TE Lvwg Erkenntnis 2015/7/30 VGW-151/070/27046/2014

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Veröffentlicht am 30.07.2015
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Entscheidungsdatum

30.07.2015

Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht
E1E
59/04 EU – EWR

Norm

NAG §54
NAG §52 Abs1 Z3
AEUV Art 21

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Verwaltungsgericht Wien hat durch seinen Richter Mag. KLOPCIC über die Beschwerde gem. Art. 130 Abs. 1 Z 3 B-VG (Säumnisbeschwerde) der N. T., geb. am ... 1968, Staatsangehörigkeit Bosnien und Herzegowina, wegen Verletzung der Frist zur Entscheidung über ihren am 16.09.2013 beim Amt der Wiener Landesregierung, Magistratsabteilung 35 gestellten Antrag gem. § 54 iVm § 52 Abs. 1 Z 3 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) auf Dokumentation ihres unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts zum Zwecke der Familiengemeinschaft mit einem Unionsbürger, protokolliert zur Zahl MA35-9/3000919-01, gemäß § 28 VwGVG zu Recht erkannt:

I. In Erledigung der Säumnisbeschwerde wird gem. § 16 Abs. 2 VwGVG festgestellt, dass N. T. gem. § 54 iVm § 52 Abs. 1 Z 3 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz – NAG in der Fassung des Bundesgesetzes, BGBl. I Nr. 70/2015 aufgrund Art 21 AEUV seit 02.09.2013 zum gemeinschaftsrechtlichen Aufenthalt im Bundesgebiet für mehr als drei Monate berechtigt ist. Ihr ist für die Dauer der beabsichtigten Ausbildung iSd § 51 Abs. 1 Z 3 NAG ihrer Tochter A. in Österreich gem. § 54 Abs. 1 NAG eine Aufenthaltskarte für Angehörige eines EWR-Bürgers für die Dauer von 5 Jahren auszustellen.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

I.1. Die Beschwerdeführerin, eine Staatsbürgerin von Bosnien und Herzegowina, reiste im September 2003 gemeinsam mit ihrer Tochter (Beschwerdeführerin im Verfahren VGW-151/070/27045/2014) legal in das Bundesgebiet ein und stellte am 16.09.2013 vom Inland aus persönlich beim Amt der Wiener Landesregierung, Magistratsabteilung 35 einen Antrag gem. § 54 iVm § 52 Abs. 1 Z 3 NAG auf Ausstellung einer „Aufenthaltskarte für Angehörige eines EWG-Bürgers“ gem. § 9 Abs. 1 Z 2 NAG zum Zwecke der Dokumentation des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts für mehr als drei Monate.

Diesem Antrag wurden diverse Unterlagen zum Nachweis der allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen im Sinne des § 10b NAG-DV iVm § 54 Abs. 2 Z 2 NAG für den beantragten Aufenthaltstitel in Kopie beigefügt.

I.2. Mit undatiertem Schreiben der Verwaltungsbehörde wurde die Beschwerdeführerin aufgefordert, näher bezeichnete Unterlagen nachzureichen. In der Folge langten Nachweise zur finanziellen Leistungsfähigkeit der Beschwerdeführerin und ihrer Tochter ein.

I.3. Im Zuge einer niederschriftlichen Einvernahme durch die Verwaltungsbehörde am 24.10.2013 gab die Beschwerdeführerin an, zum Vater der Tochter keinen Kontakt mehr zu haben und für deren Unterhalt alleine aufzukommen. Sie habe seit 2002 bis 30.11.2012 mit dem Vater in Deutschland gelebt, die Scheidung sei Ende 2012 erfolgt. Aus persönlichen Gründen habe sie die Möglichkeit der Annahme der deutschen Staatsbürgerschaft nicht in Anspruch genommen.

I.4. Schließlich forderte die Verwaltungsbehörde die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 16.05.2014 gemäß § 13 Abs. 3 AVG zur Behebung von Verfahrensmängeln auf und ersuchte sie, ihren genauen Aufenthaltszweck mitzuteilen.

Im Zuge dessen gelangte die Verwaltungsbehörde zu dem Ergebnis, dass die Tochter der Beschwerdeführerin in Wien studiere, über kein eigenes Einkommen verfüge und bezüglich ihres Unterhalts von der Beschwerdeführerin abhängig sei. Da diese in Österreich beabsichtige, erwerbstätig zu sein, sei die Ableitung des Aufenthaltsrechts von ihrer Tochter nicht möglich.

Am gleichen Tag ersuchte die Verwaltungsbehörde die Beschwerdeführerin via E-Mail um Nachreichung eines Nachweises über ausreichende Einkommensmittel. Dieser langte bis zur Vorlage des bezughabenden Verwaltungsaktes an das Verwaltungsgericht Wien nicht ein.

I.5. Mit Schriftsatz vom 26.05.2014, eingelangt bei der Verwaltungsbehörde am 05.06.2014, wurde anstelle dessen im gegenständlichen Verfahren sowie in jenem der Tochter Beschwerde gem. § 130 Abs. 1 Z 3 B-VG iVm § 8 VwGVG wegen Verletzung der Entscheidungspflicht erhoben und diesbezüglich zusammengefasst vorgebracht, dass die sechsmonatige Entscheidungsfrist der belangten Behörde bereits am 16.03.2014 abgelaufen sei. Da die Beschwerdeführerin von Anfang an den relevanten Sachverhalt bekannt gegeben und mit entsprechenden näher bezeichneten Beweismittel insbesondere zu den wirtschaftlichen und verwandtschaftlichen Verhältnissen der Beschwerdeführerin und ihrer Tochter untermauert habe und auch sämtliche rechtlichen Ausführungen, die klar darlegen würden, dass im konkreten Fall die Voraussetzungen für die Erteilung des beantragten Aufenthaltstitels vorliegen würden, erstattet habe und es unklar sei, welche Verfahrensschritte die belangte Behörde während der nunmehr rund siebeneinhalbmonatigen Verfahrensdauer gesetzt habe, sei die Verzögerung ausschließlich der belangten Behörde zuzurechnen.

Zu den bezughabenden Anträgen wurde inhaltlich vorgebracht, dass die Tochter der Beschwerdeführerin beginnend mit dem Schuljahr 2013/2014 ordentliche Schülerin eines Bundesrealgymnasiums in Wien und die Beschwerdeführerin für sie seit ihrer Geburt alleine obsorgeberechtigt sei. Im Verfahren seien u.a. ein Nachweis über Ersparnisse in Höhe von EUR 6.000 sowie eine Einstellungszusage für die Mutter und ein Arbeitsvertrag vorgelegt worden. Aufgrund der langen Verfahrensdauer habe die Beschwerdeführerin am 30.01.2014 eine Beschwerde bei der Volksanwaltschaft eingebracht, woraufhin die belangte Behörde die Übermittlung eines Verbesserungsauftrages zur Modifikation des Antrags in Aussicht gestellt habe, da ihrer Meinung nach die Erteilung eines europarechtlichen Aufenthaltstitels an die Beschwerdeführerin und ihre Tochter nicht möglich sei. Aufgrund dieser groben Verkennung der Rechtslage durch die Volksanwaltschaft habe daraufhin die damalige rechtsfreundliche Vertreterin der Beschwerdeführerin unter Bezugnahme auf die Urteile des Europäischen Gerichtshofes vom 19.10.2004, C-200/02, und vom 17.09.2002, C-413/99, in einem Schreiben vom 09.04.2014 ausgeführt, dass auch bei einer Umkehr der Unterhaltsleistung vom Elternteil auf das Kind die Dokumentation des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechtes vorzunehmen wäre, um dieses in die Lage zu versetzen, die schulische Ausbildung zu beenden. Mit diesem Schreiben sei auch ein weiterer arbeitsrechtlicher Vorvertrag für die Mutter vorgelegt worden. Da schließlich am 05.05.2014 über die Anträge immer noch nicht entschieden worden sei, habe die Rechtsvertreterin ein neuerliches Schreiben an die belangte Behörde übermittelt. Schließlich habe sich die Verwaltungsbehörde am 16.05.2014 an die Beschwerdeführerin mit der Aufforderung der Mitteilung des genauen Aufenthaltszwecks sowie, ob sie mit dem von der Behörde ermittelt den Zweck einverstanden sei, bzw. im Falle der Tochter der Beschwerdeführerin der Vorlage von ausreichenden Existenzmitteln gerichtet. Dazu wurde kritisiert, dass dem Schreiben nicht zu entnehmen sei, welchen Zweck die Verwaltungsbehörde ermittelt habe, und sie in diesem Schreiben auch nicht auf die mit Schreiben vom 09.04.2014 dargelegte rechtliche Argumentation eingegangen sei. Insbesondere gehe auch nicht daraus hervor, aus welchem Grund der Tochter der Beschwerdeführerin, die im Bundesgebiet eine Schule besuche und sich aus diesem Grunde in einem Abhängigkeitsverhältnis zu ihrer Mutter befinde, die für sie obsorgeberechtigt sei, und durch eigene Erwerbstätigkeit als Hauskrankenpflegerin plane, den Lebensunterhalt zu sichern, die beantragte Anmeldebescheinigung nicht ausgestellt werde.

Schließlich wurde der Antrag gestellt, das Verwaltungsgericht Wien möge in Stattgebung der eingebrachten Beschwerde in der Sache selbst erkennen und den Antrag auf Ausstellung einer Aufenthaltskarte gemäß § 54 NAG stattgeben.

I.5. Die Verwaltungsbehörde erließ in der gegenständlichen Rechtssache in der sich aus § 16 Abs. 1 VwGVG ergebenden Frist keinen Bescheid und legte die Säumnisbeschwerde samt bezughabenden Verwaltungsakt gem. § 16 Abs. 2 VwGVG dem Verwaltungsgericht Wien mit Schreiben vom 10.06.2014 vor. Die gegenständliche Rechtssache wurde bei dieser Gerichtsabteilung am 13.06.2014 anhängig.

I.6. Mit Schreiben des Verwaltungsgerichts Wien vom 16.06.2014 wurde der Verwaltungsbehörde die Beschwerde gem. § 10 VwGVG zur Stellungnahme übermittelt. Eine solche ist bis zum Entscheidungszeitpunkt nicht eingelangt.

I.7. Schließlich nahm der rechtsfreundliche Vertreter der Beschwerdeführerin mit Schriftsätzen vom 03.09.2014 und 07.01.2015 zur Frage der auf den Beschwerdefall anzuwenden maßgeblichen Rechtslage Stellung und erstattete unter Anführung entsprechender Judikatur des Europäischen Gerichtshofs ein umfangreiches rechtliches Vorbringen zur fallbezogenen Auslegung des Gemeinschaftsrechts, insbesondere zur Frage des Status der Tochter der Beschwerdeführerin in Österreich sowie ob ihre Volljährigkeit zum Zeitpunkt der Antragstellung und die aktuellen Unterhaltsleistungen ihrer Mutter Auswirkungen auf die Definition des Familienbegriffs hat, sowie zur Frage welche Rechte der Beschwerdeführerin aus dem rechtlichen Status ihrer Tochter erwachsen (s. AS. 18-30). Gleichzeitig wurde für die Beschwerdeführerin eine Bestätigung gemäß § 3 Abs. 8 AuslBG des AMS Wien vom 12.08.2014 in Vorlage gebracht.

I.8. Mit Schreiben des Verwaltungsgerichtes Wien vom 22.05.2015 wurde der Beschwerdeführerin die Nachreichung näher bezeichneter aktualisierter Nachweise zum Vorliegen der Voraussetzungen für ein gemeinschaftsrechtliches Aufenthaltsrecht aufgetragen. Diese Unterlagen wurden mit Schreiben vom 15.06.2015 in Vorlage gebracht. Aufgrund nachfolgender erneuter Anfrage hinsichtlich der beabsichtigten Dauer und der Art der zukünftigen Ausbildungsvorhaben der Tochter der Beschwerdeführerin im Bundesgebiet wurde am 30.07.2015 bekanntgegeben, dass die Tochter nach Absolvierung der Matura die Inskription an einer näher genannten tertiären Bildungseinrichtung plane.

II. Das Verwaltungsgericht Wien hat erwogen

II.1. Das Verwaltungsgericht Wien geht von folgendem für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhalt aus:

Die Beschwerdeführerin wurde am ... 1968 in Serbien geboren und ist Staatsangehörige von Bosnien und Herzegowina. Sie lebte bis zu ihrer Einreise in das Bundesgebiet gemeinsam mit ihrer Tochter, für die sie alleine obsorgeberechtigt ist, in Deutschland, wo sie über eine unbefristete Niederlassungserlaubnis mit Berechtigung zu einer Erwerbstätigkeit verfügt.

Die Tochter der Beschwerdeführerin wurde am ... 1995 in Mönchengladbach geboren und ist deutsche Staatsangehörige. Sie lebte seit ihrer Geburt in Deutschland ununterbrochen im Familienverband mit ihrer Mutter und reiste im September 2013 gemeinsam mit dieser legal in das Bundesgebiet ein. Seit damals besucht sie tagsüber ein Bundesrealgymnasium in Wien und absolvierte im Schuljahr 2014/15 die 7. Klasse. Nach Absolvierung der Matura plant sie die Inskription in einer tertiären Bildungseinrichtung zum Zwecke des Studiums der Psychologie.

Die Beschwerdeführerin und ihre Tochter verfügen in Österreich durch den gemeinsamen Haushalt in der von der Beschwerdeführerin angemieteten Wohnung über einen Rechtsanspruch auf eine ortsübliche Unterkunft sowie über eine alle Risken abdeckende, in Österreich leistungspflichtige Krankenversicherung. Im Verfahren wurden finanzielle Mittel in Form von Spareinlagen in Höhe von rund EUR 2.000,- vorgelegt. Der Beschwerdeführerin wurde zwischenzeitlich am 12.08.2014 eine Bestätigung des AMS gem. § 3 Abs. 8 AuslBG ausgestellt und arbeitet sie derzeit unselbstständig als Heimhilfe. Sie bringt aus dieser Vollzeit-Erwerbstätigkeit ein monatliches Bruttoeinkommen von EUR 2.332,- (netto EUR 1.600,-) ins Verdienen. Bis dahin lebte die Familie von Ersparnissen in Höhe von rund EUR 6.000 ohne zusätzliche Inanspruchnahme von ergänzenden staatlichen Sozialleistungen.

Das anrechenbare Jahresnettoeinkommen beläuft sich somit auf rund EUR 22.633,-, sohin umgerechnet auf einen Monat auf EUR 1.886,-. Mietbelastungen bestehen in der Höhe von EUR 699,53 monatlich. Ebenso bestehen Kreditverbindlichkeiten in der Höhe von EUR 68,93 monatlich. Aufgrund der Höhe dieses Einkommens besteht für die Bedarfsgemeinschaft der Familie der Beschwerdeführerin kein Anspruch auf Leistungen aus der Bedarfsorientierten Mindestsicherung nach dem Wiener Mindestsicherungsgesetz (WMG), sodass im konkreten Fall der Aufenthalt der Beschwerdeführerin und ihrer Mutter nach der vorliegenden Aktenlage zu keiner finanziellen Belastung iSd § 11 Abs. 2 Z 4 NAG einer Gebietskörperschaft führen könnte.

Gründe im Sinne des § 55 Abs. 3 NAG, weshalb der Beschwerdeführerin ein Aufenthaltstitel gem. § 54 iVm § 52 Abs. 1 Z 3 NAG nicht (mehr) zustehe, haben sich im gesamten Verlauf des Verfahrens nicht ergeben.

II.2. Beweiswürdigung:

Beweis wurde erhoben durch Einsichtnahme in den Verwaltungsakt der belangten Behörde bzw. durch die seitens der Beschwerdeführerin im Beschwerdeverfahren in Vorlage gebrachten aktuellen Unterlagen und durch Anfragen in öffentlichen Registern.

Die Feststellungen zur Person und zu den familiären und persönlichen Lebensverhältnissen der Beschwerdeführerin in Österreich ergeben sich aus den vorgelegten Unterlagen, aus dem Inhalt des Verwaltungsaktes, insbesondere aus dem Vorbringen der Beschwerdeführerin gegenüber der belangten Behörde, sowie aus aktuellen Anfragen des Verwaltungsgerichtes Wien in öffentlichen Registern.

Die Feststellungen zur Arbeitstätigkeit der Beschwerdeführerin und zu den finanziellen Verhältnissen ihrer Familie in Österreich ergeben sich aus den im Verlauf des Beschwerdeverfahrens in Vorlage gebrachten Nachweisen, die in Zusammenschau mit der vorgelegten Bestätigung gem. § 3 Abs. 8 AuslBG des AMS vom 12.08.2014 als unbedenklich eingestuft werden können.

Die Feststellungen zum aktuellen Schulbesuch der Tochter der Beschwerdeführerin und ihren zukünftigen Ausbildungsplänen im Bildungsgebiet gründen sich auf die im Beschwerdeverfahren in Vorlage gebrachten schulischen Bestätigungen sowie auf das insofern glaubwürdige ergänzende Vorbringen vom 30.07.2015.

Die weiteren Feststellungen gründen sich auf den insoweit unstrittigen und unbedenklichen Inhalt des bezughabenden Verwaltungsaktes der belangten Behörde.

Der festgestellte Sachverhalt wurde von der Beschwerdeführerin in diesem Beschwerdeverfahren nicht bestritten, auch die Verwaltungsbehörde ist dem Ermittlungsergebnis nicht entgegengetreten.

II.3. Rechtlich ergibt sich daraus:

II.3.1. Gemäß Artikel 130 Abs. 1 B-VG, BGBl. Nr. 1/1930 idF der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl. I Nr. 51/2012, erkennen die Verwaltungsgerichte über Beschwerden

1.   gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit;

2.   gegen die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt wegen Rechtswidrigkeit;

3.   wegen Verletzung der Entscheidungspflicht durch eine Verwaltungsbehörde;

4.   gegen Weisungen gemäß Art. 81a Abs. 4.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte regelt das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013 idF. des Bundesgesetzes, BGBl. I Nr. 122/2013. Gemäß § 2 VwGVG entscheidet das Verwaltungsgericht durch Einzelrichter (Rechtspfleger), soweit die Bundes- oder Landesgesetze nicht die Entscheidung durch den Senat vorsehen. Sofern die Rechtssache nicht zur Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes gehört, ist in Rechtssachen in den Angelegenheiten, in denen die Vollziehung Landessache ist, das Verwaltungsgericht im Land zuständig.

Soweit im VwGVG nicht anderes bestimmt ist, sind gemäß § 17 VwGVG auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Soweit das Verwaltungsgericht nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, hat es gemäß § 27 VwGVG den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.

Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden. Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen. Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG hat das Verwaltungsgericht gem. Absatz 2 leg. cit. dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn

      1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

      2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

II.3.2.1. Gemäß Art. 132 Abs. 3 B-VG idgF kann gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht Beschwerde erheben, wer im Verwaltungsverfahren als Partei zur Geltendmachung der Entscheidungspflicht berechtigt zu sein behauptet.

Verfahren vor Verhaltungsbehörden sind nach den Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 – AVG zu führen. Nach dem System des AVG ist die Behörde ganz allgemein gem. 73 Abs. 1 AVG dazu verpflichtet, ohne unnötigen Aufschub, spätestens jedoch binnen sechs Monaten nach Einlangen eins Anbringens (§ 8 AVG) darüber zu entscheiden. „Ohne unnötigen Aufschub“ ist in diesem Zusammenhang objektiv-rechtlich zu verstehen und gebietet es der Behörde, ehestmöglich zu entscheiden. Eine Behörde verstößt daher gegen diese Verpflichtung, wenn sie Verfahrenshandlungen ohne Grund nicht in angemessener Zeit vornimmt, überflüssige Verwaltungshandlungen setzt oder mit der Entscheidung grundlos zuwartet, um die Entscheidung zu verzögern (vgl. VwGH 13.09.2001, 2001/12/0168). Gegen einen Verstoß dieser Verpflichtung der Behörde gewährt § 73 Abs. 2 AVG den Parteien des Verfahrens generell den Rechtsbehelf des „Devolutionsantrags“, sich gegen eine (rechtsmissbräuchlich) untätige Verwaltungsbehörde zur Wehr zu setzen.

Mit Wirksamkeit der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl. I Nr. 51/2012, am 01.01.2014, mit der eine zweistufige Verwaltungsgerichtsbarkeit eingeführt und gleichzeitig der administrative Instanzenzug abgeschafft wurde, erfuhr das System des Rechtsschutzes gegen untätige Verwaltungsbehörden insofern eine maßgebliche Änderung als nunmehr mit dem Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013 idF. des Bundesgesetzes, BGBl. I Nr. 122/2013 ein eigenständiges Verfahrensregime für die (erstinstanzlichen) Verwaltungsgerichte geschaffen wurde und die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes in Verfahren vor den Verwaltungsgerichten grundsätzlich nur noch subsidiär zur Anwendung gelangen. So regelt § 17 VwGVG nunmehr unter anderem, dass die Bestimmungen des IV. Teiles des AVG nicht mehr anzuwenden sind.

Da der IV. Teil des AVG (§§ 63 bis 73) jene Bestimmungen umfasst, die den Rechtsschutz gegen hoheitliches Verwaltungshandeln normiert, sind daher insbesondere die Regelungen des AVG über den Säumnisschutz seit der Wirksamkeit der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Reform per 01.01.2014 hinsichtlich der Verletzung der Entscheidungspflicht der Verwaltungsbehörden in Verfahren, in denen den Verwaltungsgerichten eine nachprüfende Kontrolle verwaltungsbehördlichen Handelns im Sinne des § 130 Abs. 1 B-VG zukommt, nicht mehr anzuwenden. Als Ausgleich dafür wurde im Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz mit der „Säumnisbeschwerde“ ein an die Regelung des § 73 AVG angelehntes neues System geschaffen, das es den Parteien des Verfahrens weiterhin ermöglichen soll, gegen eine untätige Behörde rechtlich vorzugehen. Hinsichtlich der Beurteilung, wann eine Verwaltungsbehörde in einem Verwaltungsverfahren säumig wird, sind daher auch weiterhin jene Kriterien zu prüfen, die bislang als Voraussetzungen für die Zulässigkeit eines „Devolutionsantrages“ herangezogen wurden. Es kann daher auch die bislang zu § 73 AVG ergangene Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auf Verfahren gegen Beschwerden gem. Art. 130 Abs. 1 Z. 3 B-VG umgelegt werden.

Gemäß § 8 Abs. 1 VwGVG kann Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 3 B-VG (Säumnisbeschwerde) erst erhoben werden, wenn die Behörde die Sache nicht innerhalb von sechs Monaten, wenn gesetzlich eine kürzere oder längere Entscheidungsfrist vorgesehen ist, innerhalb dieser entschieden hat. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Antrag auf Sachentscheidung bei der Stelle eingelangt ist, bei der er einzubringen war. Die Beschwerde ist abzuweisen, wenn die Verzögerung nicht auf ein überwiegendes Verschulden der Behörde zurückzuführen ist.

In die Frist werden nach § 8 Abs. 2 VwGVG die Zeit, während deren das Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung einer Vorfrage ausgesetzt ist sowie die Zeit eines Verfahrens vor dem Verwaltungsgerichtshof, vor dem Verfassungsgerichtshof oder vor dem Gerichtshof der Europäischen Union nicht eingerechnet.

Gemäß § 16 Abs. 1 VwGVG kann die Behörde im Verfahren über Beschwerden wegen Verletzung der Entscheidungspflicht gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 3 B-VG die Behörde innerhalb einer Frist von bis zu drei Monaten den Bescheid erlassen. Wird der Bescheid erlassen oder wurde er vor Einleitung des Verfahrens erlassen, ist das Verfahren einzustellen. Holt die Behörde den Bescheid nicht nach, hat sie gemäß Absatz 2 dem Verwaltungsgericht die Beschwerde unter Anschluss der Akten des Verwaltungsverfahrens vorzulegen.

Nach herrschender Lehre steht es im Ermessen der Behörde, ob sie von der Möglichkeit der Nachholung des Bescheides Gebrauch macht oder schon vor Ablauf der ihr im § 16 Abs. 1 VwGVG eingeräumten Frist die Säumnisbeschwerde dem Verwaltungsgericht vorlegt. Mit der Vorlage geht die Entscheidungspflicht auf das Verwaltungsgericht über und endet das Verwaltungsverfahren und beginnt das Verfahren vor dem Verwaltungsgericht. Bei diesem sind ab diesem Zeitpunkt auch alle Schriftsätze einzubringen.

Das Verwaltungsgericht hat die Beschwerde mit Beschluss als unzulässig zurückzuweisen, wenn es an einer Prozessvoraussetzung fehlt oder mit Erkenntnis abzuweisen, wenn die Verzögerung nicht auf ein überwiegendes Verschulden der Behörde zurückzuführen ist. Diesfalls geht die Zuständigkeit in der Hauptsache wieder auf die Verwaltungsbehörde über.

Gelangt das Verwaltungsgericht zu der Ansicht, dass die Verwaltungsbehörde tatsächlich säumig war, entscheidet es sogleich in der Sache selbst. Gemäß § 28 Abs. 7 VwGVG kann das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden wegen Verletzung der Entscheidungspflicht gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 3 B-VG sein Erkenntnis vorerst auch auf die Entscheidung einzelner maßgeblicher Rechtsfragen beschränken und der Behörde auftragen, den versäumten Bescheid unter Zugrundelegung der hiermit festgelegten Rechtsanschauung binnen bestimmter, acht Wochen nicht übersteigender Frist zu erlassen. Kommt die Behörde dem Auftrag nicht nach, so entscheidet das Verwaltungsgericht über die Beschwerde durch Erkenntnis in der Sache selbst, wobei es auch das sonst der Behörde zustehende Ermessen handhabt.

Dem Verwaltungsgericht kommt in diesem Zusammenhang Ermessen zu, in welcher der beiden Formen es in der Sache selbst entscheidet. Dabei wird insbesondere zu berücksichtigen sein, ob die belangte Behörde offenkundig entscheidungsunwillig war bzw. voraussichtlich in der gebotenen Zeit eine Entscheidung nicht erlassen wird (können) oder aber etwa mit der Lösung bestimmter verfahrenserheblicher Rechtsfragen überfordert ist. Eine förmliche Stattgabe der Säumnisbeschwerde sieht das VwGVG ebenso wenig vor, wie dies im Falle eines Devolutionsantrags gem. § 73 AVG an die Berufungsinstanz - nach der alten Rechtslage - nicht vorgesehen war. Vielmehr ist mit einer Entscheidung in der Sache selbst immer implizit eine Bejahung des Vorliegens der Voraussetzung zur Erhebung einer Beschwerde gem. Art. 130 Abs. 1 Z. 3 B-VG verbunden (so etwa VwGH vom 27.05.2015, Ra 2015/19/0075).

Die Frist zur Erhebung eines Antrags auf Übergang der Entscheidungspflicht läuft von dem Tag, an dem der Devolutionsantrag bei der Stelle eingelangt ist, bei der er einzubringen war, und nicht von dem Tag, an dem dieser zur Post gegeben wurde (VwGH 25.01.1983, 82/07/0199; 21.02.1995, 92/07/0178). Die Frist beginnt von neuem zu laufen, wenn der Parteiantrag, über den zu entscheiden ist, in einem wesentlichen Punkt modifiziert wird (so etwa VwGH 28.01.1992, 81/05/0145; 28.01.1992, 91/04/0125 und 13.05.1993, 92/06/0125). Ein vor Ablauf der Entscheidungsfrist gestellter Devolutionsantrag ist unzulässig. Diese Unzulässigkeit kann auch nicht dadurch heilen, dass die Entscheidungsfrist nach Stellung des verfrühten Devolutionsantrages ungenützt abläuft (vgl. VwGH 21.02.1995, 92/07/0178, mwH). Da für die Berechnung der Entscheidungsfrist die §§ 32 f AVG anzuwenden sind, sind die Tage des Postenlaufes nicht in die Frist einzurechnen. Dies bedeutet, dass im Falle postalischer Einbringung der Antrag erst nach Ablauf der Entscheidungsfrist zur Post gegeben werden darf, andernfalls ist er verfrüht (vgl. VwGH 27.01.1987, 85/04/0165). Ein verfrüht gestellter Devolutionsantrag bewirkt keinen Zuständigkeitsübergang und ist von der Oberbehörde zurückzuweisen (vgl. VwGH 13.10.1980, VwSlg. 2397/80; VwGH 22.12.2010, 2009/05/0316).

Ist ein Antrag mangelhaft, so beginnt die Entscheidungsfrist erst mit dem Einlangen des verbesserten Antrages (vgl. VwGH 12.11.1986, 85/09/0152; 18.12.1986, 86/06/0186, und 17.11.1994, 93/06/0123). Im Falle des Erfordernisses einer Verbesserung eines Ansuchens hat die Behörde den Verbesserungsauftrag unverzüglich zu erteilen, um ihr Verschulden an der Verzögerung des Verfahrens auszuschließen (VwGH 27.10.1999, 98/09/0318; VwGH 22.12.2010, 2009/06/0134). Dass die Weigerung der Partei, einem Mängelbehebungsauftrag der Behörde zu entsprechen, erst nach Ablauf der sechsmonatigen Entscheidungsfrist zugleich mit dem Begehren auf Übergang der Zuständigkeit zur Entscheidung ausgesprochen wurde, schließt das Alleinverschulden der Behörde iSd § 73 Abs. 2 AVG an der Säumigkeit nicht aus. Die Behörde kann nämlich durch dieses Verhalten der Partei an der fristgerechten Entscheidung nicht gehindert worden sein (VwGH 22.12.2010, 92/10/0002).

Der Begriff des behördlichen Verschuldens nach § 73 Abs. 2 AVG ist - wie auch schon vor der Novelle 1998 - objektiv zu verstehen. Ein solches Verschulden ist dann anzunehmen, wenn die zur Entscheidung berufene Behörde nicht durch ein schuldhaftes Verhalten der Partei oder durch unüberwindliche Hindernisse von der Entscheidung abgehalten wurde, ehestmöglich zu entscheiden (vgl. VwGH 18.01.2005, 2004/05/0120). Zur Feststellung, ob ein überwiegendes behördliches Verschulden vorliegt, ist das Verschulden der Partei an der Verzögerung des Verfahrens gegen jenes der Behörde abzuwägen (VwGH 31.01.2005, 2004/10/0218). Formgebrechen bzw. Mängel eines Parteiantrages im Sinne des § 13 Abs. 3 AVG sind grundsätzlich der Parteiensphäre zuzurechnen (VwGH 24.03.1998, 97/05/0319, und Hengstschläger/Leeb, AVG § 73 Rz. 128). Gemäß § 13 Abs. 3 AVG idF BGBl. I Nr. 158/1998 erfasst diese Bestimmung nunmehr Formgebrechen und materielle Mängel eines Ansuchens, in Bezug auf die ein Verbesserungsantrag nach dieser Bestimmung ergehen kann (VwGH 25.06.2013, 2009/10/0266).

Relevanz kommt dem Verschulden einer Partei nur dann zu, wenn es kausal für die Verzögerung, also die nicht fristgerechte Erledigung des Antrages ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 25. April 1997, 95/19/0926, mwN). Das Fehlen eines derartigen "ausschließlichen Verschuldens" kann dann angenommen werden, wenn im Hinblick auf den Abspruchsgegenstand und die damit im Zusammenhang durchzuführenden Erhebungen sowie unter Bedachtnahme auf die Verpflichtung der Behörden zur Einräumung des Parteiengehörs ein über die Dauer der Entscheidungsfrist des § 410 Abs. 2 ASVG hinausgehendes Ermittlungsverfahren erforderlich ist (vgl. - zu § 73 Abs. 2 AVG idF vor BGBl. I Nr. 158/1998 - das hg. Erkenntnis vom 18. Oktober 1994, Zl. 94/04/0055). Aus dem bloßen Umstand der Durchführung von Ermittlungsschritten ist nicht bereits das ausschließliche Verschulden einer Behörde im Sinne des § 73 Abs. 2 dritter Satz AVG ausgeschlossen. Selbst unter der Annahme, dass für die Entscheidung ein längerdauerndes Ermittlungsverfahren erforderlich war, zählt ein solcher Umstand zu den dem Einflussbereich der Behörde entzogenen Hindernissen nur dann, wenn die Behörde das Verfahren durchgehend zügig betreibt und nicht etwa grundlos zuwartet oder überflüssige (nicht die konkrete Verwaltungssache betreffende) Verfahrenshandlungen setzt (VwGH 19.09.1989, 88/08/0144; VwGH 22.12.2010, 97/19/1738). Ein überwiegendes Verschulden der Behörde liegt auch darin, dass diese die für eine zügige Verfahrensführung notwendigen Schritte unterlässt oder mit diesen grundlos zuwartet. Auch der Umstand, dass es sich um eine komplexe Materie handelt, kann nicht ausreichen, um vom Vorliegen eines unüberwindlichen, einer im Sinn des § 410 Abs. 2 ASVG fristgerechten Entscheidung entgegenstehenden Hindernisses auszugehen (vgl. - zu § 73 Abs. 2 AVG – VwGH 21.092007, 2006/05/0145); VwGH 25.06.2013, 2013/08/0021).

Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits (mehrfach) darin, dass die Behörde die für eine zügige Verfahrensführung nötigen weiteren Verfahrensschritte unterlässt, wie auch bei grundlosem Zuwarten, ein überwiegendes Verschulden der Behörde angenommen (so etwa VwGH 06.07.2006, 2004/07/0141; 21.09.2007, 2006/05/0145, und 24.04.2007, 2006/05/0262). Gleiches gilt für die Abhaltung von behördeninternen Besprechungen über Sachverhalte außerhalb des Verfahrensinhaltes oder wenn die Behörde erst nach Verstreichen von mehr als zwei Drittel der gesetzlich vorgesehenen Entscheidungspflicht erstmals zielführende Verfahrensschritte setzt (s. Hengstschläger/Leeb, AVG Kommentar, (2007), 4. Teilband, Rz. 130; VwGH 22.12.2010, 2009/05/0306). Die Behörden haben dafür Sorge zu tragen, dass durch organisatorische Vorkehrungen eine rasche Entscheidung möglich ist. (VwGH 06.07.2010, 2009/05/0306; 25.06.2013, 2008/07/0036).

II.3.2.2. Im Beschwerdefall stellte die Beschwerdeführerin den Antrag auf Ausstellung einer Aufenthaltskarte gem. § 54 NAG am 16.09.2013 und bestätigte die belangte Behörde ihr das Einlangen mit Schreiben noch im selben Monat. Die Beschwerdeführerin brachte bereits bei Antragstellung die erforderlichen Unterlagen in Vorlage und legte in der Folge im Zuge ihrer niederschriftlichen Einvernahme am 24.10.2013 auftragsgemäß von der Verwaltungsbehörde geforderte ergänzende Nachweise vor. Die Verwaltungsbehörde setzte nach diesem Zeitpunkt keine zweckdienlichen weiteren Verfahrenshandlungen, noch führte sie ergänzende Ermittlungen durch. Sie hat bis zum Einlangen der gegenständlichen Beschwerde Art. 130 Abs. 1 Z. 3 B-VG über den verfahrensgegenständlichen Antrag der Beschwerdeführerin auch nicht entschieden.

Im vorliegenden Fall ist nach der Aktenlage die Verzögerung der Entscheidung nicht auf das Verschulden der Partei zurückzuführen. Auch das Vorliegen unüberwindlicher Hindernisse hat sich im Beschwerdeverfahren nicht ergeben. Unter Berücksichtigung der dargestellten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die Verzögerung des Verfahrens auf ein überwiegendes Verschulden der Behörde zurückzuführen, zumal diese über knapp sechs Monate nach Vorlage der geforderten Nachweise keine weiteren Verfahrenshandlungen gesetzt hat. Selbst nach einer Anfrage der Volksanwaltschaft am 18.02.2014 wurde der gegenständliche Antrag nicht zu einer endgültigen verwaltungsbehördlichen Erledigung in Bearbeitung genommen.

Die gegenständliche Beschwerde langte am 05.06.2014 bei der Verwaltungsbehörde ein. Auch aufgrund dessen nahm die Verwaltungsbehörde keine weiteren Verfahrenshandlungen vor und ließ auch die ihr in § 16 VwGVG eingeräumte Möglichkeit zur Nachholung des Bescheides ungenützt. Sie legte anstelle dessen die Beschwerde samt dem bezughabenden Verwaltungsakt bereits mit Schreiben vom 10.06.2014 direkt dem Verwaltungsgericht Wien zur Entscheidung vor. Die Entscheidungspflicht ging mit Einlangen am 13.06.2014 demnach auf das Verwaltungsgericht Wien über.

Da somit die Voraussetzungen des § 8 Abs. 1 VwGVG vorliegen und die Verzögerung des Verfahrens auf ein überwiegendes Verschulden der Behörde zurückzuführen ist, war das Verwaltungsgericht Wien daher berufen, gem. § 28 Abs. 2 VwGVG eine Entscheidung in der Sache selbst zu treffen und das Vorliegen der Voraussetzungen des gemeinschaftsrechtlichen Aufenthaltstitels anstelle der Verwaltungsbehörde zu prüfen. Zumal die belangte Behörde für den erkennenden Richter mit ihrem Verhalten den Eindruck erweckte, an einer (eigenen) Sachentscheidung kein Interesse zu haben und demnach auch nicht mit hinreichender Sicherheit davon ausgegangen werden kann, dass sie über den Antrag der Beschwerdeführerin in der in § 28 Abs. 7 VwGVG normierten Frist eine Entscheidung fällen wird, war im Beschwerdefall das Verfahren betreffend den verfahrensgegenständlichen Antrag der Beschwerdeführerin durch das Verwaltungsgericht Wien zu Ende zu führen.

II.3.3.1. Verfahren zur Erteilung, Versagung und Entziehung von Aufenthaltstiteln von Fremden, die sich länger als sechs Monate im Bundesgebiet aufhalten oder aufhalten wollen, sowie die Dokumentation des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts sind gemäß § 1 Abs. 1 nach den Bestimmungen des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG), BGBl. Nr. I 100/2005 in der jeweils anzuwendenden Rechtslage zu führen.

Dieses Bundesgesetz gilt gemäß Absatz 2 nicht für Fremde, die

1.   nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100, oder nach vorigen asylgesetzlichen Bestimmungen zum Aufenthalt berechtigt sind oder faktischen Abschiebeschutz genießen oder sich nach Stellung eines Folgeantrages (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005) im Zulassungsverfahren (§ 28 AsylG 2005) befinden, soweit dieses Bundesgesetz nicht anderes bestimmt;

2.   nach § 95 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100, über einen Lichtbildausweis für Träger von Privilegien und Immunitäten verfügen oder

3.   nach § 24 FPG zur Ausübung einer bloß vorübergehenden Erwerbstätigkeit berechtigt sind.

Im gegenständlichen Fall stellte die Beschwerdeführerin am 16.09.2013 gem. § 54 NAG iVm § 52 Abs. 1 Z 3 NAG idF BGBl. I Nr. 50/2012 einen Antrag auf Ausstellung einer Aufenthaltskarte für Angehörige eines EWR-Bürgers. Der verfahrensgegenständliche Verwaltungsakt langte in der Folge nach Eintritt der Wirksamkeit der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl. I Nr. 51/2012, am 01.01.2014, mit der eine zweistufige Verwaltungsgerichtsbarkeit eingeführt und gleichzeitig der administrative Instanzenzug abgeschafft wurde, aufgrund der Erhebung einer Säumnisbeschwerde am 10.06.2014 beim Verwaltungsgericht Wien als zuständiger neuer (erstgerichtlicher) Überprüfungsinstanz von Bescheiden von Verwaltungsbehörden iSd Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG idgF bzw. – im konkreten Fall - wegen geltend gemachter Verletzung der Entscheidungspflicht dieser Behörden in den bezughabenden Verwaltungsverfahren am 13.06.2014 ein.

Gemäß § 81 Abs. 1 Z 26 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz, BGBl. I Nr. 100/2005 idF des Bundesgesetzes, BGBl. I Nr. 40/2014, sind alle mit Ablauf des 31. Dezember 2013 beim Bundesminister für Inneres anhängigen Berufungsverfahren und Verfahren wegen Verletzung der Entscheidungspflicht (§ 73 AVG) nach diesem Bundesgesetz, ab 1. Jänner 2014 vom jeweils zuständigen Landesverwaltungsgericht nach den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes in der Fassung vor dem Bundesgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012, zu Ende zu führen. Da die gegenständliche Säumnisbeschwerde nach dem 31. Dezember 2013 erhoben wurde und das Verfahren zu keinem Zeitpunkt beim Bundesminister für Inneres anhängig war, sind im vorliegenden Beschwerdeverfahren – mangels anderslautender im § 81 NAG ausdrücklich gesetzlich angeordneter Übergangsregelungen - durch das Verwaltungsgericht Wien die Bestimmungen des Bundesgesetzes über die Niederlassung und den Aufenthalt in Österreich (Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes – NAG 2005) in der Fassung des Bundesgesetzes, BGBl. I Nr. 70/2015, anzuwenden.

Gemäß § 19 Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz sind Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels oder auf Ausstellung einer Dokumentation des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts persönlich bei der Behörde zu stellen. Soweit der Antragsteller nicht selbst handlungsfähig ist, hat den Antrag sein gesetzlicher Vertreter einzubringen.

Gemäß § 19 Abs. 2 NAG ist im Antrag der Grund des Aufenthalts bekannt zu geben; dieser ist genau zu bezeichnen. Nicht zulässig ist ein Antrag, aus dem sich verschiedene Aufenthaltszwecke ergeben, das gleichzeitige Stellen mehrerer Anträge und das Stellen weiterer Anträge während eines anhängigen Verfahrens nach diesem Bundesgesetz einschließlich jener bei den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts. Die für einen bestimmten Aufenthaltszweck erforderlichen Berechtigungen sind vor der Erteilung nachzuweisen. Besteht der Aufenthaltszweck in der Ausübung eines Gewerbes, so gilt die von der Gewerbebehörde ausgestellte Bescheinigung, dass die Voraussetzungen für die Gewerbeausübung mit Ausnahme des entsprechenden Aufenthaltstitels vorliegen, als Nachweis der erforderlichen Berechtigung. Der Fremde hat der Behörde die für die zweifelsfreie Feststellung seiner Identität und des Sachverhaltes erforderlichen Urkunden und Beweismittel vorzulegen.

Der Fremde hat gemäß Absatz 6 der Behörde eine Zustelladresse und im Fall ihrer Änderung während des Verfahrens die neue Zustelladresse unverzüglich bekannt zu geben. Bei Erstanträgen, die im Ausland gestellt wurden, ist die Zustelladresse auch der Berufsvertretungsbehörde bekannt zu geben. Ist die persönliche Zustellung einer Ladung oder einer Verfahrensanordnung zum wiederholten Mal nicht möglich, kann das Verfahren eingestellt werden, wenn der Fremde bei Antragstellung über diesen Umstand belehrt wurde.

II.3.3.2.1. Gemäß § 54 Abs. 1 NAG sind Drittstaatsangehörige, die Angehörige von unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgern (§ 51) sind und die in § 52 Abs. 1 Z 1 bis 3 genannten Voraussetzungen erfüllen, zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt. Ihnen ist auf Antrag eine Aufenthaltskarte für die Dauer von fünf Jahren oder für die geplante kürzere Aufenthaltsdauer auszustellen. Dieser Antrag ist innerhalb von vier Monaten ab Einreise zu stellen. § 1 Abs. 2 Z 1 gilt nicht.

Gemäß § 52 Abs. 1 Z 3 NAG sind EWR-Bürger, die Angehörige von unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgern (§§ 51 und 53a) sind, auf Grund der Freizügigkeitsrichtlinie zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt, wenn sie

(…)

3.   Verwandter des EWR-Bürgers, seines Ehegatten oder eingetragenen Partners in gerader aufsteigender Linie sind, sofern ihnen von diesen Unterhalt tatsächlich gewährt wird.

Gemäß § 54 Abs. 2 NAG sind zum Nachweis des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts ein gültiger Personalausweis oder Reisepass, die Anmeldebescheinigung oder die Bescheinigung des Daueraufenthalts des zusammenführenden EWR-Bürgers sowie folgende Nachweise vorzulegen:

(…)

2.   nach § 52 Abs. 1 Z 2 und 3: ein urkundlicher Nachweis über das Bestehen einer familiären Beziehung sowie bei Kindern über 21 Jahren und Verwandten des EWR-Bürgers, seines Ehegatten oder eingetragenen Partners in gerader aufsteigender Linie ein Nachweis über die tatsächliche Unterhaltsgewährung.

Gemäß Artikel 3 Abs. 1 Freizügigkeits-RL, 2004/38/EG, gilt diese Richtlinie für jeden Unionsbürger, der sich in einen anderen als den Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, begibt oder sich dort aufhält, sowie für seine Familienangehörigen im Sinne von Artikel 2 Nummer 2, die ihn begleiten oder ihm nachziehen.

Gemäß Artikel 2 Nummer 2 Freizügigkeits-RL, 2004/38/EG, bezeichnet der Ausdruck „Familienangehöriger“ im Sinne dieser Richtlinie gemäß dessen lit. b die Verwandten in gerader aufsteigender Linie des Unionsbürgers und des Ehegatten oder des Lebenspartners im Sinne von Buchstabe b, denen von diesen Unterhalt gewährt wird.

Artikel 12 der Verordnung Nr. 1612/68/EWG lautet (nunmehr Artikel 10 der Verordnung Nr. 492/2011):

Die Kinder eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats, der im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats beschäftigt ist oder beschäftigt gewesen ist, können, wenn sie im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats wohnen, unter den gleichen Bedingungen wie die Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats am allgemeinen Unterricht sowie an der Lehrlings- und Berufsausbildung teilnehmen.

Die Mitgliedstaaten fördern die Bemühungen, durch die diesen Kindern ermöglicht werden soll, unter den besten Voraussetzungen am Unterricht teilzunehmen.

Entsprechend den Vorgaben der Richtlinie 2004/38/EG („Freizügigkeitsrichtlinie“) sehen die §§ 9 und 54 NAG mit der Aufenthaltskarte ein eigenes, nicht rechtsbegründend, sondern lediglich deklaratorisch wirkendes Dokument zum Nachweis des in § 52 NAG geregelten Aufenthaltsrechts für Angehörige von EWR-Bürgern (vgl. zu der gleichgelagerten Bestimmung des § 53 NAG etwa VwGH 16.02.2012, 2009/01/0062).

Art 20 AEUV lautet:

(1) Es wird eine Unionsbürgerschaft eingeführt. Unionsbürger ist, wer die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt. Die Unionsbürgerschaft tritt zur nationalen Staatsbürgerschaft hinzu, ersetzt sie aber nicht.

(2) Die Unionsbürgerinnen und Unionsbürger haben die in den Verträgen vorgesehenen Rechte und Pflichten. Sie haben unter anderem

a) das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten;

b) in dem Mitgliedstaat, in dem sie ihren Wohnsitz haben, das aktive und passive Wahlrecht bei den Wahlen zum Europäischen Parlament und bei den Kommunalwahlen, wobei für sie dieselben Bedingungen gelten wie für die Angehörigen des betreffenden Mitgliedstaats;

c) im Hoheitsgebiet eines Drittlands, in dem der Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzen, nicht vertreten ist, Recht auf Schutz durch die diplomatischen und konsularischen Behörden eines jeden Mitgliedstaats unter denselben Bedingungen wie Staatsangehörige dieses Staates;

d) das Recht, Petitionen an das Europäische Parlament zu richten und sich an den Europäischen Bürgerbeauftragten zu wenden, sowie das Recht, sich in einer der Sprachen der Verträge an die Organe und die beratenden Einrichtungen der Union zu wenden und eine Antwort in derselben Sprache zu erhalten.

Diese Rechte werden unter den Bedingungen und innerhalb der Grenzen ausgeübt, die in den Verträgen und durch die in Anwendung der Verträge erlassenen Maßnahmen festgelegt sind.

Artikel 21 AEUV lautet:

(1) Jeder Unionsbürger hat das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten vorbehaltlich der in den Verträgen und in den Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen frei zu bewegen und aufzuhalten.

(2) Erscheint zur Erreichung dieses Ziels ein Tätigwerden der Union erforderlich und sehen die Verträge hierfür keine Befugnisse vor, so können das Europäische Parlament und der Rat gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren Vorschriften erlassen, mit denen die Ausübung der Rechte nach Absatz 1 erleichtert wird.

(3) Zu den gleichen wie den in Absatz 1 genannten Zwecken kann der Rat, sofern die Verträge hierfür keine Befugnisse vorsehen, gemäß einem besonderen Gesetzgebungsverfahren Maßnahmen erlassen, die die soziale Sicherheit oder den sozialen Schutz betreffen. Der Rat beschließt einstimmig nach Anhörung des Europäischen Parlaments.

Nicht jede auch noch so geringfügige Ausübung des Freizügigkeitsrechts entfaltet Relevanz (Hinweis E vom 23. Februar 2012, 2010/22/0011). Vielmehr ist es erforderlich, dass mit einer gewissen Nachhaltigkeit von der Freizügigkeit Gebrauch gemacht wird. Was die Festlegung der Nachhaltigkeitsgrenze anlange, so liegt es nahe, auf die Rechtsprechung des EuGH zum Arbeitnehmerbegriff abzustellen. Der EuGH verlangt für die Qualifikation als Arbeitnehmer im Sinn von Art. 39 EG (nunmehr Art. 45 AEUV) jenseits des Erfordernisses einer abhängigen Beschäftigung gegen Entgelt in einem anderen Mitgliedstaat einschränkend eine "tatsächliche und echte Tätigkeit", die keinen so geringen Umfang hat, dass es sich um eine "völlig untergeordnete und unwesentliche Tätigkeit" handelt. Dieser Maßstab lässt sich allgemein dergestalt auf alle Freizügigkeitsrechte übertragen, dass eine "tatsächliche und effektive" Ausübung derselben vorliegen muss. In der erwähnten Rechtsprechung zum Arbeitnehmerbegriff hat der EuGH zum Ausdruck gebracht, dass die Höhe der Vergütung, die der Arbeitnehmer erhält, ebensowenig von alleiniger Bedeutung ist wie das Ausmaß der Arbeitszeit und die Dauer des Dienstverhältnisses (VwGH 17.04.2013, 2013/22/0019).

Der EuGH gelangte in dem in der Rechtssache Zhu & Chen, C-200/02, am 19.10.2004 ergangenen Urteil zu folgendem Ergebnis: Artikel 18 EG (nunmehr: Artikel 21 AEUV) und die Richtlinie 90/364/EWG des Rates vom 28. Juni 1990 über das Aufenthaltsrecht verleihen unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens dem minderjährigen Staatsangehörigen eines Mitgliedstaates im Kleinkindalter, der angemessen krankenversichert ist und dem Unterhalt von einem Elternteil gewährt wird, der Staatsangehöriger eines Drittstaates ist und dessen Mittel ausreichen, um eine Belastung der öffentlichen Finanzen des Aufnahmemitgliedstaates durch den Minderjährigen zu verhindern, das Recht, sich für unbestimmte Zeit im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats aufzuhalten. Irgendwelche Anforderungen in Bezug auf die Herkunft dieser Mittel bestehen nicht. In einem solchen Fall erlauben dieselben Vorschriften es dem Elternteil, der für diesen Staatsangehörigen tatsächlich sorgt, sich mit ihm im Aufnahmemitgliedsstaat aufzuhalten. In Rz. 45 dieses Urteils hat der EuGH festgehalten, dass dem Aufenthaltsrecht des Kindes, welches sich aus Artikel 18 EG (nunmehr: Artikel 21 AEUV) und der Richtlinie 90/364/EWG ergibt, jede praktische Wirksamkeit genommen würde, wenn dem Elternteil mit Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats oder eines Drittstaats, der für das Kind tatsächlich sorgt, nicht erlaubt würde, sich mit diesem Kind im Mitgliedstaat aufzuhalten. Offenkundig setzt – so der EuGH wörtlich – nämlich der Genuss des Aufenthaltsrechts durch ein Kind im Kleinkindalter voraus, dass sich die für das Kind tatsächlich sorgende Person bei diesem aufhalten darf und dass es demgemäß dieser Person ermöglicht wird, während dieses Aufenthalts mit dem Kind zusammen im Aufnahmemitgliedstaat zu wohnen (sinngemäß, zu Artikel 12 der Verordnung Nr. 1612/68, Urteil Baumbast und R, Rz. 71 bis 75).

In der Rechtssache Baumbast hat der EuGH festgestellt, dass das dem Kind eines Wanderarbeitnehmers in Artikel 12 der Verordnung Nr. 1612/68 zuerkannte Recht, im Aufnahmemitgliedstaat weiterhin unter den bestmöglichen Voraussetzungen am Unterricht teilzunehmen, unabdingbar das Recht umfasst, dass sich die die Personensorge tatsächlich wahrzunehmende Person bei ihm aufhält und dass es demgemäß dieser Person ermöglicht wird, während der Ausbildung des Kindes mit diesem zusammen in dem betreffenden Mitgliedstaat zu wohnen. Würde dem Elternteil, der effektiv die Personensorge für ein Kind ausübt, das sein Recht auf weitere Teilnahme am Unterricht im Aufnahmemitgliedstaat wahrnimmt, die Aufenthaltserlaubnis versagt, so würde dieses Recht verletzt. Zu dem Vorbringen, aus Artikel 12 der Verordnung Nr. 1612/68 lasse sich kein Aufenthaltsrecht einer Person ableiten, die nicht Kind eines Wanderarbeitnehmers sei, weil jedes Recht aus dieser Bestimmung unabdingbar diesen Status voraussetze, hat der EuGH darauf hingewiesen, dass angesichts des Zusammenhangs und der Zielsetzung der Verordnung Nr. 1612/68 und insbesondere ihres Artikels 12 dieser nicht eng ausgelegt und ihm keinesfalls die praktische Wirksamkeit genommen werden darf (EuGH 17.09.2002, C-413/99, Rz. 73 f).

Unter anderem wurde die Richtlinie 90/364/EWG sowie die Verordnung 1612/68/EWG zwar durch die Richtlinie 2004/38/EG ersetzt bzw. abgeändert, dennoch kommt den Urteilen Baumbast und Zhu & Chen weiterhin Bedeutung zu. In der Rechtssache Metock hat der EuGH unter Verweis auf den dritten Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/38/EG nämlich ausgesprochen, dass der Zweck der Richtlinie 2004/38/EG, mit der die Verordnung Nr. 1612/68 geändert wurde und die vorhergehenden Richtlinien über die Freizügigkeit aufgehoben wurden, darin besteht, das Freizügigkeits- und Aufenthaltsrecht aller Unionsbürger zu vereinfachen und zu verstärken. Daher kommt es nicht in Betracht, dass die Unionsbürger aus dieser Richtlinie weniger Rechte ableiten als aus den Sekundärrechtsakten, die sie ändert oder aufhebt (EuGH 25.07.2008, C-127/08, Rz. 59).

Der EuGH gelangte in dem in der Rechtssache Alokpa, C-86/12, am 10.10.2013 ergangenen Urteil zu folgendem Ergebnis: In einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens sind die Art. 20 AEUV und 21 AEUV dahin auszulegen, dass sie es einem Mitgliedstaat nicht verwehren, einem Drittstaatsangehörigen ein Recht auf Aufenthalt in seinem Hoheitsgebiet zu verweigern, auch wenn dieser Drittstaatsangehörige die alleinige Sorge für Kleinkinder ausübt, die Unionsbürger sind und sich seit ihrer Geburt mit ihm in diesem Mitgliedstaat aufhalten, ohne Angehörige dieses Mitgliedstaats zu sein und ohne von ihrer Freizügigkeit Gebrauch gemacht zu haben, es sei denn, diese Unionsbürger erfüllen die Voraussetzungen der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG, oder ihnen wird durch diese Weigerung der tatsächliche Genuss des Kernbestands der Rechte, die ihnen die Unionsbürgerschaft verleiht, verwehrt, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist.

In diesem Urteil hat der EuGH in den Rz. 22 ff darauf hingewiesen, dass die etwaigen Rechte, die die Vorschriften des Unionsrechts über die Unionsbürgerschaft den Drittstaatsangehörigen verleihen, keine eigenen Rechte dieser Staatsangehörigen sind, sondern Rechte, die sich daraus ableiten, dass ein Unionsbürger sein Recht auf Freizügigkeit ausgeübt hat. Der Zweck und die Rechtfertigung dieser abgeleiteten Rechte, insbesondere der Einreise- und Aufenthaltsrechte der Familienangehörigen eines Unionsbürgers, beruhen auf der Feststellung, dass ihre Nichtanerkennung den Unionsbürger in seiner Freizügigkeit beeinträchtigen könnte, weil ihn dies davon abhalten könnte, von seinem Recht Gebrauch zu machen, in den Aufnahmemitgliedstaat einzureisen und sich dort aufzuhalten (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 8. Mai 2013, Ymeraga und Ymeraga-Tafarshiku, C-87/12, Rz. 35 und die dort angeführte Rechtsprechung). Des Weiteren ist für einige Fälle kennzeichnend, dass sie zwar durch Rechtsvorschriften geregelt sind, die a priori in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fallen, und zwar durch die Rechtsvorschriften über das Einreise- und Aufenthaltsrecht von Drittstaatsangehörigen außerhalb des Anwendungsbereichs der Bestimmungen des abgeleiteten Rechts, die unter bestimmten Voraussetzungen die Verleihung eines solchen Rechts vorsehen, dass sie aber in einem inneren – bzw. immanenten Zusammenhang (vgl. EuGH 08.11.2012, Iida, C-40/11, Rz. 72) mit der Freizügigkeit eines Unionsbürgers stehen, die beeinträchtigt würde, wenn den Drittstaatsangehörigen das Recht verweigert würde, in den Mitgliedstaat, in dem dieser Bürger wohnt, einzureisen und sich dort aufzuhalten, und die daher dieser Verweigerung entgegensteht (vgl. Urteil Ymeraga und Ymeraga-Tafarshiku, Rz. 37).

Weiters führte der EuGH in diesem Urteil aus: Verleihen Art. 21 AEUV und die

Quelle: Landesverwaltungsgericht Wien LVwg Wien, http://www.verwaltungsgericht.wien.gv.at
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