden Provinzen. Eine kleinere Präsenz des IS existiert in Nuristan (UN GASC 13.12.2016).

Presseberichten zufolge betrachtet die afghanische Bevölkerung die Talibanpraktiken als moderat im Gegensatz zu den brutalen Praktiken des IS. Kämpfer der Taliban und des IS gerieten aufgrund politischer oder anderer Differenzen, aber auch aufgrund der Kontrolle von Territorium, aneinander (CRS 12.01.2017).

Drogenanbau und Gegenmaßnahmen:

Einkünfte aus dem Drogenschmuggel versorgen auch weiterhin den Aufstand und kriminelle Netzwerke (USDOD 12.2016). Laut einem Bericht des afghanischen Drogenbekämpfungsministeriums vergrößerte sich die Anbaufläche für Opium um 10% im Jahr 2016 auf etwa 201.000 Hektar. Speziell in Nordafghanistan und in der Provinz Badghis verstärkte sich der Anbau: Blaumohn wächst in 21 der 34 Provinzen im Vergleich zum Jahr 2015, wo nur 20 Provinzen betroffen waren. Seit dem Jahr 2008 wurde zum ersten Mal von Opiumanbau in der Provinz Jawzjan berichtet. Helmand bleibt mit 80.273 Hektar (40%) auch weiterhin Hauptanbauprovinz, gefolgt von Badghis, Kandahar und der Provinz Uruzgan. Die potenzielle Opiumproduktion im Jahr 2016 macht insgesamt 4.800 Tonnen aus – eine Steigerung von 43% (3.300 Tonnen) im Gegensatz zum Jahr 2015. Die hohe Produktionsrate kann einer Steigerung des Opiumertrags pro Hektar und eingeschränkten Beseitigungsbemühungen aufgrund von finanziellen und sicherheitsrelevanten Ressourcen zugeschrieben werden. Hauptsächlich erhöhten sich die Erträge aufgrund von vorteilhaften Bedingungen, wie z.B. des Wetters und nicht vorhandener Pflanzenkrankheiten (UN GASC 17.12.2016).

Zivile Opfer:

Die Mission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UNAMA) dokumentiert weiterhin regierungsfeindliche Elemente, die illegale und willkürliche Angriffe gegen Zivilist/innen ausführen (UNAMA 10.2016). Zwischen 01.01. und 31.12.2016 registrierte UNAMA 11.418 zivile Opfer (3.498 Tote und 7.920 Verletzte) – dies deutet einen Rückgang von 2% bei Getöteten und eine Erhöhung um 6% bei Verletzten im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des Jahres 2015 an. Bodenkonfrontation war weiterhin die Hauptursache für zivile Opfer, gefolgt von Selbstmordangriffen und komplexen Attentaten sowie unkonventionellen Spreng- und Brandvorrichtung (IED) und gezielten und willkürlichen Tötungen (UNAMA 06.02.2017).

UNAMA verzeichnete 3.512 minderjährige Opfer (923 Kinder starben und 2.589 wurden verletzt) – eine Erhöhung von 24% gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres; die höchste Zahl an minderjährigen Opfern seit Aufzeichnungsbeginn. Hauptursache waren Munitionsrückstände, deren Opfer meist Kinder waren. Im Jahr 2016 wurden 1.218 weibliche Opfer registriert (341 Tote und 877 Verletzte), dies deutet einen Rückgang von 2% gegenüber dem Vorjahr an (UNAMA 06.02.2017).

Hauptsächlich waren die südlichen Regionen von dem bewaffneten Konflikt betroffen: 2.989 zivile Opfer (1.056 Tote und 1.933 Verletzte) – eine Erhöhung von 17% gegenüber dem Jahr 2015. In den zentralen Regionen wurde die zweithöchste Rate an zivilen Opfern registriert: 2.348 zivile Opfer (534 Tote und 1.814 Verletzte) – eine Erhöhung von 34% gegenüber dem Vorjahreswert aufgrund von Selbstmordangriffen und komplexen Angriffen auf die Stadt Kabul. Die östlichen und nordöstlichen Regionen verzeichneten einen Rückgang bei zivilen Opfern: 1.595 zivile Opfer (433 Tote und 1.162 Verletzte) im Osten und 1.270 zivile Opfer (382 Tote und 888 Verletzte) in den nordöstlichen Regionen. Im Norden des Landes wurden 1.362 zivile Opfer registriert (384 Tote und 978 Verletzte) sowie in den südöstlichen Regionen 903 zivile Opfer (340 Tote und 563 Verletzte). Im Westen wurden 836 zivile Opfer (344 Tote und 492 Verletzte) und 115 zivile Opfer (25 Tote und 90 Verletzte) im zentralen Hochgebirge registriert (UNAMA 06.02.2017).

Laut UNAMA waren 61% aller zivilen Opfer regierungsfeindlichen Elementen zuzuschreiben (hauptsächlich Taliban), 24% regierungsfreundlichen Kräften (20% den afghanischen Sicherheitskräften, 2% bewaffneten regierungsfreundlichen Gruppen und 2% internationalen militärischen Kräften); Bodenkämpfe zwischen regierungsfreundlichen Kräften und regierungsfeindlichen Kräften waren Ursache für 10% zivile Opfer, während 5% der zivilen Opfer vorwiegend durch Unfälle mit Munitionsrückständen bedingt waren (UNAMA 06.02.2017).

Mitarbeiter/innen internationaler Organisationen und der US-Streitkräfte:

Die Taliban greifen weiterhin Mitarbeiter/innen lokaler Hilfsorganisationen und internationaler Organisationen an – nichtsdestotrotz sind der Ruf der Organisationen innerhalb der Gemeinschaft und deren politischer Einfluss ausschlaggebend, ob ihre Mitarbeiter/innen Problemen ausgesetzt sein werden. Dieser Quelle zufolge sind Mitarbeiter/innen von NGOs Einschüchterungen der Taliban ausgesetzt. Einer anderen Quelle zufolge kam es im Jahr 2015 nur selten zu Vorfällen, in denen NGOs direkt angegriffen wurden (IRBC 22.02.2016). Angriffe auf Mitarbeiter/innen internationaler Organisationen wurden in den letzten Jahren registriert; unter anderem wurden im Februar 2017 sechs Mitarbeiter/innen des Internationalen Roten Kreuzes in der Provinz Jawzjan von Aufständischen angegriffen und getötet (BBC News 09.02.2017); im April 2015 wurden fünf Mitarbeiter/innen von "Save the Children" in der Provinz Uruzgan entführt und getötet (The Guardian 11.04.2015).

Die norwegische COI-Einheit Landinfo berichtet im September 2015, dass zuverlässige Beric

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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