Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Univ.-Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Schramm und Mag. Ziegelbauer sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Gabriele Griehsel (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Dr. Wolfgang Kozak (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei O*****, vertreten durch Dr. Adalbert Laimer, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Wiener Gebietskrankenkasse, 1100 Wien, Wienerbergstraße 15–19, wegen Kostenerstattung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 25. April 2017, GZ 8 Rs 111/16a-22, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Text
Begründung:
Der Kläger leidet an einer Makuladegeneration. Der Facharzt für Augenheilkunde und Optometrie Dr. M***** führte beim Kläger am 30. 6. 2014 unter Verwendung einer Einmalspritze eine intravitreale Injektion mit dem Medikament „Avastin“ durch. Diese Behandlung ist in gewissen Zeitabständen zur Verhinderung einer Verschlechterung bzw Hintanhaltung einer Beschleunigung der Erkrankung erforderlich. Dabei wird das Medikament seitlich in das Auge in den Glaskörper unter sterilen Bedingungen injiziert. Der Arzt verwendete dazu ein von ihm selbst erworbenes Fläschchen „Avastin“ (4 ml), dessen Apothekenpreis 565,70 EUR beträgt. Für die Injektion entnahm der Arzt dem Fläschchen die Menge von 0,05 ml des Medikaments. Der Arzt stellte die intravitreale Injektion mit „Avastin“ dem Kläger mit Honorarnote vom 30. 6. 2014 in Höhe von 330 EUR in Rechnung. Er kalkulierte diese Gesamtkosten so, dass er 185 EUR für die ärztliche Leistung veranschlagte und den Restbetrag auf 330 EUR (daher 145 EUR) als Aufwand für die Kosten des Präparats weiter verrechnete. Weder liegt bezüglich des Medikaments „Avastin“ eine Verordnung bzw ein Privatrezept noch eine saldierte Originalhonorarnote über dessen Erwerb in einer Apotheke vor.
Die Beklagte erstattete dem Kläger die Kosten der Heilbehandlung in Höhe von 148 EUR (das sind 80 % von 185 EUR) und lehnte mit dem angefochtenen Bescheid vom 25. 5. 2016 die Gewährung einer höheren Kostenerstattung ab.
Die Vorinstanzen wiesen das Begehren des Klägers, ihm für die Inanspruchnahme von Leistungen durch Dr. M***** gemäß Honorarnote vom 30. 6. 2014 zur bereits geleisteten Zahlung von 148 EUR einen weiteren Betrag von 116 EUR zu erstatten, ab.
Rechtliche Beurteilung
Mit seiner außerordentlichen Revision zeigt der Kläger keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO auf.
1. Der Kläger führt im Wesentlichen aus, dass der vorliegende Sachverhalt nicht ident zu jenem der – ebenfalls den Kläger betreffenden – Vorentscheidung 10 ObS 104/12k, SSV-NF 26/72, sei. Dr. M***** habe dem Kläger „Avastin“ injiziert, ohne dass der Kläger eine Möglichkeit gehabt hätte, das Medikament zuvor selbst in der Apotheke zu besorgen. Der Kläger sei daher gar nicht in die Situation gekommen, eine Verordnung oder ein Privatrezept ausgestellt zu erhalten. Die „eigentliche“ ärztliche Leistung sei ohne die gleichzeitige Verabreichung von „Avastin“ nicht denkbar. Sie sei daher als „Einheit“ zu beurteilen, über die der Arzt auch insgesamt – und nicht nur über das Medikament „Avastin“ – eine Honorarnote ausgestellt habe. Der Anspruch des Klägers sei daher nicht nach § 136 Abs 2 ASVG, sondern gemäß § 135 ASVG zu beurteilen.
2. Die Krankenbehandlung umfasst nach § 133 Abs 1 ASVG die ärztliche Hilfe (§ 135 ASVG), Heilmittel (§ 136 ASVG) und Heilbehelfe (§ 137 ASVG). Schon nach dem Wortlaut des Gesetzes ist daher – auch im konkreten Fall – deutlich zwischen „ärztlicher Hilfe“ und „Heilmittel“ zu unterscheiden. Die ärztliche Hilfe ist eine Leistung, die wesentlich durch die Anwendung medizinisch-wissenschaftlicher Erkenntnisse bestimmt wird (Felten in Tomandl, SV-System [29. ErgLfg] 2.2.3.2.1.A). Sie umfasst somit die Tätigkeit eines Arztes (oder von Personen, die diesen in unmittelbarer Unterordnung unterstützen, 10 ObS 311/00h, SSV-NF 14/145). Die Heilmittel umfassen hingegen nach § 136 ASVG die notwendigen Arzneien (§ 136 lit a ASVG) und die sonstigen Mittel, die zur Beseitigung oder Linderung der Krankheit oder zur Sicherung des Heilerfolgs dienen (§ 136 lit b ASVG, RIS-Justiz RS0083917). Ärztliche Hilfe ist dadurch gekennzeichnet, dass sie eine qualifizierte Dienstleistung darstellt, während Heilmittel keine Dienstleistung, sondern „Sachen“ sind (Felten in Tomandl, SV-System 2.2.3.2.2, zB Thermalwasser: 10 ObS 311/00k).
3. Auch nach dem festgestellten Sachverhalt kann im konkreten Fall nicht von einer als „Einheit“ zu beurteilenden ärztlichen Leistung ausgegangen werden. Denn Dr. M***** hat die Kosten der von ihm erbrachten ärztlichen Leistung mit 185 EUR, jene des (von ihm zur Verfügung gestellten) Medikaments mit 145 EUR kalkuliert. Die Kosten für die erbrachte ärztliche Leistung hat die Beklagte dem Kläger unstrittig in der vorgesehenen Höhe erstattet. Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, dass die Kosten des Medikaments „Avastin“ im konkreten Fall deshalb nicht zu erstatten sind, weil unstrittig weder eine Verordnung (bzw ein Privatrezept) noch eine saldierte Honorarnote, aus der der Bezug dieses Medikaments von einer Apotheke im Sinn des § 136 Abs 2 ASVG ersichtlich wäre, vorliegen, steht mit der Entscheidung 10 ObS 104/12k im Einklang und ist nicht korrekturbedürftig (insofern zustimmend Rebhahn, Zum Erstattungsanspruch für Arzneimittel und ärztliche Leistungen, die nicht im Erstattungskodex bzw im Gesamtvertrag genannt sind, DRdA 2013/33, 331 [334]; Drs/Jobst, Leistungsanspruch auf Heilmittel [Medikamente] in der gesetzlichen Krankenversicherung in Österreich, SozSi 2016, 356 [368]).
Textnummer
E120208European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2017:010OBS00077.17X.1114.000Im RIS seit
02.01.2018Zuletzt aktualisiert am
08.08.2019