Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Höllwerth, Dr. E. Solé, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der gefährdeten Partei Ing. C* K*, vertreten durch die Längle Fussenegger Singer Rechtsanwälte Partnerschaft in Dornbirn, gegen die Gegnerin der gefährdeten Partei S* O*, vertreten durch Dr. Julia Winkler, Rechtsanwältin in Bregenz, wegen einstweiliger Verfügung gemäß § 382g EO, über den Revisionsrekurs der Gegnerin der gefährdeten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Feldkirch als Rekursgericht vom 18. Juli 2017, GZ 1 R 172/17b-31, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Bregenz vom 30. Mai 2017, GZ 8 C 660/15y-27, bestätigt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Die Gegnerin der gefährdeten Partei ist schuldig, der gefährdeten Partei die mit 418,78 EUR (darin 69,80 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsrekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung:
Auf Antrag des Antragstellers erließ das Erstgericht am 23. Oktober 2015 für die Dauer von zwölf Monaten gegen die Antragsgegnerin eine – unangefochten in Rechtskraft erwachsene – einstweilige Verfügung gemäß § 382g EO, die insbesondere ein Verbot der Kontaktaufnahme mit dem Antragsteller und dessen Verfolgung sowie das Verbot umfasste, sich am Wohnort des Antragstellers und dessen unmittelbarer Umgebung aufzuhalten.
Am 20. September 2016 beantragte der Antragsteller, die einstweilige Verfügung um ein weiteres Jahr zu verlängern, weil die Antragsgegnerin am 21. und 22. Dezember 2015, am 2. Juni 2016 und am 2. September 2016 gegen die ursprüngliche Verfügung verstoßen habe. Er befürchte deshalb, dass die Antragsgegnerin ihr Verhalten fortsetze und weiterhin in seine Privatsphäre eindringe. Es sei aufgrund des vergangenen und auch akuten Verhaltens der Antragsgegnerin weiterhin von einer Gefährdungslage auszugehen.
Die Antragsgegnerin sprach sich dagegen aus, in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt zu werden. Die ihr angelasteten Handlungen seien keine Verstöße; es liege keine Gefährdung des Antragstellers vor.
Ein Beschluss des Erstgerichts vom 27. September 2016, mit dem es die Verlängerung für die Dauer eines Jahres bewilligt hatte, wurde mit Beschluss des Rekursgerichts vom 1. Februar 2017 zur Verfahrensergänzung aufgehoben.
Das Erstgericht verlängerte in der Folge die einstweilige Verfügung neuerlich für die Dauer eines Jahres. Es nahm als bescheinigt an, dass die Antragsgegnerin am 21. Dezember 2015 den Antragsteller entgegen dem Verbot zweimal kontaktierte; sie ihn am 22. Dezember 2015 verfolgte, indem sie ihm von der Volksschule der Kinder in einen nahegelegenen Supermarkt folgte und ihn dort bedrohte; sie am 2. Juni 2016 wiederum im Nahebereich der Schule wartete, als der Antragsteller die Kinder abholen wollte, und zweimal provokativ an ihm vorbeiging; und sie am 2. September 2016 am Wohnhaus des Antragstellers vorbeifuhr, das in einer Nebenstraße in einer Wohnsiedlung gelegen ist, die in der Regel nicht zur Durchfahrt genutzt, sondern vielmehr gezielt befahren wird.
Die Antragsgegnerin habe damit gegen die aufrechte einstweilige Verfügung verstoßen. Das Kontaktrecht zu den Kindern sei grundsätzlich geregelt. Es sei nicht einzusehen, weshalb es die Antragsgegnerin für erforderlich erachte, darüber hinaus Kontakt zum Antragsteller aufzunehmen. Im Hinblick auf die seit Jahren anhaltenden heftigen Auseinandersetzungen der Streitteile brächte die Aufhebung der einstweiligen Verfügung die Gefahr einer weiteren Eskalation mit sich.
Das Rekursgericht bestätigte diesen Beschluss mit der Maßgabe, dass die einstweilige Verfügung vom 23. Oktober 2015 um ein weiteres Jahr, „somit bis zum 23. Oktober 2017“, verlängert wurde. Die festgestellten Handlungen seien nicht zufällige Begegnungen, sondern stellten Verstöße gegen die einstweilige Verfügung dar. Die Begegnungen vom Dezember 2015 verstießen gegen das Kontaktaufnahmeverbot, die beiden späteren gegen das Verfolgungsverbot; sie würden die Verlängerung der einstweiligen Verfügung rechtfertigen. § 382g Abs 2 EO sei dahin zu verstehen, dass wie bei der erstmaligen Erlassung auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung und nicht auf den Zeitpunkt des Zuwiderhandelns abzustellen sei. Den ordentlichen Revisionsrekurs ließ das Rekursgericht zur Frage zu, ab wann die Verlängerungsfrist zu laufen beginne.
Dagegen richtet sich der Revisionsrekurs der Antragsgegnerin mit einem Abänderungsantrag, hilfsweise dem Antrag, die Verlängerung nur bis 2. September 2017 zu bewilligen; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Der Antragsteller beantragt, den Revisionsrekurs zurückzuweisen, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist zulässig; er ist jedoch nicht berechtigt.
1. Ein Beschluss über die Verlängerung einer einstweiligen Verfügung kommt der Erlassung einer neuen einstweiligen Verfügung gleich und rechtfertigt die analoge Anwendung des § 402 Abs 1 EO. Der Rechtsmittelausschluss nach § 528 Abs 1 Z 2 ZPO findet daher nicht statt (RIS-Justiz RS0109194).
2. Die Frist, um welche die einstweilige Verfügung verlängert wurde, ist mit 23. Oktober 2017 abgelaufen. Weitere Anträge wurden nicht gestellt; die einstweilige Verfügung wurde bislang nicht aufgehoben.
Das Rechtsschutzbedürfnis ist eine Voraussetzung der Rechtsmittelzulässigkeit (RIS-Justiz RS0043815). Die Beschwer muss zur Zeit der Einlegung des Rechtsmittels gegeben sein und zur Zeit der Entscheidung über das Rechtsmittel noch fortbestehen; andernfalls wäre das Rechtsmittel als unzulässig zurückzuweisen (RIS-Justiz RS0041770). Es ist nicht Aufgabe der Rechtsmittelinstanzen, über bloß theoretische Fragen zu entscheiden (RIS-Justiz RS0002495).
Es entspricht aber überwiegender Rechtsprechung, dass der Umstand, wonach ein einstweiliges Verbot wegen Zeitablaufs überholt ist, dem Antragsgegner
– schon im Hinblick auf Ersatzansprüche nach § 394 EO – noch nicht die für die Sachentscheidung über seinen Rekurs erforderliche Beschwer nimmt (7 Ob 133/17k; RIS-Justiz RS0005521).
3. Nach § 382g Abs 1 EO (Schutz vor Eingriffen in die Privatsphäre) kann der Anspruch auf Unterlassung von Eingriffen in die Privatsphäre unter anderem durch das Verbot persönlicher Kontaktaufnahme sowie Verbot der Verfolgung der gefährdeten Partei (Z 1), das Verbot brieflicher, telefonischer oder sonstiger Kontaktaufnahme (Z 2) und das Verbot des Aufenthalts an bestimmt zu bezeichnenden Orten (Z 3) gesichert werden.
Nach § 382g Abs 2 EO ist keine Frist zur Einbringung der Klage (§ 391 Abs 2 EO) zu bestimmen, wenn die einstweilige Verfügung für längstens ein Jahr getroffen wird. Gleiches gilt für eine Verlängerung der einstweiligen Verfügung nach Zuwiderhandeln durch den Antragsgegner.
Das Gericht kann nach § 382g Abs 3 EO mit dem Vollzug von einstweiligen Verfügungen nach § 382g Abs 1 Z 1 und Z 3 EO unter sinngemäßer Anwendung des § 382d Abs 4 EO die Sicherheitsbehörden betrauen. Im Übrigen sind solche einstweilige Verfügungen nach den Bestimmungen der §§ 346 bis 369 EO (Exekution zur Erwirkung von Handlungen oder Unterlassungen) zu vollziehen (vgl 7 Ob 232/16t).
4.1. Der Revisionsrekurs vertritt die Ansicht, der Antragsgegnerin sei der Aufenthalt am Wohnort des Antragstellers und dessen Umfeld verboten worden; das Vorbeifahren im September 2016 sei davon nicht umfasst. Ihr sei auch nicht der Aufenthalt auf dem Parkplatz der Supermarktfiliale verboten worden, sodass sie im Dezember 2015 und im Juni 2016 nicht gegen die einstweilige Verfügung verstoßen habe.
4.2. Voraussetzung des Unterlassungsanspruchs nach § 382g Abs 1 EO ist eine drohende Gefährdung der Privatsphäre des Opfers, nicht aber ein Verschulden des Gegners oder dass sein Verhalten gemäß § 107a StGB strafbar ist (vgl 1 Ob 61/08i = RIS-Justiz RS0121889 [T1, T2]).
Schon das Rekursgericht hat zutreffend darauf verwiesen, dass die Antragsgegnerin durch das Verfolgen des Antragstellers auf das Gelände eines Supermarkts gegen das Verfolgungsverbot verstieß. Ebenso zutreffend ist es, dass es sich nicht um zufällige Begegnungen gehandelt hat (vgl 1 Ob 61/08i = EF-Z 2009/22, 26 [Beck]). Dass das Vorbeifahren am Wohnhaus des Antragstellers einen Verstoß gegen das Aufenthaltsverbot darstellt, weil die Antragsgegnerin dort keine legitimen Verrichtungen anzustellen hatte, bedarf keiner näheren Begründung. Insgesamt handelt es sich um die Verlängerung begründende Verstöße gegen die ursprüngliche einstweilige Verfügung.
5.1. Soweit die Antragsgegnerin vermeint, das Rekursgericht habe zu Unrecht überschießende Feststellungen berücksichtigt, kann ihr nicht gefolgt werden.
5.2. Die Berücksichtigung „überschießender“ Feststellungen ist zulässig, wenn sie sich im Rahmen des geltend gemachten Klagsgrundes oder der erhobenen Einwendungen halten (RIS-Justiz RS0040318; RS0036933 [T6]; RS0037972 [T9, T13, T14]). Die Feststellungen des Erstgerichts zu den Vorfällen am 2. Juni 2016 und am 2. September 2016 finden im Rahmen des geltend gemachten Antragsgrundes Deckung.
6.1. Der Revisionsrekurs vertritt weiters die Ansicht, auch bei der Verlängerung wären die allgemeinen Voraussetzungen einer einstweiligen Verfügung zu behaupten und zu bescheinigen. Das Rekursgericht habe dies nicht berücksichtigt.
6.2. Die Frist, für welche die einstweilige Verfügung bewilligt worden ist, kann auf Antrag verlängert werden, wenn der angestrebte Zweck innerhalb des betreffenden Zeitraums nicht erreicht werden konnte. Ob die Voraussetzungen für die Erlassung der einstweiligen Verfügung zur Zeit ihrer Erlassung vorlagen, ist im Verlängerungsverfahren nicht mehr zu prüfen (RIS-Justiz RS0005534 [insb T5]). Es ist bei einer Verlängerung einer einstweiligen Verfügung vom Antragsteller nur zu behaupten und zu bescheinigen, dass sie innerhalb der ihr gesetzten Frist den intendierten Zweck nicht erreichen konnte. Nur wenn sich aus der Aktenlage ergäbe, dass die Voraussetzungen der Anspruchsbescheinigung und der Gefährdungsbescheinigung nicht mehr vorlägen, wäre der Antrag auf Verlängerung abzuweisen (RIS-Justiz RS0005613).
Aus welchen aktenkundigen Umständen sich ergeben sollte, dass die Voraussetzungen der Anspruchsbescheinigung und der Gefährdungsbescheinigung nicht mehr vorlägen, wird vom Revisionsrekurs nicht dargelegt und ist auch nicht ersichtlich.
7.1. Im Schrifttum wird zu § 382g Abs 2 EO (bzw dem gleichlautenden § 382e Abs 2 EO) Folgendes vertreten: Mohr, Neuerungen bei den einstweiligen Verfügungen zum Schutz vor Gewalt und Stalking. Änderungen durch das 2. Gewaltschutzgesetz, ÖJZ 2009/56, 485 [492] verweist darauf, dass der Antragsteller „versucht“ sein könnte, die Verlängerung erst kurz vor Ablauf der einstweiligen Verfügung zu beantragen. Da sich aus dem Zuwiderhandeln die Gefahrenlage ergebe und es auf die voraussichtliche Gefährdung ankomme, solle die verspätete Antragstellung bei der Festlegung der Dauer der Verlängerung berücksichtigt werden. Jedenfalls habe das Gericht sofort zu entscheiden, wenn der Antragsteller die Verlängerung beantrage, auch wenn das Ende der Verfügungsdauer noch weit weg sei.
Gitschthaler, Die Verfügungsfrist im Provisorialverfahren, in Schenk/Lovrek/Musger/Neumayr, FS Griss [2011] 187 [195] meint, dass das Opfer immer unverzüglich nach Verstoß einen Antrag auf Verlängerung zu stellen habe.
Konecny (Einstweilige Verfügungen zum Schutz vor Gewalt und Eingriffen in die Privatsphäre nach dem 2. GeSchG, in Fucik/Konecny/Lovrek/Oberhammer, Zivilverfahrensrecht Jahrbuch 2009, 95 [110 ff]) schlägt vor, dass das Gericht vom Antragsteller aufgezeigte Verstöße gegen die einstweilige Verfügung bis zum Auslaufen des Rechtsschutzes evident halte; gegen Ende der Sicherungsfrist sei über den (notwendig zu stellenden) Antrag auf Verlängerung einmalig mit – alle bis dahin angezeigten Verstöße erledigendem – Beschluss zu entscheiden.
Beck (in Gitschthaler/Höllwerth, Kommentar zum Ehe- und Partnerschaftsrecht [2011] §§ 382b–382e EO Rz 85) führt aus, dass auch ein Verstoß, der nur wenige Tage nach Wirksamwerden der einstweiligen Verfügung erfolgt, zur Verlängerung führen kann.
Sailer (in Burgstaller/Deixler-Hübner, EO § 382e [2015] Rz 13) vertritt die Auffassung, dass die Verlängerungsmöglichkeit zur gemäß § 382g Abs 4 Satz 2 EO entsprechend den allgemeinen Grundsätzen möglichen Vollstreckung hinzutrete.
7.2. Dem Gesetz ist eine Verpflichtung des Antragstellers zur unverzüglichen Anzeige von Verstößen nicht zu entnehmen. Während der Dauer der ursprünglichen Frist ist dieser durch die einstweilige Verfügung geschützt, welche nach Maßgabe des § 382g Abs 3 EO durch die Sicherheitsbehörden oder nach den §§ 346 ff EO vollzogen werden kann.
Die Verlängerungsmöglichkeit stellt demgegenüber darauf ab, ob aus dem Verhalten des Gegners auf ein Weiterbestehen der Gefährdungslage über die ursprüngliche Verfügungsfrist hinaus geschlossen werden kann. Die Frist, für welche die einstweilige Verfügung bewilligt worden ist, kann auf Antrag verlängert werden, wenn der angestrebte Zweck innerhalb des betreffenden Zeitraums nicht erreicht werden konnte (RIS-Justiz RS0005534, RS0005613 [T1]). Gerade dies wird aber regelmäßig erst gegen Ende der Verfügungsfrist beurteilt werden können. Schon zu § 382b EO wurde ausgesprochen, dass die beschränkte Geltungsdauer vor Fristablauf auf Antrag verlängert werden kann, wenn der Gefährdungstatbestand fortdauert oder zumindest in diesem Zeitpunkt verwirklicht ist (7 Ob 15/14b mwN).
Dem Antragsteller kann vor diesem Hintergrund nicht verwehrt werden, einen knapp vor Ablauf der Verfügungsfrist gestellten Antrag auf Verlängerung auch mit Verstößen zu begründen, die sich – wie hier – schon gegen Beginn der Verfügungsfrist ereignet haben, auch wenn diese Verstöße dem Gericht nicht unverzüglich angezeigt wurden. Auch solche Verstöße sind vielmehr zur Prüfung des Sicherungsbedürfnisses des Antragstellers im Zeitpunkt der Verlängerung mit heranzuziehen.
8. Der Revisionsrekurs vertritt die Auffassung, bei der Verlängerung einer einstweiligen Verfügung sei die Jahresfrist nach § 382g Abs 2 EO ab dem Zeitpunkt des Zuwiderhandelns zu berechnen, sodass hier eine Verlängerung nur bis zum 2. September 2017 zulässig gewesen wäre.
8.1. Die parlamentarischen Materialien zum 2. Gewaltschutzgesetz, BGBl I 2009/140, welche die geltenden Fassungen der §§ 382e, 382g EO in den Rechtsbestand einfügten, geben zur Frage, wann die neuerliche Jahresfrist zu laufen beginnen soll, keinen Aufschluss. Sie beziehen sich bloß darauf (JAB 106 BlgNR 24. GP 11 ff), dass durch das Erfordernis eines Zuwiderhandelns als Voraussetzung für die Verlängerung reine „Ketten-eVs“ verhindert werden sollen, durch die – ausgehend von einem einmaligen Vorfall – die Geltungsdauer immer wieder verlängert werden könnte. Der Charakter einer einstweiligen Verfügung erfordere grundsätzlich eine enge zeitliche Befristung, insbesondere wenn es keiner Rechtfertigung durch ein Hauptverfahren bedürfe. Bei neuen Vorfällen – wenn der Antragsgegner gegen eine einstweilige Verfügung verstoße und die Bedrohung insofern nochmals manifest werde – sei es noch zu rechtfertigen, eine weitere Verlängerungsmöglichkeit ohne Hauptverfahren zu eröffnen. Missachte der Antragsgegner die einstweilige Verfügung, solle demnach auch bei einstweiligen Verfügungen zum Schutz vor Eingriffen in die Privatsphäre eine Verlängerung mit einer Höchstfrist von einem weiteren Jahr möglich sein.
8.2. Im Schrifttum werden zum Fristbeginn unterschiedliche Standpunkte vertreten.
8.2.1. Nach Beck (aaO; ebenso schon in: Gewaltschutz neu – ein Überblick, EF-Z 2009/110, 157 [159 FN 27]) ist das „weitere Jahr“ ab dem Zeitpunkt des Zuwiderhandelns des Antragsgegners zu berechnen. Die Jahresfrist erhöhe sich allerdings nicht.
Auch König (Einstweilige Verfügungen im Zivilverfahren. Handbuch für die Praxis5 [2017] Rz 4.78) meint, dass die Verlängerungsfrist ab dem Verstoß zu bemessen sei.
8.2.2. Konecny aaO meint (wie bereits erwähnt), dass das Gericht vom Antragsteller aufgezeigte Verstöße gegen die einstweilige Verfügung bis zum Auslaufen des Rechtsschutzes evident halten und gegen Ende der Sicherungsfrist über den Antrag auf Verlängerung einmalig mit – alle bis dahin angezeigten Verstöße erledigendem – Beschluss entscheiden solle. Für die verlängerte einstweilige Verfügung gelte die Höchstfrist von einem (weiteren) Jahr (aaO 113).
J. Mair (Neuerungen im Zivilverfahrensrecht durch das 2. GeSchG und die ZVN 2009, JAP 2009/2010/7, 42 [45]) weist auf Unklarheiten der gesetzlichen Regelungen über die Verlängerung und das „Lösungskonzept“ von Konecny (aaO) hin.
Gitschthaler aaO folgert aus dem Wortlaut, dass die ursprüngliche Frist „zu verlängern“ sei (FN 38). Das Gericht habe immer eine auf den konkreten Einzelfall Bedacht nehmende Verlängerungsfrist zu wählen und sei dabei nach oben hin mit einer Gesamtdauer der einmal verlängerten Frist von zwei Jahren begrenzt. Mehrere Verstöße innerhalb der ursprünglichen Frist führten jedoch nicht zu einer Multiplikation der Jahresfrist.
Bauer (in Bauer/Keplinger, Gewaltschutzgesetz. Praxiskommentar4 [2016] 88) vertritt unter Berufung auf den Wortlaut die Auffassung, die Verlängerung auf ein weiteres Jahr müsse nicht etwa vom Datum des Zuwiderhandelns bzw der Verlängerungsentscheidung gerechnet werden. Verlängerung bedeute das Anschließen an die ursprünglich gewährte Frist.
8.2.3. Mohr (aaO 489 und 492) vertritt, dass die Verlängerung einer einstweiligen Verfügung ein Hinausschieben der Wirksamkeitsfrist sei und der Verlängerungsbeschluss den Beginn der Verlängerung auslöse.
Hopf/Kathrein (Eherecht3 [2014] § 382e EO Rz 5) meinen, dass so wie beim erstmaligen Ausspruch des Aufenthalts- oder Kontaktverbots auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abzustellen sei.
Sailer aaO vertritt die Auffassung, wie oben erwähnt. Die – zur Vollstreckungsmöglichkeit nach § 382g Abs 4 Satz 2 EO hinzutretende – Verlängerung werde bei weiteren Verstößen jeweils innerhalb der verlängerten Frist unter Umständen auch mehrfach zulässig sein. Richtigerweise werde die zusätzliche Frist nicht an das Ende der ursprünglichen (vorangehenden) anschließen und auch nicht ab dem Zeitpunkt des Zuwiderhandelns laufen, sondern ab der Beschlussfassung über die Verlängerung (ebenso Sailer in Burgstaller/Deixler-Hübner, EO § 382b [2015] Rz 17). Die Höchstdauer sei aber jedenfalls mit zwei Jahren ab dem ursprünglichen Fristbeginn begrenzt.
8.3. Hierzu wurde erwogen:
8.3.1. Ein kundgemachtes Gesetz ist aus sich selbst auszulegen. Andere Erkenntnisquellen über die Absicht des Gesetzgebers sind erst dann heranzuziehen, wenn die Ausdrucksweise des Gesetzgebers zweifelhaft ist (RIS-Justiz RS0008806). Die Auslegung beginnt mit der Wortinterpretation, worunter die Erforschung des Wortsinnes, der Bedeutung eines Ausdrucks oder eines Gesetzes nach dem Sprachgebrauch zu verstehen ist (RIS-Justiz RS0008896). Die Gesetzesauslegung darf nicht bei der Wortinterpretation stehen bleiben. Der übliche formale Wortsinn ist nur ein Hinweis für die Auslegung der Norm, nicht mehr; erst der äußerste mögliche Wortsinn steckt die Grenze jeglicher Auslegung ab, die auch mit den sonstigen Interpretationsmethoden nicht überschritten werden darf. Bei Gesetzen, die erfahrungsgemäß auf Vermittlung durch rechtskundige Personen angelegt sind, geht im Zweifel ein präziser rechtstechnischer Sprachgebrauch dem allgemeinen vor (RIS-Justiz RS0008788). Bleibt nach Wortinterpretation und logischer Auslegung die Ausdrucksweise des Gesetzes dennoch zweifelhaft, dann ist die Absicht des Gesetzgebers zu erforschen. Man versucht, den Sinn einer Bestimmung unter Bedachtnahme auf den Zweck der Regelung zu erfassen (objektiv-teleologische Interpretation). Der Auslegende hat die gesetzgeberische Regelung und die darin zum Ausdruck kommenden Wertmaßstäbe selbständig weiter und zu Ende zu denken (RIS-Justiz RS0008836).
8.3.2. Nach § 382g Abs 2 EO muss der Antragsteller keine Rechtfertigungsklage einbringen, wenn eine einstweilige Verfügung für längstens ein Jahr erlassen wird. Dokumentiert der Antragsgegner durch Zuwiderhandeln während dieser Frist, dass der angestrebte Zweck innerhalb dieses Zeitraums nicht erreicht werden konnte (vgl RIS-Justiz RS0005534, RS0005613), so ermöglicht das Gesetz die „Verlängerung der einstweiligen Verfügung“ um den gleichen Zeitraum von maximal einem Jahr. Schon zu § 382b EO wurde ausgesprochen, dass die beschränkte Geltungsdauer vor Fristablauf auf Antrag verlängert werden kann, wenn der Gefährdungstatbestand fortdauert oder zumindest in diesem Zeitpunkt verwirklicht ist (7 Ob 15/14b = RIS-Justiz RS0123193 [T1]; vgl RS0109194 [T2, T4]).
Bei zeitlicher Anknüpfung an den Verstoß oder einen Entscheidungszeitpunkt des Gerichts würde der Boden des Gesetzeswortlauts insofern verlassen, als damit nicht eine Frist verlängert, sondern eine neue gesetzt würde (zutr Gitschthaler aaO 195 FN 38). Dies steht im Einklang mit den Materialien, die nicht darlegen, dass eine neue Frist an die Stelle der ursprünglichen Frist zu treten habe. Dem entspricht auch, dass nach Ablauf der Verfügungsfrist eine Verlängerung der Geltungsdauer der bewilligten einstweiligen Verfügung nicht mehr zulässig ist, sondern ab diesem Zeitpunkt nur mehr eine neue einstweilige Verfügung beantragt und erlassen werden kann, wenn und soweit die hiefür erforderlichen Voraussetzungen gegeben sind, deren Vorliegen neuerlich zu prüfen ist (7 Ob 133/17k mwN).
8.3.3. Bis zum Ablauf der ersten Frist ist der Antragsteller durch die bestehende einstweilige Verfügung geschützt; vor Ablauf der ursprünglichen einstweiligen Verfügung besteht insofern kein Rechtsschutzbedürfnis des Antragstellers, als ihm ein Exekutionstitel zu Gebote steht, mit dessen Durchsetzung nach § 382g Abs 3 EO in Ansehung von Kontakt-, Verfolgungs- und Aufenthaltsverbot nach § 382g Abs 1 Z 1 und Z 3 EO auch die Sicherheitsbehörde beauftragt werden kann. Im Übrigen stehen dem Antragsteller die §§ 346 ff EO zu Gebote.
8.3.4. Die Verlängerung der Frist ohne Klagseinbringung dient dem – zeitlich ausgedehnten – Schutz des Antragstellers. Ein Verstoß während der Verfügungsfrist ist bloß Voraussetzung für die Verlängerung. Aus ihm ist vor dem Hintergrund des Verhaltens, das zur erstmaligen Erlassung der einstweiligen Verfügung geführt hat, abzuleiten, ob ein weiteres Rechtsschutzbedürfnis und für welche Dauer es besteht. Die Notwendigkeit der – vor Ablauf der Verfügungsfrist zu beantragenden (RIS-Justiz RS0005534 [T2, T7, T8]) – Verlängerung einer einstweiligen Verfügung ist daher im Hinblick darauf zu prüfen, ob und in welcher Dauer (von maximal einem Jahr) im Anschluss an die ablaufende Verfügung das Sicherungsbedürfnis des Antragstellers angesichts konkreter Verstöße des Gegners weiterbesteht. Mangels Vorliegens geänderter Umstände wird sich die verlängerte Frist an der bis dahin festgesetzten Verfügungsdauer orientieren können, wenn schon durch die Verstöße das Weiterbestehen des Sicherungsbedürfnisses des Antragstellers dokumentiert ist.
8.4. Zusammengefasst gilt daher, dass die Verlängerung einer einstweiligen Verfügung nach § 382g Abs 2 letzter Satz (§ 382e Abs 2 letzter Satz) EO um längstens ein Jahr zeitlich an die ursprüngliche Geltungsdauer der zu verlängernden einstweiligen Verfügung anzuschließen hat.
8.5. Daraus folgt für den vorliegenden Fall, dass der Antrag der Revisionsrekurswerberin, die Verlängerung der einstweiligen Verfügung mit dem Zeitpunkt des letzten Verstoßes beginnen und deshalb mit 2. September 2017 enden zu lassen, unberechtigt ist.
8.6. Sonstige konkrete Umstände, aus denen im vorliegenden Fall um eine kürzere als die ursprüngliche Verfügungsfrist zu verlängern gewesen wäre, sind weder behauptet worden noch ersichtlich.
9. Insgesamt erweist sich der Revisionsrekurs der Antragsgegnerin als unberechtigt.
10. Die Antragsgegnerin hat nach § 393 Abs 2 EO iVm §§ 41, 50 ZPO die Kosten der Rechtsmittelbeantwortung des Antragstellers zu ersetzen.
Textnummer
E120212European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2018:E120212Im RIS seit
03.01.2018Zuletzt aktualisiert am
14.03.2022