Entscheidungsdatum
05.12.2017Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AVG §71 Abs2Text
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Landesverwaltungsgericht Tirol hat durch seinen Richter Dr. Alexander Hohenhorst über die Beschwerden von Frau MMag. AA, geboren am xx.xx.xxxx, wohnhaft Adresse 1, Z, vom 29.10.2017 gegen die Bescheide der Landespolizeidirektion Tirol vom 28.09.2017, GZ: ****, betreffend Antrag auf Wiedersetzung in den vorigen Stand und Straferkenntnis wegen Übertretung nach dem KFG nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung,
zu Recht erkannt:
1. Gemäß § 50 VwGVG wird der Beschwerde gegen die Nichtbewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der Versäumung der Frist zur Auskunfterteilung auf die Lenkererhebung vom 08.08.2017, GZ: ****, Folge gegeben und diese Wiedereinsetzung bewilligt.
2. Gemäß § 50 VwGVG wird der Beschwerde gegen das Straferkenntnis vom 28.09.2017 Folge gegeben, der bekämpfte Bescheid behoben und das Verfahren gemäß § 45 Abs 1 Z 2 VStG eingestellt.
3. Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art 133 Abs 4 B-VG unzulässig.
R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g
Gegen diese Entscheidung kann binnen sechs Wochen ab der Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, Freyung 8, 1010 Wien, oder außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden. Die Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof ist direkt bei diesem, die außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist beim Landesverwaltungsgericht Tirol einzubringen.
Die genannten Rechtsmittel sind von einem bevollmächtigten Rechtsanwalt bzw einer bevollmächtigten Rechtsanwältin abzufassen und einzubringen, und es ist eine Eingabegebühr von Euro 240,00 zu entrichten.
Sie haben die Möglichkeit, auf die Revision beim Verwaltungsgerichtshof und die Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof zu verzichten. Ein solcher Verzicht hat zur Folge, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof und eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof nicht mehr erhoben werden können.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
Mit Bescheid der belangten Behörde vom 28.09.2017 wurde der Antrag vom 19.09.2017 auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 71 Abs 1 Z 1 AVG nicht bewilligt.
Mit Straferkenntnis vom 28.09.2017 wurde Frau MMag. A angelastet, dass sie als Zulassungsbesitzer des Kraftfahrzeuges mit dem Kennzeichen **** mit Schreiben der Landespolizeidirektion Tirol vom 08.08.2017, zugestellt am 14.08.2017, aufgefordert wurde, binnen zwei Wochen ab Zustellung der anfragenden Behörde bekannt zu geben, wer das angeführte Fahrzeug am 18.05.2017 um 11:55 Uhr in Z, Y-Straße Hausnummer ***, Richtung Norden gelenkt hat. Sie habe als Zulassungsbesitzerin diese Auskunft nicht innerhalb der vorgeschriebenen Frist erteilt und auch keine andere Person benannt, die diese Auskunft erteilen hätte können und damit § 103 Abs 2 KFG verletzt. Gemäß § 134 Abs 1 KFG wurde deshalb über sie eine Geldstrafe in der Höhe von Euro 100,00 (im Uneinbringlichkeitsfall 20 Stunden Ersatzfreiheitsstrafe) verhängt. Der Beitrag zu den Kosten des Verwaltungsstrafverfahrens wurde mit Euro 10,00 bemessen.
Gegen diese beiden Bescheide richten sich die fristgerechten und zulässigen Beschwerden von Frau MMag. A, in welchen diese zusammengefasst ausführt, dass die belangte Behörde mit ihrer Bezugnahme auf die von ihr zitierte Judikatur von einem Sachverhalt ausgehe, der im gegenständlichen Fall nicht vorgelegen sei. Es sei kein Verlust der Benachrichtigung aufgrund der Entsorgung von Massenpostwurfsendungen ohne mit entsprechender Sorgfalt erfolgter Durchsicht vorgelegen gewesen. Die rechtliche Beurteilung sei mangelhaft, da sie nicht auf den tatsächlichen Sachverhalt eingehe. Bei Heranziehung des tatsächlichen Sachverhaltes und Anhörung des angebotenen Zeugen wäre die Behörde zur Erkenntnis gelangt, dass dem Antrag statt zu geben ist. Es werde deshalb Bescheidaufhebung und Stattgabe des Wiedereinsetzungsantrages beantragt sowie Einvernahme des bereits angebotenen Zeugen DI Mag. BB.
Das angefochtene Straferkenntnis berufe sich ausschließlich auf den nicht stattgegebenen Antrag auf Wiedereinsetzung. Da gegen die Abweisung des Wiedereinsetzungsantrages Rechtsmittel eingelegt worden sei, wäre dieser Bescheid noch nicht rechtskräftig. Das Straferkenntnis baue lediglich auf die nicht rechtskräftige Ablehnung des Wiedereinsetzungsantrages auf, was formell unzulässig sei. Die Beschwerdeführerin sei im Wiedereinsetzungsantrag und somit fristgerecht ihrer Auskunftspflicht nach § 103 Abs 2 KFG nachgekommen, weshalb Aufhebung des Straferkenntnisses und Einvernahme des Zeugen DI Mag. BB beantragt werde.
Beweis aufgenommen wurde in der mündlichen Verhandlung am 29.11.2017 durch die Einvernahme der Beschwerdeführerin und des Zeugen DI Mag. BB sowie durch die Verlesung der Akten der Landespolizeidirektion Tirol und des Landesverwaltungsgerichts Tirol.
Dabei gab die Rechtsmittelwerberin Folgendes an:
„Wenn mich der Verhandlungsleiter fragt, warum ich die Frist zur Beantwortung der Lenkeranfrage vom 08.08.2017 versäumt habe, führe ich dazu aus, dass ich die Verständigung über die Hinterlegung eines Schriftstückes erst am 07.09.2017 vorgefunden habe. Ich lege dem Verhandlungsleiter zwei Lichtbilder meines Briefkastens vor, auf denen zu sehen, dass ich den Empfang unadressierter Werbung ablehne. Seitdem ich diesen Aufkleber angebracht habe, wird dem Folge geleistet und erhalte ich keine unadressierte Werbesendung mehr. Dieser Aufkleber war auch im heurigen August so angebracht. Die Leerung meines Briefkastens nimmt regelmäßig mein Mann vor. Da wir mehrere Firmen betreiben, erhalten wir relativ viel adressierte Post, darunter auch oft Behördenpost. Diese Post wird dann von uns sofort in Bearbeitung genommen, da sich darunter oft fristgebundene Schreiben befinden. Mein Mann nimmt den Briefkasten täglich aus. Die Benachrichtigung über die Hinterlegung im konkreten Fall ist in einen persönlich an meinen Mann adressierten Katalog hineingerutscht. Mein Mann hat mir am 07.09.2017 diese Benachrichtigung über die Hinterlegung übergeben. Am selben Tag habe ich mich noch am Vormittag zur Landespolizeidirektion begeben, um nach diesem Poststück zu fragen. Dort wurde mir mitgeteilt, dass die Frist zur Lenkerbekanntgabe bereits abgelaufen war und bereits eine Strafverfügung gegen mich ausgefertigt wurde und ich deren Zustellung abwarten solle und diese dann mit Rechtsmittel bekämpfen könne. Dies habe ich gemacht und gleichzeitig auch einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt.
Meines Erachtens habe ich im gegenständlichen Fall die mir zumutbare Sorgfalt eingehalten und mir kein Verschulden zukommen lassen. Hinweisen möchte ich auch noch, dass ich bereits in meinem Wiedereinsetzungsantrag vom 19.09.2017 mich als Lenkerin zur angefragten Zeit benannt habe.“
Der Zeuge DI Mag. BB gab Folgendes an:
„Ich kann mich noch daran erinnern, dass im heurigen August ich an einem Tag die Post ausgehoben habe und im Briefkasten ein nicht eingebundener an mich adressiereter bestellter Katalog enthalten war. Der Briefkasten wird dominant von mir entnommen. Ich habe danach die Post zwischen mir und meiner Frau sortiert und das, was für meine Frau bestimmt ist, ihr unverzüglich übergeben. Es handelt sich dabei um den regelmäßigen Vorgang, da wir oft und viel geschäftlich persönlich an uns adressierte Post erhalten. Für uns sind auch eingeschriebe Briefe nichts Ungewöhnliches, da wir solche relativ oft erhalten. Aus diesem Grund wird von mir auch auf Hinterlegungsbenachrichtigungen geachtet. Werbesendungen befinden sich grundsätzlich keine in unserem Briefkasten, da wir einen Flugblattverzichter an unserem Briefkasten angebracht haben. Dies funktioniert wirklich und wird von den Zustellern auch beachtet. Dieser Katalog war anfangs für mich nicht wichtig und habe ich ihn zu mir am Schreibtisch hingelegt und irgendwann einmal als ich Zeit hatte, durchgeblättert. Dabei ist mir dann die Hinterlegungsanzeige in die Hände gefallen und habe unverzüglich diese Benachrichtigung meiner Frau ausgehändigt. Ich glaube, dass ich diese Benachrichtigung an einem Nachmittag vorgefunden habe und weiß noch, dass ich am Vormittag des Folgetages meine Frau mit dem Auto zur Landespolizeidirektion Tirol gebracht habe, wo sie dann wegen dieses Schreibens nachgefragt hat.
Wenn ich gefragt werde, ob es möglich ist, dass wir auch am selben Tag, als ich die Hinterlegungsanzeige vorgefunden habe, bereits zur Landespolizeidirektion gefahren sind, so führe ich an, dass dies auch möglich ist. Meine Frau hat jedenfalls darauf gedrängt, dass wir noch am Vormittag zur Behörde kommen. Grundsätzlich möchte ich erläutern, dass meine Frau mit Behördenpost sehr sorgfältig umgeht und immer gleich nach Erhalt einer solchen darauf reagiert und sich mit der entsprechenden Stelle in Verbindung setzt. Wir haben am Computer einen Kalender, in welchem jeder von uns beiden seine fristgebundenen Termine einträgt. Zum Beispiel ist auch der Termin dieser Verhandlung in diesem Kalender eingetragen. Da der Tatvorwurf gegen meine Frau betreffend die gegenständliche Geschwindigkeitsübertretung seitens der Erstbehörde noch nicht eingestellt ist, hat meine Frau auch für den heutigen Tag zur selben Zeit wie diese Verhandlung eine Vorlandung vor die Landespolizeidirektion Tirol erhalten. Diese ist auch im Kalender eingetragen gewesen und haben wir fristgerecht aufgrund der Terminkollision um eine Verlegung des Termins bei der Erstbehörde angesucht. Meine Frau trägt in den Kalender ihre Termine auch mit dem Vermerk „zu erledigen bis“ ein. Ich möchte nochmals darauf hinweisen, dass wir beide hinsichtlich des Erhalts von Behördenpost sehr genau und sensibel sind, da wir – wie bereits oben ausgeführt – oft fristgebundene Post erhalten und es auch immer wieder schon Probleme mit der Zustellung gegeben hat, insbesondere wenn Aushilfen tätig waren. Dies beispielsweise in der Weise, als eingeschriebene Post einfach in den Briefkasten eingelegt wurde oder Hinterlegungsanzeigen in den Briefkasten eines Nachbarn eingeworfen wurden. Aus diesem Grund erkundigen wir uns auch immer wieder bei Nachbarn, wenn wir eine bestimmte Behördenpost erwarten. Der Umstand, dass so eine Hinterlegungsbenachrichtigung vollständig in einen Katalog hineingerutscht ist, hatten wir allerdings noch nie und war dieser Sachverhalt für mich deshalb bei aller Sorgfalt nicht vorhersehbar. Da wir zusammen ein Unternehmen im Bereich der Immobilientreuhänderschaft betreiben, kommt für uns regelmäßig Post, bei der es oft um viel Geld geht und nicht bloß um Euro 100,00, wie in diesem Fall. Aus diesem Grund sind wir hinsichtlich der Postentgegennahme sehr genau. Wir haben mehrere Firmen, wobei teilweise ich und teilweise meine Frau Geschäftsführer sind.“
Das Landesverwaltungsgericht Tirol hat hierzu wie folgt erwogen:
Das Verwaltungsgericht legt seiner Entscheidung folgenden Sachverhalt zugrunde:
Am 18.05.2017 wurde um 11:55 Uhr in Z auf der Y-Straße auf Höhe Hausnummer *** der auf die Beschwerdeführerin zugelassene PKW mit dem Kennzeichen **** in Fahrtrichtung Norden fahrend von einem Radarmessgerät mit einer Fahrgeschwindigkeit von 41 km/h gemessen. Dort gilt eine erlaubte Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h. Die belangte Behörde sandte deswegen mit RSb Brief die Lenkererhebung vom 08.08.2017 an die Zulassungsbesitzerin. Dieses Schriftstück wurde bei der Postgeschäftsstelle **** hinterlegt und der Beginn der Abholfrist mit 14.08.2017 festgesetzt. Vom Zustellorgan wurde vermerkt, dass eine Verständigung zur Hinterlegung in die Abgabeeinrichtung eingelegt wurde. Nach Ende der Abholfrist wurde dieses Dokument mit dem Vermerk „nicht behoben“ an die absendende Behörde zurückgesandt, wo es am 31.08.2017 einlangte. Daraufhin erließ diese die Strafverfügung vom 05.09.2017, welche einen identischen Tatvorwurf enthielt wie das nunmehr bekämpfte Straferkenntnis vom 28.09.2017. Diese Strafverfügung wurde von Frau MMag. A fristgerecht beeinsprucht und mit selbem Datum ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Lenkerbekanntgabe erhoben. In diesem Antrag bezeichnete sich die Antragstellerin als Fahrzeuglenkerin zur Tatzeit am 18.05.2017. Beide Eingaben tragen das Datum vom 19.09.2017 und wurden am 20.09.2017 bei der Erstbehörde persönlich abgegeben.
Im Haushalt der Beschwerdeführerin wird der Briefkasten im Regelfall von deren Gatten entleert und die persönlich adressierte Post auf die beiden Ehegatten aufgeteilt. Der Briefkasten des Ehepaares A/B trägt einen Aufkleber „Bitte keine unadressierte Werbung“, was von den Zustellern beachtet wird und deshalb keine derartigen Schriftstücke in deren Briefkasten eingeworfen werden. Da das Ehepaar mehrere Firmen betreibt, erhält es relativ viel persönlich adressierte Post, auch viele eingeschriebene Briefe. Im Zuge des erfolglosen Zustellversuches der Lenkererhebung am 11.08.2017 legte das Zustellorgan eine Verständigung zur Hinterlegung in die Abgabeeinrichtung ein. Im Briefkasten befand sich zu dieser Zeit auch ein von DI Mag. B bestellter und an diesen persönlich adressierter nicht eingebundener Katalog, in welchen diese Benachrichtigungsanzeige zur Gänze hineinrutschte. Da dieser Katalog für seinen Empfänger nicht von besonderer Wichtigkeit war, legte er diesen auf seinem Schreibtisch ab, um ihn zu passender Zeit durchzublättern. Die Zeit dafür fand DI Mag. B am Donnerstag, den 07.09.2017, und entdeckte darin die Verständigung über die Hinterlegung, die er unverzüglich seiner Gattin übergab. Zur nächstmöglichen Zeit des Parteienverkehrs bei der Landespolizeidirektion Tirol führte DI Mag. B seine Frau mit dem Auto zur Behörde, wo diese nach dem hinterlegten Schriftstück fragte. Dort erhielt sie die Auskunft, dass es sich um eine Lenkerauskunft gehandelt habe, deren Frist bereits abgelaufen sei und bereits eine Strafverfügung gegen sie ausgefertigt werde. Gegen diese könne sie dann Rechtsmittel ergreifen. Am Mittwoch, den 20.09.2017, gab Frau MMag. A bei der belangten Behörde einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ab, in welchem sie sich als Lenkerin am 18.05.2017 benannte.
In der mündlichen Verhandlung hinterließen sowohl die Beschwerdeführerin als auch ihr Gatte, den Eindruck, dass sie ihren Postverkehr und ihre Termine gewissenhaft verwalten und die von einem durchschnittlich gewissenhaften Empfänger zu erwartende Sorgfalt jedenfalls beachten. Die Aussagen beider Eheleute wirkten glaubwürdig und jedenfalls nicht konstruiert. Deshalb hat das Verwaltungsgericht seine Tatsachenfeststellungen neben dem Akteninhalt auf diese beiden Aussagen gestützt.
Im gegenständlichen Fall ist folgende Rechtsvorschrift des allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes maßgeblich:
„Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
§ 71. (1) Gegen die Versäumung einer Frist oder einer mündlichen Verhandlung ist auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn:
1. die Partei glaubhaft macht, daß sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten oder zur Verhandlung zu erscheinen und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft, oder
2. die Partei die Rechtsmittelfrist versäumt hat, weil der Bescheid keine Rechtsmittelbelehrung, keine Rechtsmittelfrist oder fälschlich die Angabe enthält, daß kein Rechtsmittel zulässig sei.
(2) Der Antrag auf Wiedereinsetzung muß binnen zwei Wochen nach dem Wegfall des Hindernisses oder nach dem Zeitpunkt, in dem die Partei von der Zulässigkeit der Berufung Kenntnis erlangt hat, gestellt werden.
(3) Im Fall der Versäumung einer Frist hat die Partei die versäumte Handlung gleichzeitig mit dem Wiedereinsetzungsantrag nachzuholen.
(4) Zur Entscheidung über den Antrag auf Wiedereinsetzung ist die Behörde berufen, bei der die versäumte Handlung vorzunehmen war oder die die versäumte Verhandlung angeordnet oder die unrichtige Rechtsmittelbelehrung erteilt hat.
(5) Gegen die Versäumung der Frist zur Stellung des Wiedereinsetzungsantrages findet keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand statt.
(6) Die Behörde kann dem Antrag auf Wiedereinsetzung aufschiebende Wirkung zuerkennen.
(7) Der Wiedereinsetzungsantrag kann nicht auf Umstände gestützt werden, die die Behörde schon früher für unzureichend befunden hat, um die Verlängerung der versäumten Frist oder die Verlegung der versäumten Verhandlung zu bewilligen.
§ 72. (1) Durch die Bewilligung der Wiedereinsetzung tritt das Verfahren in die Lage zurück, in der es sich vor dem Eintritt der Versäumung befunden hat.
(2) Durch den Antrag auf Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der mündlichen Verhandlung wird die Frist zur Anfechtung des infolge der Versäumung erlassenen Bescheides nicht verlängert.
(3) Hat eine Partei Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der mündlichen Verhandlung beantragt und gegen den Bescheid Berufung eingelegt, so ist auf die Erledigung der Berufung erst einzugehen, wenn der Antrag auf Wiedereinsetzung abgewiesen worden ist.
(4) (Anm.: aufgehoben durch BGBl. I Nr. 33/2013)“
Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist ein Ereignis unvorhergesehen, wenn die Partei es tatsächlich nicht miteinberechnet hat und dessen Eintritt unter Bedachtnahme auf zumutbare Aufmerksamkeit und Voraussicht nicht erwartet werden konnte. Das im Begriff der „Unvorhergesehenheit“ gelegene Zumutbarkeitsmoment ist dahin zu verstehen, dass die erforderliche zumutbare Aufmerksamkeit dann noch gewahrt ist, wenn der Partei (ihrem Vertreter) in Ansehung der Wahrung der Frist nur ein „minderer Grad des Versehens“ unterläuft. Ein solcher „minderer Grad des Versehens“ (§ 1332 ABGB) liegt nur dann vor, wenn es sich um leichte Fahrlässigkeit handelt, also dann, wenn ein Fehler begangen wird, den gelegentlich auch ein sorgfältiger Mensch macht. Der Wiedereinsetzungswerber darf nicht auffallend sorglos gehandelt haben, somit die im Verkehr mit Behörden und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt außer Acht gelassen haben (VwGH 26.04.2000, 2000/05/0054). Diesem Verfahren lag der Sachverhalt zugrunde, dass in einem mit Werbematerial angefüllten Postkasten die Hinterlegungsanzeige unter dem umfangreichen Werbematerial nicht entdeckt wurde.
Im vorliegenden Fall stellt sich jedoch die Situation so dar, dass in den Briefkasten der Beschwerdeführerin aufgrund des aufgeklebten Flugblattverzichters kein unadressiertes Werbematerial eingeworfen wird, sondern nur persönlich adressierte Post. Der vorliegende Fall, dass die Hinterlegungsanzeige in einen persönlich adressierten Katalog zur Gänze hineingerutscht ist und erst beim Durchblättern des Kataloges vorgefunden wurde, kann nicht mit dem Fall verglichen werden, wo eine Hinterlegungsanzeige zwischen Postwurfsendungen liegt und bei einer bloßen Sichtung dieser Post aufgefallen wäre. Insofern ist die Beschwerdeargumentation zutreffend, dass der Sachverhalt, der dem Verwaltungsgerichtshoferkenntnis zugrunde lag, welches in der Begründung der Nichtbewilligung der Wiedereinsetzung zitiert wurde, nicht mit dem vorliegenden Sachverhalt gleichzusetzen ist. Der ungewöhnliche Fall, dass eine Hinterlegungsanzeige in einen Katalog vollständig hineinrutscht, sodass sie erst beim Durchblättern des Kataloges zum Vorschein kommt, kann nach Ansicht des Verwaltungsgerichts nicht als ein auffallend sorgloses Verhalten angesehen werden, sondern als ein Fehler, den gelegentlich auch ein sorgfältiger Mensch macht, womit in diesem Fall das Fristversäumnis auf einen minderen Grad des Versehens beruht, welcher der Bewilligung einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht entgegen steht.
Frau MMag. A hat erstmals am Donnerstag, den 07.09.2017, von der Hinterlegung des Dokuments Kenntnis erlangt und am Mittwoch, den 20.09.2017, im Zuge ihres Wiedereinsetzungsantrages die versäumte Handlung, nämlich die Bekanntgabe des Fahrzeuglenkers, nachgeholt. Sie hat damit die von § 71 Abs 2 und 3 AVG geforderten Voraussetzungen erfüllt.
Zusammengefasst ergibt sich somit, dass die Rechtsmittelwerberin glaubhaft gemacht hat, dass sie durch ein unvorhergesehenes Ereignis verhindert war, die Frist zur Lenkerbekanntgabe einzuhalten. Damit sind die materiellen Voraussetzungen für eine Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegeben; da sie auch die erforderliche Frist für den Wiedereinsetzungsantrag eingehalten hat und die versäumte Handlung gleichzeitig nachholte, hat sie auch die formellen Voraussetzungen dafür erfüllt, weshalb die Wiedereinsetzungen in den vorigen Stand zu bewilligen war.
Daraus leitet sich zwingend der Umstand ab, dass Frau MMag. A die ihr im Straferkenntnis vom 28.09.2017 angelastete Verwaltungsübertretung nicht begangen hat, weshalb dieses Straferkenntnis aufzuheben war.
Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:
Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Landesverwaltungsgericht Tirol
Dr. Alexander Hohenhorst
(Richter)
Schlagworte
Wiedereinsetzung in den vorigen StandEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGTI:2017:LVwG.2017.25.2574.2Zuletzt aktualisiert am
27.12.2017