TE Vwgh Erkenntnis 2017/11/22 Ra 2017/06/0123

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Veröffentlicht am 22.11.2017
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
14/01 Verwaltungsorganisation;
40/01 Verwaltungsverfahren;
83 Naturschutz Umweltschutz;

Norm

AVG §52;
UVPG 2000 §3 Abs7;
UVPG 2000 §3a Abs6;
UVPG 2000 Anh1 Z43 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):Ra 2017/06/0124 Ra 2017/06/0127 Ra 2017/06/0126 Ra 2017/06/0125

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger und die Hofrätinnen Dr. Bayjones und Mag.a Merl als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Schreiber, über die Revision 1. der G F, 2. des H F, 3. des C H, 4. des J M und 5. der M M, alle in K und vertreten durch Mag. Dr. G K J, Rechtsanwältin in 8010 Graz, Bischofplatz 3/1. Stock, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 2. Mai 2017, W127 2139867-1/10E, betreffend Feststellung gemäß § 3 Abs. 7 Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz 2000 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Steiermärkische Landesregierung; mitbeteiligte Parteien: 1. A K und 2. H K, beide vertreten durch die Wolf Theiss Rechtsanwälte GmbH & Co KG in 1010 Wien, Schubertring 6; 3. Bürgermeister der Gemeinde Großsteinbach), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Land Steiermark hat den revisionswerbenden Parteien Aufwendungen in der Höhe von insgesamt EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Der Bürgermeister der Gemeinde Großsteinbach stellte mit Schreiben vom 23. Dezember 2015 den Antrag, die Steiermärkische Landesregierung als UVP-Behörde möge feststellen, ob das Vorhaben der erst- und zweitmitbeteiligten Parteien (im Folgenden: bauwerbenden Parteien), nämlich der Neubau eines Mastschweinestalles und Nutzungsänderungen, eine Änderung der Lüftungsanlage und weitere Baumaßnahmen, den Tatbestand der Anlage 1 Spalte 3 Z 43 lit. b des Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetzes 2000 (UVP-G 2000) erfüllt.

2 Die Steiermärkische Landesregierung (im Folgenden kurz: Behörde) stellte mit Bescheid vom 4. Oktober 2016 fest, dass für das verfahrensgegenständliche Vorhaben nach Maßgabe der eingereichten Projektunterlagen keine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen sei. Die Behörde führte dazu im Wesentlichen aus, der bestehende Betrieb der bauwerbenden Parteien umfasse einen legalisierten Tierbestand von 657 Mastschweinen und solle nunmehr um 718 Mastschweine erweitert werden, sodass der Gesamttierbestand nach Erweiterung

1.375 Mastschweine betrage. Das Vorhaben liege in einem schutzwürdigen Gebiet der Kategorie E (Siedlungsgebiet oder Nahbereich eines Siedlungsgebietes) gemäß Anhang 2 UVP-G 2000. Der Schwellenwert gemäß Anhang 1 Spalte 3 Z 43 lit. b UVP-G 2000 (1.400 Mastschweineplätze) werde zwar nicht überschritten, gemäß dem immissionstechnischen und dem schalltechnischen Gutachten stehe das Vorhaben jedoch mit weiteren Vorhaben in einem räumlichen Zusammenhang, sodass der Schwellenwert von

1.400 Mastschweineplätzen gemeinsam mit diesen in einem räumlichen Zusammenhang stehenden Betrieben überschritten werde. Aus den schlüssigen und nachvollziehbaren Gutachten der immissionstechnischen und schallschutztechnischen Sachverständigen ergebe sich jedoch, dass die projektbedingten Immissionen für die Bevölkerung des Siedlungsgebietes weder gesundheitsgefährlich bzw. lebensbedrohend noch das Wohlbefinden erheblich einschränkend seien. Der Schutzzweck des Siedlungsgebietes werde daher nicht wesentlich beeinträchtigt, weshalb das Vorhaben keiner UVP zu unterziehen sei.

3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde der revisionswerbenden Parteien ab und erklärte eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof für nicht zulässig.

Das BVwG ging - wie die Behörde - von der Verpflichtung zur Durchführung einer Einzelfallprüfung gemäß § 3 Abs. 7 UVP-G 2000 auf Grund des Kumulationstatbestandes des § 3a Abs. 6 leg. cit. aus und stellte dazu fest, das gegenständliche Vorhaben mit seinen derzeit 657 Mastschweineplätzen stehe mit den Vorhaben von J P. (479 Mastschweineplätze), W und M P. (707 Mastschweineplätze), W P. (220 Mastschweineplätze), R und E K. (58 Mastschweineplätze, die jedoch nicht zu berücksichtigen seien, weil die Platzzahl unter 5 % des Schwellenwertes liege), J M.

(137 Mastschweineplätze) sowie J und M S. (177 Mastschweineplätze) in einem räumlichen Zusammenhang.

Den Ausführungen des Amtssachverständigen für Lärm- und Schallschutz in seinem Gutachten vom 20. Mai 2016 zufolge komme es durch die gegenständliche Nutzungsänderung und den Neubau zu einer Veränderung der örtlichen Verhältnisse bei der umliegenden Nachbarschaft auf Grund der Vorbelastung durch die umliegend bestehenden und bewilligten Betriebe. Durch alle weiteren Betriebe im Umkreis von etwa 1 km sei auf Grund des geringen Tierbestandes und der großen Entfernung keine Kumulation zu erwarten. Es sei mit keinen erheblichen Auswirkungen auf die Umwelt durch Lärm zu rechnen. Der Einflussbereich bei den vorhandenen Stallungen sei rund 150 bis 200 m. In einem Abstand von mehr als 1000 m sei eine Kumulation aus schallschutztechnischer Sicht auszuschließen. In der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG ergänzte der Amtssachverständigen für Lärm- und Schallschutz, Manipulationstätigkeiten wie Gülletransporte oder Tiertransporte seien nicht berücksichtigt worden, weil diesbezüglich keine Daten - vor allem der Nachbarbetriebe - vorlägen. Die teilweise sehr niedrigen Teilpegel der Stallungen würden durch den Umgebungslärm der Straßen L 403 und L 394 verdeckt. Die Immissionen aus den Tierbeständen seien nachträglich berechnet worden und hätten sich Teilbeträge von 0,4 dB und 18,9 dB ergeben. Die einzelnen Lüftungsanlagen seien mit 29 dB berechnet worden. Folglich hätten die Tierbestände keinen Einfluss auf das Gesamtimmissionsverhalten der Stallungen.

Der Amtssachverständige für Luftreinhaltung habe - so das BVwG weiter - in seinem Gutachten vom 28. April 2016 zusammenfassend ausgeführt, durch das gegenständliche Vorhaben seien sowohl in Hinblick auf das Schutzgut Mensch (Kategorie E - Siedlungsgebiet) als auch in Hinblick auf das Schutzgut Luft (Geruch, Ammoniak und PM10) keine zusätzlichen erheblichen schädlichen, belästigenden oder belastenden Auswirkungen zu erwarten. In seinem Ergänzungsgutachten vom 29. Juni 2016 habe er ausgeführt, dass in einem Umkreis von 3 km um den gegenständlichen Betrieb keine zusätzlichen relevanten Tierhaltungsbetriebe angetroffen worden seien.

Rechtlich beurteilte das BVwG die eingeholten Gutachten als schlüssig und nachvollziehbar. Daraus ergebe sich, dass das Vorhaben gemeinsam mit den anderen Vorhaben im räumlichen Zusammenhang keine erheblichen schädlichen, belästigenden oder belastenden Auswirkungen auf die Umwelt entfalte und somit keiner UVP zu unterziehen sei. Hinsichtlich der Bedenken betreffend eine nicht ausreichende Kumulationsprüfung wies das BVwG darauf hin, die revisionswerbenden Parteien hätten zu den in der Beschwerde aufgelisteten zusätzlich zu berücksichtigenden Betrieben keine näheren Ausführungen machen können, inwiefern diese Betriebe in die Kumulation einzubeziehen gewesen wären. Diese Auflistung sei daher nicht geeignet, die diesbezüglichen Ausführungen der Sachverständigen betreffend jene Betriebe, die in die Kumulation einzubeziehen gewesen seien, in Zweifel zu ziehen. Der Betrieb von J P. sei nicht in die Kumulationsprüfung eingeflossen, dieser Betrieb finde sich aber auch nicht in dem von den revisionswerbenden Parteien im Zuge der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht vorgelegten Gutachten von Dr. P. vom 20. Mai 2015. Die Betriebe von J M. und A H. wiesen keine legalisierten Tierbestände auf, was sich eindeutig aus dem Aktenvermerk der Gemeinde Großsteinbach vom 21. März 2016 ergebe; dieser sei den revisionswerbenden Parteien bekannt. Der bloße Verweis auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 25. Mai 2016, Ra 2015/06/0095 - bauliche Anlage, welche vor dem 1.1.1969 errichtet worden sei -, sei jedenfalls nicht ausreichend.

Die schriftlichen und mündlichen Ausführungen der revisionswerbenden Parteien hätten jedenfalls die Gutachten der Sachverständigen nicht überzeugend und auf gleicher fachlicher Ebene entkräften können und seien deshalb nicht geeignet, die Richtigkeit der Gutachten in Zweifel zu ziehen. Die erstatteten Gutachten seien in sich schlüssig und stünden mit den Erfahrungen des täglichen Lebens in Einklang. Das in der mündlichen Verhandlung von den revisionswerbenden Parteien vorgelegte Gutachten von Dr. P. vom 20. Mai 2015 zum Thema "Begutachtung mehrerer landwirtschaftlicher Betriebe aus umwelthygienischer Sicht, Ermittlung Geruchsziffer Geruchsschwelle Belästigungsgrenze" sei schon allein auf Grund der Themenstellung kein geeignetes Mittel, eines der gegenständlich vorliegenden Gutachten zu widerlegen. Darüber hinaus sei es zu einem Zeitpunkt, der vor der Erstellung der gegenständlichen Gutachten gelegen sei, erstattet worden. Zusammenfassend sei daher auszuführen, dass das gegenständliche Erweiterungsvorhaben nicht der Durchführung einer UVP unterliege.

4 In der vorliegenden außerordentlichen Revision beantragten die revisionswerbenden Parteien, das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 VwGG aufzuheben, in eventu gemäß § 42 Abs. 4 VwGG die UVP-Pflicht festzustellen.

5 Die bauwerbenden Parteien beantragten in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision wegen Nichtvorliegen einer erheblichen Rechtsfrage zurückzuweisen, in eventu abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

6 In der Zulässigkeitsbegründung rügt die Revision einerseits einen Widerspruch des angefochtenen Erkenntnisses zur hg. Rechtsprechung (Hinweis auf VwGH 22.6.2015, 2015/04/0001), weil die Prüfung der kumulativen Auswirkungen unvollständig erfolgt sei, andererseits auch ein Fehlen von hg. Judikatur. Die Prüfung sei unvollständig, weil hinsichtlich der Kumulation nur Betriebe in der Standortgemeinde berücksichtigt worden seien und der Amtssachverständige für Lärm- und Schallschutz in der mündlichen Verhandlung bestätigt habe, dass Manipulationstätigkeiten wie Gülleabtransport oder Tiertransporte mangels Vorliegens von Daten unberücksichtigt geblieben seien.

7 Die Revision ist im Hinblick auf die Frage, ob die kumulativen Auswirkungen vollständig erfasst und beurteilt wurden, zulässig und auch berechtigt.

8 §§ 3 und 3a Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz 2000 (UVP-G 2000), BGBl. Nr. 697/1993 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 58/2017, lauten auszugsweise:

"Gegenstand der Umweltverträglichkeitsprüfung

§ 3. (1) Vorhaben, die in Anhang 1 angeführt sind, sowie Änderungen dieser Vorhaben sind nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen einer Umweltverträglichkeitsprüfung zu unterziehen. Für Vorhaben, die in Spalte 2 und 3 des Anhanges 1 angeführt sind, ist das vereinfachte Verfahren durchzuführen. Im vereinfachten Verfahren sind § 3a Abs. 2, § 6 Abs. 1 Z 1 lit. d und f, § 7 Abs. 2, § 12, § 13 Abs. 2, § 16 Abs. 2, § 20 Abs. 5 und § 22 nicht anzuwenden, stattdessen sind die Bestimmungen des § 3a Abs. 3, § 7 Abs. 3, § 12a und § 19 Abs. 2 anzuwenden.

(2) ...

(7) Die Behörde hat auf Antrag des Projektwerbers/der Projektwerberin, einer mitwirkenden Behörde oder des Umweltanwaltes festzustellen, ob für ein Vorhaben eine Umweltverträglichkeitsprüfung nach diesem Bundesgesetz durchzuführen ist und welcher Tatbestand des Anhanges 1 oder des § 3a Abs. 1 bis 3 durch das Vorhaben verwirklicht wird. Diese Feststellung kann auch von Amts wegen erfolgen. Der Projektwerber/die Projektwerberin hat der Behörde Unterlagen vorzulegen, die zur Identifikation des Vorhabens und zur Abschätzung seiner Umweltauswirkungen ausreichen. Hat die Behörde eine Einzelfallprüfung nach diesem Bundesgesetz durchzuführen, so hat sie sich dabei hinsichtlich Prüftiefe und Prüfumfang auf eine Grobprüfung zu beschränken. Die Entscheidung ist innerhalb von sechs Wochen mit Bescheid zu treffen. Parteistellung und das Recht, Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht zu erheben, haben der Projektwerber/die Projektwerberin, der Umweltanwalt und die Standortgemeinde. Vor der Entscheidung sind die mitwirkenden Behörden und das wasserwirtschaftliche Planungsorgan zu hören. Die Entscheidung ist von der Behörde in geeigneter Form kundzumachen und der Bescheid jedenfalls zur öffentlichen Einsichtnahme aufzulegen und auf der Internetseite der UVP-Behörde, auf der Kundmachungen gemäß § 9 Abs. 4 erfolgen, zu veröffentlichen; der Bescheid ist als Download für sechs Wochen bereitzustellen. Die Standortgemeinde kann gegen die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts Revision an den Verwaltungsgerichtshof erheben. Der Umweltanwalt und die mitwirkenden Behörden sind von der Verpflichtung zum Ersatz von Barauslagen befreit.

(7a) Stellt die Behörde gemäß Abs. 7 fest, dass für ein Vorhaben keine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen ist, ist eine gemäß § 19 Abs. 7 anerkannte Umweltorganisation oder ein Nachbar/eine Nachbarin gemäß § 19 Abs. 1 Z 1 berechtigt, Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht zu erheben. Ab dem Tag der Veröffentlichung im Internet ist einer solchen Umweltorganisation oder einem solchen Nachbarn/ einer solchen Nachbarin Einsicht in den Verwaltungsakt zu gewähren. Für die Beschwerdelegitimation der Umweltorganisation ist der im Anerkennungsbescheid gemäß § 19 Abs. 7 ausgewiesene Zulassungsbereich maßgeblich.

(8) ... .

§ 3a

(1) Änderungen von Vorhaben,

...

(6) Bei Änderungen von Vorhaben des Anhanges 1, die die in Abs. 1 bis 5 angeführten Schwellenwerte nicht erreichen oder Kriterien nicht erfüllen, die aber mit anderen Vorhaben gemeinsam den jeweiligen Schwellenwert oder das Kriterium des Anhanges 1 erreichen oder erfüllen, hat die Behörde im Einzelfall festzustellen, ob auf Grund einer Kumulierung der Auswirkungen mit erheblichen schädlichen, belästigenden oder belastenden Auswirkungen auf die Umwelt zu rechnen und daher eine Umweltverträglichkeitsprüfung für die geplante Änderung durchzuführen ist. Für die Kumulierung zu berücksichtigen sind andere gleichartige und in einem räumlichen Zusammenhang stehende Vorhaben, die bestehen oder genehmigt sind, oder Vorhaben, die mit vollständigem Antrag auf Genehmigung bei einer Behörde früher eingereicht oder nach §§ 4 oder 5 früher beantragt wurden. Eine Einzelfallprüfung ist nicht durchzuführen, wenn das geplante Änderungsvorhaben eine Kapazität von weniger als 25 % des Schwellenwertes aufweist. Bei der Entscheidung im Einzelfall sind die Kriterien des § 3 Abs. 4 Z 1 bis 3 zu berücksichtigen, § 3 Abs. 7 ist anzuwenden. Die Umweltverträglichkeitsprüfung ist im vereinfachten Verfahren durchzuführen.

(7) ..."

Gemäß Anhang 1 Z 43 lit. b UVP-G 2000 sind Anlagen zum Halten oder zur Aufzucht von Tieren in schutzwürdigen Gebieten der Kategorie C oder E ab folgender Größe einer UVP im vereinfachten Verfahren zu unterziehen: 40.000 Legehennen-, Junghennen-, Mastelterntier- oder Truthühnerplätze; 42.500 Mastgeflügelplätze;

1.400 Mastschweineplätze oder 450 Sauenplätze. Bei gemischten Beständen werden die Prozentsätze der jeweils erreichten Platzzahlen addiert, ab einer Summe von 100 % ist eine UVP bzw. eine Einzelfallprüfung durchzuführen; Bestände bis 5 % der Platzzahlen bleiben unberücksichtigt.

Ein schutzwürdiges Gebiet der Kategorie E des Anhanges 2 UVP-G 2000 ist ein Bereich in oder nahe Siedlungsgebieten. Als Nahebereich eines Siedlungsgebietes gilt ein Umkreis von 300 m um das Vorhaben, in dem Grundstücke wie folgt festgelegt oder ausgewiesen sind:

"1. Bauland, in dem Wohnbauten errichtet werden dürfen (ausgenommen reine Gewerbe-, Betriebs- oder Industriegebiete, Einzelgehöfte oder Einzelbauten),

2. Gebiete für Kinderbetreuungseinrichtungen, Kinderspielplätze, Schulen oder ähnliche Einrichtungen, Krankenhäuser, Kuranstalten, Seniorenheime, Friedhöfe, Kirchen und gleichwertige Einrichtungen anerkannter Religionsgemeinschaften, Parkanlagen, Campingplätze und Freibeckenbäder, Garten- und Kleingartensiedlungen."

§ 40 Steiermärkisches Baugesetz (Stmk BauG), LGBl. Nr. 59/1995 in der Fassung Nr. 29/2014, lautet auszugsweise:

"§ 40

Rechtmäßiger Bestand

(1) Bestehende bauliche Anlagen und Feuerstätten, für die eine Baubewilligung zum Zeitpunkt ihrer Errichtung erforderlich gewesen ist und diese nicht nachgewiesen werden kann, gelten als rechtmäßig, wenn sie vor dem 1. Jänner 1969 errichtet wurden.

(2) Weiters gelten solche bauliche Anlagen und Feuerstätten als rechtmäßig, die zwischen dem 1. Jänner 1969 und 31. Dezember 1984 errichtet wurden und zum Zeitpunkt ihrer Errichtung bewilligungsfähig gewesen wären.

(2a) Die Abs. 1 und 2 gelten auch dann, wenn ab dem 1. Jänner 1969 bzw. ab dem 1. Jänner 1985 Veränderungen (z. B. durch Zubauten, Umbauten oder Nutzungsänderungen) an der baulichen Anlage durchgeführt wurden. Erfolgten die Veränderungen zwischen dem 1. Jänner 1969 und 31. Dezember 1984, so hat die Behörde ein Feststellungsverfahren gemäß Abs. 3 durchzuführen. Erfolgten sie hingegen ab dem 1. Jänner 1985, so kann für diese bei Vorliegen der geforderten Voraussetzungen eine nachträgliche Baubewilligung oder Baufreistellung erwirkt werden.

(3) ..."

9 Zunächst wird darauf hingewiesen, dass in die Prüfung kumulativer Auswirkungen auch verkehrsbedingte Umweltauswirkungen auf öffentlichen Straßen einzubeziehen sind (vgl. Baumgartner/Petek, UVP-G 2000, 99 iVm 76f und 175f).

10 Im vorliegenden Fall wird der Betrieb der bauwerbenden Parteien nach Realisierung des gegenständlichen Erweiterungsvorhabens 1.375 Mastschweineplätze umfassen. Dem lärmtechnischen Gutachten vom 20. Mai 2016 zufolge wurden kumulative Auswirkungen mit weiteren 1.778 Mastschweineplätzen, 113 Rinderplätzen und 180 Ferkelplätzen berücksichtigt. Angesichts einer Größenordnung von mehr als 3.400 Tieren können die von diesen Betrieben verursachten verkehrsbedingten Umweltauswirkungen (etwa durch den Gülleabtransport oder den Tiertransport) nicht vernachlässigt werden. Der Umstand, dass der Sachverständige - wie in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG ausgeführt - über diese Manipulationstätigkeiten keine Daten der Nachbarbetriebe hatte, kann nicht dazu führen, dass diese Umweltauswirkungen gänzlich unberücksichtigt bleiben. Der Mangel an Daten aus den Nachbarbetrieben erklärt insbesondere nicht, warum von den bauwerbenden Parteien nicht entsprechende Informationen eingeholt, daraus allenfalls Erkenntnisse für die anderen Betriebe abgeleitet und fachlich bewertet wurden.

11 Bereits mangels Einbeziehung der durch die Manipulationstätigkeiten verursachten Umweltauswirkungen ging der lärmtechnische Sachverständige von einem unvollständigen Sachverhalt aus. Der ständigen hg. Rechtsprechung zufolge können Einwendungen gegen die Vollständigkeit eines Gutachtens auch dann Gewicht haben, wenn sie nicht auf gleicher fachlicher Ebene angesiedelt sind (vgl. die bei Hengstschläger/Leeb, AVG § 52 Rz. 64 zitierte hg. Judikatur).

12 Bei Einbeziehung der verkehrsbedingten Auswirkungen kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich der Beurteilungsradius betreffend jene Betriebe, deren Umweltauswirkungen mit dem verfahrensgegenständlichen Vorhaben kumulieren können, erweitert. Die revisionswerbenden Parteien weisen zutreffend darauf hin, dass es nicht ihre Aufgabe ist und sie auch nicht dazu in der Lage sind, zu den in der Beschwerde aufgelisteten, im Rahmen der Kumulationsprüfung zusätzlich zu berücksichtigenden 15 aktiven landwirtschaftlichen Betrieben mangels Einsicht in die diesbezüglichen Akten nähere Ausführungen zu machen. Es ist vielmehr Aufgabe des BVwG, alle zur Klarstellung des Sachverhalts erforderlichen Ermittlungen durchzuführen und auf das Parteivorbringen, soweit es für die Feststellung des Sachverhalts von Bedeutung sein kann, einzugehen (vgl. VwGH 26.9.2017, Ra 2015/04/0023, Rn. 10, mwN). Aus dem angefochtenen Erkenntnis geht nicht hervor, aus welchem Grund die von den revisionswerbenden Parteien geforderte Anfrage an die Nachbargemeinden betreffend bestehende Tierhaltungen unterblieb. Es trifft auch nicht zu, dass die revisionswerbenden Parteien in der Beschwerde einen "bloße(n) Verweis auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 25. Mai 2016, Ra 2015/06/0095 - bauliche Anlage, welche vor dem 1.1.1969 errichtet wurde -," gemacht hätten; vielmehr wiesen sie auf zwei im Gutachten des Amtssachverständigen für Lärm- und Schallschutz vom 20. Mai 2016 angeführte Betriebe hin, die über Bewilligungen gemäß § 40 Abs. 1 Stmk BauG bzw. § 40 Abs. 2 iVm Abs. 2a leg. cit. verfügten. Mangels diesbezüglicher Feststellungen und Ermittlungen kann nicht beurteilt werden, ob dieses Vorbringen zutreffend ist.

13 Schließlich vermag auch die Begründung des BVwG, das von den revisionswerbenden Parteien vorgelegte Gutachten von Dr. P. vom 20. Mai 2015 zum Thema "Begutachtung mehrerer landwirtschaftlicher Betriebe aus umwelthygienischer Sicht, Ermittlung Geruchsziffer Geruchsschwelle Belästigungsgrenze" sei schon allein auf Grund der Themenstellung ungeeignet, eines der gegenständlich vorliegenden Gutachten zu widerlegen, und es sei auch vor jenen der Amtssachverständigen erstattet worden, nicht zu überzeugen. Im Gutachten von Dr. P. wird die Immissionssituation des Betriebes der bauwerbenden Parteien sowie jene der Betriebe von W und M P., J P., J M., A H., J M. und J und M S. - somit mehrheitlich jener Tierhaltungen, die auch Gegenstand des anhängigen Verfahrens sind - in Bezug auf die Geländeklimation und die verschiedensten meteorologischen Gegebenheiten untersucht; es wurde am 20. Mai 2015 ausgefertigt. Im Rahmen des fortzusetzenden Verfahrens wird sich das BVwG inhaltlich mit dem Gutachten von Dr. P. auseinanderzusetzen haben oder nachvollziehbar begründen müssen, aus welchem Grund dies unterbleiben kann.

14 Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass das BVwG bei ordnungsgemäßer Ermittlung des Sachverhalts zu einem anderen Ergebnis kommen könnte, war das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

15 Der Anspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung BGBl. II Nr. 518/2013 in der Fassung BGBl. II Nr. 8/2014.

Wien, am 22. November 2017

Schlagworte

Anforderung an ein Gutachten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2017:RA2017060123.L00

Im RIS seit

28.12.2017

Zuletzt aktualisiert am

01.02.2018
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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