Entscheidungsdatum
28.11.2017Norm
AsylG 2005 §57Spruch
W215 1302756-5/5E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. STARK über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit Russische Föderation, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, vom 20.07.2017, Zahl
13-750013403-160790235-3, zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird gemäß § 9 Abs. 2 Z 3 Asylgesetzt 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG), in der Fassung BGBl. I Nr. 145/2017, § 9 Abs. 4 AsylG, in der Fassung BGBl. I Nr. 122/2009, und § 57 AsylG, in der Fassung BGBl. I Nr. 70/2015, als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz,
BGBl Nr. 1/1930 (B-VG), in der Fassung BGBl. I Nr. 51/2012, nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Der damals minderjährige Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation und Angehöriger der tschetschenischen Volksgruppe, reiste gemeinsam mit seiner Mutter und seinen beiden Brüdern illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und seine Mutter stellte für ihn am 04.01.2005 einen Asylantrag.
Mit Bescheid vom 08.06.2006, Zahl 05 00.134-BAI, wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG 1997 ab (Spruchpunkt I.), stellte festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß
§ 8 Abs. 1 AsylG 1997 in die Russische Föderation zulässig sei (Spruchpunkt II.) und wies den Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 2 AsylG 1997 aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation aus (Spruchpunkt III.). Eine Beschwerde gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheides wurde, nach Durchführung einer Verhandlung, mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 10.11.2009, Zahl D13 302756-1/2008/8E, gemäß § 7 AsylG 1997 als unbegründet abgewiesen (Spruchpunkt I.). In Spruchpunkt II. wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 10 Abs. 3 AsylG 1997 der Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation zuerkannt. Gemäß § 8 Abs. 3 iVm § 15 Abs. 2 AsylG 1997 wurde dem Beschwerdeführer eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter bis 09.11.2010 erteilt (Spruchpunkt III.). In Spruchpunkt IV. wurde Spruchteil III. des angefochtenen Bescheides ersatzlos behoben. In den Verfahren der Mutter und Brüder wurde zeit- und inhaltsgleich entschieden.
2. Die erteilte Aufenthaltsberechtigung wurde auf Antrag des Beschwerdeführers mit Bescheid des Bundesasylamts vom 13.09.2010, Zahl 05 00.134-BAI, verlängert.
Mit Urteil des Bezirksgerichts XXXX vom XXXX , rechtskräftig seit XXXX , Zahl XXXX , wurde der Beschwerdeführer wegen § 83 Abs. 1 StGB zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je EUR 4,00 (EUR 360,00) verurteilt. Die Strafe wurde unter Setzung einer dreijährigen Probefrist bedingt nachgesehen.
Mit Bescheid des Bundesasylamts vom 25.08.2012 wurde die Aufenthaltsberechtigung des Beschwerdeführers verlängert; ebenso mit Bescheid vom 06.11.2012, gültig bis 28.08.2013.
Mit Urteil des Landesgerichts XXXX vom XXXX , Zahl XXXX , wurde der Beschwerdeführer wegen §§ 15, 269 Abs. 1 1. Fall StGB zu einer Geldstrafe von 360 Tagessätzen zu je EUR 4,00 (EUR 1.440,00) verurteilt.
Der Beschwerdeführer wurde mit Urteil des Landesgerichts XXXX vom XXXX , Zahl XXXX , wegen § 15 StGB § 105 Abs. 1StGB und § 83 (1) StGB zu einer Freiheitsstrafe vier Monaten, bedingt, Probezeit drei Jahre und einer Geldstrafe von 240 Tagsätzen zu je 4,00 EUR (960,00 EUR) im NEF 120 Tage verurteilt.
Mit Bescheid des Bundesasylamts vom 11.10.2013, Zahl 05 00.134-BAI, wurde dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 2 AsylG von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt I.), die mit Erkenntnis des Asylgerichtshofs erteilte Aufenthaltsberechtigung gemäß § 9 Abs. 4 AsylG entzogen (Spruchpunkt II.) und festgestellt, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung aus dem österreichischen Bundesgebiet gemäß § 9 Abs. 2 AsylG unzulässig sei (Spruchpunkt III.). Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 28.01.2014, Zahl W147 1302756-2/4E, wurde einer gegen diesen Bescheid fristgerecht eingebrachten Beschwerde gemäß § 28 Abs. 5 VwGVG stattgegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos aufgehoben. Die Revision wurde für nicht zulässig erklärt.
3. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl erteilte dem Beschwerdeführer mit Bescheid vom 22.05.2014 eine bis zum 22.05.2016 befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß
Mit am XXXX in Rechtskraft erwachsenem Urteil des Landesgerichts XXXX vom XXXX wurde der Beschwerdeführer wegen schwerer Körperverletzung gemäß
§§ 83 Abs. 1, 84 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt.
Mit am XXXX in Rechtskraft erwachsenem Urteil des Landesgerichts XXXX vom XXXX wurde der Beschwerdeführer wegen absichtlicher schwerer Körperverletzung gemäß §§ 87 Abs. 1, 83 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 20 Monaten verurteilt.
Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl erkannte mit Bescheid vom 11.11.2016 dem Beschwerdeführer den ihm zuerkannten Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß
§ 9 Abs. 1 AsylG, von Amts wegen ab (Spruchpunkt I.), entzog ihm die mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 10.11.2009 erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter gemäß § 9 Abs. 4 AsylG (Spruchpunkt II.), erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG, erließ gemäß
§ 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG, eine Rückkehrentscheidung gemäß
§ 52 Abs. 2 Z 4 FPG, und stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig sei (Spruchpunkt III.); weiters gewährte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl gemäß § 55 Abs. 4 FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt IV.), erkannte einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung die aufschiebende Wirkung gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG ab (Spruchpunkt V.) und erließ schließlich gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von 10 Jahren befristetes Einreiseverbot (Spruchpunkt VI.). Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 24.02.2017, Zahl
W237 1302756-3/6E, wurde auf Grund einer gegen diesen Bescheid fristgerecht eingebrachten Beschwerde der Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG aufgehoben und zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.
4. Der Beschwerdeführer wurde am 03.05.2017 in Anwesenheit seiner gewillkürten Vertreterin niederschriftlich befragt und gab unter anderem an, er sei gesund und in keiner ärztlichen Behandlung. Mit der anwesenden Dolmetscherin könne er sich einwandfrei verständigen, es bestünden keinerlei sprachliche Probleme oder Verständigungsschwierigkeiten. Nach Darlegung des Verfahrensgegenstandes führte der Beschwerdeführer aus, er habe in seiner Heimat gemeinsam mit seinen Eltern und Geschwistern in einem Haus gelebt, wobei er nicht wisse, wem das Haus gehört habe. Bis zur XXXX Schulstufe habe er in seinem Herkunftsstaat die Schule besucht und sei im Alter von XXXX Jahren ausgereist. Zum nunmehrigen Zeitpunkt würden nach wie vor Angehörige in seiner Heimat leben, dezidiert der Bruder seines Vaters, dessen Kinder und Geschwister, zu denen seitens des Beschwerdeführers jedoch kein Kontakt bestehe. In Österreich habe er im Jahre 2011 mit einer russischen Staatsbürgerin, welcher ebenfalls der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden sei, nach moslemischem Ritus die "Ehe" geschlossen und mit dieser zwei minderjährige Kinder. Diese seien russische Staatsbürger und ebenfalls subsidiär Schutzberechtigte. Mit seiner Lebensgefährtin und seinen Kindern lebe er in einer Wohnung, die seitens des Staates finanziert werde, seine Eltern und auch eine Tante würden im selben Haus wohnen. Kein Familienangehöriger würde einer Erwerbstätigkeit nachgehen, sondern alle ihren Lebensunterhalt durch den Bezug von sozialen Unterstützungen finanzieren. Lediglich seine Mutter gehe hin und wieder putzen. Innerhalb der Familie werde in der Sprache Tschetschenisch kommuniziert. Der Beschwerdeführer selbst sei in Österreich aufgewachsen, werde von seinen Eltern finanziell unterstützt, sei vor kurzem aus der Strafhaft entlassen worden und gehe keiner Beschäftigung nach. Er könne sich nicht erinnern, wann er letztmalig kurz als Hilfsarbeiter auf Baustellen gearbeitet habe, es sei immer nur kurz gewesen, maximal einen Monat. Der Beschwerdeführer habe die Hauptschule besucht und sodann den polytechnischen Lehrgang, eine sonstige Ausbildung habe er nicht absolviert. Er sei kein Mitglied eines Vereines und habe in Österreich vier oder fünf österreichische Freunde, mit denen er Fußball spiele oder die Diskothek besuche. Dem Beschwerdeführer wurden Länderberichte zur Situation in seinem Herkunftsstaat ausgefolgt und eine Frist für eine Stellungnahme von zwei Wochen eingeräumt.
Mit Bescheid vom 06.06.2017, Zahl 13-750013403-160790235-2, erkannte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dem Beschwerdeführer den ihm zuerkannten Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 AsylG, von Amts wegen ab (Spruchpunkt I.), entzog ihm die mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 10.11.2009 erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter gemäß § 9 Abs. 4 AsylG (Spruchpunkt II.), erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG, erließ gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG, eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 4 FPG und stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig sei (Spruchpunkt III.); weiters gewährte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl gemäß § 55 Abs. 4 FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt IV.), erkannte einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung die aufschiebende Wirkung gemäß
§ 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG ab (Spruchpunkt V.) und erließ schließlich gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von 10 Jahren befristetes Einreiseverbot (Spruchpunkt VI.). Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 27.06.2017, Zahl W147 1302756-4/3E, wurde einer gegen diesen Bescheid fristgerecht eingebrachten Beschwerde gemäß § 28 Abs. 5 VwGVG stattgegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos aufgehoben.
5. Mit gegenständlichem Bescheid vom 20.07.2017, Zahl 13-750013403-160790235-3, wurde der dem Beschwerdeführer mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 10.11.2009, Zahl
D13 302756-1/2008/8E, zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß
§ 9 Abs. 2 AsylG, von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt I.). In Spruchpunkt II. wurde dem Beschwerdeführer die mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 10.11.2009, Zahl
D13 302756-1/2008/8E, erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter gemäß § 9 Abs. 4 AsylG entzogen. Die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation wurde in Spruchpunkt III. gemäß § 9 Abs. 2 AsylG für unzulässig erklärt. In Spruchpunkt IV. wurde dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt.
Mit Verfahrensanordnung vom selben Tag wurde dem Beschwerdeführer ein Rechtsberater gemäß § 52 BFA-VG für ein allfälliges Beschwerdeverfahren zur Seite gestellt.
Gegen diesen Bescheid vom 20.07.2017, Zahl 13-750013403-160790235-3, zugestellt am 24.07.2017, erhob der Beschwerdeführer fristgerecht am 06.08.2017 gegenständliche umfassende Beschwerde.
6. Die Beschwerdevorlage vom 07.08.2017 langte am 09.08.2017 beim Bundesverwaltungsgericht ein.
Das Bundesverwaltungsgericht beraumte für den 21.11.2017 eine Beschwerdeverhandlung an. Am 20.11.2017 teilte die Vertreterin des Beschwerdeführers telefonisch mit, dass der Beschwerdeführer nicht erscheinen werde, weshalb sie ebenfalls nicht zur Beschwerdeverhandlung kommen werde. Die Vertreterin des Beschwerdeführers sah keine Notwendigkeit den Sachverhalt mit dem Beschwerdeführer in der Verhandlung zu erörtern und verzichtete auf Übermittlung der aktuellen Länderberichte (Anmerkung: Aktenvermerk vom 20.11.2017 liegt im Akt ein). Daraufhin wurde die Verhandlung am 20.11.2017 abberaumt.
Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 28.11.2017, Zahl W215 1302756-5/4Z, wurde ein in der Beschwerde gestellte Antrag, der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, gemäß § 13 Abs. 1 VwGVG zurückgewiesen.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat über die zulässigen Beschwerden erwogen:
1. Feststellungen:
1. Nach der illegalen Einreise des damals minderjährigen Beschwerdeführers stellte dessen Mutter für ihn am 04.01.2005 einen Asylantrag. Dieser wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 08.06.2006, Zahl 05 00.134-BAI, abweisend entschieden. Mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 10.11.2009, Zahl D13 302756-1/2008/8E, wurde eine dagegen erhobene Beschwerde bezüglich Spruchpunkt I. des erstinstanzlichen Bescheides gemäß § 7 AsylG 1997 als unbegründet abgewiesen (Spruchpunkt I.). In Spruchpunkt II. wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 10 Abs. 3 AsylG 1997 der Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation zuerkannt. Gemäß § 8 Abs. 3 iVm § 15 Abs. 2 AsylG 1997 wurde dem Beschwerdeführer eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter bis 09.11.2010 erteilt (Spruchpunkt III.).
Mit gegenständlichem Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.07.2017, Zahl 13-750013403-160790235-3, wurde der dem Beschwerdeführer mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 10.11.2009, Zahl D13 302756-1/2008/8E, zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 2 AsylG, von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt I.). In Spruchpunkt II. wurde dem Beschwerdeführer die mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 10.11.2009, Zahl D13 302756-1/2008/8E, erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter gemäß § 9 Abs. 4 AsylG entzogen. Die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation wurde in Spruchpunkt III. gemäß § 9 Abs. 2 AsylG für unzulässig erklärt. In Spruchpunkt IV. wurde dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt.
2. Im Strafregister der Republik Österreich scheinen folgende Verurteilungen auf:
01) BG XXXX vom XXXX RK XXXX
§ 83 (1) StGB
Datum der (letzten) Tat XXXX
Geldstrafe von 90 Tags zu je 4,00 EUR (360,00 EUR) im NEF 45 Tage Ersatzfreiheitsstrafe, bedingt, Probezeit 3 Jahre
Junge(r) Erwachsene(r)
Vollzugsdatum XXXX
zu BG XXXX XXXX RK XXXX
Bedingte Nachsicht der Strafe wird widerrufen
LG XXXX
02) LG XXXX vom XXXX RK XXXX
§ 15 StGB § 269 (1) 1. Fall StGB
Datum der (letzten) Tat XXXX
Geldstrafe von 360 Tags zu je 4,00 EUR (1.440,00 EUR) im NEF 180 Tage Ersatzfreiheitsstrafe
Vollzugsdatum XXXX
03) LG XXXX vom XXXX RK XXXX
§ 15 StGB § 105 (1) StGB
§ 83 (1) StGB
Datum der (letzten) Tat XXXX
Freiheitsstrafe 4 Monate, bedingt, Probezeit 3 Jahre
Geldstrafe von 240 Tags zu je 4,00 EUR (960,00 EUR) im NEF 120 Tage Ersatzfreiheitsstrafe
zu XXXX RK XXXX
Unbedingter Teil der Geldstrafe vollzogen am XXXX
LG XXXX vom XXXX
zu LG XXXX RK XXXX
Bedingte Nachsicht der Strafe wird widerrufen
LG XXXX vom XXXX
04) LG XXXX vom XXXX RK XXXX
§§ 83 (1), 84 (1) StGB
§ 83 (1) StGB
Datum der (letzten) Tat XXXX
Freiheitsstrafe 1 Jahr
zu LG XXXX RK XXXX
Aus der Freiheitsstrafe entlassen am XXXX , bedingt, Probezeit 3 Jahre
LG XXXX vom XXXX
05) LG XXXX vom XXXX RK XXXX
§ 87 (1) StGB
§ 83 (1) StGB
Datum der (letzten) Tat XXXX
Freiheitsstrafe 20 Monate
Zusatzstrafe gemäß §§ 31 und 40 StGB unter Bedachtnahme auf LG XXXX
RK XXXX
zu LG XXXX RK XXXX
zu LG XXXX RK XXXX
Aus der Freiheitsstrafe entlassen am XXXX , bedingt, Probezeit 3 Jahre
XXXX vom XXXX
3. Zur aktuellen Lage im Herkunftsstaat der Beschwerdeführer wird festgestellt:
Politische Lage
Die Russische Föderation hatte im Juli 2017 mehr als 142 Millionen Einwohner und ist schätzungsweis ca. 1, 8 Mal so groß wie die die U.S.A. (CIA Factbook 14.11.2017).
Die Russische Föderation ist eine föderale Republik mit präsidialem Regierungssystem. Am 12.06.1991 erklärte sie ihre staatliche Souveränität. Die Verfassung der Russischen Föderation wurde am 12.12.1993 verabschiedet. Das russische Parlament besteht aus zwei Kammern, der Staatsduma (Volksvertretung) und dem Föderationsrat (Vertretung der Föderationssubjekte). Der Staatspräsident der Russischen Föderation verfügt über sehr weitreichende exekutive Vollmachten, insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik. Seine Amtszeit beträgt sechs Jahre. Amtsinhaber ist seit dem 07.05.2012 Wladimir Putin. Er wurde am 04.03.2012 (mit offiziell 63,6% der Stimmen) gewählt. Es handelt sich um seine dritte Amtszeit als Staatspräsident. Dmitri Medwedjew, Staatspräsident 2008-2012, übernahm am 08.05.2012 erneut das Amt des Ministerpräsidenten (AA Innenpolitik Oktober 2017).
Russland ist formal eine Föderation, die aus 83 Föderationssubjekten besteht. Die im Zuge der völkerrechtswidrigen Annexion erfolgte Eingliederung der ukrainischen Krim und der Stadt Sewastopol als Föderationssubjekte Nr. 84 und 85 in den russischen Staatsverband ist international nicht anerkannt. Die Föderationssubjekte genießen unterschiedliche Autonomiegrade und werden unterschiedlich bezeichnet (Republiken, Autonome Gebiete, Autonome Kreise, Regionen, Gebiete, Föderale Städte). Die Föderationssubjekte verfügen jeweils über eine eigene Legislative und Exekutive. In der Praxis unterstehen die Regionen aber finanziell und politisch dem föderalen Zentrum. Ihre Gouverneure werden gewählt, aber auch (kommissarisch) durch den Kreml bestimmt. Der Föderationsrat ist als obere Parlamentskammer das Verfassungsorgan, das die Föderationssubjekte auf föderaler Ebene vertritt. Er besteht (einschließlich der vier Vertreter aus den völkerrechtswidrig annektierten Föderationssubjekten Krim und Sewastopol) aus bis zu 187 Mitgliedern (derzeit 168 Mitglieder). Jedes Föderationssubjekt entsendet zwei Vertreter in den Föderationsrat, je einen aus der Exekutive und der Legislative. Der Staatspräsident kann ferner bis zu 17 weitere Senatoren ernennen. Der im September 2000 durch Präsidialdekret geschaffene Staatsrat der Russischen Föderation tagt unter Leitung des Präsidenten und gibt als ausschließlich beratendes Gremium Empfehlungen zu aktuellen politischen Fragen und zu Gesetzesprojekten. Er besteht aus den Gouverneuren der Regionen, den Vorsitzenden von Staatsduma und Föderationsrat sowie den Fraktionsvorsitzenden der in der Staatsduma vertretenen Parteien (AA Innenpolitik Oktober 2017).
Die siebte Parlamentswahl in Russland hat am 18.09.2016 stattgefunden. Gewählt wurden die 450 Abgeordneten der russischen Duma. Die Duma-Wahlen wurden vom Dezember auf den September 2016 vorverschoben. Kritiker bemerkten, diese Verschiebung diene der Nichtbeachtung des Wahlkampfs während der Sommerferien sowie dem Erreichen einer geringeren Wahlbeteiligung. Insgesamt waren 14 Parteien angetreten, unter ihnen die oppositionellen Parteien Jabloko und Partei der Volksfreiheit (PARNAS). Die Wahlbeteiligung lag bei 47,8 Prozent. Die meisten Stimmen bei der Wahl, die auch auf der Halbinsel Krim abgehalten wurde, erhielt die von Ministerpräsident Dmitri Medwedew geführte Regierungspartei "Einiges Russland" mit gut 54 Prozent. Nach Angaben der Wahlkommission landete die Kommunistische Partei mit 13,5 Prozent auf Platz zwei, gefolgt von der nationalkonservativen LDPR mit 13,2 Prozent. Die nationalistische Partei "Gerechtes Russland" erhielt 6 Prozent. Diese vier Parteien waren auch bislang schon in der Duma vertreten und stimmten in allen wesentlichen Fragen mit der Mehrheit. Den außerparlamentarischen Oppositionsparteien gelang es nicht die Fünf-Prozent-Hürde zu überwinden. In der Duma verschiebt sich die Macht zugunsten der Regierungspartei "Einiges Russland". Die Partei erreicht im Parlament mit 343 Sitzen deutlich die Zweidrittelmehrheit, die ihr nun Verfassungsänderungen ermöglicht. Die russischen Wahlbeobachter von der NRO Golos berichteten auch in diesem Jahr über viele Verstöße gegen das Wahlrecht (LIP Geschichte und Staat, November 2017).
(CIA, Central Intelligence Agency, The World Factbook, Russia, last update 14.11.2017,
https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/rs.html
AA, Auswärtiges Amt, Russische Föderation, Innenpolitik, Stand Oktober 2017,
http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/RussischeFoederation/Innenpolitik_node.html
LIP, Liportal, Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), Russland, Geschichte und Staat, letzte Aktualisierung November 2017,
https://www.liportal.de/russland/geschichte-staat)
Tschetschenien
Der Prozess um den Mord am ehem. stv. MP Boris Nemzow am 27.02.2015 wird derzeit vor einem Moskauer Militärgericht verhandelt. Die ausschließlich aus der Republik Tschetschenien stammenden Tatverdächtigen konnten zwar schnell festgenommen werden, jedoch scheuen die Ermittler davor zurück, die Spur zu den Auftraggebern nach Tschetschenien zu verfolgen, die im Umfeld des Republikoberhaupts Kadyrow vermutet werden (AA 24.01.2017).
Die Tschetschenische Republik ist eine der 21 Republiken der Russischen Föderation. Betreffend Fläche und Einwohnerzahl – 15.647 km2 und fast 1,3 Millionen Einwohner/innen (2010) – ist Tschetschenien mit der Steiermark vergleichbar. Etwa die Hälfte des tschetschenischen Territoriums besteht aus Ebenen im Norden und Zentrum der Republik. Gemäß der letzten offiziellen Volkszählung 2010 hat Tschetschenien 1,27 Millionen Einwohner/innen. Heutzutage ist die Republik eine nahezu monoethnische: 95,3% der Bewohner/innen Tschetscheniens gaben 2010 an, ethnische Tschetschen/innen zu sein. Der Anteil ethnischer Russ/innen an der Gesamtbevölkerung liegt bei 1,9%. Rund 1% sind ethnische Kumyk/innen, des Weiteren leben einige Awar/innen, Nogaier/innen, Tabasar/innen, Türk/innen, Inguschet/innen und Tatar/innen in der Republik (Rüdisser 11.2012). Den Föderationssubjekten stehen Gouverneure vor. Gouverneur von Tschetschenien ist Ramsan Kadyrow. Er gilt als willkürlich herrschend. Russlands Präsident Putin lässt ihn aber walten, da er Tschetschenien "ruhig" hält. Tschetschenien wird überwiegend von Geldern der Zentralregierung finanziert. So erfolgte der Wiederaufbau von Tschetscheniens Hauptstadt Grosny vor allem mit Geldern aus Moskau (BAMF 10.2013, RFE/RL 19.01.2015). Sowohl bei den gesamtrussischen Duma-Wahlen im Dezember 2011, als auch bei den Wahlen zur russischen Präsidentschaft im März 2012 lag die Wahlbeteiligung in Tschetschenien bei über 99%. Die Zustimmung für die Regierungspartei "Einiges Russland" und für Präsidentschaftskandidat Wladimir Putin lag in der Republik ebenfalls bei jeweils über 99%. Bei beiden Wahlen war es zu Wahlfälschungsvorwürfen gekommen (Welt 05.03.2012, Ria Novosti 05.12.2012, vgl. auch ICG 06.09.2013).
In Tschetschenien gilt Ramsan Kadyrov als Garant Moskaus für Stabilität. Mit Duldung der russischen Staatsführung hat er in der Republik ein autoritäres System geschaffen, das vollkommen auf seine eigene Person ausgerichtet ist und größtenteils außerhalb des föderalen Rechtsrahmens funktioniert. Insbesondere die tschetschenischen Sicherheitskräfte, die offiziell zwar dem russischen Innenministerium unterstellt sind, de facto jedoch von Kadyrov kontrolliert werden, agieren ohne föderale Aufsicht. So blockieren tschetschenische Sicherheitskräfte seit Monaten die Untersuchungen der föderalen Behörden im Fall des im Februar 2015 ermordeten Oppositionspolitikers Boris Nemzov, dessen Drahtzieher in Tschetschenien vermutet werden. Im April 2015 – nachdem Polizisten aus der benachbarten Region Stawropol eine Operation in Grosny durchgeführt hatten – forderte Kadyrov seine Sicherheitsorgane auf, auf Polizisten anderer Regionen zu schießen, sollten diese ohne Genehmigung in Tschetschenien operieren. Gegen Extremisten, aber auch gegen politische Gegner, wird hart vorgegangen. Auch die Familien von Terrorverdächtigen werden häufig Repressionen ausgesetzt. Im Gegensatz zu Dagestan und Inguschetien wurden keine "soft power"-Ansätze wie die Gründung von Kommissionen zur Rehabilitierung ehemaliger Extremisten verfolgt. Das tschetschenische Parlament hat Anfang 2015 der Staatsduma vorgeschlagen, ein föderales Gesetz anzunehmen, das eine strafrechtliche Verantwortung für Angehörige von Terroristen vorsieht, wenn sie diese in ihren Aktivitäten unterstützten. Dass die von Kadyrov herbeigeführte Stabilität trügerisch ist, belegte der Terrorangriff auf Grosny im Dezember 2014, bei dem fast ein Dutzend Personen ums Leben kam (ÖB Moskau 10.2015).
Oppositionelle Politiker und Aktivisten werden in den staatlichen Massenmedien immer wieder diskreditiert, etwa mit der Behauptung, sie träten für internationale Sanktionen gegen Russland ein (AA Ad-hoc-Bericht 22.06.2017).
(AA, Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, Stand Dezember 2016, 24.01.2017
BAMF, Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Protokoll zum Workshop Russische Föderation/Tschetschenien am 21.-22.10.2013 in Nürnberg, Oktober 2013
ICG, International Crisis Group, The North Caucasus: The Challenges of Integration (III), Governance, Elections, Rule of Law, 06.09.2013,
http://www.ecoi.net/file_upload/1002_1379094096_the-north-caucasus-the-challenges-of-integration-iii-226-the-north-caucasus-the-challenges-of-integration-iii-governance-elections-rule-of-law.pdf
Österreichische Botschaft Moskau, Asylländerbericht Russische Föderation, Oktober 2015
Ria Novosti, United Russia gets over 99 percent of votes in Chechnya, 05.12.2012,
http://en.rian.ru/society/20111205/169358392.html
Rüdisser, V. Russische Föderation/Tschetschenische Republik, Länderinformation n°15, Österreichischer Integrationsfonds, November 2012,
http://www.integrationsfonds.at/laenderinformation/laenderinformation_russiche_foederationtschetschenische_republik/
Die Welt, In Tschetschenien stimmen 99,76 Prozent für Putin, 05.03.2012,
http://www.welt.de/politik/ausland/article13903750/In-Tschetschenien-stimmen-99-76-Prozent-fuer-Putin.html
RFE/RL, Radio Free Europe/Radio Liberty, The Unstoppable Rise Of Ramzan Kadyrov, 19.01.2015,
http://www.rferl.org/content/profile-ramzan-kadyrov-chechnya-russia-putin/26802368.html
AA, Auswärtiges Amt, Ad-hoc-Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, Stand Juni 2017, 22.06.2017)
Sicherheitslage
Von nicht unbedingt notwendigen Reisen innerhalb eines Umkreises von zehn Kilometern von der Staatsgrenze in die Regionen von Donezk und Lugansk Oblast wird dringend abgeraten. Angesichts der Terroranschläge auf Linienbusse, den Bahnhof in Wolgograd, den Moskauer Flughafen Domodedowo und die Moskauer U-Bahn wird zu erhöhter Vorsicht und Wachsamkeit vor allem in öffentlichen Verkehrsmitteln und bei größeren Menschenansammlungen geraten (insbesondere Vorsicht bei herrenlosen Gepäckstücken und verdächtigen Gegenständen). Obwohl die Großstädte als relativ sicher gelten, sollte nur wenig Bargeld mitgeführt und Wertgegenstände nicht offen zur Schau gestellt werden. Nachtlokale sollten wegen Überfallsgefahr nur in Begleitung oder in Gruppen verlassen werden. Fernreisen mit dem Zug können unsicher sein. Bei Taxifahrten in den Nachtstunden wird empfohlen, vor dem Einsteigen demonstrativ das Kennzeichen aufzuschreiben und anschließend einen (auch fingierten) Anruf zu tätigen. Bei Überfällen sollte jeglicher Widerstand vermieden werden, da das Führen und die Verwendung von Schusswaffen durch Kriminelle nicht auszuschließen ist. Dokumente sollten fotokopiert werden (BMEIA 22.11.2017).
Russland hat den IS erst Ende Dezember 2014 auf seine Liste terroristischer Organisationen gesetzt und dabei andere islamistische Gruppierungen außer Acht gelassen, in denen seine Staatsbürger, insbesondere Tschetschenen und Dagestaner, in Syrien und im Irak ebenfalls aktiv sind – wie die Jaish al-Muhajireen-wal-Ansar, die überwiegend von Kämpfern aus dem Nordkaukasus gegründet wurde. Ausländische und russische Beobachter, darunter die kremlkritische Novaja Gazeta im Juni 2015, erhoben gegenüber den Sicherheitsbehörden Russlands den Vorwurf, der Abwanderung von Jihadisten aus dem Nordkaukasus und anderen Regionen nach Syrien tatenlos, wenn nicht gar wohlwollend zuzusehen, da sie eine Entlastung für den Anti-Terror-Einsatz im eigenen Land mit sich bringe. Tatsächlich nahmen die Terroraktivitäten in Russland selber ab (SWP 10.2015). In der zweiten Hälfte des Jahres 2014 kehrte sich diese Herangehensweise um und Personen, die z.B. Richtung Türkei ausreisen wollten, wurden an der Ausreise gehindert. Nichtsdestotrotz geht der Abgang von gewaltbereiten Dschihadisten weiter und Experten sagen, dass die stärksten Anführer der Aufständischen, die dem IS die Treue geschworen haben, noch am Leben sind. Am 01.08.2015 wurde eine Hotline eingerichtet, mit dem Ziel, Personen zu unterstützen, deren Angehörige in Syrien sind bzw. planen, nach Syrien zu gehen. Auch Rekrutierer und Personen, die finanzielle Unterstützung für den Dschihad sammeln, werden von den Sicherheitsbehörden ins Visier genommen. Einige Experten sind der Meinung, dass das IS Rekrutierungsnetzwerk eine stabile Struktur in Russland hat und Zellen im Nordkaukasus, in der Wolga Region, Sibirien und im russischen Osten hat (ICG 14.03.2016).
Bis ins Jahr 2015 hinein hat Russland die vom sogenannten Islamischen Staat ausgehende Gefahr eher relativiert und die Terrormiliz als einen von vielen islamistischen Akteuren abgetan, die das mit Moskau verbündete Assad-Regime, die ‚legitime Regierung Syriens‘, bekämpfen. In seiner jährlichen Tele-Konferenz mit der Bevölkerung am 18. April 2015 hatte Präsident Putin noch geäußert, der IS stelle keine Gefahr für Russland dar, obwohl die Sicherheitsbehörden schon zu diesem Zeitpunkt eine zunehmende Abwanderung junger Menschen nach Syrien und Irak registriert und vor den Gefahren gewarnt hatten, die von Rückkehrern aus den dortigen Kampfgebieten ausgehen könnten. Wenige Tage später bezeichnete Außenminister Lawrow den IS in einem Interview erstmals als Hauptfeind Russlands (SWP 10.2015).
Den Selbstmordanschlag in der St. Petersburger U-Bahn am 03.04.2017 hat nach Angaben von Experten eine Gruppe mit mutmaßlichen Verbindungen zum islamistischen Terrornetzwerk Al-Kaida für sich reklamiert. Das Imam-Schamil-Bataillon habe den Anschlag mit 15 Todesopfern nach eigenen Angaben auf Anweisung des Al-Kaida-Chefs Ayman al-Zawahiri verübt, teilte das auf die Überwachung islamistischer Internetseiten spezialisierte US-Unternehmen SITE am Dienstag mit (Standard 25.04.2017). Der Selbstmordattentäter Akbarschon Dschalilow stammte aus der kirgisischen Stadt Osch. Zehn Personen, die in den Anschlag verwickelt sein sollen, sitzen in Haft, sechs von ihnen wurden in St. Petersburg, vier in Moskau festgenommen. In russischen Medien wurde der Name eines weiteren Mannes aus der Gegend von Osch genannt, den die Ermittler für den Auftraggeber des Anschlags hielten: Siroschiddin Muchtarow, genannt Abu Salach al Usbeki. Der Angriff, sei eine Vergeltung für russische Gewalt gegen muslimische Länder wie Syrien und für das, was in der russischen Nordkaukasus-Teilrepublik Tschetschenien geschehe; die Operation sei erst der Anfang. Mit Terrorangriffen auf und in Russland hatte sich zuletzt nicht Al-Kaida, sondern der sogenannte Islamische Staat gebrüstet, so mit jüngsten Angriffen auf Sicherheitskräfte in Tschetschenien und der Stadt Astrachan. Laut offizieller Angaben sollen 4000 Russen und 5000 Zentralasiaten in Syrien und dem Irak für den IS oder andere Gruppen kämpfen. Verteidigungsminister Schoigu behauptete Mitte März 2016, es seien durch Russlands Luftschläge in Syrien "mehr als 2000 Banditen" aus Russland, unter ihnen "17 Feldkommandeure" getötet worden (FAZ 26.04.2017).
Wie verschiedene Anschläge mit zahlreichen Todesopfern in den letzten Jahren gezeigt haben, kann es in Russland, auch außerhalb der Kaukasus-Region, jederzeit zu Attentaten kommen. Zuletzt kam es am 03. April 2017 in Sankt Petersburg zu einem Anschlag in der Metro, der Todesopfer und Verletzte forderte. Die russischen Behörden haben ihre Warnung vor Attentaten bekräftigt und rufen weiterhin zu besonderer Vorsicht auf. Die generelle Empfehlung, besondere Aufmerksamkeit und Vorsicht insbesondere bei Menschenansammlungen und bei der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel (insbesondere U-Bahn, Bus) walten zu lassen, gilt unverändert. In der Club- und Kneipenszene russischer Großstädte kommt es - wie in Großstädten in anderen Ländern auch – zu nächtlichen, z.T. alkoholbedingten Straftaten, die sich auch gegen ausländische Staatsbürger und Touristen richten können (z.B. Körperverletzungsdelikte, Überfälle mit sog. "k.o.-Tropfen"). Angemessene Wachsamkeit sowie die Nutzung registrierter Taxiunternehmen ist daher empfehlenswert. (AA Reise- und Sicherheitshinweise 22.11.2017).
(BMEIA, Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten Reiseinformation Russische Föderation, Sicherheit und Kriminalität, unverändert gültig seit 22.11.2017, Stand 22.11.2017,
https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/russische-foederation
SWP, Stiftung Wissenschaft und Politik, Reaktionen auf den Islamischen Staat (ISIS) in Russland und Nachbarländern, 10.2015, http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2015A85_hlb.pdf
ICG, International Crisis Group, The North Caucasus Insurgency and Syria, An Exported Jihad? Europe Report N°238, 14.03.2016, http://www.crisisgroup.org/~/media/Files/europe/caucasus/238-the-north-caucasus-insurgency-and-syria-an-exported-jihad.pdf
Der Standard, Al-Kaida reklamiert Anschlag auf U-Bahn in St. Petersburg für sich, 25.04.2017,
https://derstandard.at/2000056544365/Al-Kaida-reklamiert-Anschlag-auf-U-Bahn-in-St-Petersburg?ref=rec
FAZ, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Erst der Anfang, 26.04.2017, http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/anschlag-in-st-petersburg-russland-steht-im-visier-von-terror-14989012.html
AA, Auswärtiges Amt, Russische Föderation, Reise- und Sicherheitshinweise, unverändert gültig seit 13.07.2017, Stand 22.11.2017,
http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Laenderinformationen/00-SiHi/Nodes/RussischeFoederationSicherheit_node.html)
Sicherheitslage Nordkaukasus
Die Sorge vor einer möglichen Ausbreitung der Gewalt im bislang relativ ruhigen westlichen Nordkaukasus besteht fort (AA 24.01.2017; AA Ad-hoc-Bericht 22.06.2017).
Von nicht unbedingt notwendigen Reisen nach Dagestan Tschetschenien, Inguschetien und Kabardino-Balkarien wird angesichts der dortigen prekären Sicherheitslage abgeraten. Ein von Tschetschenien ausgehendes erhöhtes Gefährdungspotential ist darüber hinaus auch im gesamten Nordkaukasus (Regionen Krasnodar und Stawropol, Republiken Adygeja, Karatschai-Tscherkessien, Nordossetien) gegeben. Konflikte im Nordkaukasus können in der gesamten Russischen Föderation zu Attentaten führen und sollen in ihrem Gefahrenpotenzial keineswegs unterschätzt werden (BMEIA 22.11.2017).
Reisen in den Nordkaukasus: Bei Reisen in den Föderalbezirk Nordkaukasus sowie angrenzende Regionen wird auf die erhöhte Sicherheitsgefährdung hingewiesen. Insbesondere von nicht zwingend erforderlichen Reisen nach Inguschetien, Tschetschenien, Dagestan und Kabardino-Balkarien wird dringend abgeraten. In den oben genannten Regionen besteht aufgrund von Anschlägen, bewaffneten Auseinandersetzungen und Entführungsfällen ein hohes Sicherheitsrisiko (AA Sicherheitshinweise 22.11.2017).
Das "Kaukasus-Emirat", das seit 2007 den islamistischen Untergrundkampf im Nordkaukasus koordiniert, ist seit Ende 2014 durch das Überlaufen einiger Feldkommandeure zum IS von Spaltungstendenzen erschüttert und geschwächt. Dem russischen Islamexperten Aleksej Malaschenko zufolge reisten gar Offizielle aus der Teilrepublik Dagestan nach Syrien, um IS-Kämpfer aus dem Kaukasus darin zu bestärken, ihren Jihad im Mittleren Osten und nicht in ihrer Heimat auszutragen. Der IS verstärkte 2015 seine russischsprachige Propaganda in Internet-Foren wie Furat Media, ohne dass die Behörden laut Novaja Gazeta diesem Treiben große Aufmerksamkeit widmeten. Am 23. Juni 2015 rief der IS-Sprecher Muhammad al-Adnani ein ‚Wilajat Kavkaz‘, eine Provinz Kaukasus, als Teil des IS-Kalifats aus. Es war ein propagandistischer Akt, der nicht bedeutet, dass der IS in dieser Region militärisch präsent ist oder sie gar kontrolliert, der aber den zunehmenden Einfluss dieser Terrormiliz auf die islamistische Szene im Nordkaukasus symbolisiert. Zuvor hatten mehr und mehr ideologische und militärische Führer des Kaukasus Emirats dem ‚Kalifen‘ Abu Bakr al-Baghdadi die Treue geschworen und sich von al-Qaida abgewandt. Damit bestätigte sich im islamistischen Untergrund im Nordkaukasus ein Trend, dem zuvor schon Jihad-Netzwerke in Nordafrika, Jemen, Pakistan und Afghanistan gefolgt waren. Seitdem mehren sich am Südrand der Russischen Föderation die Warnungen vor einer Bedrohung durch den sogenannten Islamischen Staat. Kurz zuvor hatten die föderalen und lokalen Sicherheitsorgane noch den Rückgang terroristischer Aktivitäten dort für sich reklamiert. Als lautester Mahner tut sich wieder einmal der tschetschenische Republikführer Ramzan Kadyrow hervor. Er rief alle muslimischen Länder dazu auf, sich im Kampf gegen den IS, den er mit Iblis-Staat – also Teufelsstaat – übersetzt, zusammenzuschließen. Für Kadyrow ist der IS ein Produkt anti-islamischer westlicher Politik, womit er sich im Einklang mit der offiziellen Sichtweise des Kremls befindet, der dem Westen regelmäßig fatale Eingriffe im Mittleren Osten vorwirft. Terroristische Aktivitäten im Nordkaukasus, die eindeutig den Überläufern zum IS zuzuschreiben sind, haben sich aber bislang nicht verstärkt. Bis September 2015 wurden nur zwei Anschläge in Dagestan der IS-Gefolgschaft zugeschrieben: die Ermordung des Imam einer Dorfmoschee und ein bewaffneter Angriff auf die Familie eines Wahrsagers. Auch im Südkaukasus mehren sich die Stimmen, die vor dem IS warnen. Aus dem Pankisi-Tal in Georgien, das mehrheitlich von einer tschetschenischen Volksgruppe bewohnt wird, stammen einige Teilnehmer an den Kämpfen in Syrien – so Umar al-Shishani (eigentl. Tarkhan Batiraschwili), der dort prominenteste Milizen-Führer aus dem Kaukasus (SWP 10.2015).
Menschenrechtsorganisationen sehen übereinstimmend bestimmte Teile des Nordkaukasus als den regionalen Schwerpunkt der Menschenrechtsverletzungen in Russland. Hintergrund sind die bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und islamistischen Extremisten in der Republik Dagestan, daneben auch in Tschetschenien, Inguschetien und Kabardino-Balkarien. Der westliche Nordkaukasus ist hiervon praktisch nicht mehr betroffen. Auch in den genannten Regionen sind die Zahlen der Getöteten und Verletzten nach Angaben der NRO "Kawkaski Usel" nach 2013 stark zurückgegangen (Olympiade Sotschi). Die Opfer der Gewalt sind ganz überwiegend "Aufständische" und Sicherheitskräfte. Die Behörden gehen gegen tatsächliche oder mutmaßliche Islamisten mit teils gewaltsamer Repression vor. Maßnahmen wie die Zerstörung von Wohnhäusern angeblicher Islamisten können zu einer Radikalisierung der Bevölkerung beitragen. Menschenrechtsorganisationen beklagen ein Klima der Straflosigkeit für Täter aus den Reihen der Sicherheitskräfte. Die Menschenrechtsorganisation Memorial beschreibt in ihrem Bericht über den Nordkaukasus vom Sommer 2016 eindrücklich, dass die Sicherheitslage für gewöhnliche Bürger zwar stabil ist, Aufständische einerseits und Kritiker der bestehenden Systeme sowie Meinungs- und Menschenrechtsaktivisten andererseits weiterhin repressiven Maßnahmen und Gewalt bis hin zum Tod ausgesetzt sind. Agenturmeldungen sprechen allein im Herbst 2016 (September bis Mitte November) von 41 "eliminierten Extremisten", darunter 25 in Dagestan, 08 in Tschetschenien, 07 in Inguschetien, einem in Kabardino-Balkarien. Festnahmen finden dagegen bei Schleppnetz-Operationen statt, so wurden während einer Woche im September 18.000 Menschen wegen administrativer Vergehen festgenommen. Seit 2005 sind zahlreiche Urteile des EGMR gegen Russland ergangen, der insbesondere Verstöße gegen das Recht auf Leben festgestellt hat. Am 14.01.2014 urteilte der EGMR zugunsten der Familien von 36 zwischen 2000 und 2006 verschwundenen Tschetschenen und sprach ihnen 1,9 Mio. Euro Entschädigung zu. Im Juni 2016 verurteilte der EGMR Russland erneut wegen Missachtung des Rechts auf Leben. Nach ihrer Festnahme waren 2012 zwei Personen "verschwunden" (AA 24.01.2017; AA Ad-hoc-Bericht 22.06.2017).
Trotz der Versuche Moskaus, die sozioökonomische Situation im Nordkaukasus zu verbessern, ist die Region nach wie vor weitgehend von Transferzahlungen des föderalen Zentrums abhängig. Im Mai 2014 wurde ein neues Ministerium für die Angelegenheiten des Nordkaukasus geschaffen und der bevollmächtigte Vertreter des Präsidenten im Nordkaukasischen Föderalbezirk Alexander Chloponin, durch den früheren Oberbefehlshaber der Vereinigten Truppen des Innenministeriums im Nordkaukasus, Generalleutnant Sergej Melikov, ersetzt. Insbesondere in Dagestan, wo es immer wieder zu blutigen Zusammenstößen zwischen Aufständischen und Sicherheitskräften kommt, ist die Lage weiterhin kritisch. In Tschetschenien hat Ramzan Kadyrov die Rebellen mit Gewalt und Amnestieangeboten dezimiert bzw. zum Ausweichen auf die Nachbarrepubliken Inguschetien und Dagestan gezwungen. Anschläge auf den Expresszug nach St. Petersburg im November 2009, die Moskauer Metro im April 2010, den Moskauer Flughafen Domodedovo im Jänner 2011 (mit zwei österr. Staatsbürgern unter den Opfern) sowie im Oktober und Dezember 2013 in Wolgograd zeigten, dass die Gefahr des Terrorismus auch
Zentralrussland betrifft (ÖB Moskau 10.2015).
Im Jahr 2015 gab es nach Angaben von Caucasian Knot im gesamten Föderalen Distrikt Nordkaukasus 258 Opfer des bewaffneten Konfliktes (2014 waren es 525 Opfer), 209 davon wurden getötet (2014 waren es 341), 49 verwundet (2014 waren es 184) (Caucasian Knot 08.02.2016). Im Jahr 2016 gab es nach Angaben von Caucasian Knot im Nordkaukasus 287 Opfer des bewaffneten Konfliktes, 202 davon wurden getötet und 85 verwundet (Caucasian Knot 02.02.2017). Im ersten Quartal 2017 gab es im Nordkaukasus 45 Opfer des bewaffneten Konfliktes, 36 davon wurden getötet und 09 verwundet (Caucasian Knot 17.04.2017). Im zweiten Quartal 2017 gab es im Nordkaukasus 26 Opfer des bewaffneten Konfliktes, 20 davon wurden getötet und 06 verwundet (Caucasian Knot 27.07.2017). Im August 2017 gab es im Nordkaukasus 18 Opfer des bewaffneten Konfliktes, 15 davon wurden getötet und 03 verwundet (Caucasian Knot 30.10.2017).
(BMEIA, Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten Reiseinformation Russische Föderation, Sicherheit und Kriminalität, unverändert gültig seit 22.11.2017, Stand 22.11.2017,
https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/russische-foederation
ÖB Moskau, Asylländerbericht Russische Föderation, Oktober2015
SWP, Stiftung Wissenschaft und Politik, Reaktionen auf den Islamischen Staat (ISIS) in Russland und Nachbarländern, 10.2015, http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2015A85_hlb.pdf
AA, Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, Stand Dezember 2016, 24.01.2017
Caucasian Knot, Infographics, Statistics of victims in Northern Caucasus for 2015, 08.02.2016,
http://eng.kavkaz-uzel.ru/articles/34527
Caucasian Knot, Infographics, Statistics of victims in Northern
Caucasus for 2016, 02.02.2017,
http://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/38325
Caucasian Knot, Infographics, Statistics of victims in Northern Caucasus in Quarter 01 of 2017 17.04.2017, http://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/39081
Caucasian Knot, Infographics, Statistics of victims in Northern Caucasus in Quarter 2 of 2017 27.07.2017, http://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/40227
Caucasian Knot, Infographics, Statistics of victims in Northern Caucasus in August 2017, 30.10.2017, http://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/41325/
AA, Auswärtiges Amt, Ad-hoc-Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, Stand Juni 2017, 22.06.2017
AA, Auswärtiges Amt, Russische Föderation, Reise- und Sicherheitshinweise, unverändert gültig seit 13.07.2017, Stand 22.11.2017,
http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Laenderinformationen/00-SiHi/Nodes/RussischeFoederationSicherheit_node.html)
Tschetschenien
In Tschetschenien hat das Republikoberhaupt Ramsan Kadyrow ein auf seine Person zugeschnittenes repressives Regime etabliert. Vertreter russischer und internationaler NROs berichten von Gewalt und Menschenrechtsverletzungen, einem Klima der Angst und Einschüchterung (AA 24.01.2017; AA Ad-hoc-Bericht 22.06.2017).
Die Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) hat einen Anschlag auf einen russischen Militärstützpunkt in Tschetschenien für sich reklamiert. Sechs Angreifer hätten am Freitag, den 24.3.2017 "eine Militärbasis der russischen Nationalgarde nahe dem Dorf Naurski im Nordwesten Grosnys in Tschetschenien gestürmt". Alle Angreifer seien bei den mehrstündigen Kämpfen auf dem Stützpunkt getötet worden (Zeit Online 24.03.2017). Nach Armeeangaben wurden bei dem Angriff auch sechs russische Nationalgardisten getötet. Die Nationalgarde erklärte, der Angriff sei in den frühen Morgenstunden bei dichtem Nebel erfolgt. Die Soldaten auf dem Stützpunkt hätten den Angriff zurückgeschlagen. Außer den Toten habe es auch Verletzte gegeben. Die im vergangenen Jahr gebildete Nationalgarde ist direkt dem russischen Präsidenten Wladimir Putin unterstellt. Sie hat den Auftrag, Grenzen zu schützen und Extremisten zu bekämpfen (Focus Online 24.03.2017).
Das Republikoberhaupt geriert sich als Verfechter des wahren, traditionellen Islam, in starker Abgrenzung zu radikalen Auslegungen. Der Druck auf Salafisten in Tschetschenien wächst und führt unweigerlich zu weiterer Radikalisierung. Dem wird seitens der Sicherheitsstrukturen mit Gewalt begegnet - eine Spirale von Gewalt und Gegengewalt entsteht (AA 24.01.2017; AA Ad-hoc-Bericht 22.06.2017).
2015 gab es in Tschetschenien 30 Opfer des bewaffneten Konfliktes (2014 waren es 117), 14 davon wurden getötet und 16 verwundet (Caucasian Knot 08.02.2016). Im Jahr 2016 gab es nach Angaben von Caucasian Knot in Tschetschenien 43 Opfer des bewaffneten Konfliktes, 27 davon wurden getötet und 16 verwundet (Caucasian Knot 02.02.2017). Im ersten Quartal 2017 gab es in Tschetschenien 36 Opfer des bewaffneten Konfliktes, 28 davon wurden getötet und 08 verwundet (Caucasian Knot 17.04.2017). Im zweiten Quartal 2017 gab es in Tschetschenien 03 Opfer des bewaffneten Konfliktes, 02 davon wurden getötet und 01 verwundet (Caucasian Knot 27.07.2017). Im August 2017 gab es in Tschetschenien 03 Opfer des bewaffneten Konfliktes, 02 davon wurden getötet und 01 verwundet (Caucasian Knot 27.07.2017).
(Zeit Online, IS bekennt sich zu Anschlag auf russischen Stützpunkt in Tschetschenien, 24.03.2017,
http://www.zeit.de/news/2017-03/24/russland-is-bekennt-sich-zu-anschlag-auf-russischen-stuetzpunkt-in-tschetschenien-24162602
Focus Online, Sechs Rebellen und sechs Soldaten bei Anschlag getötet, 24.03.2017,
http://www.focus.de/politik/ausland/in-tschetschenien-sechs-rebellen-und-sechs-soldaten-bei-anschlag-getoetet_id_6830787.html
AA, Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, Stand Dezember 2016, 24.01.2017
Caucasian Knot, Infographics, Statistics of victims in Northern Caucasus for 2015, 08.02.2016,
http://eng.kavkaz-uzel.ru/articles/34527
Caucasian Knot, Infographics, Statistics of victims in Northern
Caucasus for 2016, 02.02.2017,
http://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/38325
Caucasian Knot, Infographics, Statistics of victims in Northern Caucasus in Quarter 01 of 2017 17.04.2017, http://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/39081
AA, Auswärtiges Amt, Ad-hoc-Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, Stand Juni 2017, 22.06.2017
Caucasian Knot, Infographics, Statistics of victims in Northern Caucasus in Quarter 2 of 2017 27.07.2017, http://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/40227)
Justiz
Höchste Rechtsinstanz in Russland ist der Oberste Gerichtshof, daneben gibt es einen Obersten Schiedsgerichtshof. Die Richter dieser Gerichte werden durch den Föderationsrat auf Empfehlung des Präsidenten ernannt. 2003 haben Schwurgerichte ihre Arbeit aufgenommen (LIP Geschichte und Staat November 2017).
Für Strafverfahren gegen Militärangehörige sind Militärgerichte zuständig, die seit 1999 formal in die zivile Gerichtsbarkeit eingegliedert sind (AA 24.01.2017; AA Ad-hoc-Bericht 22.06.2017).
Im November 2013 ist in Russland ein neues Gesetz verabschiedet worden, mit denen man die Bestrafung von Familien und Verwandten von Terrorverdächtigen erreichen wolle und die darauf abzielen würden, die "harte Form" des Kampfes gegen den Aufstand, die bereits in mehreren Republiken im Nordkaukasus praktiziert wird, zu legalisieren (CACI 11.12.2013, USDOS erstellt 2016).
Die Gesetzgebung erlaubt es den Behörden, die Vermögenswerte der Familien von Terrorverdächtigen zu beschlagnahmen und die Familien dazu zu verpflichten, für Schäden aufzukommen, die durch Handlungen der Terrorverdächtigen entstanden sind. Die durch sie erlaubten Kollektivbestrafungen werden von den Behörden im Nordkaukasus bereits angewendet (USDOS März 2017).
Justiz- und Gerichtswesen unterliegen häufig der Einflussnahme durch die Exekutive und Interessengruppen (AA 24.01.2017; AA Ad-hoc-Bericht 22.06.2017).
Russlands Oberster Gerichtshof hat das Urteil aus dem "Kirowles-Prozess" gegen den Oppositionellen Alexej Nawalny aufgehoben. Nawalny war 2013 wegen angeblicher Veruntreuung zum Schaden des Holzbetriebs Kirowles zu fünf Jahren Haft verurteilt worden. Ein Mitangeklagter, der Unternehmer Pjotr Ofizerow, erhielt vier Jahre. Beide Urteile wurden kurz darauf in eine Bewährungsstrafe umgewandelt. Nawalny, der den Prozess stets als politisch motiviert bezeichnete, hatte im Februar vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) mit seiner Klage Erfolg. Der EGMR rügte das Urteil als "willkürlich" und "von politischer Natur" und verurteilte Russland zu Kompensationszahlungen. Auf der Grundlage dieses Richterspruchs hat nun das Oberste Gericht in Russland reagiert und "im Zusammenhang mit den neuen Erkenntnissen" eine Neuverhandlung angeordnet. Nawalny selbst hatte eine Aufhebung des Urteils und die Einstellung des Verfahrens gefordert. Ein Teilziel hat der Oppositionspolitiker trotzdem erreicht. Theoretisch kann er nun wieder bei der Präsidentschaftswahl 2018 antreten. Die zwei anderen Vorstrafen, die er hat – eine in einem ähnlich gelagerten Fall um den Kosmetikkonzern Yves Rocher und eine wegen Verleumdung – gelten als geringfügig und behindern seine Kandidatur nicht. Nawalnys Chancen bei einem Antritt wären jedoch gering. Jüngsten Umfragen zufolge wünschen sich 63 Prozent der Russen, dass Wladimir Putin bis (mindestens) 2024 weitermacht. Der russische Präsident hat zugleich mit seinem neuen Ukas [Präsidentenerlass] Russland weiter von der internationalen Rechtsprechung abgekoppelt. Hat die Duma erst jüngst wieder – auch aufgrund der vielen für Moskau ärgerlichen Vorschriften des EGMR – den Vorrang nationalen Rechts vor internationalem eingeführt, so verabschiedet sich Russland nun auch endgültig vom Projekt des International