TE Bvwg Erkenntnis 2017/12/14 W182 2177556-1

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Veröffentlicht am 14.12.2017
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Entscheidungsdatum

14.12.2017

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §52
FPG §55
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W182 2177556-1/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. PFEILER über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, StA. Volksrepublik China, vertreten durch XXXX, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.10.2017, Zl. 1134275804-161518318/BMI-BFA WIEN AST, zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird nach § 28 Abs. 2

Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBI. I. Nr 33/2013 idgF, gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 10 Abs. 1 Z 3, 57 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 idgF, und §§ 52, 55 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz

(B-VG), BGBl. I Nr. 1/1930 idgF, nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1.1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) ist Staatsangehöriger der Volksrepublik China, gehört der Volksgruppe der Han an, ist konfessionslos, reiste im August 2016 illegal ins Bundesgebiet ein und stellte am 08.11.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz.

In einer Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 09.11.2016 brachte der BF zu seinen Fluchtgründen im Wesentlichen vor, dass er China nur wegen "Arbeitsaufnahme" und um in Europa Geld zu verdienen, verlassen habe. Dies sei der einzige Grund. Er sei in China unbescholten und auch nicht politisch oder religiös verfolgt. Bei einer Rückkehr in seine Heimat habe er nichts zu befürchten. Weiters gab er an, dass seine Eltern sowie seine Ehefrau und sein Sohn in China leben würden. Er habe sechs Jahre lang die Grundschule sowie drei Jahre lang die Hauptschule besucht. Zuletzt habe er als Landwirt gearbeitet und in der Provinz XXXX, Stadt XXXX, Kreis XXXX im Dorf XXXX, XXXX, gelebt. Im Juni 2016 habe er von Peking aus mit dem Flieger China verlassen. Im August 2016 sei er in Österreich angekommen und habe an verschiedenen Orten gewohnt. In Österreich habe er keine Familienangehörigen. Das Geld für die Schleppung stamme teilweise von ihm selbst, von Bekannten und von einem Kredit.

In der Einvernahme beim Bundesamt am 19.10.2017 gab der BF zu seinen persönlichen Verhältnissen an, dass sein Vater arbeitslos und seine Mutter Bäuerin sei. Die Eltern hätten in XXXX gewohnt. Ob sie jetzt noch dort wohnen würden, wisse er nicht. Er habe das letzte Mal im April und Juni 2016 Kontakt zu seinen Eltern gehabt. Es gebe auch sonstige Verwandte, zu denen er jedoch keinen Kontakt habe und auch nicht wisse, wo diese wohnen würden. Der BF habe in verschiedenen Dörfern in der Nähe der Stadt XXXX gewohnt und sei dort verschiedenen Berufen - unter anderem als Bauarbeiter und Warenträger - nachgegangen. Er habe alles gemacht, um Geld zu verdienen, da er viele Schulden gehabt habe. Seine Frau würde gemeinsam mit dem dreijährigen Sohn in der Provinz XXXX, Kreis XXXX, im Dorf XXXX leben. Seine Frau sei Arbeiterin in einer kleinen Fabrik gewesen. Sie habe inzwischen eine Scheidungsklage erhoben, aber sie seien nicht geschieden. Dies habe er vor sechs Monaten erfahren, danach sei seine Frau nicht mehr erreichbar gewesen (vgl. As 60). Auf die Frage, warum er erst im November einen Asylantrag gestellt habe, wenn er schon im August 2016 eingereist sei, gab der BF an, dass er im August ins Gefängnis gesteckt worden sei, da er sich nicht ausweisen habe können. Zu den Kosten der Ausreise befragt, gab er an, dass diese ca. 200.000,- RMB gekostet habe und er die Summe durch einen Wucherkredit bekommen habe. Zu seinen persönlichen Verhältnissen in Österreich gab er an, dass er hier keine Verwandten habe und auch nicht in einer Lebensgemeinschaft lebe. Er habe auch keine österreichischen Freunde. Er beziehe Geld aus der Grundversorgung und habe auch Geld von China (über EUR 2.000,-) mitgenommen. Er würde in Österreich nicht arbeiten und habe auch niemals gearbeitet. Nach Vorhalt einer Anzeige der Finanzpolizei, wonach er in Österreich bei einer illegalen Beschäftigung betreten worden sei, versuchte der BF dies zu bestreiten.

Zu seinem Fluchtgrund brachte der BF vor, dass er in China viele Schulden habe. Er sei ausgereist, um im Ausland Geld zu verdienen. Seine Familie sei in China "zerstört" worden und die Möbel seien zerschlagen worden. Sonst habe er keine weiteren Gründe. Nach Vorhalt, konkrete Angaben zu seinem Fluchtgrund zu machen, gab er an, dass er vor und für seine Ausreise Geld ausgeborgt habe. Es sei ein Wucherkredit. Dann habe er eine Anzeige gelesen, dass man ins Ausland fahren könne. Dafür habe er sich auch Geld leihen müssen und es sei auch ein Wucherkredit gewesen. Die Frist sei schon abgelaufen gewesen und wenn er nach China zurückkomme, dann sei er in Gefahr. Nach Vorhalt, konkretere Angaben zu dem Vorfall,l bei dem seine Familie und die Möbel zerstört worden seien, zu machen, gab er an, dass er dies erst im Juni 2017 von seiner Frau erfahren habe.

Befragt, was ihm seine Frau genau erzählt habe, gab er an: "Es passierte im Mai 2017 im Ort XXXX. Es kam eine Gruppe am Abend und sie verlangten eine Rückzahlung des Kredites. Türen, Fenster und Fernseher wurden zerschlagen." Auf Nachfragen gab der BF an, nicht mehr zu wissen. Die Frage, ob seine Frau eine Anzeige bei der Polizei erstattet habe, bestätigte der BF. Auf die Frage, was die Polizei gemacht habe, gab er an: "Die Polizei kann nichts machen, weil wir keine Beweise vorlegen können." Auf Vorhalt, dass es nicht Beweis genug wäre, dass seine Wohnung zerstört worden wäre, gab der BF an: "Wir konnten den Namen der Gruppe nicht angeben." Es sei um den Kredit des BF gegangen. Nach Vorhalt, konkrete und detailreiche Angaben zur Kreditaufnahme und den Modalitäten zu machen, gab der BF an: "Ich habe 170.000,- RMB für meine Ausreise aufgenommen. Ich habe vorher schon einen Kredit aufgenommen und hatte daher 200.000,- RMB Schulden." Unter erneutem Vorhalt, konkrete und detailreiche Angaben zur Kreditaufnahme und den Modalitäten zu machen, ergänzte er lediglich: "Das ist ein Wucherkredit. Jetzt muss ich schon über 200.000,- RMB zurückzahlen." Auf neuerliches Nachfragen erklärte der BF, den genauen Namen des Kreditgebers nicht zu wissen, er heiße XXXX oder XXXX. Sie seien beide Kreditgeber. Er habe eine Rückzahlungsmethode mit 12 Monaten vereinbart. Dazu gab er weiter an: "Ich konnte nicht zurückzahlen und meine Eltern waren geflohen und deswegen haben sie mein Zuhause zerschlagen." Auf die Frage, ob es einen schriftlichen Kreditvertrag gebe, gab der BF an: "Nein, sie wissen, wo ich wohne." Befragt, warum er sich keinen Kredit bei einer Bank aufgenommen habe, erklärte er, dass man ohne Sicherheiten keinen Kredit von der Bank bekomme. Befragt, was seine Sicherheiten für den Kredit gewesen seien, gab er an, dass die Kreditgeber erfahren hätten, dass er ins Ausland fahren könne, deswegen seien sie sicher, dass er das Geld begleichen könne. Er habe noch ca. 230.000,- oder 240.000,- RMB Schulden. Befragt, gab er an, dass der Zinssatz nicht genau vereinbart gewesen sei, für die Summe vom 170.000,- RMB solle er bis Jahresende 50.00,- RMB Zinsen zahlen. Wenn er die Zinsen nicht zurückzahlen könne, dann werde der Zinssatz noch erhöht. Wenn man einen Monaten nicht zahlen könne, dann betrage die Erhöhung etwa drei Prozent. Befragt, ob die Zinsen vorschüssig oder nachschüssig gewesen seien, gab er an, dass man den Zinsbetrag vorher bezahlen solle. Nach Vorhalt, dass er nach Zurückzahlung des Kredites keine Schwierigkeiten mehr hätte, gab er an, dass er das Geld nicht habe. Auch wenn man zurückzahle, könne man verfolgt werden, da der Kreditgeber bereits eine Rufschädigung erlitten habe. Die Frage, ob er persönlich bedroht worden sei, verneinte der BF und gab an, dass seine Familie, seine Frau und sein Kind bedroht worden seien. Sein Kind habe Angst gehabt. Befrag, warum er bei der Erstbefragung nichts von dem Wucherkredit erwähnt habe, gab er an, dass er nicht danach gefragt worden sei und nervös gewesen sei. Im Falle einer Rückkehr nach China befürchte er, dass ihm die Kreditgeber seine zwei Finger abschneiden bzw. sein Bein zerschlagen werden. Er habe seine Frau und sein Kind verloren, diese (und auch die Eltern) seien geflüchtet. Befragt, wer ihn in Peking finden solle, gab er an, dass ihn die Kreditgeber sicher finden können. Diese seien "Fachleute um Leute aufzuspüren". Er habe in seiner Heimat niemals Probleme mit seiner Volksgruppenzugehörigkeit gehabt. Er werde auch nicht aus religiösen oder politischen Gründen verfolgt. Er sei auch nicht strafrechtlich verurteilt worden. Weitere Fluchtgründe habe er nicht. Er wolle auch nichts zu seinen Fluchtgründen ergänzen.

Der BF konnte keine chinesischen Personaldokumente vorlegen.

Aus einem im Akt einliegenden Strafantrag der Finanzpolizei ist ersichtlich, dass der BF während einer finanzpolizeilichen Kontrolle am XXXX in einem China-Restaurant bei der Verrichtung von Hilfsarbeiten in der Küche angetroffen wurde. Der BF habe laut seinen eigenen Angaben von XXXX Hilfstätigkeiten in der Küche verrichtet.

1.2. Mit dem nunmehr angefochtenen oben angeführten Bescheid des Bundesamtes wurde der Antrag auf internationalen Schutz des BF gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat VR China (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Gemäß § 57 AsylG wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt und gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen, wobei gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt wurde, dass die Abschiebung des BF gemäß § 46 FPG in die VR China zulässig sei (Spruchpunkt III.). Weiters wurde unter Spruchpunkt IV. ausgeführt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des BF gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage.

Seitens des Bundesamtes wurde u.a. festgestellt, dass die Identität des BF nicht feststehe. Er habe in der Erstbefragung und auch in der niederschriftlichen Einvernahme keine asylrelevanten Gründe glaubhaft machen können. Es habe nicht festgestellt werden können, dass der BF einer Gefährdung oder Verfolgung im Herkunftsland ausgesetzt war oder wäre. Vielmehr habe er in glaubwürdiger Weise behauptet, China ausschließlich wegen der Arbeitsaufnahme verlassen zu haben. Seine Ausführungen, wonach seine Familie im Heimatland Schwierigkeiten mit seinen Kreditgebern gehabt habe, seien nicht glaubhaft. Im Falle einer Rückkehr verfüge er über eine neunjährige Schulbildung und Arbeitserfahrung. Er sei in einem arbeitsfähigen Alter und verfüge in China nach wie vor über familiäre Beziehungen (Eltern, Ehefrau, Sohn). Es sei ihm daher zuzumuten, sich mit Hilfe der eigenen Arbeitsleistung und der Unterstützung von in China lebenden Angehörigen den Lebensunterhalt, wie bisher, zu sichern. Der seit August 2016 nach illegaler Einreise ins Bundesgebiet aufhältige BF habe in Österreich weder Verwandte, noch führe er in Österreich ein Familienleben oder eine Lebensgemeinschaft. Er verfüge zudem über keine nennenswerten deutschen Sprachkenntnisse. Zu den Gründen für das Verlassen des Herkunftsstaates wurde im Wesentlichen beweiswürdigend ausgeführt, dass der BF unterschiedliche Angaben zu seinen Fluchtgründen gemacht habe. So habe er bei seiner Erstbefragung hinsichtlich seiner Fluchtgründe ausschließlich wirtschaftliche Gründe geltend gemacht und angegeben, China ausschließlich zur Verbesserung seiner wirtschaftlichen Lebenssituation (Arbeitsaufnahme) verlassen zu haben. Weitere Gründe habe er dezidiert ausgeschlossen. Zudem habe er ausdrücklich angegeben, keine Rückkehrbefürchtungen zu haben. Bei seiner niederschriftlichen Einvernahme habe er bei der Darstellung seiner Fluchtgründe höchst vage und unkonkrete Angaben gemacht und in unglaubwürdiger Weise behauptet, dass seine Familie nach seiner Ausreise aus China Probleme wegen seiner Schulden gehabt hätte. Er habe zudem höchst abstrakt und vage angegeben, dass er in China einen Wucherkredit aufgenommen habe, bei einer Rückkehr in Gefahr sei und ihm zwei Finger abgeschnitten werden würden sowie sein Bein zerschlagen werde. Nach genauerer Befragung zum Kredit und den Kreditmodalitäten, konnte der BF keinerlei konkrete bzw. weitergehende Angaben machen. Auch zu den Kreditgebern konnte er nur höchst vage Angaben tätigen. Hinzu komme, dass der BF gar keine persönliche Bedrohung geltend gemacht habe, sondern lediglich die Bedrohung seiner Familie ausführte, von welcher er erst im Juni 2017 erfahren hätte. Seine Ausführungen, wonach er China aus wirtschaftlichen Erwägungen verlassen habe, werden daher als wahr erachtet. Dem Vorhalt, wie er in China bei 1,3 Milliarden bei einer Rückreise in einer Millionenstadt wie Peking gefunden werden könne, habe er nicht substantiiert entgegentreten können. Sein Vorbringen entspreche nicht den Anforderungen an ein glaubwürdiges Vorbringen, zumal er weder über den Kredit noch über die Bedrohungen seiner Familie konkrete und detaillierte Angaben machen habe können. Weiters seien keine Umstände bekannt, dass in China eine solch extreme Gefahrenlage bestünde, dass gleichsam jeder, der dorthin zurückkehre, einer Gefährdung iSd Art. 2 und 3 EMRK ausgesetzt wäre oder eine derartige humanitäre Katastrophe vorherrsche, dass das Überleben von Personen mangels Nahrung und Wohnraum tatsächlich in Frage gestellt wäre. Da dem BF im Herkunftsstaat keine asylrelevante Verfolgung drohe und er eine erwachsene, arbeitsfähige Person sei, der es jedenfalls zumutbar sei, im Falle der Rückkehr selbst für ihr Auskommen zu sorgen, gehe die Behörde davon aus, dass ihm im Herkunftsstaat keine Gefahren drohen würden, die eine Erteilung des subsidiären Schutzes rechtfertigen würden. Der BF verfüge in China über Arbeitserfahrung und habe sich damit seinen Lebensunterhalt finanziert. Zudem verfüge er in China nach wie vor über familiäre Beziehungen (Eltern, Ehegattin, Sohn) und sei auch davon auszugehen, dass er in China auch soziale Beziehungen in Form von ehemaligen Bekannten habe. Es sei ihm daher zuzumuten sich mit Hilfe der eigenen Arbeitsleistung – wenn auch anfänglich mit Hilfstätigkeiten und der Unterstützung von Angehörigen und Bekannten – künftig seinen Lebensunterhalt in China zu sichern. Es bestehe auch kein Hinweis auf das Vorliegen "außergewöhnlicher Umstände" (lebensbedrohliche Erkrankungen oder dergleichen), die eine Abschiebung iSd Art. 3 EMRK und § 50 FPG unzulässig machen könnten. Zudem ergebe sich aus den Feststellungen zur allgemeinen Lage in China kein Hinweis, dass im gesamten Staatsgebiet der VR China eine extreme Gefahrenlage mit besonders exzessiver und unkontrollierter Gewaltanwendung gegenüber der Zivilbevölkerung, oder eine unmenschliche Behandlung bewirkende humanitäre Situation im gesamten Staatsgebiet vorliege. Im Übrigen seien die Versorgung mit Grundnahrungsmitteln und die medizinische Basisversorgung in China grundsätzlich gewährleistet.

Mit Verfahrensanordnung vom 23.10.2017 wurde dem BF gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG ein Rechtsberater amtswegig zur Seite gestellt.

1.3. Gegen den Bescheid wurde seitens des Vertreters des BF binnen offener Frist Beschwerde erhoben. Darin wurde der gegenständliche Bescheid zur Gänze angefochten und ausgeführt, dass der BF seine Heimat aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung und mangels der Fähigkeit seines Heimatlandes, ihn vor Übergriffen von privater Seite zu schützen, verlassen habe. Die Gründe für das Verlassen seines Heimatstaates habe der BF in seiner Erstbefragung und seiner niederschriftlichen Einvernahme ausführlich dargelegt. Das Bundesamt habe ihm die Glaubwürdigkeit abgesprochen und dabei gegen die amtswegige Ermittlungspflicht verstoßen. Der BF stamme aus einer gefährlichen und armen Region Chinas. Er habe behauptet, dass sowohl von chinesischen Sicherheitsbehörden, als auch von privaten Personen (Geldgebern) Verfolgungshandlungen gegen ihn gesetzt worden seien und auch in Zukunft gegen ihn gesetzt werden würden. Im Falle einer Rückkehr nach China hätte er mit einer Haftstrafe oder mit einer Verurteilung zu rechnen. Das Vorbringen des BF sei genügend detailliert und substantiiert, in sich schlüssig und mit den Tatsachen sowie allgemeinen Verhältnissen in China und den Länderfeststellungen vereinbar und somit plausibel. Darüber hinaus habe der BF am Verfahren mitgewirkt und zur Aufklärung des Sachverhaltes alle notwendigen Angaben gemacht. Da ihn der Staat China nicht vor der Verfolgung durch die privaten Akteure schützen könne bzw. wolle, sei eine asylrelevante Verfolgung durch nicht-staatliche Akteure gegeben. Zum subsidiären Schutz wurde ausgeführt, dass er im Falle einer Rückkehr nach China einem Klima der ständigen Bedrohung, Gewalt und unmittelbaren Einschränkungen und einer Reihe von Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt wäre. China versinke immer weiter in Korruption, Willkür und Staatsgewalt und es gebe dort für den BF keine Zukunftsperspektiven. Auch wirtschaftlich stehe China wegen der unsicheren und angespannten Lage auf schlechtem Fundament. NGO und Medienberichte würden zeigen, dass China nach wie vor instabil und Ziel von diversen ethnischen und ideologischen Konflikten sein könne und ein normales Leben unter diesen Umständen nicht vorstellbar und zumutbar sei. Zudem lerne der BF fleißig Deutsch und wolle ehrenamtlich tätig werden. Auch sei der Bescheid des Bundesamtes unzureichend begründet und habe es die Behörde verabsäumt die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung auf die Vereinbarkeit mit Privat- und Familienleben des BF zu prüfen. Das Bundesamt habe seine Angaben nicht überprüft und unzulässiger Weise nicht beachtet. Es habe auch außer Acht gelassen, dass der BF seit mehreren Jahren keine Bindung zu seiner Familie in China habe. Eine Abschiebung würde ihn in eine lebensbedrohliche Lage bringen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Aufgrund der der Entscheidung zugrunde liegenden Akten des Bundesamtes samt Beschwerdeschrift sowie des Bundesverwaltungsgerichtes steht nachstehender entscheidungswesentlicher Sachverhalt als erwiesen fest:

Der BF ist Staatsangehöriger der Volksrepublik China, gehört der Volksgruppe der Han an und ist konfessionslos Seine Identität steht nicht fest. Der BF reiste im August 2016 illegal ins Bundesgebiet ein und stellte am 08.11.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Der 31-jährige BF ist arbeitsfähig, hat keine lebensbedrohenden Krankheiten geltend gemacht und verfügt über eine mehrjährige Schulbildung. Er war in China in der Lage, sich durch diverse Hilfstätigkeiten - unter anderem als Bauarbeiter und Warenträger - seinen Lebensunterhalt zu sichern. In China halten sich zudem seine Ehegattin, sein dreijähriger Sohn sowie seine Eltern auf.

In Österreich halten sich keine Familienangehörigen oder Verwandten des BF auf. Der BF lebt gemeinsam mit zwei anderen Männern in einer Wohnung in XXXX.

Der unbescholtene BF hält sich seit fast 1,5 Jahren im Bundesgebiet auf. Er verfügt über keine nennenswerten Sprachkenntnisse in Deutsch und bezieht Leistungen aus der Grundversorgung. Er gehört keinem Verein, keiner religiösen Verbindung und keiner sonstigen Gruppierung an.

Das Vorbringen des BF, wonach er in China einen Wucherkredit aufgenommen habe und seine Familie nach seiner Ausreise von den Kreditgebern bedroht worden sei, hat sich als unglaubwürdig erwiesen. Der BF hat aus rein wirtschaftlichen Gründen das Herkunftsland verlassen.

1.2. Zur Situation im Herkunftsland wird von den zutreffenden Feststellungen des Bundesamtes im angefochtenen Bescheid ausgegangen. Die Situation im Herkunftsland hat sich seit dem Zeitpunkt der angefochtenen Entscheidung in den gegenständlich relevanten Punkten nicht entscheidungswesentlich verändert, sodass ein neuerlicher Vorhalt im Beschwerdeverfahren unterbleiben konnte.

1. Politische Lage

Die Volksrepublik China ist mit geschätzt 1.367 Milliarden Einwohnern (Stand Juli 2015) der bevölkerungsreichste Staat der Welt, bei einer Fläche von 9.596.960 km² (CIA 11.8.2015).

Sie ist in 22 Provinzen, die fünf Autonomen Regionen der nationalen Minderheiten Tibet, Xinjiang, Innere Mongolei, Ningxia und Guangxi, sowie vier regierungsunmittelbare Städte (Peking, Shanghai, Tianjin, Chongqing) und zwei Sonderverwaltungsregionen (Hongkong, Macau) unterteilt. Nach dem Grundsatz "Ein Land, zwei Systeme", der der chinesisch-britischen "Gemeinsamen Erklärung" von 1984 über den Souveränitätsübergang zugrunde liegt, kann Hongkong für 50 Jahre sein bisheriges Gesellschaftssystem aufrecht erhalten und einen hohen Grad an Autonomie genießen. Nach einem ähnlichen Abkommen wurde Macau am 20. Dezember 1999 von Portugal an die Volksrepublik China zurückgegeben. Die Lösung der Taiwanfrage durch friedliche Wiedervereinigung bleibt eines der Hauptziele chinesischer Politik (AA 4.2015a).

Gemäß ihrer Verfassung ist die Volksrepublik China ein "sozialistischer Staat unter der demokratischen Diktatur des Volkes, der von der Arbeiterklasse geführt wird und auf dem Bündnis der Arbeiter und Bauern beruht" (AA 4.2015a). Die Volksrepublik China ist ein autoritärer Staat, in dem die Kommunistische Partei Chinas (KPCh) verfassungsmäßig die höchste Autorität ist. Beinahe alle hohen Positionen in der Regierung sowie im Sicherheitsapparat werden von Mitgliedern der KPCh inne gehalten (USDOS 25.6.2015). Die KPCh ist somit entscheidender Machtträger. Nach dem Parteistatut wählt der alle fünf Jahre zusammentretende Parteitag das Zentralkomitee (376 Mitglieder), das wiederum das Politbüro (25 Mitglieder) wählt. Ranghöchstes Parteiorgan und engster Führungskern ist der zurzeit siebenköpfige "Ständige Ausschuss" des Politbüros. Dieser gibt die Leitlinien der Politik vor. Die Personalvorschläge für alle diese Gremien werden zuvor im Konsens der Parteiführung erarbeitet (AA 4.2015a, vgl. USDOS 25.6.2015).

An der Spitze der Volksrepublik China steht der Staatspräsident, der gleichzeitig Generalsekretär der KP Chinas und Vorsitzender der Zentralen Militärkommission ist und somit alle entscheidenden Machtpositionen auf sich vereinigt. Der Ministerpräsident leitet den Staatsrat, die eigentliche Regierung. Der Staatsrat fungiert als Exekutive und höchstes Organ der staatlichen Verwaltung. Alle Mitglieder der Exekutive sind gleichzeitig führende Mitglieder der streng hierarchisch gegliederten Parteiführung (Ständiger Ausschuss, Politbüro, Zentralkomitee), wo die eigentliche Strategiebildung und Entscheidungsfindung erfolgt (AA 4.2015a).

Der 3.000 Mitglieder zählende Nationale Volkskongress (NVK) wird durch subnationale Kongresse für fünf Jahre gewählt. Er wählt formell den Staatspräsidenten für fünf Jahre und bestätigt den Premierminister, der vom Präsidenten nominiert wird (FH 28.1.2015a). Der NVK ist formal das höchste Organ der Staatsmacht (AA 4.2015a). Der NVK ist jedoch vor allem eine symbolische Einrichtung. Nur der Ständige Ausschuss trifft sich regelmäßig, der NVK kommt einmal pro Jahr für zwei Wochen zusammen, um die vorgeschlagene Gesetzgebung anzunehmen (FH 28.1.2015a). Eine parlamentarische oder sonstige organisierte Opposition gibt es nicht. Die in der sogenannten Politischen Konsultativkonferenz organisierten acht "demokratischen Parteien" sind unter Führung der KP Chinas zusammengeschlossen; das Gremium hat lediglich eine beratende Funktion (AA 4.2015a). Beim 18. Kongress der KPCh im November 2012 wurde, nach einem Jahrzehnt, ein Führungswechsel vollzogen (AI 23.5.2013). Für die nächsten fünf Jahre wurden ein neues Zentralkomitee, Politbüro und ein neuer Ständiger Ausschuss bestimmt. Xi Jinping wurde zum Generalsekretär der KPCh und zum Leiter der Zentralen Militärkommission gekürt. Mit dem 12. Nationalen Volkskongress im März 2013 gilt dieser Führungswechsel als abgeschlossen. Seitdem ist Xi Jinping auch Präsident Chinas (AA 4.2015a, vgl. FH 28.1.2015a). Er hält damit die drei einflussreichsten Positionen (USDOS 27.2.2014). Die neue Staatsführung soll zehn Jahre im Amt bleiben, wenngleich die Amtszeit offiziell zunächst fünf Jahre beträgt, mit der Möglichkeit zur Verlängerung durch eine zweite, ebenfalls fünfjährige, Amtsperiode (Die Zeit 14.3.2013). Vorrangige Ziele der Regierung sind weitere Entwicklung Chinas und Wahrung der politischen und sozialen Stabilität durch Machterhalt der KPCh. Politische Stabilität gilt als Grundvoraussetzung für wirtschaftliche Reformen. Äußere (u.a. nachlassende Exportkonjunktur) und innere (u.a. alternde Gesellschaft, Umweltschäden, Wohlfahrtsgefälle) Faktoren machen weitere Reformen besonders dringlich (AA 4.2015a).

Die Rolle der Partei in allen Bereichen der Gesellschaft soll gestärkt werden. Gleichzeitig laufen Kampagnen zur inneren Reformierung und Stärkung der Partei. Prioritäten sind Kampf gegen die Korruption und Verschwendung, Abbau des zunehmenden Wohlstandsgefälles, Schaffung nachhaltigeren Wachstums, verstärkte Förderung der Landbevölkerung, Ausbau des Bildungs- und des Gesundheitswesens, Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und insbesondere Umweltschutz und Nahrungsmittelsicherheit. Urbanisierung ist und bleibt Wachstumsmotor, bringt aber gleichzeitig neue soziale Anforderungen und Problemlagen mit sich. Erste Ansätze für die zukünftige Lösung dieser grundlegenden sozialen und ökologischen Entwicklungsprobleme sind sichtbar geworden, haben deren Dimension aber zugleich deutlich aufgezeigt (AA 4.2015a).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (4.2015a): China - Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/China/Innenpolitik_node.html#doc334570bodyText5,

-

AI - Amnesty International (23.5.2013): Amnesty International Annual Report 2013 - China,

http://www.refworld.org/docid/519f51a96b.html,

-

CIA The World Factbook (11.8.2015):

https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/ch.html,

-

FH – Freedom House (28.1.2015a): Freedom in the World 2015 – China, http://www.ecoi.net/local_link/295269/430276_de.html,

-

USDOS - US Department of State (25.6.2015): Country Reports on Human Rights Practices 2014 – China (includes Tibet, Hong Kong, and Macau), http://www.ecoi.net/local_link/306284/443559_de.html,

-

Die Zeit (14.3.2013): Xi Jinping ist Chinas neuer Staatschef, www.zeit.de/politik/ausland/2013-03/chinapraesident-xi-jinping,

2. Sicherheitslage

Proteste auf lokaler Ebene haben in ganz China stark zugenommen. Sie richten sich vor allem gegen steigende Arbeitslosigkeit und Vorenthaltung von Löhnen, hauptsächlich von Wanderarbeitern. Bei den bäuerlichen Protesten auf dem Land geht es meistens um die (entschädigungslose oder unzureichend entschädigte) Enteignung von Ländereien oder die chemische Verseuchung der Felder durch Industriebetriebe oder Umweltkatastrophen. Die Anzahl sog. "Massenzwischenfälle" soll 2012 bei ca. 200.000 gelegen haben und schnell zunehmen. Massenzwischenfälle sind nach chinesischer Definition nicht genehmigte Demonstrationen und Proteste, an denen sich mehr als 100 Personen beteiligen. Wie verlässlich die genannten Zahlen sind, bleibt offen. Die lokalen Behörden verfolgen in Reaktion zumeist eine Mischstrategie aus engmaschiger Kontrolle, die ein Übergreifen nach außen verhindern soll, gepaart mit einem zumindest partiellen Eingehen auf die Anliegen (AA 15.10.2014). Einer internationalen NGO zufolge wird die Zahl der Proteste auf 30.000 -50.000 pro Jahr geschätzt. Andere Quellen sprechen von einigen 10.000 bis 100.000 jedes Jahr. Wie schon in den vergangenen Jahren fand sich die Ursache der Mehrzahl der Demonstrationen Grundstücksstreitereien, Wohnungsprobleme, Industrie- Umwelt und Arbeitsangelegenheiten, staatliche Korruption, Steuern sowie sonstige wirtschaftliche und soziale Anliegen (USDOS 25.6.2015).

Nach den Massenkundgebungen der Demokratiebewegung in Hongkong ist noch keine Einigung mit den Behörden in Sicht (DW 7.10.2014, vgl. HRW 29.1.2015). Auf dem Höhepunkt der Proteste hatten bis zu 100.000 Menschen in der früheren britischen Kronkolonie für mehr Demokratie demonstriert. Sie verlangen den Rücktritt von Verwaltungschef Leung Chun Ying. Zudem protestieren sie dagegen, dass die Regierung in Peking bei der 2017 anstehenden Wahl eines Nachfolgers nur vorab bestimmte Kandidaten zulassen will (TR 20.10.2014).

Die Proteste waren weitgehend friedlich, im Oktober kam es aber auch zu einigen gewalttätigen Auseinandersetzungen, als Einzelpersonen versuchten, die von den Demonstranten auf mehreren Hauptstraßen errichtet Barrikaden zu beseitigen. Einige Demonstranten behaupteten, dass diese Personen kriminellen Banden angehörigen würden oder auf Geheiß der Zentralregierung tätig wurden und dass die Polizei nicht angemessen darauf reagiert habe. Von der Polizei wurden die Vorfälle untersucht und 19 Personen verhaftet, die mutmaßlich Angriffe auf die Demonstranten verübt haben. Im November konnte die Polizei einen Versuch der Demonstranten, das Regierungsgebäude in Hongkong zu stürmen abwehren (USDOS 15.6.2015).

In Hongkong hat das Parlament nun mit Beratungen über eine umstrittene Wahlreform begonnen. Die Demokratiebewegung sieht eine wesentliche Forderung nicht erfüllt, denn Peking will weiterhin massiv mitbestimmen. Den künftigen Regierungschef soll Hongkong frei wählen dürfen - ausgesucht werden sollen die Kandidaten aber von Peking selbst. Seit 17.6.2015 berät das aus 70 Abgeordneten bestehende Parlament der chinesischen Sonderverwaltungszone über den Wahlmodus des künftigen Regierungs- und Verwaltungschefs. Viele Demokratie-Aktivisten lehnen die Änderungen im Wahlmodus ab. Im Parlament platzierten oppositionelle Abgeordnete Schilder mit Kreuzen als Zeichen ihres Protests gegen die Reformpläne. Vor dem Parlament versammelten sich hunderte Anhänger beider Lager (DW 17.6.2015).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (15.10.2014): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Volksrepublik China

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DW - Deutsche Welle (7.10.2014): Beharren auf Demokratie in Hongkong,

http://www.dw.de/beharren-auf-demokratie-in-hongkong/a-17980006,

-

DW - Deutsche Welle (17.6.2015): Proteste gegen umstrittene Wahlreform in Hongkong,

http://www.dw.com/de/proteste-gegen-umstrittene-wahlreform-in-hongkong/a-18519571,

-

FH – Freedom House (28.1.2015a): Freedom in the World 2015 – China, http://www.ecoi.net/local_link/295269/430276_de.html,

-

HRW - Human Rights Watch (29.1.2015): World Report 2015 - China, http://www.ecoi.net/local_link/295449/430481_de.html,

-

TR - Thomson Reuters (20.10.2014): Keine größeren Zusammenstöße bei Protesten in Hongkong,

http://de.reuters.com/article/worldNews/idDEKCN0I90NZ20141020,

-

USDOS - US Department of State (25.6.2015): Country Reports on Human Rights Practices 2014 – China (includes Tibet, Hong Kong, and Macau), http://www.ecoi.net/local_link/306284/443559_de.html

3. Rechtsschutz/Justizwesen

Eine unabhängige Strafjustiz existiert in China nicht. Strafrichter und Staatsanwälte unterliegen der politischen Kontrolle von staatlichen Stellen und Parteigremien (AA 15.10.2014). Die Kontrolle der Gerichte durch politische Institutionen ist ein verfassungsrechtlich verankertes Prinzip (ÖB 11.2014, vgl. FH 28.1.2015a). Parteipolitisch-rechtliche Ausschüsse überwachen die Tätigkeit der Gerichte auf allen Ebenen und erlauben Parteifunktionären, Urteile und Verurteilungen zu beeinflussen. Die Aufsicht der KPCh zeigt sich besonders in politisch heiklen Fällen (FH 28.1.2015). Die Gerichte sind auf jeder Ebene administrativ und institutionell den jeweiligen Einheiten des Nationalen Volkskongresses verantwortlich, von denen sie laut Verfassung auch errichtet werden. Jedes Gericht verfügt über ein Rechtskomitee, bestehend aus dem Gerichtspräsidenten, dem Vizepräsidenten und dem Leiter jeder Abteilung des Gerichts. Aufgabe ist es, bei "wichtigen und komplizierten Fällen" Anleitung zu geben. Das Problem ist, dass ein Richter, der einen solchen "komplizierten" Fall betreut, vor dem Urteilsspruch an das Rechtskomitee berichten muss. Es kommt daher zu der Situation, dass Personen, die den Prozess nicht gehört haben, Einfluss auf das Urteil nehmen (ÖB 11.2014). Das 3. Plenum des Zentralkomitees hat im November 2013 Beschlüsse zu einer Justizreform verabschiedet. Neben der Abschaffung des Systems der "Umerziehung durch Arbeit" sind Kernthemen Fragen der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, nicht zuletzt im Interesse der Korruptions- und Missbrauchsbekämpfung, der Unabhängigkeit der Strafverfolgungsbehörden und Gerichte und Professionalisierung der Justizarbeit. Die Zahl der Straftaten, die die Todesstrafe nach sich ziehen, sollte reduziert werden. Die durchaus ermutigenden Ansätze einer Verrechtlichung werden allerdings durch den fortbestehenden umfassenden Führungsanspruch der Partei relativiert (AA 15.10.2014). Trotz laufender Reformbemühungen gibt es, vor allem auf unterer Gerichtsebene, noch immer einen Mangel an gut ausgebildeten Richtern, was die unterschiedliche Rechtsqualität zwischen den Gerichten in den großen Städten und den kleineren Städten erklärt (ÖB 11.2014). Ein umfassender Regelungsrahmen unterhalb der gesetzlichen Ebene soll "Fehlverhalten" von Justizbeamten und Staatsanwälten in juristischen Prozessen unterbinden. Das Oberste Volksgericht (OVG) unter seinem als besonders "linientreu" geltenden Präsidenten und die Oberste Staatsanwaltschaft haben in ihren Berichten an den Nationalen Volkskongress im März 2014 in erster Linie gefordert, "Falschurteile" der Gerichte zu verhindern, die Richterschaft an das Verfassungsverbot von Folter und anderen Zwangsmaßnahmen bei Vernehmungen zu erinnern und darauf hinzuweisen, dass Verurteilungen sich nicht allein auf Geständnisse stützen dürfen. Die Regierung widmet sowohl der juristischen Ausbildung als auch der institutionellen Stärkung von Gerichten und Staatsanwaltschaften seit mehreren Jahren große Aufmerksamkeit (AA 15.10.2014).

Am 1.1.2013 trat eine Novelle des chinesischen Strafprozessgesetzes in Kraft. Es handelt sich dabei um die umfassendste Reform des Strafrechts seit 16 Jahren. Neu aufgenommen wurde "die Hochachtung und der Schutz der Menschenrechte". So sind z.B. gemäß Art. 50 Folter und Bedrohung bzw. Anwendung anderer illegaler Methoden zur Beweisermittlung verboten. Gemäß Art. 83 sollen die Familien der Internierten innerhalb von 24 Stunden ab Strafarrest informiert werden, es sei denn es ist nicht möglich. Gemäß Art. 188 tragen Ehepartner, Eltern und Kinder keine Beweispflicht mehr. Die Rechte der Verteidigung wurden in einigen Bereichen gestärkt; so sind Geständnisse, die durch illegale Methoden wie Folter erzwungen werden, ungültig. Beweismittel und Zeugenaussagen, die auf unrechtmäßigem Wege gewonnen wurden, sind vor Gericht unzulässig; Polizeibehörden können Verdächtige nicht mehr zwingen sich selbst zu bezichtigen; dies könnte zu einem Rückgang an Foltervorfällen durch Polizeiorgane führen. Der Schutz jugendlicher Straftäter wird erhöht (ÖB 11.2014, vgl. FH 23.1.2014a, AI 23.5.2013, AA 15.10.2014). Auch der Zeugenschutz wird gestärkt. Chinesische Experten gehen davon aus, dass die Durchsetzung dieser Regeln viele Jahre erfordern wird (AA 15.10.2014).

2014 wurden schrittweise weitere Reformen eingeleitet, darunter die Anordnung an Richter, Entscheidungen über ein öffentliches Onlineportal zugänglich zu machen sowie ein Pilotprojekt in sechs Provinzen um die Aufsicht über Bestellungen und Gehälter auf eine höhere bürokratische Ebene zu verlagern. Beim vierten Parteiplenum im Oktober 2014 standen Rechtsreformen im Mittelpunkt. Die Betonung der Vorherrschaft der Partei über das Rechtssystem und die Ablehnung von Aktionen, die die Unabhängigkeit der Justiz erhöhen würden, wurde jedoch beibehalten. Dies führte zu Skepsis hinsichtlich der tatsächlichen Bedeutung der Reform (FH 28.1.2015a).

Das neue Gesetz sieht allerdings vor, dass "Staatsicherheit gefährdende" Verdächtige an einem "designierten Ort" bis zu 6 Monate unter "Hausarrest" gestellt werden können. Die Familie muss zwar formell innerhalb von 24 Stunden über die Festnahme informiert werden, nicht jedoch über den Grund der Festnahme oder über den Aufenthaltsort. Dieser Aufenthaltsort könnte auch außerhalb offizieller Einrichtungen sein. Rechtsexperten sehen darin eine signifikante Ausweitung der Polizeimacht, denn es ist zu befürchten, dass es an diesen geheimen Orten weiterhin zu Folterhandlungen kommen könnte (ÖB 11.2014, vgl. FH 23.1.2014a, AI 23.5.2013). Das chinesische Strafgesetz hat die früher festgeschriebenen "konterrevolutionären Straftaten" abgeschafft und im Wesentlichen durch Tatbestände der "Straftaten, die die Sicherheit des Staates gefährden" (Art. 102-114 chin. StG) ersetzt. Danach können vor allem Personen bestraft werden, die einen politischen Umsturz/Separatismus anstreben oder das Ansehen der VR China beeinträchtigen. Gerade dieser Teil des Strafgesetzes fällt durch eine Vielzahl unbestimmter Rechtsbegriffe auf (AA 15.10.2014). Der Vorwurf der "Gefährdung der Staatssicherheit" oder des "Terrorismus" sind vage Begriffe, die oft als Vorwand von Maßnahmen gegen Dissidenten verwendet werden; jährlich werden ca. 1.000 Personen wegen des Verdachts auf "Gefährdung der Staatssicherheit" festgehalten (ÖB 11.2014, vgl. FH 23.1.2014a, AI 23.5.2013). Häufig wurden Anklagen wegen "Gefährdung der Staatssicherheit", "Anstiftung zur Untergrabung der Staatsgewalt" oder "Preisgabe von Staatsgeheimnissen" erhoben und langjährige Gefängnisstrafen gegen Personen verhängt, weil sie Internetblogs veröffentlicht oder als sensibel eingestufte Informationen ins Ausland weitergeleitet hatten. Der Staat benutzt somit das Strafrechtssystem dazu, seine Kritiker zu bestrafen (AI 23.5.2013). Prozesse, bei denen die Anklage auf Terrorismus oder "Verrat von "Staatsgeheimnissen" lautet, werden unter Ausschluss der Öffentlichkeit geführt. Was ein Staatsgeheimnis ist, kann nach chinesischer Gesetzeslage auch rückwirkend festgelegt werden. Angeklagte werden in diesen Prozessen weiterhin in erheblichem Umfang bei der Wahrnehmung ihrer Rechte beschränkt. U.a. wird dem Beschuldigten meist nicht erlaubt, einen Verteidiger seiner Wahl zu beauftragen; nur in seltenen Ausnahmefällen wird ihm vom Gericht überhaupt ein Verteidiger bestellt (AA 15.10.2014).

Rechtsanwälte, die in kontroversen Fällen tätig wurden, mussten mit Drangsalierungen und Drohungen seitens der Behörden rechnen, und in einigen Fällen wurde ihnen die weitere berufliche Tätigkeit verboten. Dies hatte zur Konsequenz, dass der Zugang der Bürger zu einem gerechten Gerichtsverfahren sehr stark eingeschränkt war. Verstöße gegen das Recht von Angeklagten auf ein faires Gerichtsverfahren und gegen andere ihrer Rechte waren gängige Praxis, darunter der verwehrte Zugang zu Anwälten und Familienangehörigen, Inhaftierungen über die rechtlich zulässige Zeitdauer hinaus, sowie Folter und Misshandlung in Gewahrsam (AI 23.5.2013; vgl. FH 23.1.2014a).

Die wachsende Anzahl von Bürgerrechtsanwälten war auch 2014 weiterhin mit Beschränkungen und körperlichen Angriffen konfrontiert. Anwälte wurden daran gehindert, ihre Klienten zu sehen, geschlagen und in einigen Fällen sogar festgehalten und gefoltert (FH 28.1.2015a).

Willkürliche Verhaftungen oder Hausarrest ("soft detention") ohne gerichtliche Verfahren kommen häufig vor. Personen werden oft über lange Zeit hinweg in ihrer eigenen Wohnung oder an anderen Orten ohne Zugang zur Außenwelt festgesetzt (AA 15.10.2014).

Der Nationale Volkskongress schaffte Chinas berüchtigtes System der "Umerziehung durch Arbeit" im Dezember 2013 offiziell ab. In der Folge griffen die Behörden ausgiebig auf andere Formen der willkürlichen Inhaftierung zurück, wie z.B. Schulungseinrichtungen für Rechtserziehung, verschiedene Arten der Administrativhaft, geheime "black jails" und rechtswidrigen Hausarrest. Darüber hinaus benutzte die Polizei häufig vage Anklagen wie "Streitsucht und Unruhestiftung" oder "Störung der Ordnung in der Öffentlichkeit", um politisch engagierte Bürger für Zeiträume von bis zu 37 Tagen willkürlich in Haft zu nehmen. KPCh-Mitglieder, die unter Korruptionsverdacht standen, wurden im Rahmen des geheimen Disziplinarsystems shuanggui ("doppelte Festlegung") ohne Zugang zu einem Rechtsbeistand und ihren Familien in Gewahrsam gehalten (AI 25.2.2015, vgl. ÖB 11.2014).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (15.10.2014): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Volksrepublik China

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AI - Amnesty International (23.5.2013): Annual Report 2013 - China, http://www.refworld.org/docid/519f51a96b.html,

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AI - Amnesty International (25.2.2015): Amnesty International Report 2014/15 - The State of the World's Human Rights - China, http://www.ecoi.net/local_link/297304/434266_de.html,

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FH – Freedom House (23.1.2014a): Freedom in the World 2014 – China, http://www.ecoi.net/local_link/268012/395593_de.html,

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FH – Freedom House (28.1.2015a): Freedom in the World 2015 – China, http://www.ecoi.net/local_link/295269/430276_de.html,

-

HRW - Human Rights Watch (21.1.2014): World Report 2014 - China, http://www.ecoi.net/local_link/267710/395073_de.html,

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ÖB Peking (11.2014): Asylländerbericht Volksrepublik China

4. Sicherheitsbehörden

Zivile Behörden behielten die Kontrolle über Militär- und Sicherheitskräfte bei (USDOS 25.6.2015). Die KPCh kontrolliert und leitet die Sicherheitskräfte auf allen Ebenen. 2013 dehnte die Partei ihren Apparat zur "Stabilitätserhaltung", mit dem Recht und Ordnung erhalten werden soll, allerdings auch friedlicher Protest unterdrückt und die Bevölkerung überwacht wird, weiterhin aus (FH 23.1.2014a). Die Zentrale Militärkommission (ZMK) der Partei leitet die Streitkräfte des Landes. Nach dem Gesetz zur Landesverteidigung von 1997 sind die Streitkräfte nicht dem Staatsrat, sondern der Partei unterstellt (AA 4.2015a).

Für die innere Sicherheit sind zuständig:

(1) Polizei und Staatsanwaltschaften, die Rechtsverstöße des Normalbürgers verfolgen;

(2) Disziplinar-Kontrollkommission der KPCh, die gegen Verstöße von KP-Mitgliedern einschreitet;

(3) Einheiten des Ministeriums für Verwaltungskontrolle, die fu?r Pflichtverletzungen im Amt zuständig sind (AA 15.10.2014).

Für den Bereich der Gefahrenabwehr ist primär das dem Staatsrat unterstehende Ministerium für Öffentliche Sicherheit (MfÖS) mit seinen Polizeikräften verantwortlich, das daneben auch noch für Strafverfolgung zuständig ist und in Teilbereichen mit nachrichtendienstlichen Mitteln arbeitet. Aufgaben der Polizei sind sowohl die Gefahrenabwehr als auch die Strafverfolgung, bei der ihr u. a. die Anordnung von Administrativhaft als Zwangsmaßnahme zur Verfügung steht. Im Bereich der Strafverfolgung ist sie für die Durchführung von strafrechtlichen Ermittlungsverfahren originär zuständig. Bei Delikten, die von Polizisten aufgrund ihrer Amtsstellung begangen werden können, ermittelt die Staatsanwaltschaft selbst, während sie sonst primär die Tätigkeit der polizeilichen Ermittlungsorgane beaufsichtigt und auf Grundlage deren Empfehlung über die Erhebung der Anklage entscheidet (AA 15.10.2014).

Das Ministerium für Staatssicherheit (MSS) ist u.a. zuständig für die Auslandsaufklärung sowie für die Überwachung von Auslandschinesen und von Organisationen oder Gruppierungen, welche die Sicherheit der VR China beeinträchtigen könnten. Es überwacht die Opposition im eigenen Land, betreibt aber auch Spionageabwehr und beobachtet hierbei vielfach auch die Kontakte zwischen ausländischen Journalisten und chinesischen Bürgern. Darüber hinaus verfügen auch die Streitkräfte über einen eigenen, sorgfältig durchstrukturierten Nachrichtendienst, die 2. Hauptverwaltung im Generalstab, die sich in Konkurrenz zum MSS und MfÖS sieht. Die elektronische Aufklärung wird vornehmlich durch die 3. Hauptverwaltung im Generalstab wahrgenommen. Zudem sind viele Arbeitseinheiten parallel mit der Beschaffung von Informationen bzw. mit Überwachungsaufgaben von in- und ausländischen Bürgern befasst. Vor allem das Internationale Verbindungsbüro unter der politischen

1. Hauptverwaltung des Generalstabs ist zuständig für Informationen aus dem Ausland, für die Entsendung von Agenten in Auslandseinsätze, meist unter diplomatischer "Tarnung", und für die Überwachung des eigenen diplomatischen Personals. Zahlreiche "Think tanks" sind für die Beschaffung von Auslandsinformationen zuständig (AA 15.10.2014).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (15.10.2014): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Volksrepublik China

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AA - Auswärtiges Amt (4.2015a): China - Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/China/Innenpolitik_node.html#doc334570bodyText5, Zugriff 20.8.2015

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FH – Freedom House (23.1.2014a): Freedom in the World 2014 – China, http://www.ecoi.net/local_link/268012/395593_de.html,

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USDOS - US Department of State (25.6.2015): Country Reports on Human Rights Practices 2014 - China, http://www.ecoi.net/local_link/306284/443559_de.html,

5. Folter und unmenschliche Behandlung

China ratifizierte 1988 die VN-Konvention gegen Folter. Nach Art. 247 und 248 StGB wird Folter zur Erzwingung eines Geständnisses oder zu anderen Zwecken in schweren Fällen mit einer Strafe von bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe, in besonders schweren Fällen mit bis zu lebenslänglicher Freiheitsstrafe oder Todesstrafe geahndet (AA 15.10.2014).

In den letzten Jahren wurden einige Verordnungen erlassen, die formell einen besseren Schutz vor Folter für Tatverdächtige im Ermittlungsverfahren bieten sollen. Die letzte Strafprozessnovelle (in Kraft mit 1.1.2013) sah einige Verbesserungen vor. Ein großes Problem bleibt jedoch die mangelnde Umsetzung dieser Rechtsinstrumente, die Sicherheitsbehörden genießen weiterhin auch aufgrund des Mangels an Kontrolle und Transparenz einen großen Handlungsspielraum. Im Jänner 2014 wurden die Umerziehungslager durch Arbeit (Reeducation through Labour) offiziell abgeschafft. Unklar ist jedoch, inwieweit die Lager durch Lager für Drogen

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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