Index
001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
TKG 1997 §101;Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden): 2000/17/0003Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hnatek und die Hofräte Dr. Köhler und Dr. Zens als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Keller, über die Beschwerden des B, vertreten durch D Rechtsanwälte GmbH in K, gegen die Bescheide des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien 1.) vom 11. November 1999, Zl. UVS-06//10/689/1998, und 2.) vom 23. November 1999, Zl. UVS-06/18/690/1998/005, beide betreffend Übertretung des § 12 Abs. 3 Wertpapieraufsichtsgesetz (weitere Partei: Bundesminister für Finanzen), zu Recht erkannt:
Spruch
Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.
Der Bund (Bundesministerium für Finanzen) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von insgesamt S 30.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid der Bundes-Wertpapieraufsicht vom 14. August 1998 wurde ausgesprochen, dass Dr. J am 8. April 1998 von einem Mitarbeiter der L GesmbH telefonisch kontaktiert worden sei, ohne dass Dr. J hiezu sein Einverständnis erklärt oder eine Geschäftsbeziehung zu dieser Gesellschaft unterhalten habe. Dabei sei die L GesmbH als Finanzdienstleister beworben worden. Der Beschwerdeführer habe als Geschäftsführer der L GesmbH gemäß § 9 VStG den dadurch erfolgten Verstoß gegen § 12 Abs. 3 des Wertpapieraufsichtsgesetzes, BGBl. Nr. 753/1996 (im Folgenden: WAG), zu verantworten. Über den Beschwerdeführer wurde gemäß § 27 Abs. 2 WAG eine Geldstrafe in der Höhe von S 30.000,--, im Falle der Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe von fünf Tagen verhängt.
Mit Bescheid der Bundes-Wertpapieraufsicht vom gleichen Tag wurde festgestellt, dass am 25. Mai 1998 Dkfm S von einem Mitarbeiter der L GesmbH telefonisch kontaktiert worden sei, ohne dass Dkfm S hiezu sein Einverständnis erklärt hätte oder dass eine Geschäftsbeziehung zwischen der L GesmbH und Dkfm S bestanden habe. Dabei sei die L GesmbH als Finanzdienstleister beworben worden. Der Beschwerdeführer habe als Geschäftsführer der L GesmbH gemäß § 9 VStG den dadurch begangenen Verstoß gegen § 12 Abs. 3 WAG zu verantworten. Über ihn wurde gemäß § 27 Abs. 2 WAG eine Geldstrafe in der Höhe von S 30.000,--, im Falle der Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe von fünf Tagen verhängt.
Der Beschwerdeführer erhob gegen beide Bescheide Berufung.
Mit dem erstangefochtenen Bescheid vom 11. November 1999 wurde die Berufung gegen den zuerst genannten erstinstanzlichen Bescheid gemäß § 66 Abs. 4 AVG mit der Maßgabe abgewiesen, dass die Tatumschreibung wie folgt zu lauten habe:
Der Beschwerdeführer "hat es als handelsrechtlicher Geschäftsführer und damit nach außen vertretungsbefugtes Organ der L GesmbH zu verantworten, dass Herr M von der L GesmbH, Herrn Dr. J am 8.4.1998 in Wien, ohne dass dieser vorher die genannte Firma hiezu aufgefordert oder mit der genannten Firma in Geschäftsbeziehung gestanden hat, telefonisch kontaktiert und die Vermittlung von US-amerikanischen Wertpapieren angeboten hat."
Dabei sah es die belangte Behörde als erwiesen an, dass ein Angestellter der L GesmbH Herrn Dr. J am 8. April 1998 in dessen Rechtsanwaltskanzlei angerufen und dabei das Unternehmen der L GesmbH vorgestellt und die Vermittlung von amerikanischen Wertpapieren angeboten habe. In rechtlicher Hinsicht sah die belangte Behörde hiedurch den Tatbestand des § 12 Abs. 3 WAG als verwirklicht an. Werbung sei die absichtliche und zwangsfreie Form der Beeinflussung menschlicher Willensentschließungen und Meinungsbildung. Dem so verstandenen weiten Begriff der Werbung sei aber das Verhalten des Mitarbeiters der L GesmbH, telefonisch das Unternehmen vorzustellen und die Vermittlung von amerikanischen Aktien anzubieten, zu unterstellen. Amerikanische Aktien seien auch Instrumente im Sinne des § 1 Abs. 1 Z. 7 lit. b bis f des Bankwesengesetzes. Zwar sei Dr. J als Rechtsanwalt freiberuflich tätig, es bestünden aber keine Hinweise darauf, dass Herr M Dr. J lediglich als potenziellen Kunden für die Veranlagung von Firmenvermögen anwerben habe wollen. Als Geschäftsführer der L GesmbH sei der Beschwerdeführer für den im Namen dieser Gesellschaft getätigten telefonischen Anruf verantwortlich. Mangelndes Verschulden im Sinne des § 5 Abs. 1 VStG habe der Beschwerdeführer nicht glaubhaft gemacht. Sodann begründete die belangte Behörde die Strafbemessung.
Mit dem zweitangefochtenen Bescheid vom 23. November 1999 wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gegen den zweiten oben zitierten Strafbescheid vom 14. August 1998 mit der Maßgabe als unbegründet ab, dass die Tatumschreibung wie folgt zu lauten habe:
Der Beschwerdeführer "hat es als handelsrechtlicher Geschäftsführer und somit als nach außen vertretungsbefugtes Organ der L GesmbH zu verantworten, dass ein Mitarbeiter der L GesmbH Herrn Dkfm S am 25.5.1998 in seinem Büro in Wien, ohne dass dieser zuvor die genannte Firma hiezu aufgefordert oder mit der genannten Firma in Geschäftsbeziehung gestanden hat, telefonisch kontaktiert und die Vermittlung von US-amerikanischen Wertpapieren angeboten hat."
Die belangte Behörde nahm es als erwiesen an, dass ein namentlich nicht näher bestimmter Mitarbeiter der L GesmbH am 25. Mai 1998 Herrn Dkfm S angerufen habe und dass im Zuge dieses Gespräches US-amerikanische Aktien erwähnt worden seien.
Aus den gleichen Gründen wie im erstangefochtenen Bescheid ausgeführt erachtete die belangte Behörde auch in der Begründung des zweitinstanzlichen Bescheides den Tatbestand des § 12 Abs. 3 WAG durch das Verhalten des Mitarbeiters der L GesmbH als erfüllt. Dem Vorbringen des Beschwerdeführers, er sei mit Straferkenntnis des Fernmeldebüros Wien vom 4. Jänner 1999 gemäß § 101 des Telekommunikationsgesetzes, BGBl. I Nr. 100/1997 (im Folgenden: TKG), bestraft worden, es liege daher Doppelbestrafung vor, hielt die belangte Behörde entgegen, dass das erstinstanzliche Straferkenntnis vor jenem des Fernmeldebüros erlassen worden sei, weshalb keine unzulässige Doppelbestrafung vorliege. Sodann wurde auch im zweitangefochtenen Bescheid die Strafzumessung begründet.
Gegen diese Bescheide richten sich die vorliegenden Beschwerden vor dem Verwaltungsgerichtshof. Der Beschwerdeführer erachtet sich in seinem Recht, auf Grund des festgestellten Sachverhaltes nicht nach § 12 Abs. 3 und § 27 Abs. 2 WAG bestraft zu werden, verletzt. Er macht Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften mit dem Antrag geltend, die angefochtenen Bescheide aus diesen Gründen aufzuheben.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die wegen ihres persönlichen, sachlichen und rechtlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Beratung und Beschlussfassung verbundenen Beschwerden erwogen:
§ 12 Abs. 3, § 27 Abs. 2 und § 28 Abs. 1 WAG lauten:
"§ 12. ...
...
(3) Die telefonische Werbung für eines der in § 1 Abs. 1 Z 7 lit. b bis f BWG genannten Instrumente und für Instrumente, Verträge und Veranlagungen gemäß § 11 Abs. 1 Z 3 ist gegenüber Verbrauchern verboten, sofern der Verbraucher nicht zuvor sein Einverständnis mit einem solchen Anruf erklärt hat oder wenn nicht mit dem Verbraucher bereits eine Geschäftsbeziehung besteht, es sei denn, dass er die telefonische Werbung abgelehnt hat.
...
§ 27. ...
(2) Wer als Anbieter von Wertpapierdienstleistungen gemäß § 11 die Bestimmungen der §§ 12 bis 18 verletzt, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit Geldstrafe bis zu 300 000 S zu bestrafen.
...
§ 28. (1) Für die Verhängung von Verwaltungsstrafen gemäß § 27 Abs. 1 bis 3 ist in erster Instanz die BWA zuständig."
Gemäß § 34 Abs. 1 WAG traten die hier zitierten Bestimmungen dieses Gesetzes mit 1. Jänner 1997 in Kraft.
In den Materialien zum WAG (369 BlgNR XX. GP 59) heißt es zu § 12 (auszugsweise):
"Abs. 3 verbietet die Telefonwerbung bei Nichtkunden. Erlaubt ist allerdings auch die Bewerbung eines Kunden mit Produkten einer Produktgattung, die dieser noch nicht hat, also zB die Bewerbung eines Gehaltskontoinhabers mit Kapitalanlagefondsanteilen."
§ 101 und § 104 Abs. 3 Z. 22 und Abs. 4 Telekommunikationsgesetz - TKG in der im Zeitpunkt der inkriminierten Anrufe gültigen Stammfassung BGBl. I Nr. 100/1997 lauten (auszugsweise):
"§ 101. Anrufe - einschließlich das Senden von Fernkopien - zu Werbezwecken ohne vorherige Einwilligung des Teilnehmers sind unzulässig. Der Einwilligung des Teilnehmers steht die Einwilligung einer Person, die vom Teilnehmer zur Benützung seines Anschlusses ermächtigt wurde, gleich. Die erteilte Einwilligung kann jederzeit widerrufen werden; der Widerruf der Einwilligung hat auf ein Vertragsverhältnis mit dem Adressaten der Einwilligung keinen Einfluss.
...
§ 104. ...
...
(3) Eine Verwaltungsübertretung begeht und ist mit einer Geldstrafe bis zu 500 000 S zu bestrafen, wer
...
22. entgegen § 101 unerbetene Anrufe zu Werbezwecken tätigt.
(4) Eine Verwaltungsübertretung gemäß Abs. 1 bis 3 liegt nicht vor, wenn die Tat den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung bildet oder nach anderen Verwaltungsstrafbestimmungen mit strengerer Strafe bedroht ist."
Gemäß § 128 Abs. 1 TKG traten die hier zitierten Bestimmungen dieses Gesetzes mit 1. August 1997 in Kraft.
Die Strafdrohung für entgegen § 101 unerbetene Anrufe blieb von der Novellierung des § 104 TKG durch BGBl. I Nr. 188/1999 unberührt (vgl. § 104 Abs. 3 Z. 23 TKG in dieser Fassung).
Nach den Erläuterungen zum TKG (759 BlgNR XX. GP, 56) ergibt sich das Verbot für Werbeanrufe in § 101 TKG aus Art. 13 der TK-Datenschutzrichtlinie (Richtlinie 97/66/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Dezember 1997 über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre im Bereich der Telekommunikation).
Gemäß Abs. 22 der Präambel zu dieser Richtlinie sind Vorkehrungen zu treffen, um die Teilnehmer gegen das Eindringen in ihre Privatsphäre durch unerbetene Anrufe oder unerbetene Fernkopieübermittlungen zu schützen.
§ 22 Abs. 1 VStG lautet:
"§ 22. (1) Hat jemand durch verschiedene selbstständige Taten mehrere Verwaltungsübertretungen begangen oder fällt eine Tat unter mehrere einander nicht ausschließende Strafdrohungen, so sind die Strafen nebeneinander zu verhängen."
Art. 4 Z. 1 des 7. ZP MRK lautet:
"1. Niemand darf wegen einer strafbaren Handlung, wegen der er bereits nach dem Gesetz und dem Strafverfahrensrecht eines Staates rechtskräftig verurteilt oder freigesprochen worden ist, in einem Strafverfahren desselben Staates erneut vor Gericht gestellt oder bestraft werden."
Der Beschwerdeführer brachte zunächst vor, er sei wegen der den gegenständlichen Straferkenntnissen zu Grunde liegenden Taten überdies mit Straferkenntnissen des Fernmeldebüros für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 4. Jänner 1999 bestraft worden. Das Doppelbestrafungsverbot des Art. 4 des 7. ZP MRK mache eine zweimalige Bestrafung wegen ein- und desselben Verhaltens unzulässig.
In einer Äußerung vom 25. April 2000 gab der Beschwerdeführer dann bekannt, dass die belangte Behörde seinen Berufungen gegen die Straferkenntnisse des Fernmeldebüros für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 4. Jänner 1999 am 12. Jänner 2000 Folge gegeben und die Verfahren eingestellt habe. Die belangte Behörde habe in diesen Bescheiden die Auffassung vertreten, dass dem § 12 Abs. 3 WAG durch § 101 TKG derogiert worden sei. Richtigerweise hätte eine Bestrafung nach § 101 TKG zu erfolgen gehabt. Im Hinblick auf die Rechtskraft der Bestrafung gemäß § 12 Abs. 3 WAG sei jedoch zur Vermeidung einer Doppelbestrafung jene nach § 101 TKG aufzuheben gewesen.
Mit diesem Vorbringen zeigt der Beschwerdeführer im Ergebnis eine inhaltliche Rechtswidrigkeit der angefochtenen Bescheide auf. Für die Frage der Rechtmäßigkeit der hier angefochtenen Bescheide erscheint es maßgeblich, welchen Einfluss die Erlassung des TKG auf den Straftatbestand des § 12 Abs. 3 WAG hatte. Hiezu ist Folgendes festzuhalten:
Die ältere Strafbestimmung des § 12 Abs. 3 WAG pönalisiert in Verbindung mit § 27 Abs. 2 WAG die telefonische Werbung für eines der in § 1 Abs. 1 Z. 7 lit. b bis f BWG genannten Instrumente, zu denen gemäß lit. e) leg. cit. auch Wertpapiere zählen, gegenüber Verbrauchern, es sei denn es bestünde zwischen dem Verbraucher und dem Werbenden eine Geschäftsbeziehung oder es liege ein Einverständnis des Verbrauchers vor. Die spätere Norm des § 101 TKG stellt in Verbindung mit § 104 Abs. 3 leg. cit. Anrufe zu Werbezwecken ohne vorherige Einwilligung des Teilnehmers unter Strafe. In aller Regel wird daher ein gemäß § 12 Abs. 3 WAG strafbares Verhalten auch den Tatbestand des § 101 TKG erfüllen. Demgegenüber geht der Anwendungsbereich des § 101 TKG über jenen des § 12 Abs. 3 WAG beträchtlich hinaus und erfasst die Telefonwerbung für welche Waren oder Dienstleistungen auch immer und enthält auch keine Einschränkung auf Telefonwerbung gegenüber Verbrauchern.
Andererseits sind lediglich in Ausnahmsfällen Konstellationen vorstellbar, in denen ein nach § 12 Abs. 3 WAG strafbares Verhalten nicht den Tatbestand des § 101 TKG erfüllt. Denkbar wäre in diesem Zusammenhang das Vorliegen der Zustimmung einer in § 101 erster oder zweiter Satz TKG genannten Person zur Telefonwerbung unter einem bestimmten Anschluss, wobei der dort dann angerufene Verbraucher mit dem Zustimmungsberechtigten aber nicht identisch ist. Das Vorliegen einer derartigen Sachverhaltskonstellation wurde aber von der belangten Behörde nicht festgestellt und bestehen nach der Aktenlage keine Anhaltspunkte für eine derartige Zustimmung des Teilnehmers oder einer von ihm ermächtigten Person zu den hier vorgeworfenen Werbeanrufen.
Die belangte Behörde ging in den angefochtenen Bescheiden davon aus, dass das Verhalten der Mitarbeiter der L GesmbH den Tatbestand des § 12 Abs. 3 WAG erfüllte.
Die Verbrauchereigenschaft Dris. J vorerst unterstellt, teilt der Verwaltungsgerichtshof diese Auffassung entgegen der in der Beschwerde vertretenen Meinung, ein Fall des § 12 Abs. 3 WAG läge erst dann vor, wenn individuell bestimmte Finanzinstrumente beworben würden.
Zum Schutzzweck des § 12 Abs. 3 WAG vertritt Winternitz, Kommentar zum Wertpapieraufsichtsgesetz, Rz 48 zu § 12 WAG folgende Auffassung:
"Bei Telefonanrufen besteht für den Anschlussinhaber keine Möglichkeit, vor Annahme des Anrufes festzustellen, ob es sich um ein für ihn wichtiges Telefonat handelt oder nicht. Somit kann sich der Angerufene nicht von vornherein gegen ein solches Eindringen in seine Privatsphäre schützen. Bereits der Werbeanruf an sich stellt demzufolge eine sittenwidrige Belästigung dar. Diesem Schutzbedürfnis soll auch die Beschränkung der Telefonwerbung, insbesondere des 'Cold Calling', also dem Anrufen ohne bestehende Geschäftsverbindung, gemäß § 12 Abs. 3 Rechnung tragen, dessen Inhalt bereits durch Lehre und Rechtsprechung zu § 1 UWG herausgearbeitet worden war."
Der Verwaltungsgerichtshof schließt sich dieser Auffassung an. Schon das Eindringen in die Privatsphäre durch einen Anruf zum Zweck der Bewerbung auch nicht individuell genannter Instrumente gemäß § 1 Abs. 1 Z. 7 lit. b bis f BWG würde den Tatbestand des § 12 Abs. 3 WAG erfüllen.
Demgemäß wäre vorliegendenfalls durch die jeweiligen Anrufe der Mitarbeiter der L GesmbH sowohl das Tatbild des § 12 Abs. 3 WAG als auch jenes des § 101 TKG erfüllt.
Es stellt sich daher die Frage, ob in diesem Fall
1.
eine Bestrafung nur nach § 12 Abs. 3 WAG
2.
eine Bestrafung kumulativ nach § 12 Abs. 3 WAG und nach § 101 TKG oder
3. eine Bestrafung lediglich nach § 101 TKG
zu erfolgen hat.
Die erstgenannte Variante, nämlich eine Bestrafung ausschließlich nach § 12 Abs. 3 WAG, scheidet auf Grund eines argumentum e contrario aus der Übergangsbestimmung des § 104 Abs. 4 TKG aus. Demnach ist u.a. die in § 101 TKG umschriebene Verwaltungsübertretung gegenüber Verwaltungsübertretungen, die mit strengerer Strafe bedroht sind, subsidiär. Der Verwaltungsstraftatbestand des § 12 Abs. 3 WAG ist aber mit milderer Strafe bedroht. Ginge man dessen ungeachtet von einer Strafbarkeit nur nach § 12 Abs. 3 WAG aus, bedeutete dies, dass § 101 TKG auch gegenüber Verwaltungsstrafbestimmungen, die mit milderer Strafe bedroht sind, subsidiär wäre. Hätte der Gesetzgeber dies beabsichtigt, hätte er dies in § 104 Abs. 4 TKG zum Ausdruck gebracht. Dem Gesetzgeber kann auch nicht unterstellt werden, dass er die Telefonwerbung für die in § 1 Abs. 1 Z. 7 lit. b bis f BWG genannten Instrumente gegenüber Verbrauchern im Verhältnis zu sonstiger Telefonwerbung verwaltungsstrafrechtlich privilegieren wollte.
Gegen eine Strafbarkeit nach beiden Tatbeständen spricht Folgendes: § 22 Abs. 1 zweiter Fall VStG bestimmt zwar, dass Verwaltungsstrafen nebeneinander zu verhängen sind, wenn eine Tat unter mehrere einander nicht ausschließende Strafdrohungen fällt. Die Anordnung der kumulativen Bestrafung gemäß § 22 Abs. 1 zweiter Fall VStG betrifft lediglich die Fälle so genannter echter Idealkonkurrenz. Liegt aber im Gegensatz zur echten Idealkonkurrenz bloß scheinbare Idealkonkurrenz vor, so liegen "einander ausschließende Strafdrohungen" im Sinne des § 22 Abs. 1 VStG vor. Eine kumulative Bestrafung kann diesfalls nicht erfolgen. Scheinkonkurrenz ist in den Fällen der Spezialität und der Konsumtion gegeben. Spezialität bedeutet, dass zwei (oder mehrere) Deliktstatbestände zueinander im Verhältnis von lex generalis und lex specialis stehen, sodass ein der spezielleren Norm unterstellbares Verhalten notwendig auch vom Tatbestand der allgemeineren Norm umfasst wird. In diesem Fall wird der Unrechtsgehalt der Tat allein schon durch die Bestrafung nach der spezielleren Norm voll erfasst, ihre Anwendung schließt also die der allgemeineren Norm aus. Konsumtion hingegen bedeutet, dass mit der Verwirklichung eines Deliktstatbestandes regelmäßig auch ein Verstoß gegen eine andere Strafdrohung verbunden ist. In diesem Fall erfasst der erste Deliktstatbestand auch das im zweiten Deliktstatbestand typisierte Unrecht, sodass die Anwendung des ersten Deliktstatbestandes jene des zweiten Deliktstatbestandes ausschließt (vgl. Ringhofer, Die österreichischen Verwaltungsverfahrensgesetze II, Anm. 4 zu § 22 VStG).
Wie die Erläuterungen zu dieser Bestimmung zeigen, dient § 101 TKG der Durchführung der Richtlinie 97/66/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates. Gemäß Art. 22 der Präambel soll durch diese Richtlinie der Schutz der Privatsphäre der Teilnehmer gewährleistet werden. Dieser Schutz erstreckt sich aber nicht bloß auf die Privatsphäre der Teilnehmer im formellen Sinn, also auf die Inhaber des Telefonanschlusses, sondern auch auf jene Personen, die den Fernsprechapparat mit Einverständnis der Teilnehmer benutzen und auf deren Privatsphäre.
Wie bereits oben ausgeführt, dient auch § 12 Abs. 3 WAG dem Schutz der Privatsphäre vor ungebetenen Telefonanrufen. Darüber hinaus mag diese Bestimmung auch im Vorfeld dem Schutz vor übereilten Geschäftsabschlüssen sowie dem Schutz der Mitbewerber vor aggressiven Marketingmethoden dienen.
Hielte man § 12 Abs. 3 WAG für eine auch diesen Zwecken dienende Norm, so träfe diese Beurteilung gleichermaßen auf § 101 TKG zu.
Eine Bestrafung sowohl nach § 12 Abs. 3 WAG als auch nach § 101 TKG hätte dann aber zur Konsequenz, dass der Täter für ein Verhalten neuerlich bestraft würde, dessen Unrechts- und Schuldgehalt bereits auf Grund einer Bestrafung nach einem anderen Deliktstypus vollständig erschöpft wäre. Eine solche Vorgangsweise widerspräche aber dem in Art. 4 Z. 1 7. ZP MRK verankerten Verbot der Doppelbestrafung (vgl. hiezu die hg. Erkenntnisse vom 26. Mai 1999, Zl. 99/03/0016, und vom 22. März 1999, Zl. 98/17/0134, sowie das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 19. Juni 1998, G 275/96). Die Anordnung einer verfassungsrechtlich unzulässigen Doppelbestrafung kann dem Gesetzgeber des § 101 TKG aber nicht zugesonnen werden.
Damit steht nur noch die Auslegung offen, dass § 12 Abs. 3 WAG durch § 101 TKG in all jenen Fällen verdrängt wurde, in denen ein Verhalten eines Täters beide Tatbilder erfüllt. Diese Interpretation steht im Einklang mit dem Grundsatz, dass die spätere Rechtsnorm der früher erlassenen derogiert. Diesem Ergebnis stünde auch zutreffendenfalls die Annahme nicht entgegen, § 101 TKG weise Elemente einer lex generalis gegenüber § 12 Abs. 3 WAG auf (wogegen allerdings der, wenn auch eingeschränkte, Bereich spricht, in dem § 12 Abs. 3 WAG verwirklicht sein kann, ohne dass gleichzeitig ein Fall des § 101 TKG vorliegt). Ist nämlich die spätere Regel zugleich lex generalis, so kollidieren die beiden Derogationsregeln von der lex specialis und von der lex posterior. In einem solchen Fall kann nur die Auslegung im konkreten Fall ergeben, ob auch die früheren Spezialvorschriften aufgehoben werden oder in ihrem engeren Bereich aufrecht bleiben sollen (vgl. Bydlinski in Rummel I2, Rz 1 zu § 9 ABGB; ähnlich auch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 3. Oktober 1999, Slg. Nr. 12.184). Wie oben bereits dargelegt, ergibt aber eine Auslegung der Übergangbestimmung des § 104 Abs. 4 TKG, dass § 12 Abs. 3 WAG gegenüber § 101 TKG - soweit sie sich auf denselben Tatbestand beziehen - nicht als privilegierende lex specialis weiterhin Bestand haben kann.
Es ergibt sich somit, dass der Anwendungsbereich des § 12 Abs. 3 WAG, in den die dem Beschwerdeführer zur Last gelegte Tat dem Wortlaut nach fiele, durch die Erlassung des § 101 TKG (jedenfalls für die Dauer dessen Geltung) weggefallen ist, weil die letztgenannte Norm dem § 12 Abs. 3 WAG in diesem Umfang derogierte (so auch die belangte Behörde in ihren Bescheiden im Strafverfahren nach TKG vom 12. Jänner 2000, je zur Zl. UVS-06/13/122/1999-6; demgegenüber ist diese Konsequenz aus den vom Beschwerdeführer zitierten Literaturstellen,
Frölichsthal/Hausmaninger/Knobl/Oppitz/Zeipelt, Kommentar zum WAG, Rz 6 zu § 12 und Hausmaninger, Geschäftsanbahnung durch Wertpapierdienstleister, ÖBA 2000, 318ff. nicht eindeutig ableitbar, heißt es doch dort bloß, dass der Ausnahme des § 12 Abs. 3 WAG für den Fall der bestehenden Geschäftsbeziehung durch § 101 TKG derogiert wurde).
Dies hat aber weiters zur Folge, dass sich aus dem Regelungszusammenhang des § 12 Abs. 3, des § 27 Abs. 2 und des § 28 Abs. 1 WAG eine Zuständigkeit der BWA zur Verhängung einer Verwaltungsstrafe für die dem Beschwerdeführer angelastete Tat nicht ableiten lässt.
Die belangte Behörde hätte daher als zuständige Berufungsbehörde den erstinstanzlichen Bescheid der BWA wegen Unzuständigkeit aufzuheben gehabt.
Da sich nach dem Vorgesagten eine Zuständigkeit der BWA zur Bestrafung der dem Beschwerdeführer zur Last gelegten Tat schon aus den zitierten Bestimmungen nicht ergibt, kann die vom Beschwerdeführer aufgeworfene Frage mangels Präjudizialität dahingestellt bleiben, ob die Einrichtung der BWA als Verwaltungsstrafbehörde erster Instanz überhaupt verfassungskonform ist.
Auch kann es nach dem Vorgesagten dahingestellt bleiben, ob - wie die belangte Behörde meint - Rechtsanwalt Dr. J vorliegendenfalls als Verbraucher im Sinne des § 12 Abs. 3 WAG anzusehen ist. Auch bejahendenfalls läge Strafbarkeit nur nach § 101 TKG vor, weil dem § 12 Abs. 3 WAG durch § 101 TKG derogiert wurde, verneinendenfalls wäre der Tatbestand des § 12 Abs. 3 WAG gar nicht erfüllt, sodass auch diesfalls lediglich Strafbarkeit nach § 101 TKG vorliegen könnte.
Aus diesen Erwägungen waren die angefochtenen Bescheide gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 26. Juni 2000
Schlagworte
Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden VwRallg3/2 VwRallg7 DerogationEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2000:2000170001.X00Im RIS seit
11.07.2001