Entscheidungsdatum
20.11.2017Index
41/02 Passrecht FremdenrechtNorm
NAG 2005 §47 Abs1Text
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Landesverwaltungsgericht Tirol hat durch seine Richterin Dr. Felizitas Luchner über die Beschwerde der AA, vertreten durch ihren Ehegatten BB, dieser wiederum vertreten durch RA Dr. CC, Y, gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Y vom 06.03.2017, Zahl ****,
zu Recht erkannt:
1. Gemäß § 47 Abs 1 und 2 sowie § 2 Abs 1 Z 9 NAG (Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz), BGBl I Nr 100/2015, in der Fassung BGBl I Nr 68/2017 wird der Beschwerdeführerin der Aufenthaltstitel „Familienangehöriger“ erteilt.
2. Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art 133 Abs 4 B-VG unzulässig.
R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g
Soweit die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof in Wien für zulässig erklärt worden ist, kann innerhalb von sechs Wochen ab dem Tag der Zustellung dieser Entscheidung eine ordentliche Revision erhoben werden. Im Fall der Nichtzulassung der ordentlichen Revision kann innerhalb dieser Frist nur die außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden.
Wenn allerdings in einer Verwaltungsstrafsache oder in einer Finanzstrafsache eine Geldstrafe von bis zu Euro 750,00 und keine Freiheitsstrafe verhängt werden durfte und im Erkenntnis eine Geldstrafe von bis zu Euro 400,00 verhängt wurde, ist eine (ordentliche oder außerordentliche) Revision an den Verwaltungsgerichthof wegen Verletzung in Rechten nicht zulässig.
Jedenfalls kann gegen diese Entscheidung binnen sechs Wochen ab der Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, Freyung 8, 1010 Wien, erhoben werden.
Die genannten Rechtsmittel sind von einem bevollmächtigten Rechtsanwalt bzw einer bevollmächtigten Rechtsanwältin abzufassen und einzubringen, und es ist eine Eingabegebühr von Euro 240,00 zu entrichten. Die Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof ist direkt bei diesem, die (ordentliche oder außerordentliche) Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist beim Landesverwaltungsgericht Tirol einzubringen.
Sie haben die Möglichkeit, auf die Revision beim Verwaltungsgerichtshof und die Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof zu verzichten. Ein solcher Verzicht hat zur Folge, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof und eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof nicht mehr erhoben werden kann.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
I. Sachverhalt und Vorverfahren:
Die Beschwerdeführerin stellte bei der Österreichischen Botschaft in X am 24.09.2016 den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Familienangehöriger“ (Erstantrag).
Dem Antrag ist zu entnehmen, dass die Beschwerdeführerin Zische Staatsangehörige ist und am xx.xx.xxxx geboren wurde. Sie besitzt einen Reisepass mit der Nummer ****, der am 31.07.2016 in W ausgestellt wurde und bis 31.07.2021 gültig ist. Sie lebt derzeit in V, in U.
Sie ist mit BB, geboren am xx.xx.xxxx, verheiratet. Die beiden haben am 09.05.2016 die Ehe geschlossen.
Mit dem Antrag hat die Beschwerdeführerin, wie schon erwähnt, ein gültiges Reisedokument vorgelegt, außerdem eine Geburtsurkunde, eine Heiratsurkunde, einen Nachweis, dass sie beim DD-Institut in W einen Deutschkurs A1 besucht hat und die Prüfung mit 66 von 100 Punkten, somit als „ausreichend“ befunden, bestanden hat.
Es wurde von ihr zudem ein Meldezettel des BB, des Ehegatten der Beschwerdeführerin, vorgelegt sowie seine Lohnbestätigung vom 27.10.2016, aus der hervorgeht, dass der Ehemann der Beschwerdeführerin ein monatliches Bruttoentgelt für 40 Wochenstunden in der Höhe von Euro 2.046,64 (= netto Euro 1.504,16) der Firma EE GmbH erhält.
Es wurde ein Mietvertrag beigebracht, aus dem hervorgeht, dass der Ehegatte der Beschwerdeführerin in T eine Wohnung im Ausmaß von 55 m² gemietet hat. Der Mietzins beträgt Euro 430,00 Euro, die Betriebskosten Euro 120,00. Insgesamt hat der Ehegatte der Beschwerdeführerin somit einen Aufwand von Euro 550,00 zu bezahlen (Vertragsbeginn 15. Oktober 2016). Mittlerweile hat der Ehegatte jedoch eine 39,27m2 große Wohnung um einen pauschalmietzins von € 430,-- angemietet.
Da die Beschwerdeführerin die Ehegattin des BB ist, ist davon auszugehen, dass sie auch bei ihm, da er berufstätig ist, krankenversichert sein wird.
Die Beschwerdeführerin ist nach ihrer Eheschließung mit BB nach W gereist, um dort ihre Ehe registrieren zu lassen. Das Hochzeitszertifikat wurde vorgelegt. Die Hochzeit hat in U stattgefunden. Es war eine Feier nach Tradition der Z. Die Eheschließung wurde von Zeugen bezeugt (die Eltern der Brautleute sowie die Großeltern der Brautleute).
Der Ehegatte der Beschwerdeführerin ist zunächst anerkannter Flüchtling in Österreich gewesen. Zwischenzeitlich hat er die österreichische Staatsbürgerschaft erhalten und ist somit Österreicher. Er ist derzeit beim österreichischen Bundesheer, Ende Oktober wird er dort seine Ausbildung beenden und wird wieder seiner Arbeit nachgehen.
Der erstinstanzliche Bescheid war vor allem deshalb negativ, weil sich die Behörde darauf berufen hat, dass die Eheschließung absolut nichtig gewesen wäre. Der Grund liege im römisch-katholischen Glauben des Ehegatten. Gemäß Art 92/1 des Zischen Zivilgesetzbuches sei die Eheschließung einer muslimischen Frau mit einem nichtmuslimischen Mann absolut nichtig.
Beweis wurde aufgenommen durch Einsichtnahme in den erstinstanzlichen Verwaltungsakt, dort insbesondere in die Heiratsurkunde der Antragstellerin, in den Mietvertrag vom 10.09.2017, aus welchem ein Pauschalmietzins von € 430,-- hervorgeht, außerdem durch Abhaltung einer öffentlichen, mündlichen Beschwerdeverhandlung, in welcher der Ehegatte der Beschwerdeführerin einvernommen werden konnte. Er tätige seine Angaben in einer glaubwürdigen und nachvollziehbaren Art und Weise.
Es wurde Einsicht genommen in das vorgelegte Hochzeitsbild der beiden Ehegatten, sowie in das Visum der islamischen Republik Vs, dort insbesondere in die Seite mit den Sichtvermerken des Passes des Ehegatten der Beschwerdeführerin, aus welchen hervorgeht, dass er am 01. Mai 2016 nach V eingereist ist und am 27. Mai 2017 wieder ausgereist ist.
II. Rechtliche Bestimmungen:
Die maßgeblichen Bestimmungen des österreichischen Ehegesetzes lauten wie folgt:
§ 20. Eine Ehe ist nur in den Fällen nichtig, in denen dies in den §§ 21 bis 25 dieses Gesetzes bestimmt ist.
§ 21 (1) Eine Ehe ist nichtig, wenn die Eheschließung nicht in der durch § 17 vorgeschriebenen Form stattgefunden hat.
(2) Die Ehe ist jedoch als von Anfang an gültig anzusehen, wenn die Ehegatten nach der Eheschließung fünf Jahre oder, falls einer von ihnen vorher verstorben ist, bis zu dessen Tode, jedoch mindestens drei Jahre, als Ehegatten miteinander gelebt haben, es sei denn, dass bei Ablauf der fünf Jahre oder zur Zeit des Todes des einen Ehegatten die Nichtigkeitsklage erhoben ist.
§ 27. Niemand kann sich auf die Nichtigkeit einer Ehe berufen, solange nicht die Ehe durch gerichtliches Urteil für nichtig erklärt worden ist.
§ 6 IPRG - Vorbehaltsklausel („ordre public“)
Eine Bestimmung des fremden Rechtes ist nicht anzuwenden, wenn ihre Anwendung zu einem Ergebnis führen würde, das mit den Grundwertungen der österreichischen Rechtsordnung unvereinbar ist. An ihrer Stelle ist erforderlichenfalls die entsprechende Bestimmung des österreichischen Rechtes anzuwenden.
III. Rechtliche Erwägungen:
Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Entscheidung vom 17.02.2000 zu Zahl 99/18/0326 sowie in seiner Entscheidung vom 14.03.2000 zu Zahl 99/18/0269, in seiner Entscheidung vom 03.08.2000 zu Zahl 2000/18/0026 sowie in seiner Entscheidung vom 21.09.2000 zu Zahl 98/18/0050 und in seiner Entscheidung vom 20.02.2001 zu Zahl 2001/18/0016 ausgeführt wie folgt:
„(…) Da sich gemäß § 27 Ehegesetz niemand auf die Nichtigkeit einer Ehe berufen kann, solange nicht die Ehe durch gerichtliches Urteil für nichtig erklärt worden ist, kommt es für die Stellung als begünstigter Angehöriger eines Österreichers nicht darauf an, ob Gründe für die Nichterklärung (formal bestehenden) Ehe vorliegen (Hinweis: Urteil des EuGH vom 13.02.1985, Zahl Rs 267/83, Aissatou Diatta gegen Land Berlin; Slg 1985, S 05687) (…)“
Übertragen auf den gegenständlichen Fall kann sich die Erstbehörde nicht auf die Nichtigkeit der Ehe berufen, da die Ehe der Beschwerdeführerin mit ihrem österreichischen Ehegatten derzeit zweifellos formal besteht und dies auch nachgewiesen wurde durch die im Zischen Ehe – und Kindschaftsrecht vorgeschriebenen Zeugen, die entsprechende Registrierung und der daraus entstammenden urkundlichen Nachweisbarkeit, nämlich dem entsprechenden Ehezertifikat.
Die Art und Weise wie diese Ehe zustande gekommen ist entspricht den Traditionen, Gebräuchen der Zischen Staatsangehörigen und dem Zischen Zivilrecht, so wie es in Art 61 I iVm Art 46 und 48 sowie in Art 77 Ziffe 1 und Art 61 II des Zischen Ehe- und Kindschaftsrecht vorgesehen ist.
Es ist dem erstinstanzlichen Akt nicht zu entnehmen und auch sonst nicht bekannt, dass bisher eine Nichtigkeitsklage nach Zischem Recht erhoben wurde.
Auch in Österreich wurde die Ehe noch nicht durch Nichtigkeitsklage in Frage gestellt und es kann ausgeschlossen werden, dass dies aufgrund des relativen Nichtigkeitsgrundes nach dem Zischen Recht der verschiedenen religiösen Bekenntnisse auch jemals geschehen wird. Gemäß § 28 Ehegesetz ist nur der Staatsanwalt berechtigt, die Nichtigkeitsklage zu erheben. Im Ehegesetz § 27 ist ebenfalls ausdrücklich ausgeführt, dass sich niemand auf die Nichtigkeit einer Ehe berufen kann, solange die Ehe nicht durch gerichtliches Urteil für nichtig erklärt worden ist.
Die Erstbehörde hat also einem Urteil, welches noch gar nicht eingeklagt wurde und daher noch nicht ergangen ist, vorgegriffen und ist von der Nichtigkeit einer Ehe ausgegangen, die derzeit noch besteht.
Und selbst wenn die Ehe aufgrund der eklatanten Ungleichheit zwischen Mann und Frau nach den Zischen Gesetzen als nichtig erklärt werden müsste, wäre §6 IPRG zu prüfen und in der Folge diese spezielle Bestimmung des Zischen Rechtes zum Nachteil der Frau nicht anzuwenden.
Es muss daher auf die weiteren, sich daraus ergebenden Fragen, nämlich dass es hier zu einer vollkommenen Ungleichbehandlung zwischen Mann und Frau kommt und dies unter Umständen menschenrechts- und gleichheitswidrig nach Art 12 („Männer und Frauen im heiratsfähigen Alter haben das Recht, nach den innerstaatlichen Gesetzen, welche die Ausübung dieses Rechts regeln, eine Ehe einzugehen und eine Familie zu gründen“) und Art.14 (Diskriminierungsverbot: „Der Genuss der in dieser Konvention anerkannten Rechte und Freiheiten ist ohne Diskriminierung insbesondere wegen des Geschlechts, der Rasse, der Hautfarbe, der Sprache, der Religion, der politischen oder sonstigen Anschauung, der nationalen oder sozialen Herkunft, der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, des Vermögens, der Geburt oder eines sonstigen Status zu gewährleisten“) nicht eingegangen werden.
Weiter wird auch darauf verwiesen, dass sogar laut „IPR-Gesetz Leitfaden für den Standesbeamten“ unter den Grundwerten der österreichischen Rechtsordnung Verfassungsgrundsätze wie persönliche Freiheit, Gleichberechtigung, Verbot rassischer und religiöser Diskriminierung, Freiheit der Eheschließung, die Einehe und das Verbot der Kinderehe zu verstehen sind. Diese dürfen durch die Anwendung ausländischen – und damit auch ausländisch-islamischen – Ehe- und Familienrechts in Österreich nicht verletzt werden. Ersatzweise wird daher in diesen Fällen jedenfalls das österreichische Recht angewendet. Als besonders wichtiges Beispiel dafür wäre das in vielen islamischen Ländern geltende Verbot der Eheschließung zwischen muslimischen Frauen und nichtmuslimischen Männern oder die Nichtigkeit der Ehe bei Austritt aus der islamischen Glaubensgemeinschaft zu nennen…. (Österreichische Orient-Gesellschaft, Hammer-Purgstall, Orient-Akademie Lehrgang für akademische Orientstudien universitären Charakters (BGBl. II Nr. 536/2003), Ehen zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen S17/18)
Wenn man nunmehr § 11 Abs 2 NAG folgt, in welchem die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels aufgezählt sind, so kommt man zu dem Ergebnis, dass der Erteilung eines Aufenthaltstitel zugunsten der Beschwerdeführerin nichts im Wege steht.
Der Aufenthalt der Beschwerdeführerin widerstreitet zweifellos nicht dem öffentlichen Interesse. Sie hat einen Rechtsanspruch auf eine Unterkunft nachgewiesen, da ihr Ehemann eine Wohnung gemietet hat und schon aus dem Ausfluss der Unterhaltpflicht des Ehegatten diese Unterkunft auch für sie zur Verfügung stehen wird. Der Ehegatte hat dies auch vor Gericht so angegeben.
Sie verfügt ab dem Zeitpunkt, ab dem sie in Österreich ist, über eine, alle Risiken abdeckende Krankenversicherung, da sie ab Beginn über den Ehegatten mitversichert sein wird.
Was nun die entsprechenden finanziellen Mittel betrifft so ist unter Heranziehung der Ausgleichszulagenrichtsätze gemäß § 293 ASVG des BGBl I Nr 189/1955 idF des BGBl Nr 29/2017 von der Antragstellerinn folgende Höhe an Barmitteln nachzuweisen:
Ehepaare: Euro 1.334,17
Miete inklusive BK: Euro 430,00
Summe: Euro 1.764,17
abzüglich Wert der freien Station: Euro 284,32
Summe: Euro 1.479,85
Demgegenüber steht das Einkommen
des Ehemannes In der Höhe von monatlich
€ 1504,16 x 14 : 12= Euro 1.754,85
Zieht man nun das errechnete
monatlich nachzuweisende Einkommen ab - Euro 1.479,85
so ergibt sich ein Überling von Euro 275,00
Der Unterhalb kann somit aus eigenen Mitteln bestritten werden. Der Ehemann verdient genug, um den Aufenthalt der Beschwerdeführerin zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft werden zu lassen.
Die Beschwerdeführerin hat einen Deutschkurs absolviert und hat einen Nachweis des DD-Instituts in W vorgelegt. Auch die Punkte 5, 6 und 7 können im Sinne der Beschwerdeführerin positiv bewertet werden. Es besteht daher kein Grund, ihr den Aufenthaltstitel im Sinne der Zusammenführung im Sinn des Abs 2 bis 4 eines Österreichers, der in Österreich dauerhaft wohnhaft ist, und einer Drittstaatsangehörigen, die die Voraussetzungen des Teils 1 des NAG erfüllt hat, zu verwehren.
Es war ihr daher gemäß § 47 Abs 1 und 2 sowie § 2 Abs 1 Z 9 NAG in der geltenden Fassung der Aufenthaltstitel „Familienangehöriger“ zu erteilen.
Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:
Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Landesverwaltungsgericht Tirol
Dr. Felizitas Luchner
(Richterin)
Schlagworte
Nichtigkeit einer Ehe; Vorbehaltsklausel; ordre public; Aufenthaltstitel Familienangehöriger;European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGTI:2017:LVwG.2017.17.0929.3Zuletzt aktualisiert am
27.12.2017