Entscheidungsdatum
20.11.2017Norm
AsylG 2005 §3Spruch
W158 2172017-2/2E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Yoko KUROKI-HASENÖHRL über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch XXXX , XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX , zu Recht:
A)
Der angefochtene Bescheid wird wegen Unzuständigkeit der bescheiderlassenden Behörde ersatzlos behoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang und zugleich – aktenkundiger und unbestrittener – Sachverhalt:
I.1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF), ein Staatsangehöriger Afghanistans, reiste in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz.
I.2. Mit Vollmacht vom XXXX wurde der im Spruch genannte Vertreter zur Vertretung des BF in Angelegenheiten seines Asylverfahrens bevollmächtigt. Zugleich wurde der Vertreter zum Zustellbevollmächtigten erklärt.
I.3. Nach Durchführung eines Ermittlungsverfahrens wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) mit Bescheid vom XXXX , Zl. XXXX , den Antrag des BF hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan ab (Spruchpunkt II.); erteilte dem BF keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen den BF eine Rückkehrentscheidung, stellte die Zulässigkeit der Abschiebung des BF nach Afghanistan fest (Spruchpunkt III.) und setzte die Frist für seine freiwillige Ausreise mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest (Spruchpunkt IV.).
Die Frist zur Erhebung eines Rechtsmittels wurde gemäß § 16 Abs. 1 BFA-VG mit zwei Wochen nach Zustellung des Bescheides festgesetzt.
Dieser Bescheid wurde dem im Spruch genannten Vertreter des BF nachweislich am XXXX zugestellt.
I.4. Mit Schriftsatz vom 13.08.2017, bei der belangten Behörde eingelangt am 14.08.2017, wurde ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt und zugleich eine Beschwerde gegen Bescheid des BFA vom 14.07.2017 erhoben.
I.5. Mit dem angefochtenen Bescheid des BFA vom XXXX , Zl. XXXX , wurde der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand abgewiesen (Spruchpunkt I.) und dem Antrag die aufschiebende Wirkung zuerkannt (Spruchpunkt II.).
Dieser Bescheid wurde dem im Spruch genannten Vertreter des BF nachweislich am 12.09.2017 zugestellt.
I.6. Mit Schriftsatz vom 21.09.2017, eingelangt beim BFA am 22.09.2017, wurde gegen den Bescheid des BFA vom XXXX die gegenständliche Beschwerde erhoben.
I.7. Mit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 26.09.2017, G 134/2017-12, G 207/2017-8, wurden die Wortfolge "2, 4 und" sowie der Satz "Dies gilt auch in den Fällen des § 3 Abs. 2 Z 1, sofern die Entscheidung mit der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme verbunden ist." in § 16 Abs. 1 des Bundesgesetzes, mit dem die allgemeinen Bestimmungen über das Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Gewährung von internationalem Schutz, Erteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, Abschiebung, Duldung und zur Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen sowie zur Ausstellung von österreichischen Dokumenten für Fremde geregelt werden (BFA-Verfahrensgesetz – BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 idF BGBl. I Nr. 24/2016, als verfassungswidrig aufgehoben (Spruchpunkt I.). Zugleich wurde ausgesprochen, dass frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Kraft treten (Spruchpunkt II.) und die aufgehobenen Bestimmungen nicht mehr anzuwenden sind (Spruchpunkt III.).
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
II.1. Beweiswürdigung:
Der Sachverhalt ergibt sich aus den Akten des Verwaltungsverfahrens und blieb sowohl im Verwaltungsverfahren als auch im Beschwerdeverfahren unbestritten.
II.2. Rechtliche Beurteilung:
II.2.1. Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Da im vorliegenden Verfahren keine Entscheidung durch Senate vorgesehen ist, liegt gegenständlich Einzelrichterzuständigkeit vor.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I 2013/33 idF BGBl. I 2013/122, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
II.2.2. Zu Spruchpunkt A):
Mit dem am 09.10.2017 veröffentlichten Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 26.09.2017, G 134/2017, G 207/2017, wurden Teile des § 16 Abs. 1 BFA-VG zur Verkürzung der Beschwerdefrist bei Bescheidbeschwerden aufgehoben. Die Aufhebung betraf die Wortfolgen "2, 4 und" im 1. Satz sowie den 2. Satz: "Dies gilt auch in den Fällen des § 3 Abs. 2 Z 1, sofern die Entscheidung mit der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme verbunden ist". Eine entsprechende Änderung des § 16 Abs. 1 BFA-VG trat mit 17.10.2017 in Kraft (BGBI. I Nr. 140/2017). Weiters sprach der Verfassungsgerichtshof aus, dass die aufgehobenen Bestimmungen nicht mehr anzuwenden sind ("rückwirkende" Aufhebung).
Aufgrund der "Rückwirkung" der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes ist nunmehr für alle betroffenen Bescheide die in § 7 Abs. 4 VwGVG normierte Beschwerdefrist von vier Wochen heranzuziehen.
Die Beschwerde vom XXXX gegen den Bescheid des BFA vom XXXX , Zl. XXXX , dem im Spruch genannten Vertreter zugestellt am 19.07.2017, wurde innerhalb dieser 4-wöchigen Beschwerdefrist erhoben und erweist sich daher als rechtzeitig.
Die Stellung eines Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand war seitens des BF nicht erforderlich und das BFA zur Entscheidung über einen derartigen Antrag nicht zuständig. Der angefochtene Bescheid vom XXXX , Zl. XXXX , mit dem über den gegenständlichen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand entschieden wurde, erweist sich daher als von einer unzuständigen Behörde erlassen. Unzuständigkeiten sind von Amts wegen in jeder Lage des Verfahrens wahrzunehmen (VwGH 21.01.1992, 91/11/0076) und durchbrechen den Grundsatz der Bindung an das Beschwerdevorbringen. Hat eine unzuständige Behörde entschieden, so hat das mit Beschwerde angerufene Verwaltungsgericht diese Unzuständigkeit wahrzunehmen und diese Entscheidung zu beheben (VwGH 28.01.2016, Ra 2015/07/0140; vgl. Eder/Martschin/Schmid, Das Verfahrensrecht der Verwaltungsgerichte, § 27 E4).
Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen. Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist. Hebt das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid auf, sind die Behörden nach § 28 Abs. 5 VwGVG verpflichtet, in der betreffenden Rechtssache mit den ihnen zu Gebote stehenden rechtlichen Mitteln unverzüglich den der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtes entsprechenden Rechtszustand herzustellen.
Bei der Aufhebung gemäß § 28 Abs. 5 VwGVG handelt es sich um eine materielle Erledigung der Rechtssache in Form eines Erkenntnisses. Diese Form der negativen Sachentscheidung ist von der Formalerledigung des Verfahrens durch Aufhebung und Zurückverweisung mit Beschluss nach § 28 Abs. 3 2. Satz und Abs. 4 VwGVG zu unterscheiden. Eine neuerliche Entscheidung der Verwaltungsbehörde über den Gegenstand wird bei ersatzloser Behebung regelmäßig nicht mehr in Betracht kommen, wenngleich im Einzelfall über den zugrundeliegenden (unerledigten) Antrag dennoch abermals zu entscheiden sein kann (siehe Fister/Fuchs/Sachs, Das neue Verwaltungsgerichtsverfahren [2013], § 28 VwGVG Anm. 17).
In bestimmten Fällen hat die Sachentscheidung des Verwaltungsgerichts auch in einer bloßen Kassation ("ersatzlosen Behebung") des angefochtenen Bescheides zu bestehen; die Aufhebung stellt sich in diesem Fall selbst als negative Sachentscheidung gemäß § 28 Abs. 2 iVm Abs. 5 VwGVG dar: Dies dann, wenn nach der materiell-rechtlichen Situation die Erlassung eines Bescheides überhaupt unzulässig war oder während des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht unzulässig geworden ist und allein die Kassation eines solchen Bescheides den von der Rechtsordnung gewünschten Zustand herstellen kann (vgl. Kolonovits/Muzak/Stöger, Verwaltungsverfahrensrecht, 10. Auflage, Rz 833).
Eine ersatzlose Behebung hat zu erfolgen, wenn die Verwaltungsbehörde unzuständig war; die Unzuständigkeit der Verwaltungsbehörde ist auch dann vom Verwaltungsgericht von Amts wegen aufzugreifen, wenn sie weder im Verfahren eingewendet noch in der Beschwerde releviert wurde. Weiters hat eine ersatzlose Behebung dann zu erfolgen, wenn der dem Verfahren zugrunde liegende Antrag, der durch den angefochtenen Bescheid der Unterinstanz erledigt wurde, zurückgezogen wird (vgl. – zur Berufungsentscheidung – VwGH 03.07.1984, 82/07/0020; 23.1.1995, 92/06/0084;
Kolonovits/Muzak/Stöger, Verwaltungsverfahrensrecht, 10. Auflage, Rz 845).
Da Teile der Bestimmungen des § 16 Abs. 1 BFA-VG zur Verkürzung der Beschwerdefrist bei Bescheidbeschwerden durch Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 26.09.2017 aufgehoben wurden und der angefochtene Bescheid vom 08.09.2017 dadurch, wie oben bereits ausgeführt, von einer unzuständigen Behörde erlassen worden ist, erweist sich dieser als (rückwirkend) rechtswidrig und ist dieser daher – vor einer inhaltlichen Prüfung – von Amts wegen ersatzlos zu beheben.
Das Verfahren bezüglich der Beschwerde des BF vom XXXX gegen den Bescheid des BFA vom XXXX , Zl. XXXX , wird beim Bundesverwaltungsgericht zu W158 2172017-1, fortgeführt.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Die gegenständliche Entscheidung weicht weder von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung (vgl. VwGH 28.01.2016, Ra 2015/07/0140). Auf Grund dieser Rechtslage wäre eine Revision ohne Aussicht auf Erfolg.
Schlagworte
Behebung der Entscheidung, ersatzlose Behebung, Rechtsanschauung desEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2017:W158.2172017.2.00Zuletzt aktualisiert am
27.12.2017