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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);Norm
BFA-VG 2014 §10 Abs3;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Dr. Pelant und Dr. Sulzbacher als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Samonig, über die Revision des M N, alias A T, vertreten durch Mag.a Nadja Lorenz, Rechtsanwältin in 1070 Wien, Burggasse 116, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 26. Juni 2017, W190 2161900-1/8E, betreffend Schubhaft (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein algerischer Staatsangehöriger, stellte nach seiner Einreise in Österreich am 22. Oktober 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz, wobei er behauptete, am 7. Oktober 1999 geboren, somit minderjährig zu sein. Demzufolge schritt nach Zulassung des Verfahrens und nach Zuweisung an eine Betreuungsstelle des Bundeslandes Salzburg gemäß § 10 Abs. 3 BFA-VG der "örtlich zuständige Jugendwohlfahrtsträger", nämlich das Land Salzburg, vertreten durch die Bezirkshauptmannschaft St. Johann im Pongau, als gesetzlicher Vertreter des Revisionswerbers im Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) ein. In der Folge wurde dem genannten Jugendwohlfahrtsträger mit Beschluss des Bezirksgerichtes St. Johann im Pongau vom 31. März 2017 die Obsorge für den Revisionswerber zur Gänze übertragen. Bereits davor hatte der Jugendwohlfahrtsträger mit Schreiben vom 16. März 2017 die "V GmbH" bevollmächtigt, den Revisionswerber in seinem Verfahren nach dem AsylG 2005 zu vertreten. In dieser Urkunde wurde ausdrücklich festgehalten, dass die Vollmacht auch im Falle einer Obsorgeübertragung an den Jugendwohlfahrtsträger weiter bestehe.
2 Den vom Revisionswerber gestellten Antrag auf internationalen Schutz wies das BFA sodann mit Bescheid vom 13. April 2017 vollinhaltlich ab; unter einem erging gegen den Revisionswerber eine Rückkehrentscheidung. Die dagegen erhobene Beschwerde, die für den Revisionswerber von der "V GmbH" als dessen Vertreter am 15. Mai 2017 eingebracht wurde, wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit Erkenntnis vom 29. Mai 2017 als unbegründet ab. Diese Entscheidung wurde der "V GmbH" als Vertreterin des Revisionswerbers zugestellt, nachdem deren zuständiger Sachbearbeiter auf Anfrage der Richterin des BVwG ausdrücklich bestätigt hatte, dass die Vollmacht nach wie vor aufrecht sei.
3 Am 12. Juni 2017 wurde der Revisionswerber, der die zugewiesene Betreuungsstelle in Salzburg bereits im Februar 2017 verlassen hatte und in der Folge unbekannten Aufenthalts gewesen war, nach einer fremdenpolizeilichen Kontrolle in Wien festgenommen. Nach seiner niederschriftlichen Befragung, bei der er angab, seine genaue aktuelle Wohnadresse nicht nennen zu können, verhängte das BFA über den Revisionswerber mit Mandatsbescheid vom 13. Juni 2017 gemäß § 76 Abs. 2 Z 1 FPG Schubhaft (u.a.) zum Zweck der Sicherung seiner Abschiebung.
4 Der dagegen erhobenen Beschwerde gab das BVwG mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 26. Juni 2017 gemäß § 22a Abs. 1 Z 2 BFA-VG dahin Folge, dass die Anhaltung des Revisionswerbers in Schubhaft vom 13. Juni 2017 bis 26. Juni 2017 für rechtswidrig erklärt wurde (Spruchpunkt A.I.), und zwar deshalb, weil der Schubhaftbescheid vom 13. Juni 2017 nicht dem obsorgeberechtigten Jugendwohlfahrtsträger, sondern nur dem Revisionswerber selbst zugestellt und somit nicht wirksam erlassen worden sei. Das BVwG stellte allerdings gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG iVm § 76 FPG fest, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlägen (Spruchpunkt A.II.). Demzufolge wies es sowohl den Antrag des Revisionswerbers als auch den Antrag des BFA auf Kostenersatz ab (Spruchpunkte A.III. und A.IV.). Außerdem sprach das BVwG noch gemäß § 25a Abs. 1 VwGG aus, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei (Spruchpunkt B.).
5 Gegen die Spruchpunkte A.II. und A.III. richtet sich die vorliegende (außerordentliche) Revision, über deren Zulässigkeit der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
6 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
7 An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes nach § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit einer Revision unter dem genannten Gesichtspunkt nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a erster Satz VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).
8 In dieser Hinsicht wird in der Revision nur gerügt, das BVwG sei zu Unrecht vom rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens über den vom Revisionswerber am 22. Oktober 2016 gestellten Antrag auf internationalen Schutz und von der Durchsetzbarkeit der in diesem Verfahren erlassenen Rückkehrentscheidung ausgegangen. Vielmehr hätte sich das BVwG mit dem Vorbringen in der Beschwerde näher auseinandersetzen müssen, die der "V GmbH" am 16. März 2017 vom Jugendwohlfahrtsträger erteilte Vollmacht sei von diesem am 24. April 2017 widerrufen worden, sodass die Zustellung des Erkenntnisses des BVwG vom 29. Mai 2017 gegenüber dem Revisionswerber nicht wirksam vorgenommen worden sei. Das habe das BVwG jedoch ausdrücklich abgelehnt.
9 Dabei bezieht sich der Revisionswerber auf die vom BVwG im Rahmen der rechtlichen Beurteilung im angefochtenen Erkenntnis vertretene Meinung, die "aufgeworfene Frage" sei im gegenständlichen Schubhaftverfahren nicht zu prüfen; es sei vielmehr "von einem ordnungsgemäßen Erlass" des Erkenntnisses des BVwG vom 29. Mai 2017 auszugehen. In diesem Zusammenhang verwies das BVwG unmittelbar anschließend aber auch noch darauf, dass sich "in der bezughabenden hg. Akte" keinerlei Anhaltspunkte finden, die diese vom Revisionswerber geäußerte Vermutung "aufzuwerfen" (offenbar gemeint: zu bestätigen) vermögen, sondern dass "die Vertretungsfrage im Vorfeld vielmehr Beachtung gefunden hat". Damit nimmt das BVwG erkennbar auf die eingangs dargestellte Aktenlage Bezug, wonach die "V GmbH" - auch noch nach dem behaupteten Vollmachtswiderruf - nicht nur bei Verfassung und Einbringung der Beschwerde am 15. Mai 2017 als Vertreter des Revisionswerbers eingeschritten ist, sondern vor Erlassung des in Rede stehenden Erkenntnisses vom 29. Mai 2017 ausdrücklich gegenüber der zuständigen Richterin bestätigte, dass die Bevollmächtigung noch aufrecht sei. Überdies befindet sich weder in den vom Verwaltungsgerichtshof beigeschafften Akten des BFA noch des BVwG betreffend das Verfahren über den vom Revisionswerber am 22. Oktober 2016 gestellten Antrag auf internationalen Schutz eine Mitteilung über den Widerruf der an die "V GmbH" erteilten Vollmacht. Im Übrigen wurde dem Inhalt dieser Akten zufolge bislang auch kein Antrag des Jugendwohlfahrtsträgers gestellt, ihm das Erkenntnis vom 29. Mai 2017 zuzustellen, was aber bei redlicher Vorgangsweise zu erwarten gewesen wäre, wenn dieses Erkenntnis bisher nicht rechtswirksam zugestellt worden wäre.
10 Vor diesem Hintergrund ist es somit insgesamt nicht zu beanstanden, dass das BVwG die Vorfrage, ob das Erkenntnis vom 29. Mai 2017 gegenüber dem Revisionswerber rechtswirksam erlassen wurde, auf Basis der Aktenlage der Sache nach bejahte. Der diesbezügliche Einwand in der Revision ist daher im Ergebnis nicht berechtigt.
11 Andere Rechtsfragen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukommen könnte, werden in der Revision nicht aufgeworfen. Sie war daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen.
Wien, am 14. November 2017
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2017:RA2017210152.L00Im RIS seit
27.12.2017Zuletzt aktualisiert am
28.12.2017